Weißt du noch, wie’s damals war: Weihnacht am
Herrenweiher
Damit zu Hause das Christkindl „hampern“ kann und nicht
versprengt wird, müssen viele Väter am Nachmittag des 24. Dezember mit ihren
Kindern einen Spaziergang machen.
Meine beiden Buben und ich hatten uns allerhand zu erzählen
auf dem Weg hinaus vor die Stadt, am Kötztinger Bildungshügel vorbei hinauf zur
Rieselshöh. Unten, in einer weiten Au, liegt der Herrenweiher. Fünf kleine
Anwesen ducken sich vor dem Böhmischen Wind, der aus der Ecke des Hohen Bogen
gnadenlos pfeift. Erinnerungen werden wach ....
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| Herrenweiher zur Weihnacht 1974: Noch immer einsam, noch immer schön |
Heiliger Abend am Herrenweiher! Die Obstbäume rahmen den
kleinen Hof schützend ein, der Wind hat wieder mal seinen Tag; er treibt den
Schnee vor sich her und baut vor allen Hindernissen Schneewehen auf. Der Stall
und die „Strahschupfa“ heben sich aus der lichten Schneewüste dunkel ab. Im
weißen kleinen Bauernhaus mit dem hölzernen „Schrot“ brennt schon zur frühen
Morgenstunde Licht. Still ist es rundherum, ein paar Hühner gackern, der Hund
kläfft sinnlos die Katze an, die auf dem Apfelbaum sitzt, Morgenwäsche macht
und sich die Pfoten leckt. Nur zögernd will der Tag anbrechen, die Sonne glüht
dunkelrot im Zellertal und vom „Gstirzel“ her drohen dunkle Wolken, „da
Schneewind wahd“.
Die Petroleumlampe brennt
Es ist Heilig Abend — vom Markt her hört man die Glocken zur dritten Messe, das Rorate ist längst aus. In der Kuchl drin sitzt um den alten Tisch herum die ganze Familie, nachdem das Vieh schon versorgt ist, um die Morgensuppe zu sich zu nehmen. Es wird dabei nicht viel gesprochen. Die Milchsuppe, die der Großvater vorher vom Brotlaib gekonnt mit dem Messer eingebrockt hat, wird gemeinsam aus einer Schüssel gelöffelt. Nichts deutet darauf hin, dass heute vor nahezu 2000 Jahren Christus auf die Welt gekommen ist. Die Petroleumlampe brennt wie an jedem langen Wintermorgen und wird erst nach dem Morgenmahl von der Mutter ausgeblasen. Der Großvater zog den Überrock an und die Zipfelmütze über die Ohren. Dann ging er über den knirschenden Schnee, dem Wald zu, um ein kleines rotes Bäumlein zu holen, so wie alle Jahre am Heiligen Abend. Der Sepp verzog sich in die Werkstatt, um an der „Hoanzlbenk“ letzte Hand am „Wachl“ anzulegen, das sollte sein Geschenk an den Vater sein.
Ich stolperte in meine Holzschuhe mit den an der Sohle eingeschlagenen Eisen und ging in den Hof. Vom „Bamweiher“ hörte ich die Eisstöcke klingen, da gab’s kein zurück. Im Laufschritt war ich in wenigen Minuten drüben und stellte meinen „Stock“ beiseite, um zu warten, bis das „Bod aus is“ und man mich aufforderte, mitzumachen. Kein Gespräch um Geschenke, um Bescherung und Weihnachtsfeier. Während der „sechs, neune, aus“ — nur die Frage: „Gehds a ind Meddn, ha? — ja freila! Sist war o ned Weihnachdn“. Auch beim kargen aber deftigen Mittagsmahl deutet noch nicht viel auf das hohe Fest hin, es gibt eine Fastenspeise „an Ritschi“ und a gstondane Milch“.
A weng a Glout und a
Weihwasser
Erst im Laufe des Nachmittags, als die Großmutter immer wieder in die Kammer
ging, um zu kramen, der Sepp so verstohlen umherschlich und der Großvater das
kleine Bäuml in den hölzernen Christbaumständer einmachte, merkte man, daß
heute ein besonderer Tag ist. Der Baum wurde auf den „Komodkasten“ gestellt,
ein paar Kerzen und silberne Fäden hingen bald daran und unter den Baum stellte
die Mutter eine kleine Krippe. „Heid ist de höchst Rauhnacht!“ — ließ der
Großvater vernehmen. „Muadda doa af Kiraschaufe a weng a Glout und gib ma’s
Weihwossa.“ — Ich durfte mitgehen, zuerst in den Stall, dann in die Scheune, in
jeden Schuppen und auf den Boden. Kein Wort verlor dabei mein Großvater. Zu
fragen traute ich mich nicht, doch als die beinahe feierliche Handlung zu Ende
war, erklärte er mir den Sinn seines Tuns, das alles Böse vom Hof fernhalten
soll ein ganzes Jahr und am Festtag der Heiligen Drei Könige werde er wieder
mit Weihrauch und Weihwasser durch den Hof gehen und bitten, dass der Herrgott
Unheil abwenden möge.
Heilig Abend: In da Kuchl steht vor dem Herrgottswinkel die Familie, der
Großvater betet vor: „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft...“
Dann holt die Großmutter aus der Kammer das Brot; der Großvater segnet mit drei
Kreuzen den Laib, um dann die Anschnitte an die am Tisch sitzende Familie zu
verteilen. Heiliger Abend, die Mutter zündet nun die paar Kerzen am Christbaum
an und die bescheidenen Geschenke werden ausgetauscht. Da „Vadda“ bekommt
seinen „Wachl“, die Großmutter ein neues Kopftuch, der Sepp ein Paar
schafwollene Socken und ich neue Schienen für die Holzschuhe. Alsbald nimmt der
„Vadda“ seinen Lieblingsplatz ein, er setzt sich auf das „Grantl“ des
gemauerten Küchenofens. Der Hund ist heut auch in der Stubn und die Katze
striegelt im Reisig herum, das vor dem Ofen liegt. Grad schön ist’s; da „Vadda“
erzählt aus früheren Zeiten, als es drüben am „Hammer noch weitzte“, als er als
Fuhrmann mit den Pferdegespannen noch nach Amberg fuhr, um Eisen zu holen und
als der Zaun des kleinen Wurzgartens vor dem Haus immer wieder von den langen
Holzfuhrwerken umgefahren wurde. Er zwirbelt seinen Schnurrbart, die Großmutter
war eingenickt...
Der gemeinsame Mettengang
Da gegen 10 Uhr, ein Klopfen an der Tür — „wos is lous?“ „Mochts af, da Nachba
bin i.“ — „Ja so, gei no eina, und wiam de af.“ Bis es 11 Uhr wird, ist die
Stube voll; alles sammelt sich aus der Nachbarschaft zum gemeinsamen
Mettengang. Die Großmutter wird wieder wach und drängt uns, aufzubrechen, damit
wir in die Metten nicht zu spät kommen. Die Laternen werden angezündet und die
Großmutter geht zum Weihwasserkessel. Sie verabschiedet uns. Die beiden alten
Leute bleiben zurück bei Haus und Hof. Über die Rieselshöh erreichen wir in
einer kleinen halben Stunde den Markt. Dort und da knallt ein Schuß — das
Christkindl wird angeschossen. Hinter den Vorhängen der Bürgerhäuser sieht man
die Leut’ stehen. „Boa, heid hams wieda umannandpranxt und da Pfoara hod bereits
a hoibe Stund predigt!“ — „Am Chor om hams ned amoi batzt!“ — „Da Mesner Karl —
hatsn gseng? A mou a Kudn hom wie a Pfoara. Und g’schaut hod a wies Christkindl
sejbai!“ — „Oba da Staudinger Pfoara hod wieder eign’afazt!“ So läuft das
Gespräch nach dem nächtlichen Gottesdienst. Die Leute sind fröhlich. Man
wünscht sich „guade Feierdog“ und ein „gouds hoamkemma.
Dann wurde die Lampe gelöscht
Drunt am Bräuhaus zünden wie wieder unsere Laternen an und schnell sind wir aus
dem Betriebe des Marktes in der Stille des Herrenweihers. Wir gingen über den
„Gänsgraben“ unmittelbar am Regen zurück. Schon von weitem, als wir die alte
Brücke über den einstigen Ablaß des Herrenweihers überschreiten, leuchtet uns
gleichsam als Wegweiser über die in der Mondnacht glitzernde weite Fläche das
Licht aus dem Hof entgegen.
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| Die heutige Jahnstraße war Teil des Grafenwiesener Kirchenwegs Ganz links am Bildrand erkennt man noch den Kanin des früheren Kommunbrauhauses, das im Text erwähnt ist. |
Warm ist’s drin in der Stubn, das tut wohl, nachdem wir auf dem Rückweg von der Metten dem Wind aus dem Böhmischen grad ins Gesicht schauen mussten. Die Ohren und die Nasenspitzen sind klamm. Die Großmutter hat einen Tee hergerichtet, dazu einen Keil Brot.
Dann wünscht der Großvater eine gute Nacht. Er geht mit den Nachbarn noch vor
die Haustür, bevor er die Petroleumlampe auslöscht.
Das war der Heilige Abend, ohne Schallplatten, ohne Radio und ohne Hast. Schön
war’s damals...
Haymo Richter
Wer neugierig geworden ist, kann die Karte hier öffnen: 🗺️ Interaktive Karte Kötzting öffnen


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