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Sonntag, 10. Januar 2021

Kötzting 1921

Die Jahreschronik von  1921


Titelblatt des Kötztinger Anzeigers vom 1.Januar 1921

Liest man einen ganzen Jahresband einer Tageszeitung, so taucht man ein wenig in die damalige Zeit ein und bekommt ein gewisses Gefühl dafür, was die Menschen damals bewegte.

Notstandszeiten

Es ist deutlich zu erkennen, dass es vielen Menschen auch 3 Jahre nach dem Kriegsende wirtschaftlich immer noch nicht gut ging.
Festmachen kann man dies an vielen Anzeigen und Warnhinweisen, die potentielle "Eigentumsdelikte" verhindern sollte und anderen Vorschlägen um sich Einkommen zu verschaffen.
Manche Menschenverlegten sich in ihrer materiellen Not darauf Tiere (Schafe und Ziegen) zu halten, ohne die ausreichenden Futtermengen zu besitzen und so macht die Not halt erfinderisch.

Der Markt Kötzting stellte einen eigenen Waldaufseher und Flurschützen ein und veröffentlichte folgende Warnung:

KA vom Juni 1921




Dies ist insoweit bemerkenswert, als der Ludwigsberg, ehemals der Galgenberg, die Kötztinger Viehweide gewesen war und erst ein/zwei Generationen zuvor in eine Art von Kötztinger Naherholungsgebiet umgewandelt worden war. Der Ludwigsberg war also ein Allgemeinbesitz der Kötztinger Bürger - allerdings nur der Marktlehner und diese waren nicht auf diese ehemalige Viehweide angewiesen, sondern hatten eigene, andere, Gründe. Die Häusler und Inwohner, die in Kötzting sonst keinen Grundbesitz hatten, hatten auch keinen Anteil am Besitz der Gemeindeflächen.
Also gingen solche Ziegen bzw. Schafbesitzer abends an die Waldränder zum "Laubabstreifen" bzw hüteten ihre Tiere auf fremden Grundstücken ein.
Nicht nur dem Markt war dies ein Dorn im Auge, auch andere Privatbesitzer waren davon betroffen:
KA vom Juni 1921

Straßenrandstreifen, deren Pflege heutzutage alljährlich Lohnunternehmen überlassen wird, waren damals Flächen, um deren Grasschnitt an einzelne Int4etressenten versteigert wurden, nur um anschließend ihre "Ernte" gegen andere "Nutznießer" verteidigen zu müssen. 

KA vom April 1921

Den Landwirten wird empfohlen, ihre gewöhnlichen Weiden so zurückzuschneiden, dass von den durchtreibenden Zweigen Material zum Korbeflechten geerntet werden könne.




Die Auflösung der Kötztinger Bürgerwehr



Während also der Bayerische Wald immer noch ein wirtschaftliches Notstandgebiet war, bewegte sich  zumindest im politischen Bereich unsere Gegend langsam in ruhigeres Fahrwasser. nach den Unruhen im Frühjahr 1919 waren sogenannte Bürgerwehren gegründet worden.

Siehe: Der Spartakistenaufstand in Kötzting von 1919  

Auch wenn die Zeitung noch von dem einen oder anderen Versuch der tschechischen Seite berichtete, die Tschechoslowakei über den ganzen bayerischen Wald hinaus auszudehnen, die EInwohnerwehr jedenfalls hatte sich überlebt und im September löste sich der "Milizverband" schlichtweg auf.

Karl Lindner und der Gauhauptmann, der Lehrer Weiß aus Kötzting
unterzeichneten die Danksagung an die Behörden und den
Kötztinger Pfarrer, der der Wehr ein Büro zur verfügung
gestellt hatte. 



Noch im Juni wurde ein "Abschiedstag" auf dem Hohenbogen veranstaltet. An die 800 Personen, - bis von Straubing und Plattling herauf -  waren gekommen, um bei der Schutzhütte im Freien den Festrednern zuzuhören. Der "Hauptstrom der Teilnehmer" hatte "den Mittagszug bis Watzelsteg" benutzt "und nahm von hier aus den Aufstieg vor"
Die Kötztinger Teilnehmer fuhren mit einem Sonderzug nach Hause und ließen den Tag im Dregerkeller ausklingen. 


Der Fasching musst heuer ausfallen

Anfang Februar lud der TV Kötzting seine Mitglieder noch mit einer Anzeige zum traditionellen Vereinsball beim Georg Mühlbauer (Dimpfl) in der Metzstraße zum 5. Februar ein. Am Morgen desselben Tages dann die Nachricht: In Bayern wurde ein vollkommenes Tanzverbot ausgesprochen. Was war hier passiert?



In den amtlichen Bekanntmachungen, die monatlich auch im Kötztinger Anzeiger als Beilage erschienen, steht die Bekanntmachung des "Staatsministeriums des Inneren" an sämtliche Polizeibehörden. 
"Der Ministerrat des Freistaates Bayern hat beschlossen, daß im Hinblick auf die ungeheuerlichen Forderungen,  die soeben vom Feindbund an das Deutsche Reich gestellt worden sind, sämtliche Faschingslustbarkeiten zu unterbleiben haben.
1. Öffentliche Lustbarkeiten, die den Charakter von Faschingslustbarkeiten tragen, ferner öffentliche und geschlossene Tanzlustbarkeiten jeder Art dürfen vom 4. Februar 1921 ab nicht mehr stattfinden......

Die Abhaltung der Veranstaltungen ist zu verhindern."

Das wars dann mit dem Fasching 1921 in Kötzting. 



Ein Skandal im Bankhaus Liebl

Im Juni 1921 stand folgende Warnungseinlassung des Bürgermeisters und Bankiers Liebl im Anzeiger, mehr nicht, Was war da passiert?
In der Linzer Tagespost vom Anfang Juni 1921 fand der Leser genaueres, und diese Nachricht ging vermutlich wie ein Lauffeuer durch die Kötztinger Gesellschaft:



Das Bankhaus Liebl im Festkleid (mit dem 500er Schild) für den Jubiläumspfingstritt 1912

DIA Repro 1134 Familie Liebl Bankier um 1915 Abgabe von  Dr. Hans Wolfgang Dittrich
von links Alfons, Anni, Fränzl, Frau Liebl geb. Ring, Paula verh. Dittrich,  Käthl, Franz Liebl, Bankier und Bürgermeister, Franz, Maria. (Bankhaus Liebl Marktstraße ,später Gewerbebank, Volksbank)  Marktstraße 21
Franz Liebl wird 1921 einer der beiden Brautführer sein. 

Alfons Liebl wurde später Nachfolger in der Bank seines Vaters und unter der Ägide von Benno Hoiss ab Sommer 1933 der 2. Bürgermeister von Kötzting. Offensichtlich - wie das Salzburger Volksblatt schrieb - durch "mangelhafte banktechnische Vorbildung" verursacht, hatte er "seinen Betrieb sehr leichtfertig geführt" und musste im Jahre 1935 Konkurs anmelden.  




Der FC Kötzting wird gegründet



Das Datum des ersten Fußballspiels in Kötzting ist bekannt und in der Zeitung festgehalten, am 22.3.1921 rollte zum ersten Male der Ball in einem Wettkampf. Der Gegner war eine Studentenmannschaft Kötztings.

Bericht über das erste Kötztinger Fußballspiel



Was mir bei diesem und den vielen, vielen weiteren Spielberichten aus den 20er Jahren aufgefallen ist, ist, dass die Spielernamen nur in seltensten Fällen genannt wurden, sondern fast ausschließlich die Spielerpositionen.
Erfolg machte hungrig und so kam es bereits am Folgesonntag zur Wiederholung und zum Rückspiel zwischen den Turnern und den Studenten, diesmal bereits begleitet von einer Werbeanzeige:

KA vom 29.3.1921




Der Sportbericht landete hier noch unter "Vermischte Nachrichten" es dauerte noch eine Weile, bis über die Kötztinger Fußballer im "Sportteil" berichtet wurde.
 Bereits im März 1921 nennt sich die Mannschaft Fußballklub (Turnverein) und man erkennt bereits ein Problem, welches diesen Verein immer wieder in der Anfangszeit begleitete: Sportartikel: also Dress, Bälle und Fußballschuhe.
Und noch ein drittes Spiel gegen die Kötztinger Studenten wurde ausgetragen, noch einmal eine Woche später am 3. April,  und dann waren sich die Kötztinger Sportler wohl sicher, dass dieser Sport bei ihnen eine Zukunft haben solle und so machten sie Nägel mit Köpfen:

Der 8. April 1921 ist das exakte Gründungsdatum des FC Kötzting. An diesem Tage wurde aus dem Turnverein zur Tat geschritten und es entstand  "Fußballabteilung des Turnvereins Kötzting".  Der "Herr Privatier Rett" nahm die Wahl zum Vorstand der Abteilung an. Hier der Bericht der Gründungsversammlung:


Nun reihte sich Wettkampf um Wettkampf, der Jahnplatz wurde die neue Spielstätte, auch wenn dieser nicht den Anforderungen genügen konnte. 

Offensichtlich bemühte sich die Fußballabteilung alle Kötztinger Wirte gleichmäßig zu besuchen, wie man an Einladungen zu Mitgliederversammlungen gut erkennen kann: vom Godl (Mühlbauer/Lemberger) zum Wieser, Amberger, Januel, beim Decker und beim Dimpfl.

Wie viele andere Kötztinger Vereine, nutzten auch die Fußballer das Theaterspielen als Möglichkeit, zu extra Einnahmen zu kommen. Im Januelsaal, eigentlich die Spielstätte der Kolpingsfamilie, probten die Fußballer ein Theaterstück ein, "Der Kampf mit dem Drachen"




Noch waren es reine Freundschaftsspiele...... aber im Hintergrund laufen bereits die Verhandlungen.
Ende September 1921 wurde die "Fußballabteilung des Turnvereins Kötzting", der Fußballclub, in den Süddeutschen Fußballverband aufgenommen, damit war der Spaßfußball endgültig vorbei und der Ligaalltag konnte beginnen.



Trotz aller Sportbegeisterung der Aktiven hatten die Verantwortlichen wohl das Gefühl, sie sollten den Kötztingern noch etwas auf die Sprünge helfen und so luden sie ihr Publikum zur Fortbildung: "am Mittwoch, den 24. und Donnerstag, den 25. August findet im Gasthaus Januel Unterricht über die Fußballregeln statt. Es dürfte der Unterricht nicht nur für Spieler sondern auch für alle Interessenten sehr wertvoll sein und wird deshalb zu recht zahlreichen Besuch aufgefordert."
Die erste Chronik des FC Kötzting gilt seit den 80er Jahren als verschollen, Gott sei Dank haben sich einige Kopien aus dieser erhalten und so kennen wir die ersten Mitgliederlisten und auch die ersten Beschlüsse. Also Neumitglied noch im Oktober 1921 finden wir auf der Liste Herrn Julius Kirschner, sozusagen dem späteren MR. FC Kötzting, der nach einer turbulenten Vorstandssitzung, bei der es erneut um die Platzfrage ging, im Frühjahr 1922 dann gleich zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde und die Geschicke des FC Kötztings, mit viel Engagement und eigenem Kapital, durch schweres Fahrwasser bis zum März 1933 führte, als er dann als Folge des politischen Drucks von Seiten der NSDAP von dem Posten zurücktrat. Hintergrund dieses Rücktritts war, dass Herr Julius Kirschner, der "Kirschner Juler" Jude war.
Arbeitskreis Heimatforschung DIA Repro 631 Fußballspielen auf dem Jahnplatz 








Die Kötztinger jüdischen Familien Hahn und Kirschner

 Im Kötztinger Anzeiger von 1921 finden sich einige Hinweise darüber, wie gut die beiden Familienverbände, die der Hahns und Kirschners,  im Kötztinger gesellschaftlichen Leben integriert waren und auch ihre Religion offen ausüben konnten. Josef Hahn, Jahrgang 1897, von dem darüber hinaus auch bekannt ist, dass er in der katholischen Kirche die Orgel gespielt hatte, war im Frühjahr als Kassier in die  Vorstandschaft des Kötztinger Burschenvereins gewählt worden.
Simon Hahn, Josefs Vater, war jahrzehntelang im Vorstand der Kötztinger Feuerwehr und trub sich regelmäßig in die Siegerliste des Schützenvereins ein.
Beide Geschäftsinhaber, Simon Hahn und Julius Kirschner kündigten die Geschäftsschließungen für hohe jüdische Feiertag per Annonce an. 

In einem amerikanischen FB-Forum für jüdische Genealogie wurde mir bei der
Entschlüsselung der Daten geholfen:  Der 3. und 4. Oktober und dann der 12. Oktober 1921 waren:
"The two-day Jewish New Year and Yom Kippur, The Day of Atonement."
also das jüdische Neujahrsfest und Yom Kippur. 

Im Kötztinger Orchesterverein, einer Erweiterung des Männergesangsvereins finden wir Julius als aktiven Musiker und sogar eine Art von Datenschutzerklärung gab er  damals bereits seinen Kunden. Julius Kirschner, der neben seinem Konfektionsgeschäft auch mit Fellen und Altpapier handelte, annoncierte folgende Information:
Julius Kirschner gab eine "Garantie des Einstampfens", also eine Zusicherung, dass das 
überlassene Dokumentenmaterial nicht in fremde Hände kommen könne.

Auch wenn sie bereits beruflich weit weg von Kötzting sich niedergelassen hatten, die Verbindung mit der Heimat war ihnen wichtig, so kündigte Albert Kirschner, der Zollamtmann seine Verlobung im Mai 1921 auch im Kötztinger Anzeiger an.




Wer mehr über Julius Kirschner und seine Großfamilie erfahren will, hier der link zu einem Beitrag.





Das Pfingstfest im Jahre 1921


Der Pfingstbräutigam Mühlbauer Franz (Osl) und seine Braut Irlbeck Kathie mit den beiden Brautführern Josef Hofmann und Franz Liebl

Das Pfingstkomitee gibt , wie alle Jahre, seine Neuerungen, Wünsche und Forderungen bekannt, die vermutlich auch ihre Gründe hatten, diese immer wieder zu benennen:
"Bei der Aufstellung zum Pfingstritt gelten nun strengere Regeln: Zuerst kommen sämtliche Kötztinger Reiter, anschließend daran die Landreite. Zu den ersteren zählen nur Kötztinger Bürger und Bürgersöhne, alle anderen, auch wenn sie Kötztinger Pferde reiten haben sich den Landreitern anzuschließen." 
" dass die Feldmesse (sic) in Steinbühl heuer eine besondere Weihe empfangen wird, indem die Musikkapelle des katholischen Gesellenvereins (heuzutage der Kolpingsverein) Choräle zu Gehör bringt"
"...nach dem Einritte und der Übergabe des Kränzchens findet auf dem Friedhofe zu Ehren der heimgegangenen beiden Förderer des Pfingstrittes Herr Hauptlehrer Michael Drunkenpolz und Herrn Maurermeister Franz Kirschbauer eine Gedenkfeier statt, wobei an den Gräbern der unvergesslichen Toten Kränze von den Pfingstreitern, in treuer Erinnerung gewidmet, niedergelegt werden"


Nahezu 400 Pfingstreiter erneuerten am Pfingstmontag bei herrlichem Wetter das Jahrhunderte alte Gelöbnis und ritten um 1/2 8 hinein ins Zellertal zur St. Nikolaus Kirche in Steinbühl. 
Die - ungefähr seit einem Jahr bestehende - Kapelle des katholischen Gesellenvereins spielte bereits ,zusammen mit der Festmusik, den Weckruf um 5 Uhr früh und "intonierte dann während des Feldgottedienstes herrliche Weisen"

Die um das Jahr 1920 gegründete Blaskapelle des katholischen Gesellenvereins, hier vor
ihrem Vereinslokal beim Leboid.

Das damalige Kooperator und fungierende Offiziator überreichte dem Gastwirtssohn Franz Mühlbauer sein Tugendkränzchen  
Es gab in diesem Jahre ein Reihe von Auszeichnungen. In den Wochen zuvor hatte das Pfingstkomitee bereits auf die Regeln der Auszeichnung verwiesen. Damals, wie heute, wohl ein größeres Problem:

Die beiden Männer aus dem Zellertal, Hofmann Johann von Kaitersbach und Graßl aus Thalersdorf bekamen das band für die 40 jährige Teilnahme. Auch die Liste der mit der Fahne ausgezeichneten, zeigt wie große die Teilnahme auch aus dem Umland war. Es waren dies Holzfurtner aus Lamerbach, Schierlitz Johann aus Thenried, Freimuth Xaver aus Höfing, Wensauer Xaver aus Sperlhammer und Köppl Bartholomäus uns Gutendorf. Aus Kötzting wurden ausgezeichnet die Herren Karl Obermeier, Mühlbauer Franz, Fischer Peter und Irlbeck Michael. 
Nach den Ehrungen ergriff nun HH Pfarrer Späth aus Neukirchen beim hl Blut das Wort und erinnerte an die beiden in den letzten Jahren verstorbenen Förderer des Pfingsrittes gedachte. 
Bayerwald von 1931
Gerade mit dem Mauerermeister Franz Kirschbauer war Pfarrer Späth eng verbunden, immer wieder erhielt er kurz vor Pfingstn ein Brief vom Kötztinger Jubelreiter:





nach diesen Ansprachen und den Ehrungen (auf dem Bleichanger) kehrte der Ritt zurück in die Herrenstraße um sich aufzulösen. Die Spitze jedoch - im Stadtarchiv liegt noch eine Liste der Reiter, die den Abstecher zum Friedhof unternommen haben) ritten zum Friedhof, "wo Herr Brauereibesitzer Karl Lindner, im Namen der Pfingstreiter in bewegten Worten der beiden heimgegangenen, als eifrige Förderer und allerliebst lieben Freunde gedachte. Es erfolgte hierauf die Kranzniederlegung auf die beiden Gräber, unter Widmung eines zu Herzen gehenden Nachrufes. Ein ernster Akt, die Musikkapelle des kath. Gesellenvereins intonierte einen Trauermarsch, die Pfingstreiter zu Pferd im Friedhofe gedenken der beiden treuen Dahingegangenen. Mit diesem Teil schloß in echt religiöser Weise der Pfingstritt 1921 als denkwürdiger Tag für die Kötztinger Pfingstreiter."