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Mittwoch, 26. Februar 2020

Die Bollburggasse

ein verschwundener Gangsteig gleich hinter der historischen Marktbefestigung

Für den "Ort" Kötzting war die Marktrechtsverleihung sicherlich ein entscheidender Standortvorteil für das Auskommen seiner Bürger und, später, auch einer der Gründe, warum Kötzting zum Sitz eines Landgerichts auserwählt wurde.
Es ist nichts weniger als eine Ortsverfassung, auf deren gesicherte Rechte und Vorteile sich der Marktmagistrat mit Unterstützung seiner Bürger immer wieder berufen konnte und bei der trotzdem  immer wieder in Gefahr bestand, von anderer Seite (z.B. umliegende Hofmarksherren) untergraben zu werden.
Das "Marktrecht" war also das wichtigste Attribut, um ein "Markt" zu werden.
Die nächsthöhere Stufe, die Stadt, durfte dann als Attribut und Zeichen der Stärke eine Stadtmauer errichten.
Hier in Kötzting haben wir also etwas ganz besonderes: einen befestigten Markt.

1816

Ausschnitt aus dem Uraufnahmeplan von Kötzting aus : Kötzting 1085-1985 von ca. 1816
Wie man auf dem Plan gut erkennen kann, gab es damals weder die heutige Gehringstraße noch die beiden Verlängerungen jeweils der Metz- und der Schirnstraße. Alle drei Straßenzüge wurden erst ermöglicht, als das verheerende Großfeuer 1867 diese linksseitige Hälfte der Marktstraßenbebauung in Schutt und Asche gelegt hatte. Alle diese, später abgebrannten, Marktlehen dehnten sich von den Hauptgebäuden an der Marktstraße ausgehend, in schmalbrüstigen Streifen über ihren Hinterhof meist zu einem großen Rückgebäude aus. Anschließend folgte die Bollburggasse (möglicherweise im unteren Teil sogar befahrbar), und dann setzte sich wieder der private Grundbesitz fort - nun allerdings mit unterschiedlicher Nutzung, mit Stadeln, Wiesen und Gärten, letztere vor allem im oberen Abschnitt.
Zur Verdeutlichung wo die, nun nicht mehr erkennbare, Bollburggasse heutzutage zu verorten wäre:
das schmale Gässchen zwischen der früheren Adler- und der Sonnenapotheke liegt genau auf der Flucht der Bollburggasse - und hatte früher eine Verbindung zu dieser und sollte auch in der Breite, zumindest dem oberen Verlauf, der Bollburggasse entsprechen - die eigentliche Bollburggasse (eben die Gasse hinter der Befestigung) beginnt tatsächlich aber erst ca. 50 m weiter bergauf.

Luftaufnahme Krämerarchiv: Mitte der 60er Jahre, erste Marktplatzsanierung:  Marktstraße und die parallele Gehringstraße
die weiße Linie zeigt die Lage der ehemaligen Bollburggasse mit dem Chamauer Tor


zwischen 1870 und 1906


Von Georg Rauscher, unserem Stadtschreiber, haben wir eine kleine Beschreibung zumindest des obersten Teils der Bollburggasse: Lang, lang ist es her, seit an Stelle der oberen Gehringstraße nur ein Trampelpfad bestand, über den die Ebracher, die Bewohner rund um den Torplatz und den Friedhof dem unteren Markt zustrebten, weil er eine Abkürzung des Weges bedeutete. Dass sie dadurch durch die Lücken eines Bretterzaunes schlüpfen mussten, der sich von dem Wirtsgebäude Miethaner bis zu dem ehemaligen Obstgarten Dreger (Schindler) zog, machte ihnen wenig aus. Und es störte sie auch nicht, wenn der alte Miethaner es nicht gerne sah, dass man seine Wiese zweckentfremdete. Denn das erwähnte Grundstück war tatsächlich eine große Wiese und erstreckte sich von Norden abwärts bis zur Buchdruckerei Oexler und westwärts bis zur Holzapfelstraße, die zur damaligen Zeit mehr einer Hohlgasse glich, weil an der Stelle, an der heute die Häuser Parzinger, Graßl/Schwarz und Zahorik stehen, sich ein mit Eichenbäumen bestandener hoher Rain in der gleichen Höhe wie der Dregergarten erhob. ....Vom Frühjahr bis zum Herbst wurde auf dieser Wiese das Kühgras gemäht, wuchs es doch sozusagen vor der Stalltüre. Und im Herbst, wenn es nichts mehr zu mähen gab, ließ man die Kühe darauf weiden +- es war eine ländliche Idylle im Markt.

Stadtarchiv Kötzting Lageplan späterer Buchdrucker Oexler. Die Gehringstraße
endete damals an der Einmündung der Metzstraße von rechts.
Das beschriftete  Gebäude von A. Dreger ist nun die ehemalige Bäckerei Kerscher.



Dies ist nun das letzte - zumindest literarische - Abbild vom letzten verbliebenen Teil der ehemaligen Bollburggasse. Beginnend ab dem Jahre 1906-7 wurde die Gehringstraße von der Buchdruckerei Oexler (siehe Lageplan oben)  aus nach oben durchgezogen und somit verschwanden auch die letzten Geländemarken, die auf diese alte Gasse hinwiesen. 
An manchen Baustrukturen/Baulinie der Rückgebäude (Irlbeck/Kern, Zimmerer, Wieser ) kann man noch den ungefähren Verlauf erahnen.



Wie aber ging es los mit der Bollburggasse?

1460 

Die Anfänge unserer Marktbefestigung liegen in den Wirren der Hussitenkriege. Wir kennen zwei Bittbriefe aus dieser Zeit, den einen schrieb der "arme Pfarrer" von Kötzting, der andere, wesentlich längere und ausführlichere stammt von den Kötztinger Bürgern selber, welche einen Nachlass ihrer Steuern zuerst vom Herzog und später dann auch - unter Bezugnahme der Steuernachlässe vom Herzog - auch vom Kloster Rott erbaten.
Pater Dullinger, der im 18. Jahrhundert die schriftlichen Unterlagen im Priorat Kötztings inventarisierte und datierte, nimmt das Jahr um 1460 an, an dem der Brief geschrieben ist, denn der im Schreiben erwähnte Albrecht III, war 1460 bereits gestorben.
Hochwirdiger gnädiger Herr: und das hochwirdige Convent zu Rott. Wir bringen an eür Gnad und das wirdig Convent unser groß sweres verderben und obligen, das wir erlieden haben und mit gepeu volpracht haben (Nun werden zuerst die Überfälle auf Kötzting aufgeführt, die die Bürger alleine in einem Jahr zu erdulden hatte.) Dann aber: 
Auch bringen wir an eur Gnaden und an das wirdig Convent: das uns der durchleuchtig Hochgeporene Fürst und genadig Herr Herzog Albrecht in seiner fürstlichen Gnaden Schutz und Schirm genommen hat, und hat uns genediglichen versehen mit ainer Landschaft, ein Graben umb den markt auf unser Costung den merern Tayll

Mer bringen wir an.....das uns unser genediger Herr Herzog Albrecht auffgesezt hat ein polbercht zu machen, so wir das polberch gemacht haben, so wol uns sein fürstliche genad mit genaden versehen, das nun also geschehen ist, und das Polberch verfertiget ist.

Mer bringen wir an.... das wür einen gueten aichen schrekzaun umb den margckt gemacht haben ausserhalb des Grabens


Mer bringen wir an .....das uns verpaut ist in dem Marktgraben bey achthalben Lehen, die man nymer gebauen mag, davon wir grossen abgangk haben eur gnaden zinß zu verraichen,

Auch bringen wir an ......dass um den Kirchhofe abgeprochen sind bey zwelf heuser, do wir abganck haben  wacht steuer und manschaft von den gepeus wegen.

Hier haben wir: Ein Bollwerk aus Graben, Wall und Palisaden.
Interessant an dieser Ausführung ist, dass um den Kirchhof herum - wohl angelehnt, angebaut an den Felsensporn, der heutzutage die Kirchenburg so mächtig erscheinen lässt, damals 12 Häuser (in welcher Qualität auch immer) existiert hatten, die dem Erweiterungsbau der Kirchenburg - vermutlich die äußere Ringmauer und der Graben - ersatzlos weichen mussten.

Der genaue Verlauf der Befestigung rund herum um den Markt Kötzting ist hier nicht Thema, wurde aber vom damaligen Landrichter Carl von Paur in den 1860er Jahren anhand von wenigen Spuren genau beschrieben, bevor auch diese endgültig dann verschwanden.

Das "Polberch" an der Westseite (und sicherlich auch im Norden herum um Kötzting) jedenfalls hatte die beschriebene Struktur.
In einem Beitrag über das Chamauer Tor in Kötzting in den Beiträgen zur Geschichte im Landkreis Cham von 1997, Seite 59 ff, haben Ludwig Baumann und Georg Prantl versucht die Gesamtanlage der Marktbefestigung zu rekonstruieren. Das obige Bild gibt einen guten Eindruck davon, wie die Befestigung - bei der Anlage - wohl ausgesehen haben könnte.
Die Einschränkung - bei der Anlage - ist hier besonders wichtig, weil die Kötztinger zwar in ihrem Bittschreiben an das Kloster Rott die Kosten und den Grundstücks- und damit dauerhaften Einkommensverlust aufgeführt haben, es aber in all den noch existierenden Marktrechnungen - auch wenn diese wegen des Schwedeneinfalls erst ab 1636 einsetzen - nicht ein Kreuzer an Reparaturausgaben für dieses Bollwerk zu finden ist. Auch in den noch viel weiter zurückreichenden Pfleggerichts- und Kastenamtsrechnungen findet sich nicht der kleinste Hinweis auf Baureparaturen an der Marktbefestigung. Im Gegensatz dazu sind die Baureparaturen am Schloss sehr ausführlich und über Jahrhunderte zu verfolgen.

Das bedeutet, dass wir zwar eine Vorstellung davon haben, wie das Bollwerk beim Bau ausgesehen haben könnte, aber danach gibt es zuerst einmal keine weiteren Hinweise.

1612 dann, gut 150 Jahre nach der Anlage der Befestigung, hat sich vermutlich der Graben von alleine wieder langsam verfüllt und sind die Palisaden des Schreckzaunes, auch wenn sie aus eichenem Holz gewesen war, schon lange Vergangenheit.
Im Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischen Bürgern und Landrichter über die Belegung des Friedhofes um die Pfarrkirche herum erfahren wir, dass das hierher transferierte Militär, das Viechtacher Fähnlein, bei der Fortifizierung des Marktes seine Schanzarbeiten quer durch den oberen Friedhof bezogen hat.
Der Nachfolger des angeklagten - nun verstorbenen - Pflegers muss zugestehen, dass:

Seintemallen aber obverstandenermassen der gedachte Gottesackher vor dem markht durch die aufgeworffene Stocada oder Schanzgraben zimblich starckh geschmällert und zerrissen das derselb unverwart anyetzt gleich offen stehen thuet und dermassen verwiesstet worden, dass cum venia (mit Verlaub) Hundt und Schwein darauf um gehen mögen. Selbicher auch vor der zeit allein der Sterbsleuff halber fürgenommen worden.

Auch hier ist also erneut von einem Schanzgraben in Verbindung mit einem Staketenzaun die Rede, eine Situation, wie man sie auch auf dem ersten erhaltenen Ölgemälde Kötztings im Detail erkennen kann.
 Die Bollburggasse ist also ein schneller Verbindungsweg hinter der Verteidigungslinie

30jähriger Krieg

Die Marktbefestigung hielt in Kötzting keinen einzigen Angreifer auf, lediglich die Kirchenburg bot einen zeitweiligen Schutz, wurde aber auch - wegen Dummheit der Verteidiger - eingenommen.
Beim zweiten Angriff der "Schweden" 1642 achteten die Verteidiger in der Kirchenburg mehr auf die Verhandlungen an der vorderen Zugbrücke und vernachlässigten dabei komplett den hinteren Mauerbereich, wodurch die Angreifer locker hinten eindringen konnten während vorne noch verhandelt wurde........tja, shit happens.

Nun, nach dem erzwungenen kompletten Neuaufbau der Bürgerhäuser Kötztings - dem Pflegerschloss war ja fast nichts passiert - war es den Bürgern mehr ums Überleben getan und so privatisierten wohl die Marktlehner die hinter ihren Anwesen liegenden Grundstücke Stück für Stück.



1655

Der damalige Propstrichter Adam Türrigl erstellt für sein Kloster eine Auflistung der Kötztinger Bürger mitsamt ihren Grundstücken. Es bleibt fragmentarisch, aber zumindest die ersten 20 Anwesen sind detailliert aufgeführt und zeigen bei einigen Grundstücken Ortsangaben, die auf die frühere Marktbefestigung hinweisen:
der Bürger Pachmayr - nun Amberger Hof -
besitzt ain Gartten hünderm Haus welcher bei der Schmidten mit ainer Planckhen, und sonsten bay dem Graben mit ainem Zaun umbfangen.

 







 der Garten des  Bürger Kolbinger liegt mit einem "Orth auf die Schanz gegen Herrn Thomasen Rothauer Churfürstlichen Preuverwalters und Gerichtsschreoibers Gartten ..."




 

Der Bürger Scharrer im Rindermarkt - heutzutage die Schirnstraße - besitzt einen Garten, der " mit dem andern Ort auf Adam Türrigls Marktschreibers Paumbgartten und der Schanz stosst.














Es macht den Eindruck, als wäre die Fläche, die früher einmal eine Verteidigungsanlage gewesen ist, peu a peu in einen Gemüsegarten umgewandelt  und unter die Bürger verteilt worden. Solch ein tiefgründig umgegrabener Oberboden eignet sich natürlich gut zum Anbau von Obst und Gemüse.
Mit Ausnahme des Chamauer Tores tauchen auch die anderen 3 Markttore nicht mehr in den Unterlagen auf, die Befestigung hatte schlichtweg ihre Bedeutung verloren.
Nun erinnerte die Bollburggasse eher einem Mistweg, wie in modernen Reihenhausanlagen,  um die, hinter den Anwesen liegenden, Grünflächen zu erreichen.

1700

Wie sehr auch die kurfürstlichen Beamten, hier der Hauptmann, Pfleger, Kastner , Vogt- und Landrichter alhier zu Kötzting Johann Jakob von Mayr, das Kötztinger "Schrebergartenareal" schätzten, zeigt ein Vertrag mit dem Magistrat Kötzting, der ihm erlaubte die märktische Wasserleitung beim oberen Tor anzuzapfen und das Wasser in seinen "hünder dem Polwerch von Marthi Hofmann des Rats erkauften Garthen zu führen"

1802 und 1858

Der Schulunterricht der Kötztinger Schüler fand bis um das Jahr 1858 in zwei Klassenräumen im Spitalgebäude statt. 1858 dann wurde das damals neue Schulhaus (heutzutage das Parkhaus) auf dem Gelände des Schlossgartens errichtet und die Zufahrt/Zugang zum neuen Schulhaus musste über die lehmige Hohlgasse erfolgen, die heutzutage die Holzapfelstraße ist.
Für die Projektierung dieser Straße wurde ein Plan erstellt, der auch den Bereich der Bollburggasse sehr schön aufzeigt.
StA Landshut LGäO Kötzting Nr. 97 Erbauung eines neuen Schulhauses in Kötzting von 1858

Auf dem Plan sieht man ganz deutlich die Bollburggasse, die sich im oberen Bereich zwischen Wiesen, Städel und vor allem Gärten schlängelt. Das Anwesen Schwarz (vorher Kötztings erstes Forstamt und vorher in Besitz des Gerichtsschreibers Preiss ist heutzutage das Kaufhaus Wanninger) hatte offensichtlich einen gepflegten Garten. Sein Unterlieger, Schindler, hatte auf beiden Seiten des Weges eine Bebauung und ebenfalls einen Garten. Weiter hinunter in der Reihe der Marktlehen waren es dann zuerst einmal zumeist Wiesengrundstücke (Hastreiter, heutzutage Miethaner)
HStA München GL fasc 1836/75 Antrag die Bollburggasse, zu verschließen

Im Jahre 1802 beschwerte sich der damalige Gerichtsschreiber Preiss über nächtliche Umtriebe und permanente Schäden an seinem Eigentum.

In diesem Ausschnitt wird mit "A" bezeichnet: Gäßl, so man zu verschlüssen gedachte
Mit "B.B." zwey Gärtl des Gerichtsschreibers ... zwischen dessen Stadel und Neubaugebäude

Wie, weiter oben, bereits von Georg Rauscher in seinen Erinnerungen geschildert, war die Bollburggasse eine Abkürzung für Bürger aus dem oberen Markt, um in den unteren zu kommen und wieder zurück nach nach Hause.
Es gab aber auch einen Sonderfall:

Zur kurzen Einführung: Die 36 Kötztinger Marktlehner hatten durch ihren Freiheitsbrief u.a. die uneingeschränkten Brau- und Schankrechte erhalten - und dies auch noch in einem Umkreis von 2 historischen Meilen. Eingeschränkt wurde dieses Monopol nur durch die individuellen Braurechte, die adelige Familien dem Herrscherhaus im Laufe der Jahrhunderte abgetrotzt hatten. Kötzting als Verwaltungszentrum und Marktplatz (alle Waren mussten damals auf/über den Markt verkauft werden) versorgte seine Bürger und Kunden mit einer "Perlschnur" an Wirtshäusern, beiderseits der Marktstraße.

Nun zum Problem:

Damals herrschte strenge "POLIZEI", der damalige Ausdruck für eine Sperrstunde.
Wenn also Kötztings (der Bürgermeister/Kammerer hatte seinen eigenen "Polizisten") Gendarm  - zumeist gleichzeitig auch der Flur- und Nachtwärter - diese Sperrstunde kontrollieren wollte und die Wirtsstuben vorne von der Marktstraße her betrat.........wichen die ertappten Gäste einfach nach hinten aus und entwischten nach oben und unten über die Bollburggasse.
Eine sehr frühe Discostrecke also.
Auch Spätheimkehrer, stille und laute, streitende und gerne auch raufende, zogen öfters über den hinteren "Schleichweg" nach Hause, und manche dieser Streitereien wurden wohl zuerst nur lautstark ausgetragen, bis man dann oben bei den Zaunlatten des Gerichtsschreibers Preiss angelangt war, wo man sich dann leicht und wiederholt munitionieren konnte.
Gerichtschreiber Preiss jedenfalls beschwerte sich bei der Regierung in Straubing über die andauernden Belästigungen und Beschädigungen und stellte den Antrag, diesen Schleichweg verschließen zu dürfen.
Vergeblich, wie man weiß, erst der Straßenneubau nach dem Marktbrand 1867 ließ stückweise diesen alten Kötztinger Weg verschwinden.

Ein kleiner Rest dieser alten Kötztinger Gartenkultur war der kleine Garten von Frau Sonnleitner in der Gehringstraße. Dieser Gemüsegarten dürfte mit dem äußeren der beiden Gärten des Gerichtsschreibers Preiss in Teilen übereinstimmen.
Arbeitskreis  Heimatforschung Serwuschok 202 von 1973


 
Mit der Projektierung und dem schrittweisen Bau der späteren Gehringstraße wurde gleichzeitig auch versucht, das Kötztinger Abwasserproblem in den Griff zu bekommen.
Auch hier kurz zur Erinnerung: Dachrinnen, Fallrinnen und Abwasserkanäle waren nicht einmal auf der Marktstraßenseite gebräuchlich damals, umso weniger auf dem Trampelpfad hinter den Gebäuden, wo aber viele Marktlehner Feldscheunen inkl. Kellergewölben hatten, die regelmäßig überschwemmt wurden.
 Mit dem beginnenden Neubau der - späteren - Gehringstraße wurden nun die ersten systematischen Abwassersammler gebaut.
Genauso abschüssig, nur um ca. 15m nach rechts versetzt und weniger breit muss man sich die Bollburggasse vorstellen, ungepflastert, durch jahrhundertelange Nutzung aus festgestampftem Lehm, wehe den Bewohnern im unteren Markt, wenn bei Starkregen die Brühe die Bollburggasse herabgeschossen kam.
Bild Arbeitskreis Heimatforschung KUSW821




Sonntag, 9. Februar 2020

Der Schi-Stra-Bus - ein Beruhigungspflaster für den Bayerischen Wald


Der Schi-Stra-Bus und die Zellertalbahn

Bild von Michael Bauer vom DGEG Museum in Westerwald Schi-Stra-Bus bei einer Museumsfahrt 2002
Der folgende Beitrag über den Schi-Stra-Bus stammt bereits aus dem Jahre 2016, aber ein Überaschungsfund im Winter 2020 bringt mich dazu, den Beitrag noch einmal zu überarbeiten. Was ist der Hintergrund:
Schon seit vielen, vielen Jahren bin ich auf der Suche nach einem Dokumentarfilm mit dem Titel  "Der große Wald", den die Firma Leckebusch aus München in den Jahren 1955 und 1956 im Bayerischen Wald gedreht hatte.
Ich kenne Zeitungsberichte sowohl über die Dreharbeiten in Kötzting als auch aus späteren Zeiten  von den Filmvorführungen. Auch in der "Filmographie" der Firma Leckebusch, die schon lange in Konkurs gegangen ist, ist der Film aufgeführt, ohne allerdings auf einen Link oder Hinweis zu verweisen, wo noch eine Kopie des Films stecken könnte. Vom Bundesfilmarchiv in Berlin, in den einschlägigen Filmarchiven in Bayer, ja sogar bei der Nationalparkverwaltung im unteren bayerischen Wald, überall habe ich nach dem Film gesucht und in der letzten Januarwoche 2020 dann hat ihn mir Sepp Barth aus der Bad Kötztinger Kurverwaltung per USB-Stick präsentiert. Der Tourismusverband Ostbayern e.v. hatte diesen Film wohl schon lange/immer in Besitz und ihn auch digitalisieren lassen.
Über Sepp Barth habe ich dann auch die Erlaubnis erhalten den Film bzw. Teile davon zu verarbeiten.
Der Film ist solch ein tolles Zeitdokument, dass die Veröffentlichung nicht durch mich erfolgen wird, das ist eher einer Aufführung im Rahmen des Kötztinger Waldvereins passend. Später einmal kann ich dann Teile davon - zumindest was die Kötztinger Filmsequenzen betrifft - besprechen.
Übrigens, es gibt noch einen Film mit/über Kötzting, den es zu entdecken gilt, nur kenne ich von diesem nur einige wenige - so sagt man wohl heutzutage - Screenshots. Es geht um einen "Pseudopfingstfilm", nach einem Roman von Maximilian Schmidt. Wenn ich richtig informiert bin spielt Herr Henneberger den Pfingstbräutigam und das Pfingstbrautpaar fährt in einer Kutsche.
Nun aber zurück zum Grund, weshalb ich den Schi-Stra-Bus Beitrag noch einmal in die Gegenwart vorhole:
Im Film, der große Wald, ist der sprichwörtliche Rote Faden eine Fahrt mit dem Schi-stra-bus sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße vom Norden bis hinunter in den Süden des bayerischen Waldes, eben des "Großen Waldes". Zwei dieser Sequenzen, einmal eine Fahrtstrecke und einmal das Wechseln von der Schiene auf die Straße, habe ich herausgeschnitten und darf ich hiermit - mit Erlaubnis des Tourismusverbandes Ostabayern e.v. präsentieren
Die Landschaftsaufnahme KÖNNTE der Bereich nach dem Bahnhof Blaibach in Richtung Kötzting sein....


Der Umbau und der Wechsel von der Schiene zur Straße..... im Film heißt es es wäre im Bahnhof Kötzting geschehen, ich glaube es aber nicht, der Hintergrund passt einfach nicht. Es ist die Technik, die hier so besonders ist.

Kötztinger Umschau von 1955

Der Kampf um die Zellertalbahn reicht zurück bis weit in das 19. Jahrhundert, schon die erste Industrieansiedlung Kötztings im Regenstein durch den in Eschlkam geborenen Schriftsteller Maximilian Schmidt, genannt Waldschmidt, gründete auf der Phantasie, dass mit dieser Bahn der Rohstoff Holz und die Papier- und Pappe- Fertigprodukte preiswert zu den Kunden und Abnehmern gefahren werden könnten. Aus dem großen Projekt wurde ein Pleiteunternehmen, weil die Bayerwald Eisenbahn Linie nicht über Kötzting sondern über Viechtach und Teisnach hinaus nach Deggendorf und Plattling geführt worden war.
Viele Jahrzehnte später wurde dann Kötzting selber an das deutsche Eisenbahnnetz angeschlossen. Anschließend kam die Strecke Lam Kötzting-Zellertal zur Ausführung - vorerst noch ohne eine direkte Verbindung der beiden Teilstrecken, weil der damalige Kötztinger Bürgermeister Kollmaier die Abgabe des dazu notwendigen Wiesengrundes verweigerte. Diese Weigerung erbrachte als, eigentlich provisorisches, Ergebnis einen Kötztinger Nebenbahnhof, den Bahnhof Zellertal, so dass unser eigentlicher Bahnhof  - und im Internet bei Buchungen ist er auch so vermerkt- Kötzting Hauptbahnhof heißen müsste.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgte dann der Lückenschluss über Miltach nach Straubing.
In den zwanziger Jahren kam dann wieder die Idee der Zellertalbahn auf und viele interessierte Kräfte versuchten diese Idee zu realisieren aber erneut war es die Waldbahn, die sich als Regentalbahn durchsetzte und den Streckenschluss von Viechtach nach Blaibach folglich realisieren konnte.

Bei vielen Entscheidungen gegen die Zellertalbahn waren es durchaus wirtschaftlich Gründe, die in den schweren Zeiten gegen den Bau sprachen  aber manchmal auch der nachgewiesene Einfluss der Regentalbahn in Viechtach der in München als Bremser wirkte.

Kötztinger Umschau Februar 1950
Dieser Einfluss wird vor allen dann ab 1949 deutlich, als diese Bahn von vielen Bürgermeistern (von Cham bis Zwiesel) und vor allem von den vielen tausenden Arbeitslosen als der große Heilbringer angesehen wurde.
















Kötztinger Umschau Dezember 1949, die Kräfte werden gebündelt







 Liest man die vielen Zeitungsberichte und die Protokolle der Politikerreisen aus den Jahren 1949 bis 1953 so ist der Ablauf ein beredtes Zeichen für unterschiedliche Einflussnahmen auf die verschiedenen Entscheidungsträger.





Ganz grob kann man sagen, dass, angeschoben zuerst vom Bundestagsabgeordneten Ludwig Volkholz, sich ein Zellertalbahnkomitee gegründet hatte, in welchem sich die Bürgermeister der interessierten Städte und Gemeinden zusammenschlossen (in der Zeitung heißt es: natürlich ohne Viechtach). Der Bundesverkehrsminister wurde eingeladen und befürwortete die Strecken, die Bundesbahn befürwortete die zellertalbahn ebenfalls, stellte aber klar, dass angesichts der leeren Kassen ein Neubau auf ihre Kosten nicht in Frage käme. München sollte nach der Vorstellung der Bundesbahn den Neubau finanzieren und dort wollte der Bundesverkehrsminister auch vorstellig werden. Aber bei der Abstimmung im Landtag in München berichtet die Presse nachträglich von einer entscheidenden Einflussnahme der Regentalbahn auf die Abgeordneten.

Also ganz grundsätzlich zwei Lager: die Zellertalanlieger und der Bund dafür, München, die Post mit ihrem Bussystem und Viechtach mit der Regentalbahn AG waren dagegen.













Wie das Kaninchen aus dem Zylinder zog nun die Deutsche Bundesbahn den Schi-Stra-Bus, den Schienen Straßen Bus hervor. Ein, heutzutage würde man sagen, Hybridantrieb ermöglichte es dem Fahrzeug sowohl auf der Schiene als auch auf der Landstraße im Zellertal zu fahren. Der Zug kam in Kötzting von Cham kommend an, wurde dort hydraulisch angehoben und von dem Drehkranz der Schienen herunter auf seine Räder gehoben. anschließend fuhr der Bus auf der - sehr maroden - Zellertalstraße bis nach Bodenmais, wo er wiederum auf die Schienen der Bundesbahn wechselte.

Im Detail war der Einsatz, lt Wikipedia auf der Strecke Passau Cham geregelt:

Einsatz


Passau–Cham

Die ersten drei Serienfahrzeuge wurden mit Beginn des Sommerfahrplans ab dem 8. Juni 1953 auf der Strecke von Passau nach Cham eingesetzt:

Von den 140,7 Kilometern Gesamtstrecke wurden somit 63,8 auf Schienen zurückgelegt. Für das Umsetzen von der Schiene auf die Straße und umgekehrt wurden jeweils zehn Minuten eingeplant. Zusätzlich erfolgte ein Fahrtrichtungswechsel im Bahnhof Zwiesel. Die gesamte Reisezeit betrug fünfeinhalb Stunden. Die Verbindung wurde einmal täglich angeboten. Weil es in Cham keine Unterstellmöglichkeit gab, verlängerte man sie später unter Nutzung der Bahnstrecke Schwandorf–Furth im Wald um 19,2 Kilometer bis Furth im Wald. Hierzu war ein weiterer Fahrtrichtungswechsel in Cham erforderlich.
Die Verbindung im Bayrischen Wald bestand bis zum Ende des Sommerfahrplans 1956 und wurde vor allem wegen der im Winter auftretenden Traktionsprobleme aufgegeben. Als einzige der Verbindungen mit dem Schienen-Straßen-Omnibus erhielt sie unter der Nummer 426h eine eigene Fahrplantabelle im Kursbuch der Deutschen Bundesbahn und war deshalb auch in der beiliegenden Karte mit einer besonderen Signatur eingezeichnet.

Lt den Berichten in der Kötztinger Umschau wurde allerdings zuerst einmal im Februar 1957 für ein paar wenige Tage der Betrieb eingestellt, im darauf folgenden Sommer allerdings tauscht das Fahrzeug nicht mehr auf.


Gesagt getan, mit großem Pomp wurde die Betriebsaufnahme in Kötzting und die erste Ankunft in Arnbruck gefeiert. Kurz zuvor war die Deutsche Post mit einem Einspruch gescheitert.
KÖZ1953-1

1953-2

Im vergleich der beiden Photos - oben die Zeitung und unten die Umschau - sieht man den Qualitätsunterschied der damaligen Drucktechnik


KU vom Februar 1953

 
KÖZ 1953-4




KÖZ1953-5

 
KÖZ1953-5

KÖZ1953-6






Die fahrplanmäßige Verbindung von Passau nach Cham beginnt, Kötztinger Umschau von 1953


Hier und folgend einige Aufnahmen, die ich von unserem Schi-Stra-Bus aus einem Film des Bundesfilmarchivs als Standbilder herauskopiert habe:

Der Film beginnt in Cham, dann folgt die geschlossene Schranke in Chamerau mit dem Stocker Haus im Hintergrund und dann der Fahrwerkswechsel auf dem Kötztinger Bahnhof.















Ein großes Hindernis - oder zumindest eine große Schwierigkeit für das Fahrzeug - aber war der Zustand der Zellertalstraße - ein anderes Projekt, dass schon seit Jahrzehnten in der Schublade gelegen war -  der für den doch relativ großen Schi-Stra-Bus einige gefährliche Begegnungen mit anderen Kraftfahrzeugen brachte.
Noch 1957 zeigt ein Bild der Ausbesserungsarbeiten dieser Straße in welch katastrophalem Zustand der Straßenbelag war und es ist ein Wunder, dass die Bundesbahn sich auf dieses Experiment überhaupt einließ.

Zellertalstraße kurz vor Traidersdorf im Jahre 1957 - auf dieser Straße musste der Schi-Stra-Bus täglich fahren....und das auch im Begegnungsverkehr mit diversen Lastwägen, was auch häufiger zu Unfällen führte..

Wie in Wikipedia nachzulesen, wurde der Betrieb des Schi-Stra-Busses nach Ablauf des Sommerfahrplanes 1956 eingestellt, weil es in den Wintermonaten auf den Straßen des Bayerischen Waldes unüberwindliche Schwierigkeiten gegeben hatte.


Laut dem Bericht in der Kötztinger Umschau aber wurde der Betrieb zumindest noch bis Februar 1957 fortgesetzt, dann erlaubte der Straßenzustand keine Weiterführung mehr und im Sommerfahrplan 1957 gab es dann keinen Schi-Stra-Bus in Kötzting mehr


Am Ende nun ein link auf den Film in Bundesarchiv, im Laufe der Wochenschau des Jahres 1953 taucht auch unser Schi-Stra-Bus auf, aber auch der Rest des Filmes ist interessant
Die Zeitungsauschnitte stammen alle von der Kötztinger Umschau, die in der UNI Bibliothek in Regensburg archiviert ist.


Eine Zufallsbegegnung brachte noch einen schönen Fund für diese Straßen- Schienenverbindung und auch den Beweis wie klein und vernetzt diese Welt mittlerer weile ist.
Letzten Mittwoch, Anfang September kommt eine mail aus dem Stadtarchiv Amberg, weil der dortige Archivdirektor in einem meiner Beiträge die Familie Hubrich gefunden hatte - Google machts möglich - und er über Eugen Hubrich, einen unserer Ehrenbürger, einen Bericht zusammenstellt, den wir übrigens nach der Veröffentlichung erhalten werden. Ein Wort gab im Gespräch das andere und ich konnte ihm einiges an Material aus unserem Archiv zusammenstellen. In diesem Zusammenhang sah ich in den Unterlagen, die der Arbeitskreis Heimatforschung Kötzting von Hubrich gesammelt hatte das Manuskript eines Theaterstücks von Hubrich, der genau diese Verkehrsverbindung in einem Einakter als Komödie thematisiert.
Er entwirft ein Szenario, dass die Einweihung genau am Pfingstmontag stattfinden sollte und sich im Zellertal der Schi-Stra-Bus und der gerade stattfindende Pfingstritt begegnen würden, was dann natürlich angesichts der Straßenbreite und der Zuggröße nur in einer Katastrophe enden kann.
Hier nun ein paar Seiten aus dem Originalmanuskript mit dem Höhepunkt und ein paar Pfingstszenen:

Fahr ma oder fahrma net?
Schwank in 1 Akt von der Eröffnung der Zellertalbahn Bodenmais Kötzting
von Eugen Hubrich


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Beschreibung der Kötztinger schweren Pferderassen, die "Auwosserer Langschwoifler"

der Zusammenstoß in der Pfingstreiterstraße bei der Konservenfabrik