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Samstag, 28. Dezember 2024

Kötzting vor 110 Jahren - die Chronik von 1915

 

Kötzting im Jahre 1915

 

 

Erstes Exemplar des Kötztinger Anzeigers im neuen Jahr - vom 2.1.1915 -,  das ganze Leben dreht sich nun nur noch um den Krieg und dessen Auswirkungen. An den Stempeln und Beschriftungen ist gut zu erkennen, dass dies das Belegexemplar für die königliche Hof- und Staatsbibliothek in München war.


Während in allen vorherigen Jahreszusammenstellungen, die ich machen konnte, sich im  Kötztinger Anzeiger ein lebhaftes (klein)bürgerliches Leben widerspiegelte, das einem festen Jahresrhythmus folgte und damit durch seine Struktur unseren Vorfahren Sicherheit und Stabilität verlieh, war es mit dieser Sicherheit auch im persönlichen Nahbereich plötzlich vorbei. Nichts war mehr mit fröhlichen Theaterabenden, festlichen Bällen, lustigen Faschingsveranstaltungen und solemnen Namenstagsfeiern. All das passte einfach nicht mehr in die traurige Zeit. Auch die amtlichen Bekanntmachungen auf die ich in meiner Zusammenstellung zurückgreifen kann, z.B. das Amtsblatt für das Bezirksamt Kötzting, also in heutigem Sprachgebrauch das behördliche Mitteilungsblatt für den Landkreis Kötzting, ist einer der dicksten Bände unserer ganzen Sammlung von fast 100 Jahren und behandelt überwiegend Auswirkungen des Krieges auf das tägliche Leben der Bevölkerung, worunter hauptsächlich Lebensmittelbeschränkungen, Handels- und Verkaufsverbote, Back- und Schlachtverbote, Sammlungsaufrufe und Aushebungsgeschäfte (=Musterungen und Stellungsbefehle) zu verstehen sind.
Mit dem Hinweis auf das Kriegsjahr 1915 haben wir in unserer Sammlung auch das eine oder andere Soldatenbild von Kötztinger bekannten Familien.

DIA-Repro 230: Ansichtskarte Xaver Miethanner. (Xaver Miethaner war Viehhändler, der Bruder vom Besitzer des Gasthofes Miethaner am oberen Markt).

 

DIA-Repro 292 : Ansichtskarte Soldat 1915 erhalten von Hilde Frauenreuther. Franz Liebl, als Postkarte gelaufen. Feldpost! Infanterist Franz Liebl, Conditorei Kötzting/Bayr. Wald Neumarkt 3. April 1915. Fröhliche Ostern wünscht Ihnen Anton Stegmeier. (Stegmeier schickt ein Foto von  Franz Liebl an denselben).

DIA-Repro 2438: Albert Hofmann Kaitersbach als Soldat 1915 von Christa Bauer Kammern (Kamminger Wirt). 

Kriegslazarett in Kötzting

Beim "Dinkelmeyer" war damals in Kötzting ein Reservelazarett eingerichtet worden, von dem sich einige Bilder erhalten haben. 


DIA-Repro 2012


DIA-Repro 1164 vor dem Anwesen Dinkelmeyer, jetzt Möbelhaus Kurz, Lamer Str. Links von der Ordensschwester M. Deodata der Bezirksarzt Dr.Probst mit den Hilfsschwestern v.l. Fanny Henneberger, Marie Schötz, Marie und Fanny Liebl, Betti Krämer. (Marie und Fanny Liebl waren die Schwestern von Paula Dittrich)

Der Kötztinger Krieger= und Veteranenverein kündigt Anfang des Monats ein Wohltätigkeitskonzert verbunden mit einer Christbaumversteigerung  zugunsten des Kriegslazarettes in Kötzting an. Das Konzert soll am 24. Januar in ihrem Vereinslokal, dem Gasthaus Graßl stattfinden. ,Die Konzertmusik nebst Gesang zu dieser Veranstaltung haben in hochedler Weise musikalische Mitglieder des hiesigen Männergesangsvereins übernommen. Freiwillige Gaben zur Schmückung des Christbaumes, wie Baumschmuck, Konfekt, Bäckereien und Obst, werden mit größtem Danke entgegengenommen.

 


Die Veranstaltung selber verlief für den Verein äußerst zufriedenstellend. Auch der Gefallenen des Krieges 1870/71 wurde gedacht und nach den vorgetragenen Männerchor= und Orchesterstücken ergriff H.H. Pfarrer und Distriktsschulinspektor Nagler das Wort zu der Festrede, in welcher er den Werdegang des deutschen Reiches schilderte, aber auch den Grund für den jetzigen Weltkrieg (er wurde offensichtlich 1915 bereits so genannt) darlegte. Diesen interessanten historischen Ausführungen folgte, von allgemeiner Begeisterung getragen, von der ganzen Versammlung stehend gesungen das Lied: “Deutschland über alles in der Welt“



Der Erlös dieses Wohltätigkeitskonzertes und einer „von einigen Freunden der guten Sache im Krämerschen Lichtspieltheater gegebenen Vorstellung erbrachten 40 Mark und 200 Mark Reinertrag. Diese Beträge wurden dem Frauenverein des Roten Kreuzes in Kötzting als dem Träger des Lazarettes übergeben.

Das hiesige Vereinslazarett hat seit seinem Bestehen von der Bevölkerung schon viel Liebes und Gutes erfahren. Alles wetteifert, um seine Insassen warm zu betten und ihnen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Man will sich damit dankbar erweisen für die Großtaten unseres Heeres, das in unvergleichlicher Ausdauer und Tapferkeit die Feinde vom Vaterland, Von Haus und Hof fern hält und dem endgültigen Siege zustrebt……

 



Wie im Vorjahr bereits mitgeteilt, fehlt in München in der Staatsbibliothek der komplette Zeitungsjahrgang von 1914. Aus diesem Grunde haben wir auch keine Nachrichten über gefallene Kötztinger Bürgerssöhne aus der Anfangszeit des Krieges. Schon in der dritten Ausgabe des neuen Jahrganges aber kommen dann die ersten traurigen Nachrichten von der Westfront. Max Kirschner, Bürgerssohn aus Kötzting, und August Lindner, Eisengießer aus Beckendorf, waren die ersten Gefallenen in dem noch jungen Jahr. 


 Bereits in der folgenden Ausgabe lasen dann die Kötztinger vom Tod des Sägers Michael Wühr, der in St. Mihiel in Frankreich begraben wurde. So ging es weiter, fast in jeder Ausgabe mussten die Kötzting von einem gefallenen, vermissten oder schwer verwundeten jungem Mann aus der näheren und weiteren Nachbarschaft lesen, den sie wohl alle gut kannten. Kein Wunder also, dass unseren Vorfahren keine Veranlassung hatten, frohe und lustige Feiern zu veranstalten.

 


Max Kirschner war übrigens der ältere, noch in Modlin in Böhmen geborene, Bruder von Julius Kirschner, der das Kaufmannsgeschäft seines Vaters später übernahm und als unermüdlicher Organisator und Finanzier den Fußballsport in Kötzting mitbegründete und diesen vor allem in den Krisenzeiten in den Anfangsjahren am Laufen hielt.

Da die Familie Kirschner dem jüdischen Glauben angehörte, fiel sie dem Terror des NSDAP Regimes zum Opfer und musste als direkte Folge des Novemberprogroms 1938  ihr Anwesen in der Marktstraße verkaufen. Einige Familienmitglieder konnten noch rechtzeitig auswandern, bevor die Ermordung der jüdischen Mitbürger begann. Wie gut und wie sehr gerade diese Familie in Kötzting 1915, also nur wenige Jahre vor dem Beginn des Dritten Reiches, angesehen und integriert war, zeigt auch ein Notiz, die Anfang Februar dem Kötzting Anzeiger einen Artikel wert war, nämlich die Nachforschungen, die der Onkel von Max Kirschner gemacht hatte, um mehr über den Tod seines Neffen herauszufinden.





Im August fiel der Chevauxleger Karl Oexler, Buchdruckereibesitzerssohn von Kötzting, also der Sohn des Herausgebers des Kötztinger Anzeigers

 



DIA-Repro 335: Soldatengruppe ca: 1915 von Fritz Röhrl. Johann Röhrl gef. 16.4.1917.

DIA-Repro 1816: Ansichtskarte 1915  Verlag Wilhelm Oexler, Kötzting  gelaufen am 10. März 1915.

 



Tod des früheren Kötztinger Bezirksamtsmannes v. Fuchs


Im Januar war überraschend der frühere Kötztinger Bezirksamtmann der kgl. Regierungsrat   - und seit 1912 Ehrenbürger von Kötzting -  Ludwig von Fuchs verstorben, dem Kötzting so vieles zu verdanken hatte. Bereits unter seinem Vorgänger, BZAmann von Koerbling, war das Projekt der Kötztinger Druckwasserleitung begonnen worden, die dann 1903 feierlich von beiden - Koerbling und v. Fuchs - eingeweiht wurde.

 Es ist eigentlich fast nicht zu glauben, dass wir von diesem Mann kein - oder fast kein - Foto in unserer Sammlung haben. Nur auf einer Collage des Turnvereins befindet sich ein nachträglich beschriftetes Bild dieses Mannes.
Bezirksamtmann v. Fuchs, der zweite von links.

Kötzting im Schnee


Vermutlich ebenfalls noch vom Januar 1915, auf jeden Falle vom Winter dieses Jahres, stammt ein Bild, das Kinder im Pfeffergraben beim Schneemannbauen zeigt.
DIA-Repro 1477: Haus von Hans Kroher Gehringstr.3, von  links Leopold Henneberger, davor die Kinder des Fotografen Pleier, rechts vom Schneemann Krämer Julius, Fritzl Kroher und Maxl Kroher.



Im Februar 1915 wurde in Ostbayern der 84. Geburtstag des Hofrats Maximilian Schmidt, genannt Waldschmidt gedacht und auch der Kötztinger Anzeiger veröffentlichte eine Anzeige dazu.





Der große Krieg und seine Auswirkungen im täglichen Leben der Bürger

 

Volksversammlung und Durchhalteparolen

 Beim Januel wird eine „Volksversammlung“ einberufen. Offensichtlich ist es der Bevölkerung auf dem Lande nur schwer zu vermitteln ihre Lebensmittelvorräte lückenlos bekannt- und danach anteilig abzugeben. Unter dem Losungswort: “Durchhalten“ sollte bei der Bevölkerung um Verständnis geworben werden und die Kötztinger Redner H.H. Pfarrer Nagler und der Hauptlehrer Drunkenpolz, Expositus Wendl aus Miltach und der Landwirtschaftslehrer Kuhn aus Kötzting versuchten ihren Zuhörern den Ernst der Lage nahezubringen. Aus allen Vorträgen kam der Gedanke zum Durchbruch, dass wir uns diese kleinen Einschränkungen in Bezug auf Verbrauch von Mehl und Getreide gefallen lassen müssen, um uns nicht seinerzeit den Vorwurf machen zu lassen, wir waren ein kleines Geschlecht in großer Zeit und dass wir wenigstens nach dem Kriege unseren tapferen Heldensöhnen draußen, wenn sie einmal zu uns zurückkehren, gerade ins Gesicht blicken können mit dem Bewusstsein „Auch wir zuhause haben unsere Pflicht getan

 Das Kleingeld geht aus in Deutschland

 Obwohl für mehr als 100 Millionen Mark Nickelmünzen im Werte von 10 und 5 Pfennig Münzen im Umlauf sind, macht sich ein starker Mangel an Nickelgeld bemerkbar. Erklärt wird dies damit, dass außerordentlich große Mengen von Münzen in den 100.000 Sammelbüchsen des Roten Kreuzes und anderer Wohlfahrtseinrichtungen aufgespeichert und damit dem freien Verkehr entzogen sind. Alle Wohlfahrtsvereine, die Sammelbüchsen verwenden, sollen daher den Inhalt der Büchsen so oft als möglich ausleeren und umwechseln. Im Oktober kommt es dann zur Prägung und Ausgabe von eisernen 5 Pfennigstücken.

  Jetzt geht’s an die privaten Vorräte:

 Der Krieg ist gerade einmal 7 Monate alt, aber es fehlt bereits an allen Ecken und Enden und so werden die ersten Beschränkungen im Lebensmittelhandel bekanntgegeben:
 22.2.1915   Magistrat Kötzting, Wensauer


Weizenbrot
darf nur mehr in einfach geformten runden Laibchen bereitet werden. Die Bereitung anderer Formen (Brezen, Hörnchen, Schnecken, Kaiser=Semmeln, Sternsemmeln usw.) ist verboten. Strafe 1500 Mark oder 3 Monate Gefängnis.  
Es darf Heu und Stroh nur mehr an die Proviantämter des III. Armeekorps geliefert werden. Verbot des Verkaufes durch Eigenbauer und Händler.  
Bekanntmachung neuer Regeln über das Ausmahlen von Brotgetreide.
Beschlagnahme von Brotgetreide, Mehl und Hafer. Es findet eine Nachkontrolle der am 1. Februar erfolgten Getreidemeldungen statt. Falschmeldungen können noch innerhalb einer Woche korrigiert werden, auf Nachsicht kann später nicht mehr gerechnet werden.
Vorhandene Goldmünzen in Privatbesitz dürfen nur, bei Vermeidung von strenger Strafe, bei den Behörden zum Nominalbetrag eingetauscht und nicht zum Goldwert anderweitig verkauft werden.

 


 Ankündigung der Erhebung der Kartoffelvorräte und der Schweinebestände. Jede Menge über 1 Zentner Kartoffeln muss angegeben werden. Strafandrohung 3000 Mark bzw. 6 Monate Gefängnis.
Auslaufen von Hausgeflügel auf die Felder und Wiesen vom 1. April bis letzten November verboten. Tauben dürfen nur vom 1. Juni bis 1. August und vom 1. November bis letzten Februar ausfliegen.
Bierpreiserhöhung: Ab 1. April wird in Kötzting, Grafenwiesen, Lam, Lohberg, Sommerau, Hohenwarth und im ganzen Zellerthal der Bierpreis erhöht und kostet das Bier in Kötzting dunkles 24 helles, 28 Pfg der Liter.




Beschlagnahme der Wollgefälle der Schafschur 1914/1915.
Müller dürfen privates Getreide nur noch bei Vorlage einer Mahlkarte ausmahlen oder gegen Mehl umtauschen.
Ausgabe der Brot und Mehlkarten für die Bevölkerung und besondere Regelungen für die Gastwirtschaften wegen durchreisender Fremder, die nicht im Besitz von Kötztinger Lebensmittelkarten sind.
Erneute Erfassung von Kartoffeln, Schweinen, Getreide und Mehl. Festlegung des täglichen Verbrauches von 240 g für Selbstversorger und 200 g für die versorgungsberechtigte Bevölkerung.
 Ausgabe der Mehl- und Getreidekarten für die neue Ernte.
Beschlagnahme und Meldepflicht von ungebrauchten Gegenständen von Kupfer und Messing.
Aufforderung auch an die Privathaushalte Sonnenblumen sorgfältig zu ernten und für 0.40 Mark pro Kilo bei den Sammelstellen abzugeben.
Erhebung der Getreide und Mehlvorräte.
Ankündigung der Beschlagnahme von Erzeugnissen aus Bastfasern.(Flachs, Jute, Hanf u.ä.).
Bestandsaufnahme von Kaffee, Tee und Kakao bei Gewerbetreibenden und Privathaushalten

 Selbst Kötztings Konfektionshäuser - hier Simon Hahn, damals Kötztings erstes Haus am Platze für feine Bekleidung, - waren froh, wenn sie Restemengen bewerben konnten.



 

Aus Erfahrung wird man klug:

 

 



Nachdem im August 1914, kurz nach der Mobilisierung und aus Angst vor Infiltrierung durch ausländische Spione, einige eigene Militärangehörige, die in Autos unterwegs gewesen waren, von übereifrigen Bürgern angegriffen worden und sogar zu Tode gekommen waren, ging man nun kein Risiko ein und warnte die Bevölkerung vorher, dass landende Freiballone zur eigenen Seite gehörten und deren Insassen eben nicht erschossen werden sollten.

 

 

 

 

 

 

Der Pfingstritt im Jahre 1915

 

 Am 6. Mai wird in einem Vorbericht festgestellt: wegen des Krieges werden heuer die Festlichkeiten auf Pfingsten in beschränktem Maße abgehalten und findet deshalb nur der Pfingstritt statt. Eine Vorfeier am Pfingstsonntag findet nicht statt. Überreichung eines Pfingstkränzchens an einen Pfingstbräutigam muß, da fasst alle jungen Männer zum Heere einberufen sind, unterbleiben. Verteilung der Ehrenfahnen findet statt. Der herkömmliche Burschenzug und die Pfingsthochzeit findet heuer ebenfalls nicht statt.

Am 16. Mai gab dann die Eisenbahnverwaltung bekannt, dass infolge der starken Beanspruchung ihres Wagenmaterials für Truppentransporte nur ein Teil ihres Wagenparkes zur Bedienung des an diesem Tage zu erwartenden stärkeren Verkehrs zur Verfügung stünde.

 



 



Der Bericht über den Pfingstritt selber steht auch eindeutig im Schatten der kriegerischen Zeiten:

Pfingsten, das liebliche Fest , von dem der Dichter singt, dass es ein Fest der Freude ist, das da feiere Wald und Haide, mussten wir heuer im Rauschen der Waffen und im Donner der Geschütze begehen. Gleichsam zum vergessen des Schweren und Bitteren, das der Krieg über Hunderte von Familien gebracht, hat die Natur uns mit Maienwonne reich beglückt, wie wir uns einer solchen seit langen Jahren nicht mehr erinnern….Manchen Reiter vermißten wir, der vielleicht im Schützengraben gegen den Feind streitet oder der für immer ausgekämpft hat. Obwohl es vorher nicht danach ausgesehen hatte, so war dann Ende Mai doch ein Kötztinger Bürger zum Pfingstbräutigam ausgewählt worden. Hochwürden Herr Kooperator Binder übergab das Pfingstkränzchen dem Bürgerssohn Herrn Georg Sperl, der in Uniform der Chevauxlegers die hohe Auszeichnung entgegennahm. Bader Costa aus Kötzting erhielt eine Fahne für seine 25jährige Rittteilnahme, bei dem 130 Wallfahrer zu Pferde gezählt wurden. Auch Herr Hauptmann Lindner eilte vom westlichen Kriegsschauplatz in seine Heimat, um den denkwürdigen Ritt mitzumachen.

DIA-Repro 947: Der Pfingstbräutigam Georg Sperl mit seinen Begleitern

 Der im Text des Kötztinger Anzeigers erwähnte Hauptmann Karl Lindner konnte somit an Pfingsten 1915 noch einmal seine Heimat besuchen, bevor es wieder zurück an die Front ging. Vermutlich bei diesem Heimatbesuch entstand das - der Inschrift nach - letzte Foto. das ihn zusammen mit seinem Vater zeigt. Im Dezember desselben Jahres verstarb dann sein Vater.

DIA-Repro 1279: " eine der letzteren Aufnahmen vor dem Garten im Hause"

Viele junge Kötztinger Männer im Krieg an der Front dachten wohl wehmütig an ihre Heimatstadt; drei von Ihnen wurden aktiv und schickten einen besonderen Gruß von der Front nach Kötzting.



 

Die vorausgegangen erhalten gebliebenen 13 Jahresbände des Kötztinger Anzeigers zeigten einen immer wiederkehrenden Jahreszyklus einer typischen Kleinstadt, die in ihren eigenen Traditionen ruhte und die mit sich und den drei, die Ordnung tragenden, Säulen Bürgerschaft – Kirche – Obrigkeit zufrieden war. Diese, als gottgegeben wurde sie wohl damals empfunden, Ordnung ist nun empfindlich und zu Ende des Krieges dann unwiederbringlich zerstört. Bereits im ersten Kriegsjahr brachte der Offiziator des Pfingstrittes diese Erwartung resp. Erkenntnis in seiner Rede anlässlich der Kranzlübergabe deutlich zum Ausdruck.

Es scheint als ob die alte Welt und ihre Ordnung zu Grunde gehen wollte und eine neue aus ihren Trümmern erstehen solle. Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, – das ist Pfingststurm der jetzt über Europa braust; Und neues Leben blüht aus den Ruinen – das wäre Pfingstsegen , den wir so sehr aus den unheimlichen Ruinen dieses Krieges ersehnen. Oh wenn ihr es uns sagen könntet, ihr wackeren Krieger, ihr tapferen Feldgrauen, die ihr heute im Waffenrock eures Königs und Kaisers Zeugen unserer ernst-feierlichen Feststimmung, rührende Begleiter des heurigen Pfingstrittes seid, ob wir bald diesen Pfingstsegen hoffen dürfen. 
Unsere Reihen sind heuer gelichtet, stark gelichtet...gar manches Roß und sein Reiter fehlen, die sonst sicher dabei wären – und „Roß und Reiter kehren niemals wieder“ müssen wir mit dem Dichter klagen, denn Roß und Reiter haben miteinander im Feindesland den Todesritt getan…. Aber dafür hat uns der glückliche Zufall seltene höchst liebgewonnene Gäste und Begleiter gebracht, Krieger aus dem Schützengraben und Feindeslande, Feldgraue unseres Lazarettes und unserer Heimat, allen voran unser wackerer Hauptmann Herr Karl Lindner, langjähriger Führer unseres Pfingstrittes, der es sich nicht entgehen ließ seinen Urlaub aus dem Feindesland gerade auf Pfingsten zu nehmen.....
Und in letzter Stunde noch hat uns eine glückliche Fügung einen wackeren Bürgerssohn aus Kötzting zugeführt, dem wir heuer mit besonders heißen Wünschen das Ehrenkränzchen überreichen wollen: es ist der Jüngling und Bürgerssohn H. Georg Sperl, Kontrolleur von hier. Im Feindesland verunglückt, kann er gerade noch recht den schönsten Tag Kötztings mitmachen in der Uniform des Chevauxleger=Regiments. Als dreivierteljähriger Kämpfer für deutsche Sitte, deutsche Treue und deutsche Sittlichkeit überreichen wir ihm gerne das Pfingstkränzchen, das Sinnbild deutscher Tugend und Sittlichkeit; es wird ihm wohl ein unvergessliches Andenken werden….

Und wenn’s morgen schon wieder fort heißt zum Ritt gegen den Feind, zage nicht und lass das alte Reiterlied Dir und Deinen Kameraden zu Pferde wieder mutig ins Herz singen: “Wohl auf Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd; ins Feld in die Freiheit gezogen;
im Feld da ist der Mann noch was wert, im Feld wird das Herz noch gewogen; 
da tritt kein andrer für ihn ein; auf sich selber steht er ganz allein.“

.Anschließend überreichte er die Ehrenfahnen und schloss auch diesen Vorgang mit einem schneidigen Appell an die Ritterlichkeit ab: Nehmen sie diese Ehrenfahnen entgegen und wenn morgen Sie der König zur Fahne ruft, dann sei Ihnen diese Ehrenfahne zur Losung: Siegesfahne!

 

Freiwillige Feuerwehr Kötzting

Angesichts der vielen jungen Männer, die im Kriegseinsatz an der Front sich befanden, wandte sich der Kötztinger Feuerwehr Kommandant Julius Krämer an die Kötztinger Jünglinge, die bereits 16 Jahre alt waren: es ergeht der Ruf der Freiwilligen Feuerwehr Kötzting beizutreten.

Aufruf zur Musterung 



Da nun auch immer jüngere Jahrgänge eingezogen wurden, wurde die Situation der Feuerwehr immer prekärer.




DIA-Repro 1824: Musterung (oder Reservisten), mit Abzeichen oder Blumen am Revers, vorne Bierkrug "Huber Kötzting", Original 10x15 im Rahmen Schnitzschule Kötzting. Originalfoto stark gewellt. 2. Reihe v.l. neben Harmonikaspieler ist Graßl Beckendorf.
DIA-Repro 1825 Musterung (oder Reservisten oder Verein) um 1915, Originalformat Bild 18x24, gemustertes Passepartout, Rahmen Schnitzschule Kötzting.


 

Erdbeben  und extremer Spätfrost in Kötzting

 


Meldung im KA vom 2.Juni: Heute morgen gegen ¾ 4 wurden die Schläfer durch eine Erderschütterung aufgerüttelt. Die Fensterscheiben klirrten. Das Beben dauerte ca. 4 Minuten. Alle Achtung, der Redakteur hatte wohl noch unter dem Eindruck des Ereignisses die Kurzmitteilung in den Artikel eingerückt.

Eine kurze Recherche im Internet unter: „Erdbeben-Bayern-1915“ erbrachte tatsächlich den Nachweis für den 2. Juni über ein beachtliches Beben. Der Erdbebendienst der LMU München zeigte auch in einer Karte wo in Bayern die Erbbebenwellen deutlich zu bemerken waren:

Isoseistenkarte (Linien/Flächen gleicher Intensität) des Magnitude Ml 5.0 Bebens bei Eichstätt (02 Juni 1915), verändert nach Lutz bzw. GD des LfU.

http://www.erdbeben-in-bayern.de/erdbebenkatalog/

 

Zwei Wochen später, am 17. Juni berichtet die Zeitung von einem sehr starken Frost, so stark, dass am Regen sich Eis bildete. Auch dies war natürlich hochproblematisch für die zu erwartende Ernte, die ja so wichtig war für die weitere Ernährung der Bevölkerung. Vor allem die Kartoffeln litten stark unter dem Frost, dies ließ Schlimmes befürchten, aber, die Mengen die im Herbst speziell bei den Kartoffeln geerntet wurden, waren außerordentlich hoch, so hoch, dass die Unterbringung der Früchte sogar Schwierigkeiten bereitete.

 

 

Erneutes Wohltätigkeitskonzert mit Christbaumversteigerung

 

So wie er das Jahr angefangen hatte so beschließt der Krieger und Veteranenverein Kötzting seinen Jahresreigen. Mit einer Wohltätigkeitsveranstaltung in seinen Vereinsräumen beim Gastwirt Grassl. Dieses Mal allerdings geht es um die 70(!) Vereinsmitglieder, die im Felde stehen und denen der Verein gerne Weihnachtsgaben senden möchte.

 

Theater der Josefs=Pflege

 

Selbst die Kinder und Jugendlichen der vom Josefsheim standen mit ihren Theateraufführungen unter dem Bann des Krieges. Das Hauptstück: „Judith“, die ihr unterdrücktes Volk mit einem Kraftakt vor dem Untergang bewahrte, stand für den Redakteur für ein Sinnbild des Kampfes Deutschlands gegen seine übermächtigen Gegner.  Alle übertreffen wollen wieder die ganz kleinen Größen der Bühne aus der „Kinderbewahranstalt“ mit ihrem lustig=edlen Kriegsstücklein: „Der lustige Zweiband“. Wer darum für ein paar Stunden Kriegsnot vergessen und (Kriegshumor) Kriegsfreude haben will, der komme Sonntag den 5.Dezember im Januelsaale und sehe.

 


Zum Jahresende hin ging es auch darum, an die Soldaten an der Front und an die Kriegsgefangenen zu denken und so standen immer wieder Aufrufe zur Spendensammlung in den Zeitungen.



Die Jahresausgabe des Kötztinger Anzeigers endet mit einer Vorausschau auf die Hundevisitation,  einer Bierpreiserhöhung und - trotz seiner schweren Verletzung - mit einer guten Nachricht über einen verletzten Kötztinger Soldaten.










Samstag, 27. Oktober 2018

Das Kriegsende vor 100 Jahren - der Freistaat Bayern entsteht


Eine Zeitenwende für unsere Vorfahren, wie und wann erfuhren unsere Kötztinger davon?

In dem Jahresband des Kötztinger Anzeigers von 1918, der in der Münchener bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt ist, hat ein unbekannter Schreiber auf dem Exemplar  Nr. 91 vom 13.11.1918 notiert: N(ummer) 90 fehlt(!). Die Ausgabe vom Montag, dem 11. November 1918 ist entweder in München nie angekommen, oder die Zeitung wurde nie gedruckt. Jedenfalls ist der ausgerufene WAFFENSTILLSTAND, das Ende des unsinnigen Tötens und des jämmerlichen Sterbens an der Westfront endlich wahr geworden.  Auch wenn viele, viele Todesmeldungen noch lange Monate weiterhin in der Heimat ankommen, ist das seit langem endlich eine gute Nachricht. Viele Kötztinger liegen noch schwer verwundet in den Krankenhäusern - auch im ehemalig besetzten Frankreich - und kämpfen, manchmal vergeblich, um ihr Leben. Nachdem das Manifest/der Aufruf des neuen revolutionären Rates aber auch erst am 13. November - auf Seite 2 -  in der Zeitung stand, so steht zu vermuten, dass die Kötztinger am Montag den 11.11. eher nur von einer großen Demonstration in München in der Zeitung lasen, wenn überhaupt.
Zuerst aber eine kleine Rückschau um ein paar Tage: noch am 6. November, 2 Tage vor Ausbruch der Revolution in München wurde die Kötztinger Bevölkerung noch aufgefordert die 9. Kriegsanleihe zu zeichnen.
In den vergangenen Wochen und Monaten war die Versorgungslage der Bevölkerung immer schlimmer geworden, wie manche Sammlungsaufrufe nach Brennnesseln und Quecken schrecklich deutlich machen.







Selbst Hunde sollen an der Front zum Schluss eine Wende einleiten: - ich stell mir gerade vor, wie Monti, mein Terrier, der nie in seinem Leben gehorchen wollte, oder - rassespezifisch - konnte, die Wende im Krieg hätte herbeiführen können.......


















Natürlich gab es in Deutschland und in Bayern zu der Zeit Kriegsgefangene, welche auch zur Zwangsarbeit eingesetzt waren. Anders aber als später im Dritten Reich unter dem Rassenwahn der Nazis, wurden diese wohl ganz anders behandelt und vor allem offensichtlich voller Respekt und Mitgefühl betrachtet, wie der folgende Artikel zeigen kann, in dem von einem russischen Kriegsgefangenen berichtet wird:




















Welch ein Unterschied zur Behandlung der Zwangsarbeiter nur ein paar Jahrzehnte später.


In München jedenfalls brodelte es und die, zuerst hartleibige, SPD (unter Auer) schloss sich den Forderungen der USPD (unter Dr. Eisner) nach einer Demonstration am Freitag den 8.November 1918 auf der Theresienwiese an. Die berichteten Teilnehmerzahlen schwankten, je nach politischer Couleur der Zeitungen, zwischen 40000 und 200.000. Die an der Demonstration teilnehmenden Soldaten hatten bereits ihre Reichskokarden von den Uniformen getrennt. Über 20 Redner sprachen auf dieser Kundgebung, unter Ihnen auch Kurt Eisner und Auer.
Die Forderungen der Teilnehmer gipfelten in der Aufforderung an den Rücktritt des Kaisers, dem Thronverzicht des Thronfolgers und der Vereidigung des Reichsheeres auf eine neue Verfassung, in der alle, die Demokratie hemmende, Hindernisse beseitigt werden sollten.
Diese Forderungen waren den meisten Teilnehmern aber wohl bei weitem zu moderat, auch ein Rücktritt des bayerischen Monarchen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Agenda.
Der Zug sollte sich - so war der Plan der SPD gewesen, welche an die 3000 "Ordnungsmänner" stellte, um  auch sicherzustellen-, an der Siegessäule in München enden. Die große Masse der Teilnehmer aber orientierte sich mehr an den weitergehenden Wünschen der USPD und deren Redner Kurt Eisner, der schlichtweg forderte, dass den Worten auch Taten folgen müssten. Bereits der übernächste Redner, nach Eisner sprach zuerst der blinde Bauernführer Gandorfer, der Unteroffizier Felix Fechenbach rief den Soldaten zu: "Soldaten! Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution!" 
Nachdem sich dem Riesendemonstrationszug die Soldaten unterschiedlichster Kasernen angeschlossen hatten, stand bald die gesamte Münchner Garnison auf der Seite der Demonstranten, an deren Spitze die USPD Führer Kurt Eisner, Johann Unterleitner und der Bauernführer Ludwig Gandorfer.
Nach Abschluss der Demonstration wurde im Mathäserbräu ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Die Räte begaben sich abends in das Landtagsgebäude und bildeten einen provisorischen Arbeiter-Soldaten-und Bauernrat mit Eisner als 1. und Unterleitner als 2. Vorsitzenden.
In der Nacht vom 7. auf den 8. November gab der "Arbeiter-,Soldaten- und Bauernrat einen Aufruf heraus, welcher Bayern tiefgreifend veränderte, nichts sollte mehr so sein wie zuvor. Einer der Kernaussagen lautete:
"Bayern ist fortan ein Freistaat"

Buch der Unibib Regensburg, dem
ich die nebenstehenden Aufrufe
entnommen habe.






















Noch in der Nacht des 7. Novembers floh der Wittelsbacher König Ludwig III auf Schloß Anif im Salzburger Land.  Wenige Tage danach besuchte Premierminister Dandl den König und das Ergebnis war die "Anifer Erklärung" vom 12. November. Mit dieser kurzen Erklärung endeten sang- und klanglos 700 Jahre Wittelsbacher Herrschaft über Bayern.


Wann erfuhren nun die Kötztinger davon? Erst am 13. November wurde auf der Seite 2 davon berichtet- auf Seite 1 stand die Überschrift mit dem Waffenstillstand und der Abdankung der beiden Kaiser in Berlin und Wien. Im Innenteil nun wurden die neuen Veränderungen, die sich aus der ersten Sitzung des neuen "Parlaments" in der Nacht zum 8. November für die Bevölkerung ergaben, ganz ausführlich erläutert.
  Nun ist es für uns natürlich interessant, ab wann die "neuen" Verhältnisse auch in Kötzting zu spüren waren, und des dauerte nicht lange: schon in der nächsten Ausgabe, am Samstag den 16. November wandte sich ein Soldatenrat Kötzting und Cham an die Kötztinger und warnte die Bevölkerung vor Unruhen, es würde mit "Aller Strenge" durchgegriffen.
Mit Datum vom 12.November erschien in den Tagen danach ein Aufruf des Chamer Soldatenrates an die in Kötzting sich aufhaltenden Soldaten
 



















 Mit diesem Aufruf an die ehemaligen Soldaten, sich bei ihren Truppenteilen einzufinden, erschien auch bereits ein Aufruf und eine Warnung an die Bevölkerung:

 

Kötzting bekam erst am 20. November Nachricht von der "Anifer Erklärung" Ludwigs III, während die Rücktritte der beiden Kaiser sofort (13.11.) gemeldet worden waren. Eisner nahm den Thronverzicht ganz nüchtern entgegen und stellte es der Privatperson Ludwig frei, sich, wie jeder andere Staatsangehörige Bayerns, frei im Lande zu bewegen, so lange er nichts gegen den Bestand des Volksstaates Bayern unternähme.













Revolutionäre Zeiten erforderten auch in Kötzting neue Gremien und so wurde auch hier ein Bürger- und Arbeiterrat gegründet. Die Gründungsversammlung war beim Röhrl Michael in der Klosterschmiede, später Teil der Metzgerei Haushofer/Schoierer. Die Bürgerräte kennt man gut, Lukas am Regen, Krämer Philipp der Metzger, Kroher Hans ( der Kaufmann und Vater unseres späteren Bürgermeisters), Stauber Josef (ein Mann für Alle Fälle damals) Brauereibesitzer Decker vom Marktplatz, Gmach Wolfgang, Oexler Wilhelm, Vogl Michl (Vater vom Vogl Max) und der Bankier Liebl Franz. Der Platzmeister Richard Richter (Platzmeister = Lagerist) war der Führer des Arbeiterrates.


Die BVP, die bayerische Volkspartei, wird in Regensburg gegründet
Es gibt einen Tagebuchauszug Dr. Georg Heims, der die turbulenten Tage und Stunden zwischen dem 6. und 9. November 1918 aufzeichnet.
Wikipediazitat:
Georg Heim, genannt der Bauerndoktor, (* 24. April 1865 in Aschaffenburg; † 17. August 1938 in Würzburg) war ein bayerischer Agrarpolitiker und Führer der katholischen Bauernbewegung in Bayern. Er war Mitbegründer der Bayerischen Volkspartei (BVP) und Wortführer des bayerischen Separatismus nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches. 

Dr. Heim war in diesen entscheidenden Stunden in Regensburg und hatte nur telefonischen Kontakt mit seinen Landtagskollegen in München. Er trat in Verhandlungen sowohl mit Auer als auch mit Eisner, um seine Erfahrung in der Bauernbewegung einzubringen und damit die Grundversorgung der Bevölkerung sicher zu stellen.
Schon in der Nacht nach dem Umsturz sprachen sich die bayrischen Mitglieder des "Zentrums" dafür aus, eine neue Sammlungsbewegung zu gründen und bereits am 12. November 1918 kam es in der Bibliothek der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft in Regensburg zur Gründungsversammlung.
Das Stenogramm der Reden und die Mitgliederliste liegen im Stadtarchiv Regensburg vor und auch Bauernverbandsmitglieder aus dem Kötztinger Raum waren in diesen turbulenten Tagen nach Regensburg gefahren, um sich der neuen Bewegung/Partei anzuschließen.
Der Bauer Ignatz Raab aus Plarrnhof und Ignatz Aigner aus Hetzenberg (beide Gemeinde Blaibach) gehörten zu den Gründungsmitgliedern.
ganzseitige Werbung bzw. Information bereits wenige Tage nach dem Umsturz und nur 3 Tage nach Gründung der BVP in
Regensburg


Entwicklung der BVP im Lande Bayern in Vorbereitung auf die allgemeinen Wahlen im Januar 1919
zum bayerischen Landtag (Kötztinger Anzeiger vom 14.12.1918
Doch zurück zu der Stimmungslage vor Ort in Kötzting:
Trotz der sich sehr schnell bildenden neuen politischen Strukturen, die Kötztinger fühlten sich unsicher und der Magistrat, mit seinen beiden Kollegien, schritt zur Tat, eine Bürgerwehr sollte Schlimmeres verhindern:
der Schutzmann Feichtner, wohnhaft im alten Rathaus, war die neue Kontaktperson für die Bürgerwehr

Grafenwiesen wollte da nicht zurückbleiben:

Viele Kötztinger Bürgerssöhne und Bürger waren noch an den verschiedensten Fronten auf dem Rückmarsch und da sich die Angehörigen Sorgen machten, wurde der folgende Artikel sicherlich gerne gelesen:


Unabhängig von den politischen Umwälzungen, das alltägliche Leben begann sich zu normalisieren, auch wenn es für sehr lange Zeit eine Mangelwirtschaft war, aber die Restriktionen der Kriegszeit wurden schrittweise aufgehoben:
Während also versucht wurde, die Warenströme gleichmäßig zu verteilen, sollte es der Bevölkerung wieder erlaubt sein, sich zu vergnügen.




Diese "Tanzerlaubnis" und folgend das "Benehmen" des weiblichen Teils der Bevölkerung sollte bereits im Frühjahr des Folgejahres Inhalt mehrerer wütender Leserbriefe sein.  Die Probleme mit der Versorgung der Bevölkerung mit allen lebensnotwendigen Waren, waren offensichtlich sehr groß und es kam zu den ersten Protestversammlungen, die Verwaltung musste reagieren, um den aufkeimenden Parolen zu begegnen.





Die Bayerische Volkspartei, die neue konservative Sammlungsbewegung in Bayern, rief auch in Kötzting zu einer Versammlung auf. Im Januelsaal setzte die BVP eine öffentliche Versammlung für Kötzting und die Umgebung an. "Männer und Frauen aus allen Ständen, Heimat- und Frontsoldaten, dicht zusammengedrängt im Januelsaale, boten ein interessantes Stimmungsbild."
Privatier Stauber (wieder ein Mann für Alle Fälle) eröffnete die Versammlung und übergab das Wort für eine 2(!) stündige Rede an den Abgeodneten Dr. Rauch, in welcher dieser den Bogen von der Kriegsschuldfrage bis zu den Ursachen des militärischen Zusammenbruchs erläuterte. Wie in diesen Kreisen damals durchaus üblich, sparte er nicht mit Ausfällen gegen jüdische Mitbürger, welche er an für ihn maßgeblichen Schaltstellen sah. Er verurteilte die Revolution und brachte auch hier die jüdische Abstammung Dr. Kurt Eisners an prominenter Stelle in seiner Rede unter. Allerdings stellte er den Umsturz als geschichtliche Tatsache dar, der man sich nun stellen müsse. Eine seiner Hauptforderungen war: Bayern den Bayern, allerdings nicht als Loslösung, sondern in einer sachgemäßen Einheit mit dem Deutschen Reich. Unter anderem forderte auch das Frauenwahlrecht und näherte sich den Forderungen nach einer Trennung von Kirche und Staat an, wobei er weiterhin von einer christlichen Erziehung auf christlicher Grundlage ausging.
Einschub:
dieser Punkt, die Stellung des lokalen Pfarrers als Schul- bzw. Distriktsschulinspektors, stellte sämtliche Lehrer in Bayern und natürlich auch in Kötzting unter die Kuratel des Pfarrherren, die sowohl die Prüfungsordnungen, wie auch das persönliche Verhalten der Lehrer streng im Auge hatten.
Hier gingen die Wünsche der SPD und der USPD weit über die Vorstellungen der BVP hinaus, auch wenn diese durchaus auch die Fehlentwicklungen der Vergangenheit sah.
Hier aber stachen die Oberen die Unteren, SPD und USPD hatten die Mehrheit und mit einem Federstreich endete die absolute Macht der Pfarrherren über die Erziehung der Kinder, nun war der Staat für diese Dinge verantwortlich. Nicht dass die Pfarrer nun machtlos geworden wären, aber die Entscheidung über das Wohl und Wehe der einzelnen Lehrer und selbst derartig profane Dinge wie die Lern- und Prüfungsinhalte gehörten nicht mehr zu ihren Aufgaben.


am 20. Dezember - 14 Tage zuvor waren bei der Versammlung im Januelsaale noch beschwichtigende Töne zu hören -  konnten die Kötztinger in der Zeitung lesen, dass ab 1.1.1919 die Macht der Pfarrherren gebrochen war, die Inspektion der Schulen war von nun an eine staatliche Aufgabe und der Priester auf den Religionsunterricht reduziert.
Einschub Ende

Dr. Rauch kanzelte Anfang Dezember noch die Schlagworte: "Freie Kirche, freie Schule, freier Staat" und "Religion sei Privatsache" deutlich ab.
Der Redakteur schrieb von der anschließenden Diskussion, dass diese sich sehr einseitig nur um Kirchenpolitik handelte und größere Zusammenhänge vermissen lies. Daran ist auch heute noch zu erkennen, wie sehr die Frage der Schulaufsicht die Menschen damals beschäftigte. Einzig ein Frontsoldat brachte einen anderen Zungenschlag herein als er "die Zuchtlosigkeit in der Heimat" sehr bedauerte.
Dies im Zusammenhang mit der oben erwähnten Aufhebung des Tanzverbotes wird im Frühjahr 1919 zu sehr scharfen und öffentlichen Auseinandersetzungen führen.


Trotzdem, das Jahr geht zu Ende, der Krieg tritt zurück, die ersten Soldaten werden, nach der Entlassung von Ihren Truppenteilen, in der Heimat erwartet und der Burschenverein plant, als erster aller Vereine und auch noch vor der amtlichen Begrüßung von Seiten der Pfarrgemeinde, mit einem eigenen Festgottesdienst, seine heimkehrenden Mitglieder zu begrüßen:

 

1919 im Frühjahr gipfeln die Unruhen dann in einem gewalttätigen Umzug in Kötzting, vom Bahnhof heraus bis zum "Stachus", wobei einige Fensterscheiben (Vogl Max und Wilhelm Oexler) zu Bruch gehen, aber andern Tags dann auch einige Verhaftungen vorgenommen werden, welche die Lage dann schnell beruhigen. Trotzdem, 1919, ein sehr unruhiges Jahr. Zuerst grob zusammen gestellt in der Pfingstbeilage für 2019 und in 10(!) Jahren in der Januarchronik (Kötzting vor 110 Jahren, dauert also noch ein wenig....)