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Donnerstag, 6. November 2025

Das "Schwarmwissen" ist gefragt

oder
Eine überraschende Begegnung mit der eigenen Geschichte


In Vorbereitung auf meine nächste Jahreschronik, die wie üblich die Gegenwart im Abstand von 70 Jahren begleitet, habe ich von Frau Kretschmer aus ihrem Firmenarchiv eine bemerkenswerte Leihgabe erhalten. Neben den damals im Drogerie-Schaufenster ausgestellten kleinen Papierbildern durfte ich nun auch die Originalnegative des Jahres 1956 einsehen. Diese Negativsammlung umfasst nicht nur den Pfingstritt mit der Kranzübergabe und den beiden Brautzügen, sondern auch Aufnahmen des Kinderfestzugs sowie mehrere Bilder von der Aufführung der Pfingstrittehr.
Gerade bei der Digitalisierung zeigt sich, wie viel mehr in diesen alten Filmen steckt. Man kann heute regelrecht in die Bilder hineinzoomen und Details erkennen, die auf den kleinen 9 × 13 cm-Abzügen aus jener Zeit schlicht unsichtbar geblieben waren – Gesichter, Kleidung, Hausfronten, Schilder oder Zuschauer, die erst jetzt klar hervortreten.
Damit eröffnet sich ein faszinierender Blick auf das Kötzting des Jahres 1956 – lebendig, detailreich und nah wie nie zuvor. Die folgenden Aufnahmen sollen den Auftakt zu einer kleinen Reihe von „Suchbildern“ bilden. Ich lade alle Leserinnen und Leser herzlich dazu ein, beim Betrachten genauer hinzusehen. Vielleicht erkennen Sie bekannte Gesichter – Verwandte, Nachbarn, Freunde oder sich selbst – auf den Bildern des Pfingstritts, der Burschenzüge oder des Kinderfestzugs von 1956. Jede Rückmeldung hilft, diese Aufnahmen historisch zu verorten und die Erinnerung an das damalige Kötzting lebendig zu halten. Bitte schreiben Sie mir, wenn Sie eine Person, ein Haus oder eine Situation wiederzuerkennen glauben. Denn erst durch solche Hinweise wächst aus den anonymen Momentaufnahmen ein Stück gemeinsamer Geschichte.

Einschub:
Eine kleine Episode am Rande: Beim Durchsehen der Aufnahmen habe ich mich selbst – als kleiner Bub am Fenster sitzend – wiedergefunden. Eine unerwartete Begegnung mit der eigenen Vergangenheit, die diesen Bildern auch mir selbst noch einmal eine ganz besondere Nähe verleiht.
Einschub Ende 

Die Szenerie ist bekannt: Pfingstmontag, Kötztinger Marktplatz. Der Kooperator überreicht dem Pfingstbräutigam sein Pfingstkranzl, im Hintergrund die beiden Häuser Marktstraße 30 und 28. Der Platz ist dicht gesäumt von Menschen; in der vordersten Reihe stehen die Vertreter des damaligen Stadtrats, der Geistlichkeit und der Vereine, die sich an der Einholung der Pfingstreiter beteiligt hatten. Selbst die Zuschauer an den Fenstern des Miethauses Marktstraße 30 lassen sich deutlich erkennen, von denen ich nach 70 Jahren noch einige in guter Erinnerung habe.

Es wäre schön, auch die Vertreter der Vereine und die des Stadtrats benennen zu können. Einige sind uns natürlich schon bekannt.
Foto Kretschmerarchiv Pfingsten 1956

Das Programm stellt die Bilder beim Hochladen automatisch etwas komprimiert dar; darum folgen im Beitrag einige Ausschnitte, um die interessanten Details besser sichtbar zu machen – Vereinsvertreter, Stadträte, Zuschauer an den Fenstern …

Hier die hervorgeholten Details aus der Aufnahme:
Hier die Vertreter der Vereine:

Sicherlich Burschenverein - Feuerwehr Kötzting - Schützenverein und Trachtenverein

Dann die Vertreter des Magistrats in zwei Teilen:


Ich kann hier Barth Josef Senior vorne halb links und Huber Xaher halb rechts in zweiter Reihe erkennen. Rechts neben ihm steht Wallner Alois (Baywa Verwalter) Vielleicht ist es links Kerscher Bepp?

Ich denke links ist Josef Dullinger, der spätere Kötztinger Bürgermeister

Danach mal ein Blick auf die Zuschauerränge:


Ich glaube links am Fenster ist Frau Minna Bauer und am rechten ihr Sohn, der Bauer Franze

Und dann kam für mich die große Überraschung, als ich mich selbst auf einem der Bilder gefunden habe.


Bei uns im Hause gab es im ersten Stock Zimmer – genau über dem großen Backofen der Backstube des Erdgeschosses gelegen und wegen dieser Situation auch unbewohnbar. Dieses Zimmer, das „Warme Zimmer“ genannt, diente ausschließlich zum Trocknen der Wäsche und zum frühmorgendlichen Waschen der Kinder, weil das Riesenhaus ansonsten noch ohne jegliche Heizung war, von wenigen irgendwo verteilten Einzelöfen abgesehen. In Kötztinger Handwerkerhaushalten war es damals durchaus üblich, dass, um die mitarbeitenden Mütter zu entlasten, „Kindsdeandl“ eingestellt wurden, um auf die Kinder aufzupassen, solange diese noch klein waren. Solch ein „Kindsdeandl“ – ich glaube, es war damals die Rosa – hatte mich aufs Fensterbrett im „Warmen Zimmer“ platziert, und so betrachteten wir diesen Menschenauflauf von oben.

Zum Abschluss dann noch die Kötztinger Geistlichkeit, die wir natürlich kennen:

Kooperator Hackl versucht das Kranzl von seinem Brustkreuz zu nesteln, währen Stadtpfarrer Dietl sich mit dem Pferd unterhält.... es sieht so aus, als hätte er in seiner Hosentasche etwas Süßes versteckt für das Reittier seines Kooperators.

Zum Abschluss noch das Bild der Kötztinger Geistlichkeit, die wir natürlich kennen und die uns auch zeigt, wie wohl sich der damalige Stadtpfarrer und Dekan Josef Dietl in unserer Heimatstadt fühlte, mit der – und vor allem mit deren Vereinen – er noch lange Zeit eng verbunden geblieben war. Schon wenige Wochen nach dieser Aufnahme wurde Dekan Josef Dietl nach Ettmannsdorf ins dortige Kloster versetzt, und Josef Augustin wurde der neue Stadtpfarrer.