Vom "Fräulein vom Amt" zum Schaltkasten
Heutzutage ist es für uns alle eine Selbstverständlichkeit, jederzeit und überall erreichbar zu sein und mit der ganzen Welt kommunizieren zu können. Es ist für viele der jüngeren Generation nicht einmal mehr vorstellbar, dass es noch bis vor wenigen Jahren hier Münztelefonzellen gegeben hatte, vor denen sich in den Anfangszeiten manchmal sogar Warteschlangen gebildet hatten. Diese Telefonzellen wurden in Kötzting erst nach langem Bitten und Drängen errichtet, da es vorher überhaupt keine Möglichkeiten gegeben hatte, außerhalb der Öffnungszeiten des Postamtes als Privatperson zu telefonieren.
Der Anlass für diesen Blogbeitrag war eine Nachricht in der Kötztinger Zeitung vom August 1955, dass es in Kötzting durch einen zu errichtenden Neubau bald möglich sein sollte, im "Selbstwähldienst" zumindest im Nahverkehr zu telefonieren mit über 49 Fernleitungen und 400 Telefonnummern, die im Ortsnetz Kötztings (= Kötzting und die umliegenden Gemeinden) verteilt werden konnten.
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Foto Josef Bock. Das Kötztinger Postamt mit der "Funkantenne" auf dem Dach für den Kontakt hinaus in die weite Welt. |
Um die Jahrhundertwende hatten dann einige Betriebe einen Telefonanschluss und 1913 wurde ein solcher auch ins Rathaus gelegt, aber auch danach war die Versendung von Telegrammen noch eine normale Informationsübertragung. Die Gemeindeverwaltung in Weißenregen wartete sogar bis zum Jahre 1963, bis sie sich einen eigenen Telefonanschluss gönnte.
Auch wenn Kötzting nun - mit Hindernissen - theoretisch mit der ganzen Welt verbunden gewesen war, so steckte die Technik jedoch derart noch in den Kinderschuhen, dass es bis Ende der 50er Jahre herein einen eigenen Beruf gab, den der Telefonistin, eben dem "Fräulein vom Amt". (Bei anzumeldenden Ferngesprächen brauchte man diese in Kötzting sogar bis Mitte der Sechziger Jahre)
Die Erklärung ist sehr einfach, es gab zwar sternförmige Verbindungen von Hauptdienstelle zu Hauptdienstelle aber die Verbindungen zu den Nebenstellen und weiter zu den Hausanschlüssen konnten - noch - nicht automatisch hergestellt werden und wurden von eben den "Fräuleins vom Amt" durch "Um und Einstöpseln" bewerkstelligt.
Nun es gab ein regelrechtes Netz von Verbindungen der großen Verteilerstellen (Regensburg, Amberg und hier bei uns Cham) von denen aus sternförmig die nächsten Ebene verbunden war, die wiederum dann an die Endstellen vermitteln konnte.
Da meine Mutter, Frau Inge Pongratz, Anfang der 50er Jahre als solch ein " Fräulein vom Amt" nach Kötzting versetzt worden war, habe ich in ihren Unterlagen einige Dokumente gefunden - vermutlich Reste aus ihren Schulungs- und Arbeitsmaterialien-, die dies gut verdeutlichen können.
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Sammlung Pongratz: Hier die Verteilerorte vom Zentrum Cham aus. |
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Die elegante Kötztinger Welt im Jahre 1952. Vorne Mitte Inge und Clemens Pongratz, meine Eltern. Oben rechts Oexler Franz. |