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Samstag, 16. September 2023

Eine ganz besonderer Fund im bayr. Hauptstaatsarchiv

 Eine Papsturkunde aus dem Jahre 1378

Ein Fundbericht in zwei Teilen

Manchmal braucht es Zufälle, um in einem schon mehrmals durchsuchten Archivalienbestand dann doch noch einmal einen besonderen Fund zu machen.
Die Archivverzeichnisse über die Akten des Klosters Rott im bayr. HStA in München sind mit Sicherheit bereits mehrmals - auch von mir selber - akribisch daraufhin durchgesehen worden, ob sich darinnen vielleicht noch etwas über unser Kötzting verbergen könnte, und wir waren alle der Meinung: Da kommt nichts mehr.
Und da war auch nichts mehr, zumindest heutzutage, denn die Papsturkunde, die sich mittlerweile hat auffinden lassen, wurde bei einer Neubewertung - irgendwann nach 1953 - nicht mehr dem Bestand der Rotter Klosterliteralien und -urkunden zugeordnet, sondern liegt nun bei den Gerichtsurkunden Kötztings. 

bayr. Hauptstaatsarchiv München Gerichtsurkunde Kötzting Nr. 218 a

Manchmal braucht es eben den Zufall.  In der Vorbereitung auf den Blogbeitrag über die Jahreschronik Kötztings von 1953 mit seinem damaligen Festprogramm anlässlich der Stadterhebung, fand sich auch ein Schriftwechsel mit Dr. Max Piendl, einem früheren Archivrat des HStAs, der dem Kötztinger Marktrat eine Liste an Dokumenten vorschlug, die sich zu einer Ausstellung über die Geschichte Kötztings eignen würden.
Piendls Vorschlagsliste wurde angenommen und während der Pfingstfestwoche 1953 waren die 18 historischen Dokumente aus München Teil einer großen Ausstellung in der Kötztinger Landwirtschaftsschule.
Durch einen Vorbericht in der Kötztinger Zeitung fiel mir dann diese Liste in die Hände; eine Liste mit Dokumenten, die wir alle in der Vergangenheit bereits eingesehen und auch ausgewertet hatten....alle, bis auf die eine Urkunde unter Punkt 8!

KÖZ vom Mai 1953

Der in der Liste aufgeführte Kurztext steckte voller Überraschungen, eine Papsturkunde aus dem Jahre 1378 in der Kötztinger Bürger aufgeführt seien und in der sogar der Gschwandhof genannt wäre, einer von vier Kötztinger Urhöfen, heutzutage die TCM, die Klinik für traditionelle chinesische Medizin.
In dem Vorschlagsschreiben Dr. Max Piendls für seine Ausstellungsbeiträge waren sogar noch die  (Alt-) Signaturen für das Archiv in München zu finden. 
Leider stellte sich nach einem telefonischen Kontakt mit München sehr schnell heraus, dass die von Max  Piendl übermittelten Signaturen veraltet waren und wir daher um Geduld gebeten wurden.
Nach wenigen Tagen kam nicht nur die Erfolgsmeldung aus München, sondern unter der neuen Ablage fanden sich nun sogar zwei Papsturkunden, ausgestellt am selben Tag, die jetzt unter Gerichtsurkunden Kötzting Nr. 218a + b zu finden sind.
Wenige Wochen später erhielten wir die Digitalisate und standen vor dem Problem, dass wir mit einer Schrift konfrontiert waren, die nichts mit den Handschriften zu tun hatte, die wir in unserem Lesestammtisch seit mehr als 25 Jahren lesen. Dass die Urkunden auch noch in lateinischer Sprache abgefasst waren, machte die Sache nicht unbedingt leichter.
Das Hauptproblem jedoch war diese Handschrift, und so dauerte es, bis wir in Frau Dr. Sagstetter vom Staatsarchiv in Amberg die Person gefunden hatten, die uns buchstäblich den Schleier von diesen beiden Urkunden wegzog und uns den Inhalt interpretierte.
Bereits an dieser Stelle ein herzlicher Dank und eine Verbeugung vor ihrem Können und Wissen.
Zunächst jedoch die Abbildungen der beiden Urkunden:

Hier die Rückseite der obigen Papsturkunde vom 27.6.1378
Hier die Vergrößerung der obigen Rückseite, bei der von Kötztinger "payny et alii Rebelles" die Rede ist, also von (den) Kötztinger Pain (Eigenname)  und anderen Rebellen, unter denen sich auch ein "Gschwantl" vom "Gschwanthof" befinden würde. 

Hier nun gleich im Anschluss die zweite Papsturkunde, ausgestellt in Rom am selben Tag mit eigentlich demselben Auftrag, nur mit leicht unterschiedlichen Namen.

bayr. Hauptstaatsarchiv München Gerichtsurkunde Kötzting Nr. 218 a

Auch hier gibt es auf der Rückseite einen Kurztext, der wohl im 16. Jahrhundert dem Inhalt eine "Überschrift" geben sollte.

Hier lautet die Übersetzung und die Interpretation durch Frau Dr. Sagstetter:
"Keztingenses quidam cives bona monasterii occuparunt", was ich folgendermaßen übersetzen würde: Gewisse Kötztinger Bürger [hier haben wir einen Hinweis, dass es sich um Bürger des Markts Kötzting handelte] haben Güter des Klosters besetzt oder sich angeeignet.

Weiter nun mit der grundsätzlichen Analyse der beiden Urkunden durch Frau Dr. Sagstetter:

Beide Papsturkunden wurden am selben Tag ausgestellt und haben denselben Adressaten: In beiden Fällen beauftragt Papst Urban den Bischof von Chiemsee.

In beiden Fällen heißt es, dass sich Abt Heinrich und der Konvent des Klosters Rott darüber beklagt haben, dass gewisse, namentlich genannte Personen dem Kloster Unrecht zugefügt haben ("iniuriantur"), und zwar bezieht sich das Unrecht oder der Schaden auf Geldbeträge, Ländereien, Besitzungen und andere Dinge ("super quibusdam pecuniarum summis, terris, possessionibus et rebus aliis"). Genaueres darüber, was sich die betreffenden Personen zu Schulden kommen haben lassen und in welchem Verhältnis sie zum Kloster stehen (evtl. Grundholden?), wird nicht ersichtlich. Der Bischof von Chiemsee jedenfalls wird in beiden Fällen beauftragt, dem Kloster Rott wieder zu seinem Recht zu verhelfen, in dem der Papst ihn anweist ("mandamus"), die Streitparteien vorzuladen ("partibus convocatis"), die Streitsache anzuhören ("audias causam") und dann eine Entscheidung zu fällen; was er entscheidet, soll als kirchlicher Rechtsspruch gelten. Zeugen, die aus Hass oder Angst sich seinem Gericht entziehen sollten, soll er dazu auffordern, über die Wahrheit Zeugnis abzulegen.

In der einen Urkunde (Hier das Digitalisat am Anfang des Beitrages)  werden genannt: "Johel Anher, Hilprandus Gswant[el], Jacobus Rusner, Andreas Kesperger, Vlricus Payn, Fridricus Gaischelin, Petrus Wagner et Vlricus Gswantel, laici Ratisponensis diocesis", also alle Laien aus der Diözese Regensburg. Der ältere Archivvermerk auf der Rückseite lautet: "Keztingani Paynii et alii rebelles, inter quos et Gschwantlein [?] de Gschwanthof", also: die Kötztinger Payn und andere Rebellen, unter ihnen auch Gschwantlein vom Gschwanthof.
In der anderen Urkunde (Hier die Zweite Urkunde) werden genannt: "Johannes Prew, Conradus Payn, Stephanus Payn, fratres [=Brüder], Jacobus Knueting, Andreas Staindel, Conradus Beyde[...], Eckardus Sneider et Conradus Lauffing, laici Ratisponensis diocesis".
 

Wir haben hier also eine ganze Reihe von Kötztinger Bürgern, die vom Kloster Rott beschuldigt wurden, ihren Verpflichtungen gegenüber dem Kloster nicht nachzukommen oder sich sogar angemaßt hatten, Grundstücke oder sogar Anwesen, die dem Kloster grundbar waren, sich angeeignet zu haben.    
Für mich war auch noch eine weitere Frage von Interesse, warum bei dem Streit der Bischof zu Freising nicht eingeschaltet war, in dessen  Diözese Rott am Inn ja schließlich lag, und auch dazu erhielten wir Auskunft von Frau Dr. Sagstetter.

Der Bischof von Chiemsee wird in beiden Urkunden nicht namentlich genannt, sondern es ist nur vom "episcopus Chiemensis" die Rede. Laut Liste der Bischöfe in Wikipedia hieß er Friedrich, dieser war schon vor seiner Amtszeit als Bischof in päpstlicher Mission tätig, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Bisch%C3%B6fe_von_Chiemsee bzw. https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_(Chiemsee). Dass Abt und Konvent sich in ihrem Anliegen nicht an den zuständigen Diözesanbischof wandten, sondern direkt an den Papst, und dass dieser einen auswärtigen, zumindest benachbarten Bischof mit der Streitbeilegung beauftragte, hängt wahrscheinlich mit der Exemtion des Klosters Rott zusammen, das direkt dem Papst und seinem Schutz unterstand, siehe https://hdbg.eu/kloster/index.php/detail/geschichte?id=KS0356 (müsste anhand weiterer Literatur oder Quellen verifiziert oder bestätigt werden). Eine Beteiligung des Diözesanbischofs (Freising oder Regensburg) wäre angesichts dieses Rechtsstatus wohl einem Affront gleichgekommen. Die Datierung lautet: "Datum Rome apud Sanctum Petrum V kalendas julii, pontificatus nostri anno primo". Die Ausfertigung erfolgte also in Rom St. Peter im ersten Jahr des Pontifikats von Papst Urban VI. Dieser war im April 1378 gewählt worden. Die Tagesdatierung folgt dem römischen Kalender: an den 5. Kalenden des Monats Juli, diese sind aufzulösen als 27. Juni. Also lautet das Datum: 27. Juni 1378, so wie es ein früherer Archivar auf der Rückseite der Urkunden richtig vermerkt hat.


Wir haben nun damit, dank der Übertragungs- und Interpretationshilfe von Frau Dr. Sagstetter die frühesten namentlichen Erwähnungen gleich einer ganzen Reihe von Kötztinger Bürgern, die auch noch, außergewöhnlich für diese frühe Zeit, durchgängig mit einer Art von Vor- und Nachnamen bezeichnet wurden. 
Mit dem gleich mehrfachen Auftreten des Familien  - vlt sogar Geschlechts-namens Gschwantl sollten wir damit auch den Namensgeber dieses Gschwandthofes vor uns haben, der bis weit herauf ins 19. Jahrhundert eigene "Afterlehen", Höfe im Zellertal besaß.
Der von Frau Dr. Sagsteller angesprochene Schutzstatus der "Exemtion" sollte sich direkt mit zwei anderen Urkunden aus der damaligen Ausstellungsliste des Jahres 1953 belegen lassen, siehe oben in dem Zeitungsbericht, die beiden Ausstellungsnummern 2 und 3.

An dieser Stelle noch einmal ein herzlicher Dank an Frau Dr. Sagstetter für ihre Mühen, die uns damit ein weiteres Stück der Geschichte unserer Heimatstadt aufgedeckt hat.