In manchen Dokumenten im Stadtarchiv finden sich Kleinigkeiten, beigeheftet an größere Vorgänge, die fast zu schön sind, um wahr zu sein.
Gleichzeitig, wie bei vielen anderen Funden, erfährt man durch solche Einzelstücke manchmal auch Details aus dem täglichen Leben unserer Vorfahren - dabei ist es noch gar nicht so lange her - , wie sie heute überhaupt nicht mehr üblich sind.
Offensichtlich nutzten die Untergliederung der Kötztinger NSDAP, die SA, die motorisierte SA, die SA-Reserve und die Gruppen der Hitlerjugend den heutigen Jahnplatz - damals hieß er noch Bleichanger - zum Exerzieren.
Also weniger zur sportlichen Betätigung, wie er vom Turnverein und den Schulkindern genutzt wurde, sondern, um bei den vielen Aufmärschen, die die Nazis veranstalteten, auch eine gute Figur machen zu können.
Bei diesen Exerzierübungen konnte man natürlich nicht andauernd darauf achten, dass man nicht in die Hinterlassenschaft der Kötztinger Gänse trat, und so bestand Handlungsbedarf von Seiten der Partei.
Weder von der übenden Schuljugend noch vom Turnverein sind mir aus dieser Zeit Beschwerden bekannt, es scheint daher anscheinend ein spezifisches Problem der NSDAP und der Ehre ihrer gewichsten Stiefel gewesen sein.
StA Kötzting 440-1 |
Und so bestimmte der damalige Ortsgruppenleiter der NSDAP und 1. Bürgermeister Benno Hoiß, dass die Gänse zukünftig nicht mehr auf dem Bleichanger, sondern auf drei anderen gemeindlichen Freiflächen grasen und verdauen sollten.
Jetzt war es aber so, dass die Kötztinger Gänse der "Obermarktler", selbstständig und in kleinen Gruppen, sich den Weg über die Wurmhöhe hinunter an den Bleichanger suchten und von keinem Hirten begleitet wurden.
Mein Vater beschrieb das tägliche Prozedere bei sich zuhause so:
V: Hehna und Gens, de hamma wega de Federn blos ghot.
F:Und wo habts dann de aussedriem?
V:De hamma fias Hoftor ausselassn und dann hanns am Reng oweganga und aft Nacht wida hoam.
F:Über d'Wuamheij hint oder weij?
V:Meistens üwa d'Wurmheij.
F:Und de han na von alloi ganga?
V:Ja aber manhmal hot mas a holn miassn, vor allem wenns broude worn san.....
"broude" bedeutet hier den Zustand der Gänse, wenn diese im Frühjahr Eier legten und brüten wollten
Die Anweisung, dieses Verbot den betroffenen Gänsehaltern im oberen Markt nahezubringen und durchzusetzen, erging ausgerechnet an den damaligen S-A-Sturmführer, Sonderkommissar bei der Regierung und den Sonderbeauftragten beim Bezirksamt Kötzting Anton Kirschenbauer.
In dieser Funktion als Sonderbeauftragter hatte er im Juni des Vorjahres nicht nur persönlich die Verhaftungsaktion der Gemeinderäte der Kötztinger BVP, der Bayerischen Volkspartei, geleitet sondern hat diese selber durchgeführt.
Die damaligen Kötzting Gemeinderäte der BVP waren die Herren Oexler, Januel und mein Großvater Clemens Pongratz. Hier der Bericht über diese Aktion.
Es war nun ausgerechnet dieser, mit vielen hochtrabend klingenden Titeln versehene, SA-Sturmbannführer Kirschenbauer, der meinem Großvater und unseren Nachbarn beizubringen hatte, dass seine Gänse nicht mehr automatisch den Weg hinunter zum Bleichanger marschieren durften, damit die Parteigliederungen von nun ab ohne die Hinterlassenschaften der Gänse exerzieren konnten.
Und so machte sich Anton Kirschenbauer auf den Weg und informierte die Gänsehalter im oberen Markt und gab einen unterschriebenen Rapport zurück.
Ein schneller Abgleich mit den Parteimitgliedern der Kötztinger NSDAP aus dem Jahre 1935 zeigt, dass, bis auf einen, die Gänsehalter alle Nichtparteimitglieder gewesen waren.
"Von Umstehenden wurden xxx aufgeführten Personen von mir unterzeichneten verständigt.
Kötzting 19.7.34 Kirschenbauer"
Es finden sich in der Liste viele unserer Nachbarn z.B.
Rabl Michael (Gasthaus Rabl)
Graßl Josef (Bäckerei Graßl)
Pongratz Clemens (Bäckerei Pongratz)
Feichtner Josef (vermutlich Feuerwehrhaus)
Kirschbauer Josef (Schirnstraße)
Nun war es also vorbei mit der unbändigen Freiheit der Kötztinger Gänseherden. Wie die Gänsehalter das Problem gelöst haben, weiß ich nicht, vermutlich wurden sie nun zuerst ein paar Mal auf die zugewiesenen Plätze geführt, bis sie es wieder von alleine tun konnten.
Anton Kirschenbauer, der SA-Sturmbannführer und Gänsebeauftragte, wurde zwar im Oktober 1936 - wegen persönlicher Verfehlungen - aus der NSDAP ausgeschlossen, aber nach dem Kriege in den, damals für Mitglieder der NSDAP obligatorischen, öffentlichen Spruchkammerverfahren als "Aktivist" be- und zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt.