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Mittwoch, 11. März 2020

Kötzting im Griff der Grippe ..... im Jahre 1762

Gibt es solche Zufälle überhaupt.....kann es ihn geben?


Am 24. März hätten wir beim Lesestammtisch einen besonderen Briefwechsel gelesen. Dieses war keine besondere Absicht, denn den Briefwechsel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts habe ich bereits im Herbst 2019 im Staatsarchiv in Landshut gefunden. In diesen Briefen sind Details einer epidemischen Erkältungskrankheit beschrieben, die fatale Ähnlichkeit mit der derzeitigen Krise haben.
Dieser Zusammenhang war weder erkennbar - ich habe den Briefwechsel nicht im Voraus gelesen - und schon gar nicht beabsichtigt. Es ist einfach eine seltsame Fügung, dass wir nun  im Jahre 2020 - mitten im Lockdown - von einer Grippewelle des Jahres 1762 in Kötzting lesen können.

Also, los geht's:

Ein Archivfund im Herbst des Jahres 2019 im Staatsarchiv Landshut, der zuerst einmal ein ganz unscheinbares Bündel an Privatbriefen war, entpuppte sich bei der Bearbeitung im Rahmen des Kötztinger Lesestammtisches als ein, mit vielen Details gespicktes, Lebensbild unseres Raums im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts.
StALandshut Hofmarken: Nr. 4037
Unterschrift : Johann Martin Demerle
Gerichtspfleger
Der Schreiber ist Martin Dennerl,  Gerichtspfleger auf Runding und Blaibach und verheiratet mit der Tochter des Kötztinger Lehrers Daller.
Martin Dennerl pflegte einen sehr menschlichen und sehr engen, schriftlichen Umgang mit seinem Hofmarksherren, dem Herrn Baron Cajetan von Nothafft, welchen sich der Herr Baron offensichtlich gerne gefallen ließ.
Mit diesen Briefen erfahren wir viele, viele Kleinigkeiten - natürlich zuerst vom täglichen Geschäftsgang der Hofmarksverwaltung aber dann auch Dinge aus der Umgebung und, vor Allem bei Krankheiten, von den verzweifelten Versuchen diese abzuwehren. Im Mai 1762 ist offensichtlich ganz Ostbayern von einer "Catärh" genannten epidemischen Krankheit befallen, denen viele unserer Vorfahren zum Opfer fielen.
 

Das Wort "Grippe" war damals eher weniger geläufig, wie es ja auch unsere Eltern noch weniger nutzten, diese hatten einfach einen "Katarrh" - siehe auch Gerhard Polit in seinem Sketch "die Garage" bzw. "der Standort Deutschland"

Die Grippeepidemie im Raum Kötzting:



Cajetan von Nothafft
Bild aus der Homepage der Nothafft

Cajetan Nothafft, begütert u.a. mit den Hofmarken in Niederhatzkofen, Blaibach und Runding, lag wohl zuerst schwer darnieder im niederbayerischen Niederhatzkofen und wurde dort von seinem Gerichtspfleger Dennerl und dem Kötztinger Bader Dr. Halser besucht, behandelt und war wohl dann auf dem Wege der Besserung, welchen Dennerle mit "begleitenden Maßnahmen" aus der Ferne unterstützen wollte.

Wieder zurück in Blaibach und Runding schrieb Dennerl am 17.5.1762 an seinen sich erholenden Chef:

Vor allen wintsche und bitte mit all den Meinigen zu Gott, daß Eur hochfreyherrliche Gnaden sich von der aufgehaltenen schweren Carthär in bälde Vollkommen erhollen und auf ville Jahr von disen und anderen krankheiten zufallen befreut bleiben möge.

Und dann beschreibt Dennerl seine Erlebnisse der Reise und seiner Ankunft:

Der Dr. Halser und ich seint zwar Gott lob am Samstagabents glückhlich nacher Haus kommen. Was wür aber von Hätzkofen bis Straubing für Ungemach im Staub erlitten, ist nit zu beschreiben, doch kann es einigermassen der Kutscher gesagt haben. (heißt wohl, bei der Rückfahrt habe diese Kalamitäten der Kutscher wohl selber seinem Herrn bereits erzählen können)

Auf der ganzen Straße herein und wo wir nur hingekommen regiert der Carthär sehr starkt und ist bei manchen recht gefährlich selbst in meinem Haus ist vast alles krankh und mein Schwiegervater zu Kezting ligt auch im Carthär. Der Herr Beneficat von Playbach ligt beständig in einem sehr heftigen Stöckh Carthär, und fast der ganze Pfarrhof zu Playbach......

 
...Während deme das zu Häzkofen gewesen, ist die allhiesige Schmiedin auch gestorben, ob sye schon bei meiner Abreise gesund ware, und vorgestrig Samstag abends waren alhir 3 provisonen ( =Versehgänge ) gestert in der Frühe aber 2 auf Lederdorn.

Böllerschießen gegen den Katarrh:


.. Sonsten passiert dermallen nichts sonderheitlich die Litanei bei dem Heiligen Johann von Nepomuk auf der Prucken werden wür die ganze Oktav alle Tag halten und iedesmal hierbei schiessen, umb Eur Gnaden völlige Gesundheit wieder zuerhalten.

 Die Krankheit weitet sich aus - vor allem bei älteren Menschen:

 Runding und Blaibach 22.5.1762:

Beschreibung der Seuche im Kötztinger Raum
Entlichen will es layder alhir et refier mit dennen Krankheiten dermassen überhand nemmen, das wür allhier erst seith 8 bis 10 tägen fast teglich 2 und 3 Provisones haben, aber auch fast teglich 1 wo nit gar 2 leichen haben, zwar meistens leuth von Jahren und leibsgebrechlichkeiten, nur seint in der Hofmark Lichtenegg 2 junge Söldner gestorben, welche es mit dem Cartar angegriffen, und sich hierzu in wenig tägen das seuthenstechen geschlagen hat.  







Der Kötztinger Lehrer Daller liegt im Sterben: 

Selbst mein Schwiegervater zu Közting ist an deme, das er wird in wenigen Tägen vor Gott erscheinen miessen. Abgewichenen Mittwoch hat man ihm alle Heiligkeiten gereicht und gestert wurde alle Abends von Herrn P. Prior die general absolution ertheilt. Sein Zustand ist halt auch ein Stuck Cärthär und der wenige Auswurf, so geht, ist gaznz roth, deswegen mir eben der Herr Dr. Halser gesagt hat, das kein Hofnung eines Aufkommens mehr vorhanden.
Ich bin also yber diese laydige zufahl, aus mehreren Ursachen recht consterniert und erwarte alle Minuten die Nachricht von den wirklich erfolgten Todfall....


Die Lehrersgattin macht ihrem Mann das Sterben nicht gerade leichter:

....welcher meinen Schwigervatter noch immer zu früh sein will, ob ihm schon die Schwiegermutter beständig von denen himmlischen Freuden , so auf ihn warten, beständig was vorsagt und sonderbar zuspricht, dass er sich umb die böse Welt nicht mehr scheuen oder längers in selber zubleiben verlangen sollte, so den kranckhen Mann villen Verdruss macht, weill er gar gerne noch lenger leben mechte.
Seinem Herrn Baron, der wohl anreisen wolle, gibt er den dringenden Rat:
Nur bitte ich Eur Gnaden umb Gottes willen, sich nicht zu fruehe in den Lufft und Staub zu wagen, damit nit wider übl ärger gemacht wird.
H: Beneficiat von Blaibach ist würklich pethliegerig und Herr Frischeisen kan nit mehr Mess lesen. 

N.B. in abgewichener nacht ist die alte Carl Schneiderin alhir gestorben und die Garttner Miedl liegt auf den Preth (ist wohl das Totenbrett)

Um die Situation auch noch zu verschlimmern, steht auch noch eine Missernte an:


Noch etwas macht Probleme, der Getreidepreis: es wird sich wohl eine Hungersnoth ereignen, weil das 2 jährig zerfressene Schäffl Korn tatsächlich 8 Gulden kostet.

3 Tage später, am 25.Mai 1762 stirbt dann der Kötztinger Lehrer Johann Martin Daller mit 45 Jahren.
Sterbematrikel Pfarrei Kötzting Band 18 von Mai 1762. Die erste Zeile betrifft den Kötztinger Schullehrer und Chorregenten Joannes Martinus Daller. Der letzte Eintrag ist der Kötztinger Färbermeister Johann Balthasar Schöllinger, bei dem ausdrücklich vermerkt ist, dass er an einem Katarrh verstorben ist.
Interessant ist, dass die Pfarrmatrikel aus genau dieser Zeit eher weniger Einträge aufweisen, als zu anderen Zeiten. Dies verwundert zunächst, angesichts der berichteten, laufend anfallenden, Todesfälle, ja sogar auffallend, dass die Matrikel Lücken von einigen Wochen, vollkommen ohne jeglichen Eintrag, aufweisen. Die Priester waren wohl damals hoffnungslos überfordert damit, den Pflichten der Versehgänge und folgend den Beerdigungen nachzukommen, Nachträglich zu protokollieren war vermutlich schwierig bis unmöglich, wenn man sich keine Notizen gemacht hatte.

Wenns denn hilft:

Prozessionen zum Haidstein und Seriengottesdienste zur Genesung des Herrn Nothafft:

 
4.6.1762:

Wie letzhin bereits underthenig überschrieben, seint die auf den Haidstein bestimmte 3 heyligen Messen vorgestert, gestert und heint durch Herrn Beneficiaten vpon Playbach gelesen worden, weill solche der hiesige Herr Pfarrer wegen beständigr Leichten  (=Beerdigungen) und Seelenmessen nit lesen können. Ich habe alle 3 selbst gehört und hierunter den heyl. Rosenkranz nebst der Lauretanischen Litaney selbst vorgebetet. Den ersten waren 39, den anderten 70 und heint 99 Kinder beyderley Geschlechts gegenwartig, welchen iedes mahl und zwar iede 3 xr (Kreuzer) anbehendigt. Hiesige Kinder seint von dort aus Prozessionaliter auf den Haidstein alle 3 Täg gangen und sowoll hierauf als herab in der schönsten und auferbaulichsten Ordnung haben selbe lauth den heiligen Rosenkranz abgebetet, vor und nach der heiligen Mess haben die kleinen Mädeln beyr Mutter Gottes ein Frauen gesang abgesungen und aufn solche Arth  hoffe zu Gott, dass das gebet der Unschuldigen erhört worden sein werde und sich Eur Gnaden von der aufgehebten Unbässlichkeit vollkommen erholt haben werde.
Vielle personen haben yber die Ordnung und den Eifer der kleinen Kinder große Zähren (Tränen) vergossen und auch diese werden durch die Wolken gedrungen und Eur Gnaden genesung befordert haben


Beerdigung des Schwiegervaters in Kötzting:

Für meinen Schwigervater seel: wird am Erchtag der  7. et 30. gst(Gottesdienst??) gehalten. Meine Schwigermutter ist untröstlich und ich habe mit ihr sehr vill zuthun, weill Sye bereits zimblich kindisch.....

Ein perfekter Sturm.....


zuerst die Grippe - dann der Spätfrost - dann die Hitze - und am Ende noch ein Riesengewitter

Eine mögliche Missernte deutet sich schon früh an:

Sonsten ist es in alhiesiger gegend ein wahres Ellent, massen die Reiff (Spätfrost), so wür ainige täg nacheinander gehabt, meister Orten alles, alles Korn dermassen verbrennt, dass ein Pauer so sonst 30 Schäffl zuhoffen gehabt, ainzt nit 4 oder 5 Schäffl bekommen wird und so ist es in Ansehung der Fütterei, massen durch die allzu große Hüze alles ausbrennt und das Viech vast crepieren sollte.
Mit dem alten wurmbigen Korn bin bereits ferttig und hiermit habe ich für Eur Gnaden richtige 600 fl. gewonnen, das Neue Korn, so etwan 150 Schäffl auftragen mechte, behalte auf, weill nit vorsiche, wie groß das Elend bei uns noch werden mechte....
Denen Underthannen habe am Speissgetraid 600 fl geborgt und ieden das Schäffl gegen frembten umb 1 fl wohlfeiler abgetan.
(die eigenen Untertanen mussten also sweniger bezahlen, als fremde Aufkäufer) womit nit unrecht getan zuhaben glaube.

 Das Unwetter:


Wenig Täg nach Eur hochfreyherrlich Gnaden von hier genommenen Abreyse, hat Gott der allerhöchste hiesigen Ort (Runding) und ganz insbesondere disorthige Gegend mit seiner Strafruethen abermallen, und gleichsamb bis zum gänzlichen Umbsturz gezichtiget, massen Erchtag den 20ten abends umb 3 Uhr alhier ein erstaunliches Wetter ausgebrochen, welches bis 8 Uhr nachts unter einem fast nie erlebten Blaz Regen dergestalten angedauert, dass man auf dem Schwell des Wassers von hiesigem Pfleghaus in der größten Geschwindigkeit mit einem Floß gar fieglich durch das ganze Dorf bis zum Zigelstadel und auf der andern Seithen bis Langwitz und Niederrunding hätte fahren können, wodurch nit nur alle bereits zwybrachte Äcker gwaltig abgerissen, und aus manchen insonderheit der Cammerer Zell beim Rosen Garten über 100 Fuhren des bestenn grundts weckh gefihrt, sondern nebenbei die meisten Flaxflur, Wißmathen und Kornveldter mit Erdten in einen vesten Weg gleich überschwemmet - vielen Underthannen aber das schon geschnittene Korn vom Veld weg geführt und also gänzlich verderbt worde. 
Selbst ins hiesige herrschaftliche Preuhause hat der Gewalt der Güss dermassen eintrungen, dass die mit Essig angefüllten 6 und 4 eimerige Vaß gestürzet und des Preumeisters Küsten und Kästen mit allen Habseligkeiten yber den Haufen geworfen worden. 

Aber es geht noch schlimmer:



 Dieses ist aber noch ein Schatten von einnen Unheill, so dieses Wetter im Kötztinger Berg zu Wimbach, uffm Gschaidt, Vöckhlhof, Hafenberg, Sackenried und bis über Arnbruck und Viechtach angerichtet, allermassen all dieser Orthen zwischen 3 bis 4 Uhr auf einen Augenblicklick Steine, wie die größten Wällische Nuss, Hennen Ayr und etwelche wie Mannsfaust gefallen und andurch der ganze Wintter und Sommerbau, mit denen Flax und Krauttveldern totaliter zerfezt und in Poden geschlagen, nebstbei meherister Orthen kein ganze Fensterscheiben und eben so wenig eine ganze Lag Schindl unbeschädigt gelassen worde. Das Elend ist unaussprechlich und das arme Volk gleichsamb bis zur Verzweiflung gebracht, wie dann die Mehristen nit mehr umb verschonung der Veldtfrüchten, sondern lediglich umb Erhaltung des Lebens aus ihren Hütten gegen Himmel geschriehen.....
Was wird also wohl für ein Noth bei den armen Pauersleuthen entstehen......

Aber auch diese Krise haben unsere Vorfahren überstanden wie vieles andere auch zuvor und danach.


Zum Beispiel 10 Jahre später, 1772, gab es eine noch viel schlimmere Hungersnot, und erneut kennen wir vom Rundinger Pfleger Dennerl Details von dieser Katastrophe:

Hungersnot von 1772



Aus dieser Notzeit kennen wir eine Stellungnahme der Herrschaft Runding, also gleich aus der Nachbarschaft, bei dem der Rundinger Gerichtspfleger Johann Martin Demmerle auf Anfrage aus München einige Einzelfälle und Vorkommnisse meldete[1] um anzuzeigen, wie schlimm die Hungersnot in Ostbayern wütete.
Im Mai 1772 waren alle alten Wintervorräte aufgebraucht, die neue Ernte noch weit entfernt und es häuften sich auch in der Herrschaft Runding Fälle, dass Menschen hungern mussten, ja verhungerten. So berichtet der Nothafftische Verwalter von einer verheirateten Häuslerin aus Runding, Barbara Fischer, die im Alter von 32 Jahren ganz plötzlich verstorben war, ohne krank gewesen zu sein. Allerdings, so schreibt er, „war ihr hunger- und nothvolles Leben um so sicherer bekannt, als sie täglich bei ihm und auch im Dorf und auf der Gasse jedermänniglich auf dennen Knien umb weniges Brod gebetten. Vorigen Sonntag habe sie in seinem Haus aus einer Schüssel das blaue Sauermilch Wasser, das für die Hunde aufbehalten war, und von diesen nicht aufgegriffen worden, zu sich genommen und bis auf den letzten Tropfen verzehrt“.
Da zur der Zeit wieder einmal die Angst vor einer epidemischen Krankheit herrschte, die in Böhmen bereits „wütete“ wollte der Pfleger sicher gehen und ließ den Kötztinger Arzt Halser kommen, der Demmerles Diagnose bestätigte, „die arme Tröpfin hätte lediglich aus Abgang menschlicher Nahrung und bedürftiger Lebensmittel ihre Lebenstäge vor der Zeit beschließsen miessen, sie sei also schlicht verhungert. Der Magen der armen Frau war so stark zusammengeschrumpft, dass man in selben nicht einmal mit einem Finger gelangen können. Solche Todesfälle würden sich bald häufen, schrieb der Verwalter, die wahre Brotnot würde jeden Begriff übersteigen, und die Leuthe würden in den Dörfern nur noch als Schatten herumb schwankentes ausgehungertes Volk erscheinen, und in viellen Dörfern gäbe es keinen Brocken Brot mehr und würden nur noch die Hunde haben. Brennnesseln, verdorbene Krautstingl und in blossem Wasser gesottene Petersilie“, so sähe derzeit die elende Kost der Bürger aus.
Nachdem landauf landab die Bäcker wegen Getreidemangels zu backen aufgehört hatten und das wenige Getreide viel zu teuer geworden war, sah er keinen Ausweg mehr.
Der Pfleger baten den Kurfürsten, das im Kötztinger Magazin (Zehentstadel) lagernde Getreide schnell und zügig verteilen zu lassen, später seie niemandem mehr geholfen, „jetzt können sich die armen Menschen mit der Gabe dann solang durchschlagen, bis von der Erdten andere essbare Gewächse hevorgeschoben würden“.


[1] HstA GL Fasc. 1624/4 vom 7. Mai 1772