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Freitag, 6. Mai 2022

Frauenschicksale im beginnenden 19. Jahrhundert

Das Kötztinger Heimatrecht und seine Fallstricke

StA Kötzting AA II 34 


Von wegen die "gute alte Zeit"......

Alles begann mit einem "etwas" seltsam adressierten Brief mit dem - einlaufenden - Datum des 9. Mai 1819 und abgeschickt von der Königlich preußischen Polizei-Dienststelle aus der Residenz in Potsdam:

StA Kötzting AA II 34

An
die königlich baerische wohllöbliche Obrigkeit über den
Markt Flecken Ketzing
unweit Straubing
an der Donau.

In dem Schreiben schilderte der Beamte, dass bereits im Februar die, "vorgeblich von hier" stammende und unverheiratete Anna oder Maria Denscherz, von Eilenburg her kommend, in Potsdam eingetroffen war. Vorher war sie vom Königreich Baiern wegen mangelnder Legitimation an der Grenze abgewiesen  und am 21.1 mit einem Transport via Leipzig und Eilenburg nach Preußen zurückgeschickt worden war.
Sie erläuterte nun in Potsdam ihre Verhältnisse und würde, bis diese geklärt wären, in "polizeiliche Haft genommen".
Sie sagte aus, sie sei eine Tochter des ehemaligen "Musketiers Dengscherz" vom vormaligen Regiments Sr. Majestät des Königs, 24 Jahre alt und, dass sich ihr " Vater im Jahre 1807 mit seiner Familie von hier fortbegeben habe um nach Baiern, seinem Vaterlande zurückzukehren. Unterwegs seien sie von dem Denscherz heimlich verlassen worden, und habe sich ihre Mutter nun nach ihrer Heimath, dem Flecken Ketzing unweit Straubing begeben, woselbst sie in das dortige Hospital aufgenommen war

Hier zunächst vorab eine Zeittafel zum besseren Verständnis:









Nun musste der Markt Kötzting reagieren, und in seinem Antwortschreiben findet sich auch das Erstellungsdatum des Ausgangsbriefes, es war der 26. April 1819. Zwei Wochen hatte es also gedauert, bis der Brief von Potsdam nach Kötzting gelangt war.
Der Marktrat fragte nun zuerst beim Pfarrer nach, und dieser konnte dann die Geburt und damit Abstammung der Mutter belegen.
Extract
Daß Anna Maria Denscherz des Georg Denscherz Inwohners zu Koetzing und der Maria Anna, gebohrne Schinaglin ehelich erzeugte Tochter im Jahre ein Tausend Siebenhundert neunzig und acht (1798) den 13. Jänner gebohren seye, bezeugt das
königl. Pfarramt
Kötzting den 15. May 1819  Sigismund Waldherr  Coop. et Prov.

Aus welcher Quelle die ebenfalls im Akt liegenden Abschriften aus Böhmen - bereits aus dem Jahre 1793 - stammten, kann nur vermutet werden, möglicherweise dienten sie zur Legitimation des Vaters bei seinem Wechsel von der Österreichischen zur Preußischen Armee. Nachdem A.M. Denscherz ja auch davon gesprochen hatte, dass der Vater die Mutter samt den Kindern(!) verlassen hatte, hatte sie damit nachweislich noch weitere Geschwister.
Zumindest ein weiterer Bruder und die Heirat der Eltern konnte durch einen Nachweis aus Böhmisch Krumau erbracht werden.
 
Hochzeit der Eltern vom 30.9.1781
Ich Endes gefertigter bescheinige, daß im Jahre Eintausend, Siebenhundert, ein und achtzig den 30ten Tag des Monats November in der Stadt Strakonitz in Gegenwarth des Herrn Regimentspaters Viktorin Pawlitschek getraut worden ses Georg Denkscherz, ein Recrout des Lobl. k:k: Graf Brechainvillischen Regiments, von Ketzten aus Baiern gebürthig, katholisscher Religion, und 19 Jahre alt, mit der Maria Anna Schinaglin, eben von Ketzten aus Baiern begürthig, katholischer Religion, ihres Alters 21 Jahre, wobei als Zeugen gewesen sind Christoph Resch Feldwäbel und Joseph Ittinger Kapellndiener des nemlichen Regiments. Also im Trauungsbuche fol. 21
Böhmisch Krumau den 26. Februar 1793 
In Abwesenheit des H Regimentspaters 
Jos. Waltinger Capl. senior ad Archidiaconal Eccl: S: Viti."

Geburt des Bruders 9.9.1788
Ich Endes gefertigter bescheinige, daß im Jahre Eintausend Siebenhundertm acht und achzig den 9ten des Monats September zu Temeswar in Ungarn gebohren und von dem Herrn P: Viktorin Pawlitschek getauft worden sey Friedrich Denkscherz ein eheliches Söhnlein des Georg Denkscherz Gemeinen von der Compagnie des Titl. Herrn Hauptmann von Theiß des löbl. k:k: Graf Brechainvillischen Regiments, und dessen Eheweib Maria Anna Denkscherz, gebohrene Schinaglin, beyde katholischer Religion, wobey als Zeug gewesen ist Friedrich Krenk gemeiner vom nemlichen Regiment. So in dem Taufbuch fol 35. 
Böhmisch Krumau den 26. Februar 1793
In Abwesenheit des H Regimentspaters 
Jos. Waltinger Capl. senior ad Archidiaconal Eccl: S: Viti."


Nun lag der Ball im Feld des Marktes und dieser antwortete etwas reserviert, man "fühle sich zur nachstehenden Erwiederung verpflichtet...."
Die Eltern seien "beide von hier gebürtige Inwohnersleute"
"Im ledigen Stande diente Denkscherz in der k: baierischen Armee, entwich aber meineidig, nahm seine Geliebte mit sich nach Böhmen" und erhielt als Rekrut des k:k: Regiment die Bewilligung zur Ehe und "diente Denkscherz länger als 10 Jahre bei diesem Regiment und erzeugte seinen erstgebohrenen Sohn Friedrich zu Temeswar in Ungarn."
Einschub
In diesem Absatz haben wir vermutlich auch bereits die Erklärung für die Flucht des Denkscherz, die Heiratserlaubnis.
Kötzting legte - auch gezwungen durch Anweisungen von Seiten der Regierung - großen Wert darauf, den Kreis der heimatberechtigten INWOHNER so klein als möglich zu halten, da diese in hohem Maße darauf angewiesen waren, vom Markt mitversorgt zu werden.
Aus diesem Grunde wurden den Angehörigen dieser Bevölkerungsschicht nur sehr hartleibig Genehmigungen zur Heirat erteilt, weil die zumeist zahlreichen Nachkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Markt zur Last fallen würden, da den Inwohnern viele Arbeitsmöglichkeiten versperrt waren/blieben.
In Böhmen ging man mit dieser Erlaubnis, v.a. bei Zuzüglern aus Bayern, die ja dort das Heimatrecht genossen, freier um, es kostete sie ja nichts.
Einschub Ende
Der Magistrat argumentierte weiter: "mündlich eingeholter, aber zuverlässiger Erfahrung nach, desertierte dann Denkscherz aus dem k:k: Österreichischen Kriegsdienste, begab sich in die k. preußische Staaten, wo  er bey Sr. Mayestät des Königs Regiment angenommen wurde."
Während seiner Zeit in Preußen sind offensichtlich zwei Kinder geboren worden, 
Anna Maria /die dermalen in Potsdam sich befindliche vorgeblich Anna oder Maria/ geboren am 26.4.1801 und Maria Rosina am 12.11.1803.
Warum und wo der Vater seine Familie verlassen hat und wo dieser sich nun befände, könne nicht festgestellt werden.

"Die Angabe der Denkscherz /zu Potsdam/ daß ihre Mutter, nachdem sie hirin in einem äußerst kranken bedauerungswürdigen Zustande angekommen, aus der Menschlichkeit schuldigem Mitleid in das dasige Hospital aufgenommen wurde, und da nach Verfluß ohngefähr eines Jahres verstorben sey, ist in Wahrheit begründet, so wie es wahr ist, daß Angeberin damalen sich hier befand und dann in Dienste nach Österreich verreiste."

Nun also zunächst ein Sprung zurück zur Mutter, 
Mit Datum des 1.12.1809 findet sich in den Kötztinger Sterbematrikeln tatsächlich eine Frau Anna Maria Denscherz, die im Alter von ca. 50 Jahren an der Lungensucht gestorben war.
Mit einem Geburtsdatum vom 21.9.1760, also passend ca. 50 Jahre zuvor, findet sich auch der dazugehörige Geburtseintrag der Anna Maria Schinagl, einer Inwohnerstochter des Tagelöhners Josef Schinagl und dessen Frau Walburga, einer geborenen Seemüller aus Oberpfaffenhofen.
Als Taufpatin findet sich die "Widumsbäuerin" - und das ist einer der seltenen Fälle, dass das Pfarrwidtum in den Dokumenten auftaucht - Appolonia Leidl. 



Gegen ihr Benehmen in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes in Kötzting gab es nichts einzuwenden, jedoch hat sie offensichtlich in Potsdam ihr Alter falsch angegeben.
Über die Geschwister kann nur soviel gesagt werden, dass sich ihre beiden Schwestern jeweils in Deggendorf und in München "dienend sich befinden", "von ihren beiden Brüdern Friedrich und Georg " aber gahr keine Spur ihres Daseins mehr zu erforschen sey."
Der Magistrat endet mit der sicheren Überzeugung, dass auch die preußische Polizeidirektion zu demselben Schlusse kommen würde/müsse, dass "die angehaltenen Denkscherz als Tochter eines  kais: königl: österreichischen und nachher königl. preußischen Soldaten auf keinem Falle dem ehemalig en Domicils ihrer Eltern folgen könne, wie es sowohlen die natürlich als passeitigen Geseze aussprechen.
Zu jeder amtlich Bereitwilligkeit empfielt sich der
Magistrat des k. Marktes Kötzting in Baiern."

Den Vorstoß aus Preußen konnte der Markt Kötzting noch abwehren, aber würde Anna Denkscherz nach ihrer Freilassung in Potsdam dann doch zurück nach Baiern ziehen, so fiele die ganze Angelegenheit nach ein paar Jahren doch wieder dem Markt auf die Füße. Und dies geschah bereits wenige Jahre danach.
Am 24. April 1823 berichtete des Landgericht Kötzting an den Markt und fordert von diesem eine Vormundschaft ein.
Die in Potsdam geborene Soldatentochter Anna Denscherz war wegen Kindesaussetzung zu einer 6 monatlichen Gefängnisstrafe verurteilt worden und das Landgericht, darüber informiert, fordert nun den Markt auf, dass dieser für das Kind sich um eine  Vormundschaftsstelle zu kümmern habe.
Der Vater des Kindes wäre der Soldat Georg Zöhrgraf, Soldat beim k. 2ten Jäger Bataillon und nach Angabe der Mutter ohne jegliches Vermögen.
Das "Domicil" der Anna Denkscherz ist, so das Landgericht,  eigentlich der Markt Kötzting, weil deren Mutter dort gebürtig war. 
Das LG gesteht durchaus zu, dass, sollte in der Zwischenzeit ein anderes Domicil - also ein Ort, der das Heimatrecht zu gewähren habe - ermittelt werden können, so sei die derzeitige Versorgung des Kindes als "provisorisch" zu betrachten. Der Markt wird aufgefordert, sofort zu reagieren, weil es "nicht gestattet werden kann, dass das Kind mit der Mutter im Strafarrest behalten werde.

Am 1. Mai antwortete der Markt kurz und bündig: "sowenig der Anna Denscherz Domicil im Markte Kötzting begründet" sei, "sowenig" könne " die Verpflegung ihres Kindes dem Marktsmagistrat obligen"
In diesem Schreiben nun konstatiert der Markt auch, dass, die "im Ausland geschlossene Ehe" der Eltern im Jahre 1808 als ungültig erklärt worden war. 
Einschub
Es steht - wegen der Jahreszahl - zu vermuten, dass der Markt damals bei der Aufnahme der Mutter ins Kötztinger Spital diesen Verwaltungsakt erzwungen bzw. zur Voraussetzung gemacht hatte, um durch diesen Trick nicht später für alle Nachkommen ihrer, nicht in Kötzting geborenen,  Kinder aufkommen zu müssen, was nun aber offensichtlich doch gefordert wurde, der Trick hatte also nicht geholfen.
Einschub Ende

Wohl würden, nach der Rechtslage, auch uneheliche Kinder das Heimatrecht der Mutter erwerben, jedoch seien die Kinder der Anna Maria Denscherz nicht unehelich und damit würde der Wohnort des Vaters das Domicil für die Kinder begründen. (Hier argumentiert der Markt plötzlich wieder mit der Rechtsgültigkeit der Ehe der Eltern)
Der nur kurzfristige und endgültige Aufenthalt der Mutter bis hin zu ihrem Tode würde aber keinen neuen Rechtsanspruch für deren Kinder erwecken.
Darüber hinaus würde sich diese Ablehnung auch dadurch begründen lassen, dass nach dem Tode der Mutter auf Kosten des Landgerichts über eben diese Anna Denscherz und ihre Schwester Rosina "bei dem Uhrmacher Lommer dahier in Erziehung und Unterhalt gegeben wurden und werden."
Der Markt lehne daher die Kostenübernahm für das Kind ab und bestreite diese Kosten - vorläufig - aus der Distriktsarmenkasse und "empfiehlt sich gehorsamst" dem Landgericht.

Nun folgt eine Pause/Lücke im Akt, bevor dann mit einem erneuten Schreiben vom LG an den Markt die Angelegenheit neu aufgerollt wird.
Am 24. September 1829 - mit dem Betreff "Entlassung der Anna Denkscherz" - wird der Markt darüber informiert, dass die Anna Denkscherz, in Wasserburg im Moment noch in Haft liegend, demnächst entlassen wird, und wie weiterhin zu verfahren sei.
Dem beiliegenden Protokoll aus Wasserburg ist zu entnehmen, dass Anna Denkscherz eine 5 jährige Haftzeit im dortigen Gefängnis abzusitzen hatte, die nun im Oktober enden würde.
Vor ihrer Entlassung musste sie sich in der Haftanstalt zu zwei Punkten äußern.
Erstens, wie sie sich künftig ernähren können würde und von welchen Personen sie möglicherweise Unterstützung erhalten würde. Ihre Aussagen wurden in "Ich-Form" protokolliert, jedoch ist es aufgrund mancher Wortwahl eher unwahrscheinlich, dass das ihre eigenen Worte gewesen waren..
"ad a: Ich war früher Hausmagd und nur als solche bin ich im Stande mein Fortkommen zu begründen.
Da ich durch die mehrjährige Detention sehr geschwächt bin und vorzüglich mit Brustschmerzen behaftet bin,  so bitte ich, daß es der Magistrat Kötzting genehmige, mich in so lange in einer Herberg aufhalten zu können, bis ich meine Effekten geordnet und andauernden Dienst ausgemittelt habe.
Bei meinen Verwandten finde ich ohnedies kein Anerkennen, an schon zur Zeit, als ich mit einem Kind versehen war, ließen sie mir ihre Abneigung fühlen.
ad b: Der Magistrat Kötzting ist also in jeder Hinsicht verbunden, für mein Fortkommen zu sorgen
Vorgelesen und unterzeichnet
Anna Denkscherz"

10.10.1829: Kötzting ist aber auch bei dieser Wendung der Ereignisse nicht bereit, von seinem Rechtsstandpunkt abzuweichen, und verweist auf seine  Argumentationskette aus dem SV von 1823. 
Offensichtlich war es dem Markt 1823 gelungen, den Unterhalt des kleinen Kindes abzulehnen, denn nun fordert der Magistrat, dass eben die Gemeinde, die der Magistrat allerdings nicht kennen würde, die aber damals für das Fortkommen des Kindes als zuständig ausgewählt worden war, nun auch für die Mutter aufzukommen habe.
Am 14.10. wurde Anna Denkscherz in Wasserburg aus dem Arbeitshaus entlassen und 6 Tage später steht sie vor dem Magistrat und lässt am 20.10. ihre Aussagen protokollieren.
Sie stellt den Antrag, dass sie sich für einige Zeit, bis sie ihre "Kleidung und Wasch" wieder zusammen gerichtet habe, "bei dem Uhrmacher Lommer, dahier im Leibthum auf der Stube, sich befinden dürfe".
Sie wisse, dass sie kein Heimatrecht in Kötzting begründen könne und dass sie zwar hierher gezogen sei, aber diese Kosten vom Landgericht bestritten worden seien.
Unter diesen Bedingungen war der Magistrat bereit, ihr eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen; gleichzeitig wird sie - als Bedingung - aufgefordert "eine gute gottesgefällige Aufführung zu pflegen und diesfahles sich keinen polizeilichen Rügen auszusetzen."

Unterschrift der Anna Denkscherz unter dieses Protokoll.


Zum Zwecke dieser Anreise nach Kötzting und auch als Entlassungspapier hatte ihr das LG Wasserburg eine Art von Passierschein ausgestellt, der diesem Protokoll beigelegt wurde.




Den 15. Oktober 1829 
Vorweis
Anna Denkscherzl ledige Soldatens Tochter aus Kötzting welche heute nach erstandener 5 jähriger Verwahrung mit hinlänglicherVerzehrung versehen, unter eindringenden Rückfalls=Warnungen aus dem hiesigen Zwangsarbeitshause mit dem besondern Auftrag fernen Fußes entlassen wurde, sich ungesäumt auf dem ihr vorgeschriebenen Wege nach Kötzting zu begeben, und allsogleich nach ihrer Ankunft bei dem dortigen königlichen Landgerichte sich zu stellen.
Marschroute: über Haag, Dorfen, Landshut, Straubing, Mitterfels nach Kötzting

Signalement:

Dieselbe ist 26 Jahre alt
hat Größe 5 Schuh 5 Zoll 1 Lins
dann dunkelbraune Haare
hohe gewölbte Stirn
braune Augen
lange spitzige Nase
weiten Mund
gesunde Gesichtsfarbe
starken Körperbau
besondere Kennzeichen: keine

Am Leibe trägt dieselbe ein geblümeltes Halstuch, ein gelb weiß braun gestreiftes persunes? Spenser und dergleichen Vortuch, ein blau weiß gestreift persunen Rock, weiße Strümpf und schwarz lederne Schuh. Dann auf dem Kopf ein schwarz Tüchl. Trägt in einem Tuchl noch einige Kleidungsstucken eingebunden bei sich."
Am Ende dieses Protokolls steht noch die Anweisung an den Kötztinger Amtsdiener Drickl "auf die Denscherzin ein obachtsames Auge zu verwenden" und jegliches Fehlverhalten sofort zu melden, was er mit seiner Unterschrift auch bestätigt.
Unterschrift: Drickl Amtsdiener
In einem - im Hintergrund zeitgleich ablaufenden - Schriftwechsel mit dem Landgericht gesteht der Markt zu, dass er der Anna Denscherz eine Frist von 4 Wochen einräumen würde, in der sie ihre "Effekten" sammeln könne. Erneut verweist der Magistrat aber auf die Gesetzeslage und lehnt nicht nur eine Kostenübernahme ab, sondern verweist auf die Verantwortung der Distriktsbehörde (=Landgericht) in diesem Falle.
Anna Denscherz ist nun eine Woche im Markt und schon kommt es zum nächsten Protokoll - der Markt möchte seine Rechtsposition (wer bezahlen muss) wasserdicht machen und sich seine einzelnen Punkte nun auch von Anna Denscherz bestätigen lassen.
Diese sagt aus, dass sie nach dem Tode der Mutter auf Kosten des Distrikts beim Uhrmacher Johann Lommer erzogen worden war, 26 Jahre alt sei, und erst vor einigen Tagen aus ihrem Strafort Wasserburg nach Kötzting gekommen und seither bei Johann Lommer wohne.
Die Betonung ihres Alters ist deshalb wichtig, damit es zu keiner Verwechslung mit ihrer Schwester gleichen Namens kommen konnte, die ja in Kötzting geboren wurde und daher natürlich Heimatrecht genoss, welches ihr ja verwehrt wurde.
Anna Denscherz gab zu Protokoll, dass sie für den nächsten Tag den Straubinger Boten erwarten würde, der ihr die im Gefängnis angesparten 16 Gulden überbringen sollte. Diese Summe würde sie in den Stand versetzen, nach Wien zu reisen und sich dort um einen ordentlichen Dienst zu bewerben.
Sie stellt daher den Antrag an den Magistrat, ihr ein Zeugnis auszustellen, damit sie sich "einen Paß ins Ausland erbitten" könne.
Der Magistrat bestätigt ihr eine unbescholtene Aufführung in Kötzting (sie ist eine Woche da) und stellt ihr ein solches Zeugnis (vermutlich sehr gerne) aus, nicht ohne erneut seine Rechtsposition der eigentlichen Zuständigkeit des Landgerichts zum wiederholten Male ins Protokoll zu schreiben.

Kötzting konnte natürlich aus dem 8-tägigen Aufenthalt der AD keine Aussagen über ihr Verhalten treffen, und noch dazu hatte das LG Kötzting selbstständig an die Behörde in Wasserburg geschrieben, um eine Beurteilung der Anna D. anzufordern, und deren Brief hatte es in sich:
Dort  kam zurück, "daß die entlaßene Anna Denkscherz während ihrer Detention im Zwangsorte wegen Faulheit, Unverträglichkeit, dann excessiven Hausordnungs widrigen Betragen einigesmal Hauspolizeilich corrigirt werden mußte und sich im allgmeinen als eine höchst verdorbene incorrigible Weibsperson dargestellt hat, die den Zustand der Freiheit nicht lange wird ertragen können, daher dieselbe zur bestmöglichen fernern Polizeiaufsicht empfohlen wird...." 

Das LG Kötzting folgt dem Magistrat in dessen Argumentation nicht, da ja die Eltern der A.D. in Kötzting unbestreitbar das Heimatrecht beanspruchen konnten, und schiebt den Ball postwendend wieder zurück ins Feld des Marktes, und so wird es November und das Landgericht fordert eine Entscheidung über eine "Ausmittlung des Heimatrechtes" für Anna  und Rosina Denscherz.
Auch A.D. erscheint erneut vor dem Magistrat und fordert eine Bescheinigung, dass ihr das provisorische Heimatrecht in Kötzting bestätigen würde, allerdings mit dem Bemerken, dass sie "glaubt, daß sie mit Recht auf dem Markt Anspruch nehmen könne" 
Nun wird der Ziehvater, Johann Lommer, Austrägler zu Kötzting und Vormund der Denkscherzischen Kinder" befragt, der aussagt, dass die Angaben der A.D. ganz richtig wären.
Ihr Vater war ein Nachtwächterssohn in Kötzting, dessen Vater selber wiederum nach Kötzting zugezogen war. Ihre Mutter hingegen sei eine Bürgerstochter von hier und eine Schwester
zu seiner Frau gewesen.
Nun beschrieb er die Situation seines Schwagers:
Georg Denscherz trat in Böhmische Kriegsdienst und verehelichte sich da mit der Maria Schinagl. Ich weiß aber nicht, hatte er eine Bewilligung zur Annahme fremder Kriegsdienst und zur Auswanderung. Georg Denscherz war nicht lange in Böhmen, so desertierte er, kam nach Kötzting, hielt sich etwa ein Jahr auf, gerieth in einen Raufhändl, ware er den Stricker Magg erschlug und flüchtete sich dann nach Preußen.
Sein Weib folgte ihm, blieb dort einige Zeit und kam in der Folge mit den zwei Kindern Anna und Rosina wieder nach Kötzting ohne dass ich weiß warum. Die Maria Schinagl wurde im Spital untergebracht, lebte noch ein Jahr und verschied sodann, worauf ich die beiden Kinder zur Auferziehung gegen Unterstützung erhielt.
Diese Kinder waren bestimmt bei eilf Jahren in Kötzting bis sie in die Fremde kamen um da ihr Fortkommen suchen mußten. Vom Vater dieser Kinder weiß man nichts, ob er noch lebt oder auch schon verstorben ist.

Einschub
Natürlich musste ich nachschauen, ob es in den Sterbematrikeln zu diesem Zeitraum einen Eintrag für einen Magg/Mack gibt. Leider hat der damalige Priester nur äußerst knappe Einträge verfasst.
Am 17.10.1797 wird ein lediger Mathias Mack im Alter von 32 Jahren beerdigt; könnte passen, muss aber nicht. 


Ein Blick in die Taufmatrikel zeigt nun die Geburt des Mathias Mack am 8.11.1766 und sein Vater ist ein Strumpfstricker. Nun passt das Bild schon besser.
Einschub Ende

Nun dreht sich das Karussell der immer wieder gleichen Argumente und Gegenargumente erneut, denn Kötzting besteht darauf, dass die Eltern durch den Umzug nach Böhmen und der dortigen (für Bayern) illegitimen Eheschließung ihr Heimatrecht in Kötzting verwirkt hätten.
 
Nun wird es der Januar 1830 und das Landgericht Kötzting entscheidet in "Sachen der Anna Denkscherz"  und zwar zugunsten des Domizils dieser Frau im Markte Kötzting.

Der Magistrat geht in Revision und schreibt an die Kammer des Inneren bei der Regierung des Unterdonaukreises, und begeht dabei aber einen fatalen Formfehler.
Der Markt hatte sich bei seinem Revisionsantrag zu viel Zeit gelassen, weshalb das Innenministerium nach Hinweis von Seiten des Landgerichts den Einspruch der Kötztinger abwies.
In beiden Scheiben (LG und Kammer des Inneren) wird darauf verwiesen, dass der Magistrat bei der Urteilsverkündung - trotz Aufforderung - nicht anwesend gewesen war und das Urteil somit schriftlich entgegen nehmen musste. Offensichtlich hatten die Herrn im Magistrat die Winterpause zu ausführlich genutzt und hatten nun, als sie Ende Januar dann endlich Einspruch erhoben, zu viel Zeit vergehen lassen.

Ein Sprung zurück um zwei Jahre und zu der Schwester Rosina Denscherz.

Der Bürgermeister des Jahres 1827 bestätigte der Rosina Denscherz, Tochter eines von hier gebürtigen Soldaten, dass "sie ein Vermögen nicht im geringsten besitze, da sie hier auf Kosten der Distriktsarmenkasse erzogen werden musste"
Rosa Denscherz wurde offensichtlich in München aufgegriffen und nach Kötzting abgeschoben, wozu man ihr in Oberbayern einen "Schubpaß" ausstellte.

Schubpaß
Vor und Zuname Rosa Dennscherz
Geburtsort unwissend wo, gelebt zu Kötzding Landgericht allda
Alter 25 Jahre
Größe 5´5´
Religion katholisch
Stand ledig
Profession gewesene Dienstmagd
Statur schlank
Trägt am Leibe:
Gelb und blau gestreiftes Janker, rothes Mieder, violet gestreiftes Fürtuch
braun und gelb gedupfter Rock, weisse Strümpf, Schuhe
Welche dahier wegen unerlaubten Aufenthalt aufgegriffen mit Arrest bestraft wurde, und über Freising an das Landgericht Kötzding  abzuliefern ist, wo dieselbe in Gemäßheit ihrer Angaben die Domizilrechte besitzt. Erhielt diesseits drey Tags Verpflegung.
Transportant hat mit ihm zu überliefern: Dienstbuch
München am 12. April 1828"

In diesem Schubpass sind nun sämtliche Tagestationen ihrer Rückreise nach Kötzting aufgeführt.
Zuerst gings von Freising nach Moosburg. Die Reise begann am 14.April1828.
"Wird nach erhaltener ganzer Tags Verpflegung nebst einen Dienstbuch dem k. Landgericht Moosburg gegen Rezepisse abgeliefert. Den 14t April 1828 königliches Landgericht Freising"

Dann erfolgte der Schub von  Moosburg nach Landshut
Landshut lieferte die R.D. dann in Mallersdorf/Pfaffenberg ab und von dort gings weiter nach Straubing. nach einer weiteren Station in Mitterfels kam dann Rosina Denscherz am 17.4.1828 im Landgericht Kötzting an.
Ähnlich wie bei der Schwester kommt es vor dem Magistrat gleich zu einem Protokoll.  Der Magistrat, der ihrer Schwester noch 4 Wochen zugestanden hatte, um sich nach dem Gefängnisaufenthalt zu sammeln, will der Rosina nur ganze 8 Tage bei ihrem Ziehvater gönnen.  

Unterschrift Rosina Denscherz

Offensichtlich versuchte Rosina Denscherz erneut ihr Glück in der Landeshauptstadt, denn im November desselben Jahres wird ihr erneut ein Schubpass ausgestellt
Das Vergehen diesmal nennt sich: "dienstloses vagieren", wofür sie ebenfalls mit Arrest bestraft wurde.
Am 11. November wurde sie in München abgeschickt, die Stationen sind dieselben wir beim Schub im April und am 17. November war sie wieder in LG Kötzting und wurde dem Magistrat vorgeführt, der gleich wieder ein Protokoll verfasste.



"Rosina Denscherz von Kötzting wird hiermit von Polizeiwegen zu einem geordneten Verdienst angewiesen, und beauftragt, sich ohne Polizeilichen Vorweiß nicht von hier zu entfernen.
Unterzeichnet auf Vorlesen: Rosina Denscherz.
"

Das Geschehen des Jahres 1828 scheint sich im Folgejahr zu wiederholen, nur jetzt  mit einer empfindlichen Züchtigungsstrafe verbunden.
In Achdorf bei Landshut wurde sie aufgegriffen und nach dreitägigem Arrest mit dem Auftrage entlassen, sich zusammen mit ihrem Dienstbuch auf den Weg nach Kötzting zu machen, dem sie allerdings nicht Folge leistete und erneut in Achdorf aufgegriffen wurde.
Nun allerdings wurde sie neben einem weitere Arrest vom Graf Arcoschen Patrimoniumsgericht mit "8 Ruthenstreichen" bestraft, an das LG Landshut übergeben, das einen erneuten Schub nach Kötzting veranlasste. 
In Kötzting wurde sie sogleich vom Ratsdiener zum Rat gebracht, wo man ihr in Form eines schriftlichen Protokolls all ihre aktenkundigen "Verfehlungen" und die bereits verfügten Strafen vor- und festhielt. Danach kam es von Seiten des Magistrats endgültig zur Forderung, sie müsse sich binnen 8 Tagen eine Anstellung suchen oder aber sie würde als "arbeitsscheue Person mit den geeigneten polizeilichen Mitteln" behandelt.
Ansonsten solle der Amtsdiener seine Aufmerksamkeit auf diese Person richten und im Falle, er etwas Unanständiges an selbiger bemerkt, seine Anzeige zu machen.
Mit diesem Protokoll endet zunächst der Vorgang über die beiden Schwestern.

Im Jahre 1847 interessiert sich plötzlich das Landgericht - in Form des Landrichters von Paur - für die Rosina Denscherz, respektive ihren im Jahre 1826 in München geborenen Sohn.
Der Hintergrund ist die Aushebung und Musterung der Rekruten des Jahrgangs 1826
Betr. der Conskription der Altersklasse 15826 betr.
Derselbe (der angeschriebene Markt Kötzting) wird aufgefordert, baldest anzuzeigen, ob die Taglöhnerstochter Rosina Denscherz von Kötzting zur Zeit noch ihre Heimath zu Kötzting habe, und ob ihr im Jahre 1826 zu München geborener ausserehelicher Sohn Georg Denscherz noch lebe, dann wo er sich aufhalte.
Der königliche Landrichter
Paur"


Kötzting kann nach Nachfragen beim Pfarrer in Kötzting und den Behörden in München die Nachricht, dass der kleine Georg bereits kurz nach seiner Geburt in München verstorben sei , an das Landgericht weiterreichen.

Zwei ganz spezielle Dokumente liegen dem Akt noch bei.
Der eine ist ein handschriftlicher Brief der Rosina Denscherz an den Kötztinger Marktschreiber aus dem Jahre 1840


An den Marktschreiber in Kötzting in Wald
Wohlgeboren Frey A Kötzting


Ingolstadt am 2ten April 1840
Hochzuverehrenter Herr Marktschreiber und Herr Vater Lommer
Verzeihen Sie mir daß ich ihnen mit einen Schreiben überlästige, in dem ich von einem Zeschainer Bradikanten(?) mit Namen Reimer, mit 2 Knaben bin entbunden worden, wo gegenwärtig das Schreiben in unser Landgericht ist abgeschickt worden, so bitte ich ihnen so wie Herrn Vater, mir doch das Beste zu reden, und das Herr Vater zu gleich den Vormund machen möchte. Die Kinder bleiben zwar hier in der Kost, es würde den Herrn Vater doch nicht so viel Mühe machen, er hätte sich monatlich auf 3 Gulden eingelassen und 10 Gulden Kindbettgeld mit diesen kann ich aber nicht zufrieden sein, wo sie selbst wissen, daß ich Aelternlos bin und unter fremde Leute herum Irren muß. So bitte ich Herrn Vater wen er befragt würd, als Vormund, so möchte er nicht wöniger Sprechen
"



als monatlich 7 fl: und Kindtbett 15 fl man muß sich nach seinen Gehalt richten, den er hat monatlioch 60 fl, so kann ers schon machen. Verehrtester Herr Vater nochmall bitte ich ihnen mir doch dieses nicht abzuschlagen, daß sie Vormunderstehle vertreten, und dan gieb ich vor die Kinder 100 fl auf Zinsen welche mir mein Liebhaber vermacht hat, eh er gestorben ist. Bitte aber von diesem Geld in das Armenzeugnis nichts hinein zu schreiben das Geld schicke ich ihnen dann selbst, damit sie es auf einen sicheren Platz thun können. Bester Herr Vater und Herr Marktschreiber. Ich kann ihnen sagen, daß es mir bis dato noch nicht schlecht ergangen hat. Leyder aber, daß ich in diesem Fall gekommen bin, würde mein Liebhaber nicht gestorben seyn, so wäre es gewiss nicht geschähen, mein Liebhaber, wo ich geheiratet hätte ist zu Haus gereist um seinen Heimatschein, da erkrankte er und starb, und hat mir die 100 fl"


"Vermacht. Gleich aber nach seinem Absterben konnte ich nach Pappenheim heurathen, leyder aber habe ich mich schon mit diesen verfehlt gehabt, denn da hat mich nur die Schönheit verführt.
Bitte ihnen auch bester Herr Vater sagen Sie doch zu ihrer Frau und Lena nichts, sonst werde ich im ganzen Markt herum getragen. Jetzt grüße ich Ihnen so wie ihre Frau und Töchter recht herzlich, xx auch Herrn Vater recht villmall. Leben sie recht wohl das wünscht  von Herzen
Ihre
Dankbahrste Rosina Denscherzin

An
Rosina Denscherzin abzugeben bey Sabina Häufel Haus Nr. 122 in Ingolstadt."


Das zweite Schmankerl, das diesem Akt beigebunden ist, ist das "Dienstbüchl "der Rosina Denscherz.


Hier finden wir auch eine Personenbeschreibung der Rosina Denscherz mit einem besonderen Zusatz:
Alter: 23 Jahr
Angesicht: voll
Augen: braun
Nase: proportioniert
Augenbrauen: Schwarz
Haare Schwarz
Größe: schlank
Aussprache: waldlerisch(!)


Hier der Eintrag der Münchner Siegellackfabrikantin Eliese Jung, bei der Rosina Denscherz als Köchin angestellt war und die ihr bescheinigte, treu und fleißig gedient zu haben.


Ein Sterbeeintrag für die Rosina Denscherz ist nicht in Kötzting zu finden, jedoch ist am 26.2.1880 ein Eintrag in den Kötztinger Sterbematrikeln, der eine Anna Denscherz im Alter von 78 Jahren nachweist.
Dort heißt es, dass die Spitalspfründtnerin an Altersschwäche gestorben sei. 
Der Name passt, das Alter passt und die Tatsache, dass sie ihren Lebensabend im Spital verbringen musste, passt ebenfalls zu ihrer Lebenssituation.