In der Bildersammlung des Stadtarchives befinden sich viele Beispiele von damals tagesaktuellen Veranstaltungen oder Berichten über Handel und Gewerbe, die uns einen kleinen "Blick zurück" erlauben; zurück auf Menschen, die schon lange verstorben sind oder Orte und Plätze, die es ebenfalls schon lange nicht mehr gibt. Mit dieser Reihe an Blogbeiträgen soll diese Erinnerungskultur ermöglicht werden; eine Erinnerung an ein Kötzting mit viel Handel, Handwerk, Vereinsleben und Gasthäusern, mit Jahrtagen, Bällen, und vor allem mit Menschen.
Unsere Bildersammlung ist die eine wichtige Quelle für diesen Blog, eine andere sind die Tageszeitungen Kötzting, seit 1900 der Kötztinger Anzeiger und seit 1928 die Kötztinger Zeitung. Die Erste überlebte das Dritte Reich nicht und die Zweite erschien nach einer kurzen Pause nach dem Krieg wieder in unveränderter Form. Als zweite Zeitung kam dann sogar etwas früher die Lokalausgabe der Mittelbayerischen Zeitung, die Kötztinger Umschau hinzu.
Bei der Erarbeitung des Materials für die Jahreschroniken 1925 und 1975, also kurz für Kötzting vor 100 bzw. vor 50 Jahren fielen mit zwei Artikel auf, die nicht nur im Abstand von 50 Jahren das gleiche Thema bearbeiteten, sondern sogar aufeinander Bezug nahmen. Dies stellt für mich einen bisher einzigartigen Fund dar, von dem ich hier berichten möchte.
Den Anfang dieses besonderen Fundes war ein Zeitungsbericht - geschrieben von der Chefin selber, Frau Renate Serwuschok - in der Umschau vom April 1975, der auf die bevorstehende Aufführung des Singstückes "Der Holleduaer Fidel" durch das Südostbayerische Städtetheater in der Jahnhalle verwies und auch in dem Vorbericht bereits hervorhob, dass es die Kötztinger selber gewesen waren, die dieses Stück vor gut 50 Jahren aufgeführt hatte.
In ihrer Titelzeile schrieb Frau Serwuschok, dass es zwar nur "spärliche Dokumente", jedoch viele "lebhafte Erinnerungen" an die Aufführung des MGOV gäbe. Eine Aussage zur Dokumentenlage, die sicherlich für 1975 korrekt ist. Sie konnte aber noch Zeitzeugen befragen, die uns heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Und einer davon - der früher sogar Teil des Kötztinger Orchesters gewesen war - war Franz Wensauer, der zusammen mit dem Bader August Hofner viel zu erzählen wusste.
So konnte Frau Serwuschok viele Details von den Zeitzeugen erfahren:




Was mit hier besonders gefällt. ist die "Reaktion" des Publikums, die ähnlich wie heutzutage bei der "Rocky Horror Picture Show", Teil der Aufführung geworden waren.
Nun aber zurück zu meinen Recherchen. Franz Wensauer war sich nicht mehr ganz sicher, ob es 1923 oder 1924 gewesen sei, als er Teil der Aufführung gewesen war. Beide Jahresausgaben des Kötztinger Anzeigers haben sich in München erhalten, weshalb es nicht schwer gewesen war, das richtige Datum herauszufinden.
Zunächst jedoch gilt es die Entwicklung des Kötztinger MGOVs vorzustellen, die sich damals von Aufgabe zu Aufgabe steigern konnten und deren damaliger künstlerische Aufschwung eben mit diesem Singspiel begonnen hatte, der sich bis zur Aufführung einer kompletten Operette im Jahre 1925 dann steigern noch weiter konnte.
Aus diesem Grund hier zunächst die Rezension einer Operette, in der der Reporter 1925 den Bogen vom Holledauer Fidel des Jahres 1923 bis zu dieser Operette schlug.
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Hier die komplette Besetzung beim Singspiel von der "Winzerliesl", der Kötztinger MGOV also in seiner Großbesetzung. Schön zu sehen und ein weiterer Beweis für seine gute Integration im bürgerlichen Kötzting ist die Mitgliedschaft der Julius Kirschner im Orchester. |
Im Zeitungsartikel befindet sich eine bessere Personenbeschreibung der dargestellten Personen, als wir sie selber in unserer Sammlung haben. Wir haben das bessere Bild aber Frau Serwuschok hatte eine bessere Beschreibung.
1. Reihe v.l. N.N., Michael Herre, Kooperator , Franz Liebl,Lehrer Weiß, Hermannsdorfer, Franz Wensauer, Andreas Krämer
2. Reihe v.l. Sperl Schorsch, Albin Klingseisen, Rösch, Fuchs, Siertle, Georg Schmidl, Frl Lukas, Alfons Liebl, August Hofner, Julius Kirschner, Franz Kulzer, Franz Heigl
3. Reihe: Zenta Zeuner, Gretl Lesßzkeur (verh. Lautenschlager), Käthe Schmidl, Frau Forster, N.N., Maria Praller, Rudi Michl, Klara Tethbauer, F. Kaffka, Greisinger, Elise Waldmann, N.N., Gretl Hofner
4. Reihe: Pleyer, Bindl Franz, Amalie Heigl (verh. Mehringer, Gendarm, Lina Hörauf verh Wolf, Fritz, N.N., Mädchen mit Kranz, Josef Dittrich, N.N., N.N., dahinter Amor Tochter des Marktschreibers Forster.
Die Winzerliesl war die Großproduktion des Jahres 1924 und aufgeführt wurde sie vom 1. FC Kötzting, was ebenfalls wieder den Bogen zu Julius Kirschner schließt, den man mit Fug und Recht als den damaligen "Mr. FC Kötzting" bezeichnen könnte.
Nun aber zu dem historischen "Dokumenten", die sich von der Kötztinger Aufführung des Holledauer Fidels erhalten haben:
Im Februar, noch unter den Spätwirkungen der Hyperinflation leidend und aus Solidarität mit den Bewohnern des Ruhrgebietes, lud die "Deutsche Wacht", eine patriotische überparteiliche Vereinigung, in den Januelsaal, zur Vorführung des Singspiels von der Holledauer Fidel.
Der Eintrittspreis - ganz war die Inflation noch nicht abgeklungen - betrug stolze 500 Mark. Das Zeitungspapier war teuer und die Druckerschwärze ebenfalls, was man der Druckqualität der damaligen Tageszeitung auch ansah.
Und dann der Bericht über die Premiere:
Wie sich Franz Wensauer richtig erinnerte, musste die Aufführung mehrfach wiederholt werden und, wie im einleitenden Bericht erwähnt wurde, war es für das Publikum und die Darsteller ein Vergnügen gewesen, da sich sogar aufeinander reagierten.
Und nun noch einmal zurück zum Anfang und zum Bericht der redaktionsleiterin Frau Serwuschok, die ihre Rezension der 1975er Aufführung fast im Stile ihres Scheinwerfers entwarf und am Ende es erneut schaffte den Bogen von 1925 nach 1975 zu schließen.
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KU von 1975 |
Das NB - Nota Bene - hier nun ganz groß.
Nicht nur für Haymo Richter gab es ein überraschendes Treffen, sondern die Ehefrau des erwähnten Kreisbaumeisters Hermann Seilers war Ida, die Schwester Julius Kirschners, die anders als die Familie ihres Bruders die Naziherrschaft überleben konnte.
Ich schließe mit den Worten von Frau Serwuschok: "Man möchts wirklich nicht glauben!!!!