Michael Heigl befand sich auf dem Kriegspfad mit den herrschenden Gesetzen, aber sicherlich hatten auch die Bedingungen, unter denen damals die "kleinen" Leute zu leiden hatten, ihren Anteil an seiner Karriere, die ihn dann schlussendlich zum Anführer der "Räuber-Heigl-Bande" machten.
Foto Pongratz: Das Hinweisschild für die Höhenwanderung zum Kaitersberg an der Kötztinger Hauswand beim "Dietl-Beck" |
Einleitung
Wir werden in dieser Reihe unterschiedliche Bandenmitglieder kennen lernen, von seinen Kindern, Brüdern, Freundinnen und anderen "Wegbegleitern" erfahren und sehen, dass nicht jedes Verbrechen, das während des Zeitraums seiner Flucht in unserer Gegend geschah und reflexartig "dem Heigl" zugeordnet wurde, dann auch von ihm tatsächlich verübt worden war. Wir werden übergriffigen Gendarmen und hilflosen Beamten begegnen und vielleicht entsteht auf diese Weise auch eine kleine Sozialgeschichte unseres Raumes.
So stellt sich bei diese umfangreiche Dokumentation immer wieder die Frage: War Michael Heigl ein verbrecherischer Räuber oder möglicherweise nur ein Opfer der Umstände?
Es gab bereits einen kleinen Beitrag zu diesem Thema auf diesem Blog:
Zum Einstieg: ein Bild und seine Geschichte: das Laumerhaus von Gotzendorf
Bild Krämer Archiv: Ein heimlicher Blick hinaus aus der hohlen "Heigl-Linde" in Gotzendorf |
In dieser Dokumentation, die viele Teile umfassen wird, geht es um eine Auswertung und Einordnung der umfangreichen Informationen, die wir von Heigl überliefert bekommen haben, aus den Polizeiakten, den Protokollen seines Straf- und Revisionsprozesses, dem Begnadigungsvorgang und nicht zuletzt auch am Rande um eine kritische Würdigung der zeitgenössischen und späteren Berichte in Zeitungen und Büchern.
Michael Heigls "Karriere" als gesuchter Krimineller besteht aus zwei Teilen. Viele der Taten, die ihm als Jugendlicher bzw. junger Mann zugeschrieben wurden, scheinen mir eher aus dem Bereich der sonntäglichen Feuilleton-Beilagen der großen Zeitungen zu stammen Es gab auch in den damaligen Zeiten bereits Reporter überregionaler Zeitungen, die während der spektakulär langen späteren Jagd auf den Heigl und dem danach folgenden Prozess auch "Human-Interest-Stories" benötigten, damit sich ihre Leser beim sonntäglichen Kaffee und Kuchen auch ein wenig gruseln konnten. Sie recherchierten ein wenig vor Ort oder sprachen mit jemandem, der mal vor Ort gewesen war, und versuchten aus diesen Informationen ein Bild zu erschaffen, welches die spätere Karriere als Schwerkrimineller erklären sollte.
Dabei waren die Reporter/Autoren nicht mal in der Lage - oder willens -, sein genaues Geburtsdatum in Erfahrung zu bringen bzw. seinen Geburtsort von den Menschen zu erfahren, die doch angeblich so genau zu wissen vorgaben, was der kleine Michael Heigl für ein Schlingel gewesen sein sollte. Auch die Behörden- und Anklagevertreter hatten sich nicht die Mühe gemacht, diese Daten in Erfahrung zu bringen, sondern sprachen immer nur von dem "Beckendorfer Inwohnerssohn" mit einem Geburtsdatum von 1816.
Von den sozialen Umständen, die viele junge Menschen im Bayerischen Wald fast zwangsweise auf die schiefe Bahn gebracht hatten - nicht jeder machte dabei allerdings den Sprung hin zum großen Räuber -, ist natürlich in den Räuberpistolen der Gazetten nicht die Rede gewesen, denn dies hätte ja wie eine offene Kritik an den damals herrschenden Zuständen in Bayern ausgesehen.
Die Verantwortlichen vor Ort allerdings - vor allem in Person des damaligen Kötztinger Landrichters Carl von Paur - sahen und benannten die Probleme und die daraus resultierenden Folgen schonungslos.
Die Entstehung einer immer größer werdenden Schicht an sozial benachteiligten Familien führte nicht nur fast zwangsweise zu einer Lebensweise außerhalb der Normen der Gesellschaft, sondern ermöglichte es den damaligen Tätern auch, sich innerhalb dieser Gesellschaftsschicht zu verbergen, Unterstützung zu finden und sich lange Zeit erfolgreich einem Zugriff zu entziehen.
Foto Pongratz StA Landshut Regierung von Niederbayern KdI Nr. 63944 I-III |
Auf nur noch drei solcher Aktenbände ist der Untersuchungsbericht des Landgerichts Kötzting nach Abschluss des Gerichtsverfahrens eingedampft worden, zusammen vielleicht gut 1000 Seiten sind uns noch erhalten..
Im dritten Bündel befindet sich eine summarische Zusammenstellung, die damals eigens für eine angereiste Regierungskommission erstellt worden war.
StA Landshut Regierung von Niederbayern KdI Nr. 63944 III |
Summarische
Übersicht
der polizeylichen
Verfügungen des
Koeniglichen Landgerichts Kötzting
seit Ende des Jahres 1845
bezüglich der Verhaftung des flüchtigen Verbrechers
Michael Heigl von Beckendorf
und der Beseitigung seines Anhangs.
1853
Gleich zu Anfang seiner Übersicht benennt der Protokollant den Umfang der vermuteten Straftaten:
StA Landshut Regierung von Niederbayern KdI Nr. 63944 III IMG8760 |
Hier haben wir also gleich zu Anfang die Bestätigung, dass die, später genauer beschriebene, anekdotische Flucht - mit Zurücklassung seines Hutes - sich tatsächlich genauso abgespielt hatte. Die weitere humoristische Ausschmückung dieser Flucht mit "Rede und Gegenrede" zwischen Heigl und den Gendarmen - "Wos is eijtz, pack mas wieda?" - ist jedoch nur eine schöne Stammtischgeschichte, die von Herrn Haymo Richter - einem von mir persönlich sehr geschätzten Heimatforscherkollegen aus Kötzting - sehr gerne und sehr oft und auch mit viel Erfolg zum Besten gegeben wird.
Anschließend stellt er in Tabellenform die einzelnen Straftatbestände und die Maßnahmen von Seiten des Landgerichts und der Gendarmerie dar, hier der Anfang:
17.11.1845 |
Gendarmerieanzeige: Verhaftung des Josef Dobmeier von Watzlhof der Verbindung mit Heigl verdächtig
und wegen Müßiggangs angezeigt. War mit Heigl im Wirtshaus zu Thenning
zusammen mit Josef Schuderer von
Thenning. |
13.12.1845 |
Michael Fechter ledig aus Gotzendorf
des Umgangs mit Heigl dringend verdächtigt |
15.12.1845 |
Gendarmerieanzeige: Heigl war am 12.11.im Wirtshaus zu
Thenning , trank, aß und ließ sich aufspielen durch die Musiker Wolfgang und Franz Brandl von Ansdorf |
17.12.1845 |
Suche unter
Leitung von durch Carl von Paur :
von 2-8 Uhr früh mit Gendarmerie, Forstpersonal und Gerichtsdiener,
Suche nach den Schlupfwinkeln in den Gemeinden: Gotzendorf, Arndorf,
Grafenwiesen und Ansdorf |
20.12.1845 |
Josef
Schreil Häuslerssohn von Reitenstein
der Teilnahme und Verbindung mit Heigl verdächtig |
Erst ab dieser Zeit kann man eigentlich von einem "Räuber Heigl" sprechen, zu diesem Zeitpunkt war er aber bereits 29 - nach amtlicher Zählung - bzw. 28 - nach meiner Zählung - Jahre alt gewesen.
Michael Heigl und seine Familie
PfA Rimbach Geburtseintrag des Michael Heigl, Danke an Herrn Alfred Silberbauer für diesen Fund. |
Was diesen Geburtseintrag so besonders macht, ist der äußerst seltene Hinweis auf eine Hausnummer.
Schreiben des BZA Regensburg vom 18.3.2020 |
Michael Heigls Eltern heirateten als Inwohnerleute mit dem damaligen Wohnsitz in Beckendorf, weshalb das Paar und alle ihr noch folgenden Kinder, egal wo und an welchen Orten diese geboren wurden, zunächst einmal das Beckendorfer Heimatrecht erhielten.
Dies ist einer der Gründe, warum eine Heiratserlaubnis an (nichtbesitzende) Inwohner nur sehr restriktiv ausgesprochen wurden und die Zahl der unehelich geborenen Kinder im Vergleich zu der der ehelich geborenen über die Jahrhunderte regelrecht explodierte.
Nach dem damaligen Recht blieb also unser Michael Heigl ein Beckendorfer Inwohnsersohn, auch wenn er in Ramsried auf die Welt gekommen war.
Die Heigl-Kernfamilie:
Heigl Josef, der Sohn des Beckendorfer Inwohners Wolfgang Heigl und der Anna, einer geborenen
Egner aus Wettzell, heiratet am 8.2.1803
in Kötzting Anna Zisslsberger, die Tochter des Häuslers Georg und der Anna
Maria geb. Dreger aus Grafenwiesen.
Die Trauzeugen waren der Schneider Adam Vest und der Häusler Josef Hasensteiner, beide aus Reitenstein
(Pfarrmatrikel Kötzting 408/84)
Nimmt man nun diese erste Tochter, Theresia Heigl, als Beispiel für die damalige Vergabe des Heimatrecht, so hätte Therese - wäre sie am Leben geblieben - ihr Leben lang als Inwohnertochter aus Haus gegolten, da ihre Mutter bis zu ihrer Verheiratung dieses von ihrer Geburtsgemeinde Haus "genoss".
Name |
Geburtsdatum |
Wohnort und Beruf des |
Taufpate |
Pfarrmatrikel |
Bemerkungen |
|
Theresia |
7.6.1798 |
Vater aus Beckendorf, die Mutter aus Haus |
Zisslsberger
Anna Maria Haus |
173/182 |
unehelich + 7.6.1800 in
Beckendorf |
|
Johann Georg |
28.6.1803 |
Inwohner
Beckendorf |
Stoiber Georg
Söldnerssohn Beckendorf |
180/94 |
+9.7.1805 an
den Pocken mit 2 Jahren |
|
Josef |
1.7.1804 |
Inwohner
Reitenstein |
Stoiber Georg
Söldner |
182/142 |
1.7.1804 4 Monate zu früh
geboren |
|
Josef |
18.6.1805 |
Inwohner
Beckendorf |
Stoiber Georg |
184/174 |
|
|
Anna Maria |
28.11.1807 |
Inwohner
Beckendorf |
Stoiber Anna
Maria Söldnerin Beckendorf |
188/244 |
|
|
Johann Bapt.
und |
4.12.1809 |
Inwohner
Fessmannsdorf |
Heigl Johann Söldnerssohn
Beckendorf |
190/298 |
|
|
Barbara
Zwillinge |
4.12.1809 |
|
|
|
+ 26.3.1810
an der Frais mit 4 Monaten |
|
Wolfgang |
14.1.1812 |
Inwohner
Fessmannsdorf |
Heigl Johann Bauernknecht
Beckendorf |
194/15 |
|
|
Martin |
11.11.1813 |
Inwohner
Fessmannsdorf |
Forster Barbara
Inwohnerin Beckendorf |
197/46 |
|
|
Michael |
12.5.1817 |
Hüter Ramsried |
Michael Heigl |
Rimbach |
|
|
Adam |
14.11.1818 |
Hirte
Ramsried |
Heigl Michael
lediger Knecht Bruder des Vaters |
Rimbach |
|
|
Wolfgang |
Nicht
gefunden |
|
|
|
Angeblich
jüngerer Bruder des Adam |
|
Therese |
2.9.1821 |
Taglöhner |
Theresia
Reihel Schusterin Ramsried |
|
+ 14.9.1821 An der Fraiß
mit 2 Wochen |
Bereits 1809 verließen die beiden Beckendorf und landeten - nach einem Intermezzo in Fessmannsdorf - im Zeitraum zwischen 1813 und 1817 in Ramsried, wo der Vater spätestens ab 1817 als Hirte und Taglöhner angegeben ist.
Im beginnenden 19. Jahrhundert wurden manche Dörfer zeitweilig zu "Verwaltungseinheiten" zusammengeschlossen, die vorher und auch nachher nie zusammengehört hatten.
Ramsried wurde 1811 dem Steuerdistrikt Haus zugeschlagen und dessen Nummerierung begann in der Liste zuerst einmal mit den Hauser Bewohnern. Danach schlossen sich die Englmühle und Voggendorf an, bevor es mit der laufenden Hausnummer 61 dann mit den Ramsrieder Untertanen weiterging.
Dieses erste Ramsrieder Anwesen, das im Rustikalsteuerkataster auftaucht, beinhaltet gleich drei (Steuer)Hausnummern UND enthält ein Inhaus, also ein Gebäude, in dem Inwohner aufgenommen werden können.
StA Landshut Rentamt Kötzting B 23 Haus |
Im Liquidationsprotokoll vom 29. November 1838 ist der "ganze Hacklhof" unter den Hausnummern 5 und 6 vorgetragen mit dem Vermerk, dass Georg Hackl diesen Hof im Jahre 1793 von seinem Vater um 1995 Gulden übernommen hatte.
Die Hausnummern 1 und 2 gehörten damals dem sogenannten Nickelhof, bei dem dann sogar ein Vermerk steht:
Vermessungsamt Cham Liquidationsprotokoll Ramsried |
Detail aus Bayernatlas.de |
Detail aus Bayernatlas.de |
Auch Heigl Michaels Großeltern können ermittelt werden und geben einen weiteren Hinweis auf die prekäre Situation der ganzen Heigl Großfamilie. Die erste Heirat seines Großvaters ist uns noch unbekannt, aber bei der Geburt von zweien ihrer Kinder werden die Eltern als Johann Wolfgang Heigl und dessen Ehefrau (Anna) Maria Hackl aus Höllenstein angegeben. Heigl Anna Maria stirbt nach zwei Geburten im Jahre 1772 und am 26.4.1774 heiratete der Witwer und Söldner Wolfgang Heigl aus Beckendorf Egner Anna die Tochter des Söldners Egner Wolfgang und seiner Frau Magdalena aus Wettzell. PfM Kötzting 387/200
Das Paar hatte vier Kinder Josef 1775 (Vater unseres Michael) - Andreas 1779 - Johann Wolfgang 1780 (dieser wird Zimmermann in Beckendorf und stirbt 1844 an Lungenentzündung) - Michael 1782 (Dieser Michael, der Onkel unseres Michael wird später sein Taufpate und arbeitet in Beckendorf)
Ein Sohn Adam aus erster Ehe, dessen Geburt wir ebenso wenig in Kötzting finden können wie die Hochzeit der Eltern, gibt diese Ehepartner der ersten Ehe bei seiner eigenen Hochzeit im Jahre 1776 als seine Eltern an – und zusätzlich als Sicherheit, dass wir auch das richtige Paar haben - dass seine Mutter bereits verstorben sei.
Allgemeine Zeitung vom 20.8.1813 |
Pfarrmatrikel Kötzting Band 20 Sterbematrikel |
"Haus Nro 8 Beim Heugl
für die Wolfgang Fürst minderjährigen Relikten Eva und Anna Maria Fürst".
Die Heigl-Sölde wird im Liquidationsprotokoll beschrieben mit: "Wohnhaus samt Stübel und Stall unter einem Dache, besonderer Stadel, Getreidekasten, Backofen und Hofraum." |
Hier nun, nach der Darstellung der Abstammung und der näheren Verwandtschaft unseres Michael Heigl endet der erste Teil, beim nächsten versuche ich die möglichen Wohnorte der Heigls in Beckendorf zu untersuchen, wobei es sogar ein altes Foto gibt, das uns weiterhelfen KÖNNTE.
Detail aus Bayernatlas. de, die Heiglsölde Hausnummer 8 in Beckendorf |
Teil 1 der Dokumentation: Der Familienverband des Michael Heigl
Teil 2 Die Heigls in Beckendorf
Servus,
AntwortenLöschenhochinteressante Geschichte(n) über den Räuber Heigl, in dessen Höhle (samt oberem "Geheim"ausgang) auch ich als Jüngling auf dem Wanderweg zum Kreuzfelsen regelmäßig herumgekraxelt bin. Allerdings steht im allwissenden Triviallexikon Wikipedia noch das falsche Geburtdatum (August 1816)...
Da hat halt einer vom anderen abgeschrieben und die Trivialliteratur verbreitet es dann und am Ende stehts so in Wikipedia.
LöschenIch habe den echten Geburtseintrag ja auch erst vor wenigen Jahren gefunden, bis dahin bin ich auch vom Jahre 1816 ausgegangen..