Der gegebene Text basiert auf einem historischen Aufsatz von Ludwig Baumann mit dem Titel „Kötzting um das Jahr 1412 - ein Lebensbild“, der ursprünglich 1996 veröffentlicht wurde und nun online neu herausgegeben wird. Der Beitrag beleuchtet das mittelalterliche Leben in der bayerischen Marktgemeinde Kötzting, wobei er sich insbesondere auf die Zeit um 1412 konzentriert, die als legendärer Beginn des christlichen Pfingstritts gilt. Der Autor beschreibt Aspekte wie die Entwicklung von Familiennamen, die Struktur des Handels und Handwerks (etwa die Flößerei und die Badstuben), die Selbstverwaltung des Marktes durch den Rat und die Rechtslage der Bauern unter der Grundherrschaft des Klosters Rott. Er schließt mit einer Beschreibung des bäuerlichen Alltags, der Dreifelderwirtschaft und der zentralen Rolle des religiösen Glaubens.
Am Ende des Originalbeitrages folgt dann zusätzlich noch eine Auswertig in Hinblick auf die Fragestellung der Pfingstrittlegende und des Wohnens und Lebens im Kötzting des Jahres 1412.
Eine zusätzliche Möglichkeit ergibt sich dann noch durch die Erstellung eines Podcastes, in dem in einem lockeren Zweiergespräch mit Fragen und Antworten der Beitrag von Ludwig Baumann ausgearbeitet wird und der erkennen lässt, dass die KI seinen Beitrag auch im Detail - und mit den historischen Ausdrücken - absolut richtig verstanden und eingeordnet hat.
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Mindmap erstellt von NotebookLM |
Hier nun der Beitrag von Herrn Ludwig Baumann aus der Pfingstbeilage von 1996:
Die „Pfingstrittehr" von Eugen Hubrich, 1949
uraufgeführt, und das 1988 von Johannes Reitmeier neu inszenierte Festspiel
waren als eine „historische Prozession" durch die Ortsgeschichte, als ein
bunter Bilderbogen mit dem Auf und Ab des Kötztinger Pfingstbrauchtums über die
Jahrhunderte hinweg konzipiert. Heuer überrascht uns Johannes Reitmeier mit
einem neuen Spiel. Er wird uns nicht den weiten Weg „durch Raum und Zeit"
entlangführen, er will uns in den eng umgrenzten Zeitabschnitt zurückversetzen,
den die Legende als Beginn des christlichen Ritts überliefert, das Jahr 1412.
Bei aller künstlerischen Freiheit möchte er historische Authentizität wahren,
soweit die Quellenlage dies zulässt.
Mittelalterliche Namen
Versehgang, Begleitung des Geistlichen durch junge Männer, Bedrohung und Bestehen der Gefahr, die erste Kranzlüberreichung, die Verlobung des alljährlichen Ritts - diese Elemente der Legende sind nicht nachprüfbar und nicht beweisbar. Historisch belegt dagegen ist der Name des Pfarrers, der um 1412 die Kötztinger seelsorglich betreute. Allerdings kennen wir nur seinen Vornamen: Paulus. Das ist nicht außergewöhnlich. Auch von seinen beiden Nachfolgern sind uns nur die Taufnamen überliefert (Stephanus, Paulus Johann). Die Familiennamen bildeten sich in unserer Gegend zu dieser Zeit gerade heraus. Der Pfarrer hatte eine so exponierte Stellung, dass zu seiner Identifizierung in Urkunden und Schriftstücken Vorname und Amtstitel völlig ausreichten.
Die älteste Namenliste mit den Kötztinger Bürgern, in einem Salbuch des Klosters Rott am Inn von 1445, lässt noch die unsichere, nicht endgültig festgeschriebene Namensgebung erkennen. Von den 58 Bürgernamen leiten sich nicht weniger als 23 von ausgeübten Berufen ab. Sieben Kötztinger werden nur mit dem Vornamen genannt, zwei davon zur Vermeidung von Verwechslungen mit einem erklärenden Zusatz:
Jorg am Ort(sende), Jorg am Markt.
Einer bekam einen Herkunftsnamen: Andre Weyssenregner.
Der Name eines anderen Bürgers steckt noch im Entwicklungsstadium. Man beschreibt ihn umständlich mit „Gilg bei dem Brunnen genannt Solschwanz". Gilg ist die mittelalterliche Bezeichnung für Egid.
Wenn der Kern der Pfingstrittlegende historisch wahr ist, dann müssen einige der im Salbuch von 1445 Genannten als junge Burschen den Pfarrer beim Versehritt begleitet haben.
Licht und Bilder
Um 1412 war der Markt in seinem Kern schon längst angelegt: die Kirchenburg, deren Substanz auf die Romanik zurückreicht (der mächtige Taufstein, jetzt in der St. Annakapelle, ist Zeuge dieser Zeit); das Schloss für die herzoglichen Beamten freilich noch nicht so weitläufig und widerstandsfest wie nach 1459; der Pfarrhof an Stelle des heutigen Neuen Rathauses teilweise schon aus Stein gemauert mit winzigen Fenstern, dazu Stall, Stadel und Brunnen im Hof; die Anwesen vom Schloss an über das Viertel um die Herren und Müllerstraße, die Marktstraße hinauf bis zum Rund um die Veitskirche; und die vom Wasser angetriebenen oder Wasser verbrauchenden Gewerbebetriebe am Regen.Die Häuser den Markt hinauf, wohl allesamt noch aus Holz gebaut, mit Schindeldächern, mussten damals schon durch eigene Tordurchfahrten zugänglich gewesen sein. Die Ställe, Städel und Schupfen lagen ja hinter den Wohnhäusern um den schmalen Hof. Dass die Fenster schon verglast waren, ist unwahrscheinlich. Auch in größeren Städten findet man bis zum 15. Jahrhundert nur an öffentlichen Gebäuden und dort auch nur in den oberen Stockwerken Glasfenster. Ansonsten boten Holzläden Schutz vor der Witterung. Auch mit Papier, geölter Leinwand oder dünn gegerbter Haut behalf man sich.
Wie muss den Leuten das Herz aufgegangen sein, wenn am Lichtmesstag oder gar in der Osternacht die Kirche im Kerzenschein erstrahlte! „Das Mittelalter ringt um Licht. Je einfacher der Mann, desto dunkler sein Dasein" (Otto Borst). Die Beamten im Schloss hatten vielleicht Kerzen aus Unschlitt (Rindsfett) oder gar Wachs zur Verfügung. Der kleine Bürger und der Bauer musste sich mit dem Schein des Herdfeuers begnügen oder mit dem sparsamen Licht, das Birken und Föhrenspan verbreiteten.
Wie sich der mittelalterliche, Mensch nach dem Licht sehnte, so war ihm alles bildhaft Dargestellte eine Offenbarung. Wir Heutigen leben mit einer Inflation von Bildern. Unsere Vorfahren von 1412 hungerten nach ihnen. Im Markt und gar auf den Dörfern hatten die Leute kaum ein Bild im Haus. Sie lebten in einer bilderlosen Zeit. Welch tiefen, prägenden und unauslöschlichen Eindruck müssen da die Altäre und die Kirchenfenster erweckt haben! Gerade damals entstanden die Gewölbebilder in St. Nikolaus zu Steinbühl. Die 1956 freigelegten Reste sind nur ein schwacher Abglanz früherer Aussagekraft. Dass auch die Kötztinger Kirchenwände dem leseunkundigen Kirchgänger Ausschnitte aus der Heilsgeschichte verkündeten, kann aus spärlichen Vermerken in den alten Kirchenrechnungen erschlossen werden.
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Fresko in der Steinbühler Kirche: Landmann bei der Feldarbeit |
Handel und Wandel im Markt
Im Kötzting vom Jahre 1412 hatte sich die marktische Selbstverwaltung längst eingespielt. 68 Jahre vorher waren die (älteren) Marktrechte von Kaiser Ludwig dem Bayern bestätigt worden. Danach durften mittwochs beim Wochenmarkt vor der Veitskirche Lebensmittel feilgeboten werden. Zwei Jahrmärkte von damals sind bis heute lebendig: am Himmelfahrtstag und am Sonntag nach Mariä Geburt. Auch sie gehören zum Fundamentum des gewachsenen Kötzting und sollten gerade auch deshalb der Zukunft des Gemeinwesens erhalten bleiben.![]() |
Der Schmied ist auch in Kötzting ein uralter Handwerksberuf. Als sich im Spätmittelalter die Familiennamen entwickelten, nannten sich sechs Kötztinger "Smid", Holzschnitt 1491" |
Verwaltet und geführt wurde die Bürgerschaft vom Rat mit seinen vier Mitgliedern. Sie hatten auch das Recht der niederen Gerichtsbarkeit. Ein Recht, das den Markt vor den umliegenden Orten besonders auszeichnete und das bürgerliche Selbstbewusstsein in hohem Maße stärkte. Ein Recht, das den Marktrat zum Richter erhob über alle Vergehen, ausgenommen Raufhändel, bei denen Blut floss, ausgenommen auch Totschlag, Raub und Notzucht. Dazu kam die freiwillige Gerichtsbarkeit, also die Abwicklung von Rechtsgeschäften wie Übergaben, Kaufverträge, Erbschaftsangelegenheiten. Dass dabei Gerichtsgebühren und Bußgelder als eine zusätzliche und nicht unbedeutende Einnahmequelle sprudelten, versteht sich. Außer den Geldbußen war die gängige Bestrafung der Arrest und das Prangerstehen. Am Pranger wurden die verurteilten Frauen in die Geige, die Männer in den Stock geschlossen. Der Pranger, auch Schandsäule genannt, stand vor der Brücke zum Eingang in die Kirchenburg.
Als Mittelpunkt ausgewiesen
Eine schriftliche Rechtssammlung des Klosters Rott vom Jahre 1412 (!) weist den Markt Kötzting als Mittelpunkt des Handels und des Handwerks aus. Da werden zuoberst die Fleischbänke genannt. Die Metzger verkauften das Fleisch nicht im eigenen Laden, sondern an den Fleischbänken. Die waren im Freien aufgestellt, beim Anwesen Metzstraße 14, im Haus wurde geschlachtet. Fleischbänke und Schlachthaus gehörten der Marktverwaltung und wurden jährlich von ihr verpachtet. So war es noch im 18, und 19. Jahrhundert, wie es in den Ratsprotokollbüchern vermerkt ist von fünf Fleischbänken ist dort regelmäßig die Rede.Heute erinnert nur noch der Straßenname daran: Metzstraße, Metzgerstraße müsste sie heißen. Nach dem genannten Rottischen Text durfte aber auch das Kloster jährlich an Michaeli (29. September) eine Steuer von 5 Pfennig „von jeder Flaischbanch" erheben. Den gleichen Betrag kassierte der Klosteramtmann, ein weltlicher Angestellter mit Sitz in Kötzting, von jeder Brotbank und zwar an Weihnachten. Ebenso hoch besteuert waren die Krämer, für die der „Aufert Tag" (Christi Himmelfahrt) Steuertermin war. Hatten sie auf dem Jahrmarkt auch noch eine „Hütte" stehen, zahlten sie einen zusätzlichen Pfennig. Der Satz von 5 Pfennigen, das war knapp der Taglohn eines Zimmerers, scheint damals die gängige Gewerbesteuer zugunsten des Klosters Rott gewesen zu sein. Auch die Schuster und Lederer mussten diesen Betrag entrichten, wenn sie im Markt „Estet", ein uraltes Wort für „Gewerberecht" hatten.
Das Gewerbe der Fluderer
Ein weiterer angesehener und typisch Kötztinger Berufszweig war nach Rott steuerpflichtig, das Gewerbe der Fluderer. Das waren zum einen die Leute, die auf dem Weißen Regen vom Lamer Winkel herunter das Holz mit Flößen herführten, das waren aber im besonderen die Unternehmer, die Holzhändler. Das Recht dazu hatten nur die 36 Marktlehner, sozusagen die Bürger erster Ordnung in Kötzting. So war es schon im Freiheitsbrief von 1344 festgelegt. Nur sie durften Holz „oberhalb der Wöhr" einkaufen, in der Sägemühle schneiden lassen und „verfludern" (weiterverkaufen).
Das „Wöhr" (Wehr) muss so etwas wie eine Banngrenze markiert haben. Der Rottische Amtmann hatte dort ein Floß verankert, von dem aus der Holztransport kontrolliert und der fällige Zoll kassiert werden konnte. Ein Fluder (Floß) bestand gewöhnlich aus 46 Blöchern, von denen jedes gut viereinhalb Meter lang war. Holz war im Mittelalter ein ungemein wichtiger, lebensnotwendiger Rohstoff als Bau, Werk und Brennholz. Die überörtliche Bedeutung des damaligen Kötztinger Fludergewerbes wird unterstrichen durch neuere Untersuchungen, die „eine mittelalterliche Energiekrise" wegen Holzmangel und infolge Raubbau an den stadtnahen Waldungen aufdecken.
Eine Badstube in Kirchenbesitz
Neben den Handwerks und Handelsbetrieben hatte das mittelalterliche Kötzting auch einiges auf dem Dienstleistungssektor zu bieten. Im Umkreis von einer Meile durfte kein Bier gesotten werden. Nur die 36 Marktlehner konnten unumschränkt brauen. Den 12 Söldnern, dem Bürgerstand zweiter Ordnung, war nur ein Sud pro Jahr erlaubt, das waren knapp 20 Hektoliter. Das Braurecht und das Recht des „Schenkens" und der „Gastung" hatte Kaiser Ludwig 1344 mit den Marktrechten bestätigt. Im Marktrechtsbrief ist auch die Lizenz für den Betrieb von zwei Badstuben festgeschrieben.
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Entlausung, Männlein und Weiblein in einem Zuber: Gab es diese Badeszenen auch im mittelalterlichen Kötzting? |
In den Kötztinger Archiven (Pfarr und Stadtarchiv) finden sich verstreut verhältnismäßig viele Vermerke über die beiden Badstuben: der „Badbrunnen" in der unteren Marktstraße (Nähe Foto Liebl/Drunkenpolz am Stachus) und das „Obere Bad" (im Umgriff der Veitskirche). Beide waren aus Holz gebaut, der Boden bestand aus gestampftem Lehm, erst im 18. Jahrhundert war er gepflastert. Das Wasser wurde in Holzrinnen in die Badstube geleitet.
Ungewöhnlich, dass das Obere Bad wenigstens ab 1501 (wahrscheinlich schon früher) der Kötztinger Kirche gehörte. In diesem Jahr wurde die Stiftung für eine Frühmesse erneuert, für die das Stiftungskapital „durch Kriegsleuff" verlorengegangen war. Unter den neu zusammengezogenen Stiftungsgütern findet sich auch das „Oberbadt".
. Es war von da an immer verpachtet. Der jährliche Pachtzins kam der genannten Meßstiftung zugute. Die anfallenden Reparaturen gingen zu Lasten der Kirche.
Wahrscheinlich gibt es einen sicher zunächst überraschenden Zusammenhang zwischen den Badstuben und dem Kötztinger Marktsiegel bzw. Wappen. Die ältesten Siegelabdrücke aus den Jahren 1409 und 1425 zeigen in einem Dreiecksschild einen Blätterbusch. Wie spätere Siegel ausweisen, hat sich daraus im Laufe der Jahrhunderte das heutige Wappenbild ein Laubbaum entwickelt. Der Blätterbusch der ersten Siegel ist an den Stielen unten zweimal zusammengebunden. Solche Laubwedel wurden den Badenden beim Betreten der Badstube gereicht. Sie sollten damit ihre Blößen bedecken.
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Altes Kötztinger Marktsiegel mit dem stilisierten Blätterbusch. |
Der urtümliche Name für diesen Blätterbusch war „Kosten" „Wer badet ohne Kosten, der schamt sich nicht viel", zitiert A. Schmeller eine alte Handschrift. Vermutlich brachten die mittelalterlichen Kötztinger oder ihre Ratgeber, als sie das Siegel und Wappenbild entwarfen, den Ortsnamen Kötzting fälschlicherweise mit „Kosten"', dem „Wahrzeichen" ihrer Badstuben, in Verbindung. „Derartige unrichtige Ortsnamendeutungen als Ausgangspunkt für Wappenschöpfungen sind in der Gemeindeheraldik des 13. bis 17. Jahrhunderts überaus häufig" (M. Piendl).
Die Bauern „im Aigen"
„Der Durchschnittsmensch gilt ... im Mittelalter nichts. Sieht man von der kleinen Oberschicht, den Herzögen, Bischöfen, Rittern und Patriziern, ab, ist der Mensch der Romanik und Gotik ein armseliges Geschöpf, ja eine Kreatur Es ist ja nicht nur so, dass Krankheit, Krieg und Pest die Leute nicht alt werden lassen, in der kurzen Lebenszeit widerfährt ihnen nur Böses. Und man ist wehrlos" (R. Reiser in: Bayerische Gesellschaft).
Diese abgrundtief pessimistische Situationsschilderung trifft für das Dasein unserer Vorfahren so nicht zu. Nehmen wir als Gegenbeweis die Bauern im „Obern und Untern (Niedern) Aigen".
In diesem Zusammenhang: Mehr als 80 Prozent der mittelalterlichen Menschen lebten auf dem Land. Die Bauern im „Oberaign" (etwa der Lamer Winkel) und die im „Niederaign" (von Gradis ins Zellertal hinein und verstreut bis Ansdorf hinauf) lebten unter der Grundherrschaft des Klosters Rott am Inn. Freie Bauern, die ihren Wirtschaftsgrund als Eigentum besaßen, gab es bis zur „Bauernbefreiung" im 19. Jahrhundert nur sehr wenige. Im Gericht Kötzting waren es ganze sieben. Alle anderen waren Grunduntertanen eines Klosters, der Kirchen, eines Adeligen oder des Landesherrn. Und als solche zahlten sie Pacht (Stift) für den von ihnen bewirtschafteten Grund und Boden.
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Türen zum Mittelalter: hier der Zugang zum neuen Pfingstrittmuseum. (romanisch, frühere Kirchentüre) |
Die Abhängigkeit vom Grundherrn war unterschiedlich gewichtet. Wer einen Hof als Freistift erhielt, musste jederzeit mit einer Kündigung rechnen. Die Neustift war beim Wechsel der Herrschaft (etwa durch Tod) mit der Zahlung des Laudemiums zu erneuern (mindestens 5 Prozent des Hofwertes). Nach Leibrecht vermachte Güter besaßen die Bauern auf Lebenszeit. Anwesen mit einem Erbrecht dagegen durften vom Altbauern auf den Sohn übergeben werden.
Das Erbrecht, die Leihform mit der für damalige Verhältnisse geringstmöglichen Abhängigkeit vom Grundherrn, galt in der Lam-Kötztinger Klosterhofmark für alle Grunduntertanen.
Der Bauer war sogar berechtigt, den Hof zu verkaufen, hatte sich allerdings beim Verkauf das Mitspracherecht des Klosters, die Willensäußerung der Nachbarschaft und die Begutachtung durch den Achtmänner-Rat gefallen zu lassen.
Die Existenz dieses Achtmänner-Rats, eine Frühform demokratischer Mitbestimmung, widerlegt die Behauptung von der Wehr und Rechtlosigkeit des mittelalterlichen Menschen.
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Türen zum Mittelalter: gotische Sakristeitür in Steinbühl |
Der Rat der „acht Mann" hatte nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen ein Mitspracherecht, er wirkte auch bei der Bußzumessung in Gerichtsfällen mit. Wenn die Rede von einer so herausgehobenen Stellung ist, muss schon betont werden, dass die „acht Mann" aus der Bauernschaft kamen.
Vom Jahre 1445 kennen wir sie mit Namen und Herkunft: Wilhalm Nickel ab dem Lochberg (Lohberg), Pint Üll (Ulrich) im Ekersperg, Grassel Peter im Swartzenpach (Schwarzenbach), Spag Üll im Silbach (Silbersbach), Kunig Peter im Dürrnstain, Korman Nickel in der Lamb, Pfeffer Nickel von Frahels, Pritz Anderl. Dass der eine oder andere Name heute noch in den Dörfern gebräuchlich ist, mag als Indiz gelten für eine urgesunde Geschlechtertradition.
Ein Taschenbuch, älter als 500 Jahre Um 1400 legte das Kloster Rott am Inn die Rechtsgrundsätze, die es im Ober und Unteraigen seit alter Zeit hergebracht hatte, in 15 Artikeln schriftlich nieder. Freilich ging es dabei zuförderst um das Wohl, den Vorteil des Klosters. Aber auch Recht und Schutz der Untertanen wurden deutlich angesprochen.
Einige Beispiele:
Zunächst und mit Nachdruck wurde das Recht der niederen Gerichtsbarkeit betont. Kein herzoglicher Richter hatte „auf unserem Aigen" zu richten, ausgenommen die drei Dinge, die mit der Todesstrafe zu sühnen waren. Wurde ein Klosteruntertan eines todeswürdigen Verbrechens verdächtigt, übergab ihn der Propst (Klosterrichter) auf Antrag an den Landrichter, nur mit dem notwendigsten auf dem Leib („als ihn die Gürtel umpfangen hat").
Der Klosterrichter hatte insbesondere dann Recht zu sprechen, wenn kein höheres Bußgeld als 6 Schillinge zu erwarten war, was etwa fünf Wochenlöhnen eines Zimmerers entsprach.
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Seit Jahrhunderten sehen sie auf die Pfingstreiter: die gotischen Kopfkonsolen im Steinbühler Chor. |
Wurden die Bauern vor Gericht gerufen, sollte jede Buße (Strafe), groß oder klein, mit Gnaden, also gnädig, und nach dem Rat der acht Mann auf dem Aigen festgestellt werden. Wenn sich ein „Armer" (Untertan) zu Unrecht verurteilt oder zu hart bestraft fühlte, konnte er Revision einlegen, aber nur vor dem Kloster, andere Richter waren nicht zuständig. Bei der Bußzumessung sollte Gnade walten, damit infolge zu harter Strafen Haus und Hof nicht ruiniert, nicht „baufällig" wurden.
Ein Scharwerk (Frondienst) waren die Untertanen niemandem schuldig, keiner Herrschaft und keinem Propst. (Pferde) Futter konnte der Propst entgegenkommenderweise erwarten. Das sollte er von den „Armen" aber mit Rücksicht auf ihr Vermögen fordern.
Diese Rechtsgrundsätze sind in einem Notizbüchlein vermerkt. Es wurde 1445 angelegt und zehn Jahre später von einem Rotter Mönch, der sich Bruder Conrad nennt, ergänzt. Notizähnliche Einträge, die Namenlisten der Untertanen mit den jährlichen Pachtgeldern und sonstigen Abgaben, vor allem aber der ziemlich abgegriffene Einbanddeckel aus einem festen Pergamentstück mit Bruchstücken von Choralmelodien (Neumen des 12. Jahrhunderts) lassen vermuten, daß es jährlich beim Einbringen und Kassieren des Pachtzinses mitgeführt wurde.
Aus folgendem Eintrag auf der Seite 20 geht klar hervor, daß damals das Kloster auf Notlagen durchaus Rücksicht nahm: „Item ze merken, daz (dass) ich bruder Conrad Conventual (Mönch) zu Rott gesandt pin (bin) worden mit Hain Saldorff gen Kötzting einzepringen meines genädigen Herrn von Rott Zins und Gült Anno Domini 1455. Also haben wir dye nach Vermögen der Armen Leyt ein Teil einpracht, das ander nachlassen."
Dreifelderwirtschaft
So nachhaltig sich seit dem Mittelalter die Rechtslage unserer Bauern geändert hat, so ganz anders waren damals im 15. Jahrhundert auch Wirtschafts-, Arbeitsweise und Lebensstil. Allgemein
üblich war die Dreifelderwirtschaft. Dabei konnten zwei Drittel des Ackerlandes jährlich genutzt werden. Das erste Drittel wurde im Herbst mit Wintergetreide, mit Roggen und Weizen also, bestellt. Auf dem zweiten Drittel baute man im Frühjahr Hafer, Kraut, Rüben, Flachs und Hülsenfrüchte. Der Rest blieb brach liegen und konnte sich ein Jahr ausruhen. Eine große Rolle spielten Viehhaltung und Weidewirtschaft. Auch die Bergwälder wurden beweidet, oft in der gemischten Holz-Feld-Weide-Bewirtschaftung (Riedern).
Der Räderpflug mit eiserner Pflugschar hatte sich auch bei uns durchgesetzt. Er konnte anders als der alte Hakenpflug den Boden nicht nur aufreißen, was ein Kreuz und Querackern notwendig gemacht hatte, der Räderpflug konnte den Boden auch wenden. Die Sense war nur für den Grasschnitt in Gebrauch, zur Getreideernte diente die oft gezähnte Sichel. Der Dreschflegel hatte schon die bis in unser Jahrhundert herein gebräuchliche Form: Am Stiel war der bewegliche Flegel mit einer Schweinslederhaube und -bändern befestigt. Da und dort war sicher noch der alte Dreschstecken in Gebrauch: ein an einem gebogenen Griff starr befestigter Stock. Die Nahrung unserer bäuerlichen Vorfahren bestand im Mittelalter hauptsächlich aus Pflanzenkost und Milchprodukten. Die Kartoffel kannte man noch nicht. Außer Hühnern und Gänsen konnte Fleisch nur in den kalten Monaten auf den Tisch kommen. Die Häuser waren in Blockbauweise aus Holz gebaut. Der Stubenboden bestand meist aus gestampftem Lehm. In der Mitte stand der Herd, dessen Feuer kaum verlöschte. Der Rauch zog durch eine Lucke im Dach ab. Erst seit dem 15. Jahrhundert und vor allem in der Stadt – baute man Rauchfänge. Spärlich war die Ausstattung mit Möbeln. Tisch, Bänke (Schragen) und Truhen waren das wesentliche Mobiliar. Eisenschlösser an den Türen gab es bei uns kaum. Sie hatten nur Holzriegel.
Kinderspiele „Zitterwagen"
Die Klammer, die für den mittelalterlichen Menschen alles zusammenhielt, war der Glaube an Gott, an Christus, seinen Sohn, an den Heiligen Geist. Mittelalterliches Bewusstsein ist religiöses Bewusstsein: Gott hält die Welt in den Händen (O. Borst). Aber am Ende der Epoche, im 15. Jahrhundert, damals, als nach der Legende der christlich-sakramental geprägte Pfingstritt erstand, war die Welt erfüllt von Blut und Tränen, von Getöse und Raserei. Nicht nur, dass drei Päpste zur gleichen Zeit den Stuhl Petri für sich beanspruchten (14091415) ! Die Angst ging um. Die Endzeit wurde erwartet. Aber das Ende erwies sich als Anfang. Im Absterben steckte der Keim des Neuen...
Quellen:
Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Rott am Inn 2. KL Rott
112.
Staatsarchiv Landshut, Rep 18 Fasz. 338 Nr. 1448 alte Sign.
Monumenta Boica II S. 108
J. A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch.
O. Borst, Alltagsleben im Mittelalter, Frankfurt am Main
1983.
B. Hermann, Mensch und Umwelt im Mittelalter, Stuttgart
1986.
R. Reiser, Bayerische Gesellschaft, München 1981.
Kötzting 10851985, Regensburg 1985
C. von Paur, Gedenkblätter zur Ortsgeschichte des Marktes
Kötzting 1800-1871.
U. Winkler, Zwischen Arber und
Osser, Grafenau 1981.
Der Podcast zum Thema:
Zusammenhang der Pfingstrittlegende mit den vorhandenen Quellenmaterial.
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>hier der link zum Quiz bei notebookLM<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<
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