Translate

Mittwoch, 24. Dezember 2025

EIne Weihnachtsgeschichte - von Haymo Richter

 Der Christbaum vom Amerika

Erinnerungen an den Heiligen Abend  – von Haymo Richter

Foto Pongratz: das Kreuz am Herrenweiher


Der Großvater schlüpfte in seinen warmen Überrock und zog sich die Zipfelmütze über die Ohren. „I geh jetz ins Amerika nauf und hoi a kloans Bauml, i kimm boid wieda.“ „Bring ma aa ja ned wieda a so a greisliche Staun wia feadn“, rief ihm die Großmutter nach.
Das „Amerika“ war ein Anflug entlang am Weißen Regen zwischen der Fessmannsdorfer Mühle und Sperlhammer.
Sammlung Serwuschok: die Fessmannsdorfer Mühle

Foto Pongratz: Sperlhammer


Das Lohwasser war zugewachsen und auf dem Anflug mit Stauden und Dornengebüsch machten sich auch kleine rote Fichten breit. So ein Bäumchen wollte der Großvater am Nachmittag des Heiligen Abends holen. „Kimm Bua, geh mit!“ Ich ließ mich nicht zweimal bitten, weil der Großvater war immer für eine Geschichte gut, er wusste sehr viel.
Wir gingen über die gefrorenen Wiesen hinauf, am Weißen Regen entlang. Gleich hatte er ein Bäumchen im Auge gefasst und mit der kleinen Säge abgeschnitten. „Der wiad ehr scho taun´g“, befand er. Wir machten noch einen kleinen Spaziergang über die Wiesen hinauf zum Riegel, ehe wir dann in die warme Stube zurückkehrten und das Bäumchen ablieferten.
In der Früh hatte alles wie gewohnt begonnen. Der große gemauerte Küchenofen wurde angeschürt, der gusseiserne Kessel mit Wasser für die Viehtränke aufgestellt und Kartoffeln wurden in einem riesigen Topf gekocht. Für den Fastentag gab es a gstandene Milchsuppn.
Für mehr als eine Stunde war nun alles in Haus und Hof und im Stall beschäftigt. Um sechs Uhr läuteten die Glocken den Tag an und zum Rorate. Es war noch dunkel, als sich dann die Großfamilie um den großen Tisch in der Stube versammelte. Jedes der vierzehn Familienmitglieder hatte seinen Platz eingenommen. Der Großvater sprach ein Gebet, wünschte einen guten Morgen und zeichnete drei Kreuze auf den Brotlaib. Schweigend wurde die Milchsuppe aus zwei großen Schüsseln gelöffelt.
Jeder ging nun seiner Arbeit nach. Nichts deutete darauf hin, dass Heiliger Abend war. Das kleine „rote Bäuml“, von dem eingangs die Rede war, wurde erst am Nachmittag auf die Anrichte gestellt und mit Lamettafäden, roten Kerzen, einigen bunten Kugeln und etwas Watte geschmückt.
Das Mittagsmahl war bescheiden, der Heilige Abend war ein Fastentag. Es gab „an Ritschi und a gstandene Mil“.

Als es dunkel wurde, trat der Großvater wieder in Aktion. „Muadda, dua af Kiraschaufe a weng a Gloud und an Weihrauch affe und gib ma’s Weihwasser.“ Alle versammelten sich wieder in der Stube zum „Engel des Herrn“. Dann begann der Rundgang mit Weihwasser und Weihrauch durch Haus, Hof und Stall. Im Stall wurde ein „Vaterunser“ gebetet. Anschließend versammelte man sich in der großen Stube, die Kerzen am Christbaum vom „Amerika“ wurden angezündet und ich musste aus dem Gebetbüchl das Evangelium von der Botschaft der Engel verlesen. Man wünschte sich einen guten Abend und frohe Weihnachten. Es gab sogar einige Kleinigkeiten: für die Großmutter ein neues Kopftüchl, für den Großvater ein Packl Schnupftabak, wir Kinder bekamen Gebäck, Äpfel, neu besetzte Socken für die Holzschuhe und eine warme Zipfelmütze.
Die Stimmung in der großen Stube war gelöst und heiter, grad schön war’s und gemütlich. Der Großvater war in seinem Element, er schilderte eigenartige Begegnungen mit dem Mann ohne Kopf und erzählte schaurige Weizgeschichten von der Rieselhöhe, vom Gänskragen und vom Hohenbogen. Zur Feier des Tages durfte sogar der Hund in der Stube bleiben und suchte sich einen warmen Platz in Ofennähe.

Plötzlich klopfte es am Fenster. „Zeit wird’s in d’ Mett’n!“ Wir waren gleich fertig und schlossen uns der Gruppe von Mettengängern aus den fünf Anwesen am Herrenweiher an. Die Großeltern blieben zurück und hüteten das Haus, wie es Brauch war. Der halbstündige Weg zur Pfarrkirche war sehr romantisch, denn einige hatten Laternen mitgebracht.

Foto Pongratz: der Grafenwiesener Kirchenweg m Regenfluss (Gänskragen) entlang, der zweite ging über die Rieselhöhe


Die Mitternachtsmesse wurde als ein levitiertes Hochamt gefeiert. Dem hochwürdigen Herrn Pfarrer, Dekan Josef Dietl, assistierten die Kooperatoren Max Dobmeier und Pater Augustin Böttcher. 

Der Kötztinger Stadtpfarrer und Dekan Josef Dietl

Sammlung Arbeitskreis: Pater Augustin Boettcher und links neben ihm mein Vater als Brautführer 1948 im Elternhause des Pfingstbräutigams Dattler Buberl.

Der Chor lief zur Hochform auf, der Mesner Karl Obermeier war in seinem Element und der Staudinger Pfarrer, bei dem wir so gerne beichteten, weil er schlecht hörte, schlief trotz der Feierlichkeit im Chorstuhl ein.

Schnell machten wir uns über die Schmidmarter und über die Rieselhöhe auf den Heimweg. In der hellen klaren Mondnacht sah man schon von weitem die Höfe in der Herrenweiherau.
Es war eisig kalt und der böhmische Wind blies uns ins Gesicht, so waren wir dann froh um die wacherlwarme Stube. Da war der heiße Tee eine Wohltat. Der Großvater löschte die Petroleumlampe aus und mit den im Ofen vorgewärmten Ziegelsteinen suchten wir unsere Betten unter dem Dach auf. Der Mond blinkte durch die Dachluken.

– Schön und unvergesslich war der Heilige Abend vor 70 Jahren.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.