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Mittwoch, 11. März 2020

Kötzting im Griff der Grippe ..... im Jahre 1762

Gibt es solche Zufälle überhaupt.....kann es ihn geben?


Am 24. März hätten wir beim Lesestammtisch einen besonderen Briefwechsel gelesen. Dieses war keine besondere Absicht, denn den Briefwechsel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts habe ich bereits im Herbst 2019 im Staatsarchiv in Landshut gefunden. In diesen Briefen sind Details einer epidemischen Erkältungskrankheit beschrieben, die fatale Ähnlichkeit mit der derzeitigen Krise haben.
Dieser Zusammenhang war weder erkennbar - ich habe den Briefwechsel nicht im Voraus gelesen - und schon gar nicht beabsichtigt. Es ist einfach eine seltsame Fügung, dass wir nun  im Jahre 2020 - mitten im Lockdown - von einer Grippewelle des Jahres 1762 in Kötzting lesen können.

Also, los geht's:

Ein Archivfund im Herbst des Jahres 2019 im Staatsarchiv Landshut, der zuerst einmal ein ganz unscheinbares Bündel an Privatbriefen war, entpuppte sich bei der Bearbeitung im Rahmen des Kötztinger Lesestammtisches als ein, mit vielen Details gespicktes, Lebensbild unseres Raums im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts.
StALandshut Hofmarken: Nr. 4037
Unterschrift : Johann Martin Demerle
Gerichtspfleger
Der Schreiber ist Martin Dennerl,  Gerichtspfleger auf Runding und Blaibach und verheiratet mit der Tochter des Kötztinger Lehrers Daller.
Martin Dennerl pflegte einen sehr menschlichen und sehr engen, schriftlichen Umgang mit seinem Hofmarksherren, dem Herrn Baron Cajetan von Nothafft, welchen sich der Herr Baron offensichtlich gerne gefallen ließ.
Mit diesen Briefen erfahren wir viele, viele Kleinigkeiten - natürlich zuerst vom täglichen Geschäftsgang der Hofmarksverwaltung aber dann auch Dinge aus der Umgebung und, vor Allem bei Krankheiten, von den verzweifelten Versuchen diese abzuwehren. Im Mai 1762 ist offensichtlich ganz Ostbayern von einer "Catärh" genannten epidemischen Krankheit befallen, denen viele unserer Vorfahren zum Opfer fielen.
 

Das Wort "Grippe" war damals eher weniger geläufig, wie es ja auch unsere Eltern noch weniger nutzten, diese hatten einfach einen "Katarrh" - siehe auch Gerhard Polit in seinem Sketch "die Garage" bzw. "der Standort Deutschland"

Die Grippeepidemie im Raum Kötzting:



Cajetan von Nothafft
Bild aus der Homepage der Nothafft

Cajetan Nothafft, begütert u.a. mit den Hofmarken in Niederhatzkofen, Blaibach und Runding, lag wohl zuerst schwer darnieder im niederbayerischen Niederhatzkofen und wurde dort von seinem Gerichtspfleger Dennerl und dem Kötztinger Bader Dr. Halser besucht, behandelt und war wohl dann auf dem Wege der Besserung, welchen Dennerle mit "begleitenden Maßnahmen" aus der Ferne unterstützen wollte.

Wieder zurück in Blaibach und Runding schrieb Dennerl am 17.5.1762 an seinen sich erholenden Chef:

Vor allen wintsche und bitte mit all den Meinigen zu Gott, daß Eur hochfreyherrliche Gnaden sich von der aufgehaltenen schweren Carthär in bälde Vollkommen erhollen und auf ville Jahr von disen und anderen krankheiten zufallen befreut bleiben möge.

Und dann beschreibt Dennerl seine Erlebnisse der Reise und seiner Ankunft:

Der Dr. Halser und ich seint zwar Gott lob am Samstagabents glückhlich nacher Haus kommen. Was wür aber von Hätzkofen bis Straubing für Ungemach im Staub erlitten, ist nit zu beschreiben, doch kann es einigermassen der Kutscher gesagt haben. (heißt wohl, bei der Rückfahrt habe diese Kalamitäten der Kutscher wohl selber seinem Herrn bereits erzählen können)

Auf der ganzen Straße herein und wo wir nur hingekommen regiert der Carthär sehr starkt und ist bei manchen recht gefährlich selbst in meinem Haus ist vast alles krankh und mein Schwiegervater zu Kezting ligt auch im Carthär. Der Herr Beneficat von Playbach ligt beständig in einem sehr heftigen Stöckh Carthär, und fast der ganze Pfarrhof zu Playbach......

 
...Während deme das zu Häzkofen gewesen, ist die allhiesige Schmiedin auch gestorben, ob sye schon bei meiner Abreise gesund ware, und vorgestrig Samstag abends waren alhir 3 provisonen ( =Versehgänge ) gestert in der Frühe aber 2 auf Lederdorn.

Böllerschießen gegen den Katarrh:


.. Sonsten passiert dermallen nichts sonderheitlich die Litanei bei dem Heiligen Johann von Nepomuk auf der Prucken werden wür die ganze Oktav alle Tag halten und iedesmal hierbei schiessen, umb Eur Gnaden völlige Gesundheit wieder zuerhalten.

 Die Krankheit weitet sich aus - vor allem bei älteren Menschen:

 Runding und Blaibach 22.5.1762:

Beschreibung der Seuche im Kötztinger Raum
Entlichen will es layder alhir et refier mit dennen Krankheiten dermassen überhand nemmen, das wür allhier erst seith 8 bis 10 tägen fast teglich 2 und 3 Provisones haben, aber auch fast teglich 1 wo nit gar 2 leichen haben, zwar meistens leuth von Jahren und leibsgebrechlichkeiten, nur seint in der Hofmark Lichtenegg 2 junge Söldner gestorben, welche es mit dem Cartar angegriffen, und sich hierzu in wenig tägen das seuthenstechen geschlagen hat.  







Der Kötztinger Lehrer Daller liegt im Sterben: 

Selbst mein Schwiegervater zu Közting ist an deme, das er wird in wenigen Tägen vor Gott erscheinen miessen. Abgewichenen Mittwoch hat man ihm alle Heiligkeiten gereicht und gestert wurde alle Abends von Herrn P. Prior die general absolution ertheilt. Sein Zustand ist halt auch ein Stuck Cärthär und der wenige Auswurf, so geht, ist gaznz roth, deswegen mir eben der Herr Dr. Halser gesagt hat, das kein Hofnung eines Aufkommens mehr vorhanden.
Ich bin also yber diese laydige zufahl, aus mehreren Ursachen recht consterniert und erwarte alle Minuten die Nachricht von den wirklich erfolgten Todfall....


Die Lehrersgattin macht ihrem Mann das Sterben nicht gerade leichter:

....welcher meinen Schwigervatter noch immer zu früh sein will, ob ihm schon die Schwiegermutter beständig von denen himmlischen Freuden , so auf ihn warten, beständig was vorsagt und sonderbar zuspricht, dass er sich umb die böse Welt nicht mehr scheuen oder längers in selber zubleiben verlangen sollte, so den kranckhen Mann villen Verdruss macht, weill er gar gerne noch lenger leben mechte.
Seinem Herrn Baron, der wohl anreisen wolle, gibt er den dringenden Rat:
Nur bitte ich Eur Gnaden umb Gottes willen, sich nicht zu fruehe in den Lufft und Staub zu wagen, damit nit wider übl ärger gemacht wird.
H: Beneficiat von Blaibach ist würklich pethliegerig und Herr Frischeisen kan nit mehr Mess lesen. 

N.B. in abgewichener nacht ist die alte Carl Schneiderin alhir gestorben und die Garttner Miedl liegt auf den Preth (ist wohl das Totenbrett)

Um die Situation auch noch zu verschlimmern, steht auch noch eine Missernte an:


Noch etwas macht Probleme, der Getreidepreis: es wird sich wohl eine Hungersnoth ereignen, weil das 2 jährig zerfressene Schäffl Korn tatsächlich 8 Gulden kostet.

3 Tage später, am 25.Mai 1762 stirbt dann der Kötztinger Lehrer Johann Martin Daller mit 45 Jahren.
Sterbematrikel Pfarrei Kötzting Band 18 von Mai 1762. Die erste Zeile betrifft den Kötztinger Schullehrer und Chorregenten Joannes Martinus Daller. Der letzte Eintrag ist der Kötztinger Färbermeister Johann Balthasar Schöllinger, bei dem ausdrücklich vermerkt ist, dass er an einem Katarrh verstorben ist.
Interessant ist, dass die Pfarrmatrikel aus genau dieser Zeit eher weniger Einträge aufweisen, als zu anderen Zeiten. Dies verwundert zunächst, angesichts der berichteten, laufend anfallenden, Todesfälle, ja sogar auffallend, dass die Matrikel Lücken von einigen Wochen, vollkommen ohne jeglichen Eintrag, aufweisen. Die Priester waren wohl damals hoffnungslos überfordert damit, den Pflichten der Versehgänge und folgend den Beerdigungen nachzukommen, Nachträglich zu protokollieren war vermutlich schwierig bis unmöglich, wenn man sich keine Notizen gemacht hatte.

Wenns denn hilft:

Prozessionen zum Haidstein und Seriengottesdienste zur Genesung des Herrn Nothafft:

 
4.6.1762:

Wie letzhin bereits underthenig überschrieben, seint die auf den Haidstein bestimmte 3 heyligen Messen vorgestert, gestert und heint durch Herrn Beneficiaten vpon Playbach gelesen worden, weill solche der hiesige Herr Pfarrer wegen beständigr Leichten  (=Beerdigungen) und Seelenmessen nit lesen können. Ich habe alle 3 selbst gehört und hierunter den heyl. Rosenkranz nebst der Lauretanischen Litaney selbst vorgebetet. Den ersten waren 39, den anderten 70 und heint 99 Kinder beyderley Geschlechts gegenwartig, welchen iedes mahl und zwar iede 3 xr (Kreuzer) anbehendigt. Hiesige Kinder seint von dort aus Prozessionaliter auf den Haidstein alle 3 Täg gangen und sowoll hierauf als herab in der schönsten und auferbaulichsten Ordnung haben selbe lauth den heiligen Rosenkranz abgebetet, vor und nach der heiligen Mess haben die kleinen Mädeln beyr Mutter Gottes ein Frauen gesang abgesungen und aufn solche Arth  hoffe zu Gott, dass das gebet der Unschuldigen erhört worden sein werde und sich Eur Gnaden von der aufgehebten Unbässlichkeit vollkommen erholt haben werde.
Vielle personen haben yber die Ordnung und den Eifer der kleinen Kinder große Zähren (Tränen) vergossen und auch diese werden durch die Wolken gedrungen und Eur Gnaden genesung befordert haben


Beerdigung des Schwiegervaters in Kötzting:

Für meinen Schwigervater seel: wird am Erchtag der  7. et 30. gst(Gottesdienst??) gehalten. Meine Schwigermutter ist untröstlich und ich habe mit ihr sehr vill zuthun, weill Sye bereits zimblich kindisch.....

Ein perfekter Sturm.....


zuerst die Grippe - dann der Spätfrost - dann die Hitze - und am Ende noch ein Riesengewitter

Eine mögliche Missernte deutet sich schon früh an:

Sonsten ist es in alhiesiger gegend ein wahres Ellent, massen die Reiff (Spätfrost), so wür ainige täg nacheinander gehabt, meister Orten alles, alles Korn dermassen verbrennt, dass ein Pauer so sonst 30 Schäffl zuhoffen gehabt, ainzt nit 4 oder 5 Schäffl bekommen wird und so ist es in Ansehung der Fütterei, massen durch die allzu große Hüze alles ausbrennt und das Viech vast crepieren sollte.
Mit dem alten wurmbigen Korn bin bereits ferttig und hiermit habe ich für Eur Gnaden richtige 600 fl. gewonnen, das Neue Korn, so etwan 150 Schäffl auftragen mechte, behalte auf, weill nit vorsiche, wie groß das Elend bei uns noch werden mechte....
Denen Underthannen habe am Speissgetraid 600 fl geborgt und ieden das Schäffl gegen frembten umb 1 fl wohlfeiler abgetan.
(die eigenen Untertanen mussten also sweniger bezahlen, als fremde Aufkäufer) womit nit unrecht getan zuhaben glaube.

 Das Unwetter:


Wenig Täg nach Eur hochfreyherrlich Gnaden von hier genommenen Abreyse, hat Gott der allerhöchste hiesigen Ort (Runding) und ganz insbesondere disorthige Gegend mit seiner Strafruethen abermallen, und gleichsamb bis zum gänzlichen Umbsturz gezichtiget, massen Erchtag den 20ten abends umb 3 Uhr alhier ein erstaunliches Wetter ausgebrochen, welches bis 8 Uhr nachts unter einem fast nie erlebten Blaz Regen dergestalten angedauert, dass man auf dem Schwell des Wassers von hiesigem Pfleghaus in der größten Geschwindigkeit mit einem Floß gar fieglich durch das ganze Dorf bis zum Zigelstadel und auf der andern Seithen bis Langwitz und Niederrunding hätte fahren können, wodurch nit nur alle bereits zwybrachte Äcker gwaltig abgerissen, und aus manchen insonderheit der Cammerer Zell beim Rosen Garten über 100 Fuhren des bestenn grundts weckh gefihrt, sondern nebenbei die meisten Flaxflur, Wißmathen und Kornveldter mit Erdten in einen vesten Weg gleich überschwemmet - vielen Underthannen aber das schon geschnittene Korn vom Veld weg geführt und also gänzlich verderbt worde. 
Selbst ins hiesige herrschaftliche Preuhause hat der Gewalt der Güss dermassen eintrungen, dass die mit Essig angefüllten 6 und 4 eimerige Vaß gestürzet und des Preumeisters Küsten und Kästen mit allen Habseligkeiten yber den Haufen geworfen worden. 

Aber es geht noch schlimmer:



 Dieses ist aber noch ein Schatten von einnen Unheill, so dieses Wetter im Kötztinger Berg zu Wimbach, uffm Gschaidt, Vöckhlhof, Hafenberg, Sackenried und bis über Arnbruck und Viechtach angerichtet, allermassen all dieser Orthen zwischen 3 bis 4 Uhr auf einen Augenblicklick Steine, wie die größten Wällische Nuss, Hennen Ayr und etwelche wie Mannsfaust gefallen und andurch der ganze Wintter und Sommerbau, mit denen Flax und Krauttveldern totaliter zerfezt und in Poden geschlagen, nebstbei meherister Orthen kein ganze Fensterscheiben und eben so wenig eine ganze Lag Schindl unbeschädigt gelassen worde. Das Elend ist unaussprechlich und das arme Volk gleichsamb bis zur Verzweiflung gebracht, wie dann die Mehristen nit mehr umb verschonung der Veldtfrüchten, sondern lediglich umb Erhaltung des Lebens aus ihren Hütten gegen Himmel geschriehen.....
Was wird also wohl für ein Noth bei den armen Pauersleuthen entstehen......

Aber auch diese Krise haben unsere Vorfahren überstanden wie vieles andere auch zuvor und danach.


Zum Beispiel 10 Jahre später, 1772, gab es eine noch viel schlimmere Hungersnot, und erneut kennen wir vom Rundinger Pfleger Dennerl Details von dieser Katastrophe:

Hungersnot von 1772



Aus dieser Notzeit kennen wir eine Stellungnahme der Herrschaft Runding, also gleich aus der Nachbarschaft, bei dem der Rundinger Gerichtspfleger Johann Martin Demmerle auf Anfrage aus München einige Einzelfälle und Vorkommnisse meldete[1] um anzuzeigen, wie schlimm die Hungersnot in Ostbayern wütete.
Im Mai 1772 waren alle alten Wintervorräte aufgebraucht, die neue Ernte noch weit entfernt und es häuften sich auch in der Herrschaft Runding Fälle, dass Menschen hungern mussten, ja verhungerten. So berichtet der Nothafftische Verwalter von einer verheirateten Häuslerin aus Runding, Barbara Fischer, die im Alter von 32 Jahren ganz plötzlich verstorben war, ohne krank gewesen zu sein. Allerdings, so schreibt er, „war ihr hunger- und nothvolles Leben um so sicherer bekannt, als sie täglich bei ihm und auch im Dorf und auf der Gasse jedermänniglich auf dennen Knien umb weniges Brod gebetten. Vorigen Sonntag habe sie in seinem Haus aus einer Schüssel das blaue Sauermilch Wasser, das für die Hunde aufbehalten war, und von diesen nicht aufgegriffen worden, zu sich genommen und bis auf den letzten Tropfen verzehrt“.
Da zur der Zeit wieder einmal die Angst vor einer epidemischen Krankheit herrschte, die in Böhmen bereits „wütete“ wollte der Pfleger sicher gehen und ließ den Kötztinger Arzt Halser kommen, der Demmerles Diagnose bestätigte, „die arme Tröpfin hätte lediglich aus Abgang menschlicher Nahrung und bedürftiger Lebensmittel ihre Lebenstäge vor der Zeit beschließsen miessen, sie sei also schlicht verhungert. Der Magen der armen Frau war so stark zusammengeschrumpft, dass man in selben nicht einmal mit einem Finger gelangen können. Solche Todesfälle würden sich bald häufen, schrieb der Verwalter, die wahre Brotnot würde jeden Begriff übersteigen, und die Leuthe würden in den Dörfern nur noch als Schatten herumb schwankentes ausgehungertes Volk erscheinen, und in viellen Dörfern gäbe es keinen Brocken Brot mehr und würden nur noch die Hunde haben. Brennnesseln, verdorbene Krautstingl und in blossem Wasser gesottene Petersilie“, so sähe derzeit die elende Kost der Bürger aus.
Nachdem landauf landab die Bäcker wegen Getreidemangels zu backen aufgehört hatten und das wenige Getreide viel zu teuer geworden war, sah er keinen Ausweg mehr.
Der Pfleger baten den Kurfürsten, das im Kötztinger Magazin (Zehentstadel) lagernde Getreide schnell und zügig verteilen zu lassen, später seie niemandem mehr geholfen, „jetzt können sich die armen Menschen mit der Gabe dann solang durchschlagen, bis von der Erdten andere essbare Gewächse hevorgeschoben würden“.


[1] HstA GL Fasc. 1624/4 vom 7. Mai 1772







Samstag, 7. März 2020

Das Ende des Zweiten Weltkrieges: das Ausweichlazarett in Kötzting

Staatsarchiv Landshut
Rep  164-8 Nr.3238
Ausweichlazarett in Kötzting









Frühjahr 1945 





















Im Januar 1945 wird die Lage in Deutschland immer schlimmer, denn aus den bombardierten Städten müssen viele Bewohner evakuiert werden. Vor allem die Bewohner bzw. Insassen von Altersheimen und Krankenhäusern werden nun in die vermeintlich sicheren, zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unzerstörten, Bereiche Ostbayerns verbracht.
Zu diesem Zwecke erging am 25. Januar 1945 der Befehl des Reichsverteidigungskommissars im Reichsverteidigungsbezirk Gau Bayreuth - Kötzting gehörte als Teils der NSDAP Kreisgruppe Cham zum Gau Bayreuth - dass in Kötzting das neue Schulhaus (nun das alte Schulhaus in der Holzapfelstraße)  - das damals als "altes" Schulhaus erwähnte Gebäude musste in den 70er Jahren dem Parkhaus weichen -als Krankenhaus hergerichtet werden müsse.
Bis zur Belegung könne noch weiter Unterricht in den Räumen gegeben werden.
Bereits am 1.2.1945 meldete das Landratsamt Kötzting Vollzug und berichtete, dass Platz für 70-80 kranke Personen geschaffen worden war.

Mittwoch, 26. Februar 2020

Die Bollburggasse

ein verschwundener Gangsteig gleich hinter der historischen Marktbefestigung

Für den "Ort" Kötzting war die Marktrechtsverleihung sicherlich ein entscheidender Standortvorteil für das Auskommen seiner Bürger und, später, auch einer der Gründe, warum Kötzting zum Sitz eines Landgerichts auserwählt wurde.
Es ist nichts weniger als eine Ortsverfassung, auf deren gesicherte Rechte und Vorteile sich der Marktmagistrat mit Unterstützung seiner Bürger immer wieder berufen konnte und bei der trotzdem  immer wieder in Gefahr bestand, von anderer Seite (z.B. umliegende Hofmarksherren) untergraben zu werden.
Das "Marktrecht" war also das wichtigste Attribut, um ein "Markt" zu werden.
Die nächsthöhere Stufe, die Stadt, durfte dann als Attribut und Zeichen der Stärke eine Stadtmauer errichten.
Hier in Kötzting haben wir also etwas ganz besonderes: einen befestigten Markt.

1816

Ausschnitt aus dem Uraufnahmeplan von Kötzting aus : Kötzting 1085-1985 von ca. 1816
Wie man auf dem Plan gut erkennen kann, gab es damals weder die heutige Gehringstraße noch die beiden Verlängerungen jeweils der Metz- und der Schirnstraße. Alle drei Straßenzüge wurden erst ermöglicht, als das verheerende Großfeuer 1867 diese linksseitige Hälfte der Marktstraßenbebauung in Schutt und Asche gelegt hatte. Alle diese, später abgebrannten, Marktlehen dehnten sich von den Hauptgebäuden an der Marktstraße ausgehend, in schmalbrüstigen Streifen über ihren Hinterhof meist zu einem großen Rückgebäude aus. Anschließend folgte die Bollburggasse (möglicherweise im unteren Teil sogar befahrbar), und dann setzte sich wieder der private Grundbesitz fort - nun allerdings mit unterschiedlicher Nutzung, mit Stadeln, Wiesen und Gärten, letztere vor allem im oberen Abschnitt.
Zur Verdeutlichung wo die, nun nicht mehr erkennbare, Bollburggasse heutzutage zu verorten wäre:
das schmale Gässchen zwischen der früheren Adler- und der Sonnenapotheke liegt genau auf der Flucht der Bollburggasse - und hatte früher eine Verbindung zu dieser und sollte auch in der Breite, zumindest dem oberen Verlauf, der Bollburggasse entsprechen - die eigentliche Bollburggasse (eben die Gasse hinter der Befestigung) beginnt tatsächlich aber erst ca. 50 m weiter bergauf.

Luftaufnahme Krämerarchiv: Mitte der 60er Jahre, erste Marktplatzsanierung:  Marktstraße und die parallele Gehringstraße
die weiße Linie zeigt die Lage der ehemaligen Bollburggasse mit dem Chamauer Tor


zwischen 1870 und 1906


Von Georg Rauscher, unserem Stadtschreiber, haben wir eine kleine Beschreibung zumindest des obersten Teils der Bollburggasse: Lang, lang ist es her, seit an Stelle der oberen Gehringstraße nur ein Trampelpfad bestand, über den die Ebracher, die Bewohner rund um den Torplatz und den Friedhof dem unteren Markt zustrebten, weil er eine Abkürzung des Weges bedeutete. Dass sie dadurch durch die Lücken eines Bretterzaunes schlüpfen mussten, der sich von dem Wirtsgebäude Miethaner bis zu dem ehemaligen Obstgarten Dreger (Schindler) zog, machte ihnen wenig aus. Und es störte sie auch nicht, wenn der alte Miethaner es nicht gerne sah, dass man seine Wiese zweckentfremdete. Denn das erwähnte Grundstück war tatsächlich eine große Wiese und erstreckte sich von Norden abwärts bis zur Buchdruckerei Oexler und westwärts bis zur Holzapfelstraße, die zur damaligen Zeit mehr einer Hohlgasse glich, weil an der Stelle, an der heute die Häuser Parzinger, Graßl/Schwarz und Zahorik stehen, sich ein mit Eichenbäumen bestandener hoher Rain in der gleichen Höhe wie der Dregergarten erhob. ....Vom Frühjahr bis zum Herbst wurde auf dieser Wiese das Kühgras gemäht, wuchs es doch sozusagen vor der Stalltüre. Und im Herbst, wenn es nichts mehr zu mähen gab, ließ man die Kühe darauf weiden +- es war eine ländliche Idylle im Markt.

Stadtarchiv Kötzting Lageplan späterer Buchdrucker Oexler. Die Gehringstraße
endete damals an der Einmündung der Metzstraße von rechts.
Das beschriftete  Gebäude von A. Dreger ist nun die ehemalige Bäckerei Kerscher.



Dies ist nun das letzte - zumindest literarische - Abbild vom letzten verbliebenen Teil der ehemaligen Bollburggasse. Beginnend ab dem Jahre 1906-7 wurde die Gehringstraße von der Buchdruckerei Oexler (siehe Lageplan oben)  aus nach oben durchgezogen und somit verschwanden auch die letzten Geländemarken, die auf diese alte Gasse hinwiesen. 
An manchen Baustrukturen/Baulinie der Rückgebäude (Irlbeck/Kern, Zimmerer, Wieser ) kann man noch den ungefähren Verlauf erahnen.



Wie aber ging es los mit der Bollburggasse?

1460 

Die Anfänge unserer Marktbefestigung liegen in den Wirren der Hussitenkriege. Wir kennen zwei Bittbriefe aus dieser Zeit, den einen schrieb der "arme Pfarrer" von Kötzting, der andere, wesentlich längere und ausführlichere stammt von den Kötztinger Bürgern selber, welche einen Nachlass ihrer Steuern zuerst vom Herzog und später dann auch - unter Bezugnahme der Steuernachlässe vom Herzog - auch vom Kloster Rott erbaten.
Pater Dullinger, der im 18. Jahrhundert die schriftlichen Unterlagen im Priorat Kötztings inventarisierte und datierte, nimmt das Jahr um 1460 an, an dem der Brief geschrieben ist, denn der im Schreiben erwähnte Albrecht III, war 1460 bereits gestorben.
Hochwirdiger gnädiger Herr: und das hochwirdige Convent zu Rott. Wir bringen an eür Gnad und das wirdig Convent unser groß sweres verderben und obligen, das wir erlieden haben und mit gepeu volpracht haben (Nun werden zuerst die Überfälle auf Kötzting aufgeführt, die die Bürger alleine in einem Jahr zu erdulden hatte.) Dann aber: 
Auch bringen wir an eur Gnaden und an das wirdig Convent: das uns der durchleuchtig Hochgeporene Fürst und genadig Herr Herzog Albrecht in seiner fürstlichen Gnaden Schutz und Schirm genommen hat, und hat uns genediglichen versehen mit ainer Landschaft, ein Graben umb den markt auf unser Costung den merern Tayll

Mer bringen wir an.....das uns unser genediger Herr Herzog Albrecht auffgesezt hat ein polbercht zu machen, so wir das polberch gemacht haben, so wol uns sein fürstliche genad mit genaden versehen, das nun also geschehen ist, und das Polberch verfertiget ist.

Mer bringen wir an.... das wür einen gueten aichen schrekzaun umb den margckt gemacht haben ausserhalb des Grabens


Mer bringen wir an .....das uns verpaut ist in dem Marktgraben bey achthalben Lehen, die man nymer gebauen mag, davon wir grossen abgangk haben eur gnaden zinß zu verraichen,

Auch bringen wir an ......dass um den Kirchhofe abgeprochen sind bey zwelf heuser, do wir abganck haben  wacht steuer und manschaft von den gepeus wegen.

Hier haben wir: Ein Bollwerk aus Graben, Wall und Palisaden.
Interessant an dieser Ausführung ist, dass um den Kirchhof herum - wohl angelehnt, angebaut an den Felsensporn, der heutzutage die Kirchenburg so mächtig erscheinen lässt, damals 12 Häuser (in welcher Qualität auch immer) existiert hatten, die dem Erweiterungsbau der Kirchenburg - vermutlich die äußere Ringmauer und der Graben - ersatzlos weichen mussten.

Der genaue Verlauf der Befestigung rund herum um den Markt Kötzting ist hier nicht Thema, wurde aber vom damaligen Landrichter Carl von Paur in den 1860er Jahren anhand von wenigen Spuren genau beschrieben, bevor auch diese endgültig dann verschwanden.

Das "Polberch" an der Westseite (und sicherlich auch im Norden herum um Kötzting) jedenfalls hatte die beschriebene Struktur.
In einem Beitrag über das Chamauer Tor in Kötzting in den Beiträgen zur Geschichte im Landkreis Cham von 1997, Seite 59 ff, haben Ludwig Baumann und Georg Prantl versucht die Gesamtanlage der Marktbefestigung zu rekonstruieren. Das obige Bild gibt einen guten Eindruck davon, wie die Befestigung - bei der Anlage - wohl ausgesehen haben könnte.
Die Einschränkung - bei der Anlage - ist hier besonders wichtig, weil die Kötztinger zwar in ihrem Bittschreiben an das Kloster Rott die Kosten und den Grundstücks- und damit dauerhaften Einkommensverlust aufgeführt haben, es aber in all den noch existierenden Marktrechnungen - auch wenn diese wegen des Schwedeneinfalls erst ab 1636 einsetzen - nicht ein Kreuzer an Reparaturausgaben für dieses Bollwerk zu finden ist. Auch in den noch viel weiter zurückreichenden Pfleggerichts- und Kastenamtsrechnungen findet sich nicht der kleinste Hinweis auf Baureparaturen an der Marktbefestigung. Im Gegensatz dazu sind die Baureparaturen am Schloss sehr ausführlich und über Jahrhunderte zu verfolgen.

Das bedeutet, dass wir zwar eine Vorstellung davon haben, wie das Bollwerk beim Bau ausgesehen haben könnte, aber danach gibt es zuerst einmal keine weiteren Hinweise.

1612 dann, gut 150 Jahre nach der Anlage der Befestigung, hat sich vermutlich der Graben von alleine wieder langsam verfüllt und sind die Palisaden des Schreckzaunes, auch wenn sie aus eichenem Holz gewesen war, schon lange Vergangenheit.
Im Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischen Bürgern und Landrichter über die Belegung des Friedhofes um die Pfarrkirche herum erfahren wir, dass das hierher transferierte Militär, das Viechtacher Fähnlein, bei der Fortifizierung des Marktes seine Schanzarbeiten quer durch den oberen Friedhof bezogen hat.
Der Nachfolger des angeklagten - nun verstorbenen - Pflegers muss zugestehen, dass:

Seintemallen aber obverstandenermassen der gedachte Gottesackher vor dem markht durch die aufgeworffene Stocada oder Schanzgraben zimblich starckh geschmällert und zerrissen das derselb unverwart anyetzt gleich offen stehen thuet und dermassen verwiesstet worden, dass cum venia (mit Verlaub) Hundt und Schwein darauf um gehen mögen. Selbicher auch vor der zeit allein der Sterbsleuff halber fürgenommen worden.

Auch hier ist also erneut von einem Schanzgraben in Verbindung mit einem Staketenzaun die Rede, eine Situation, wie man sie auch auf dem ersten erhaltenen Ölgemälde Kötztings im Detail erkennen kann.
 Die Bollburggasse ist also ein schneller Verbindungsweg hinter der Verteidigungslinie

30jähriger Krieg

Die Marktbefestigung hielt in Kötzting keinen einzigen Angreifer auf, lediglich die Kirchenburg bot einen zeitweiligen Schutz, wurde aber auch - wegen Dummheit der Verteidiger - eingenommen.
Beim zweiten Angriff der "Schweden" 1642 achteten die Verteidiger in der Kirchenburg mehr auf die Verhandlungen an der vorderen Zugbrücke und vernachlässigten dabei komplett den hinteren Mauerbereich, wodurch die Angreifer locker hinten eindringen konnten während vorne noch verhandelt wurde........tja, shit happens.

Nun, nach dem erzwungenen kompletten Neuaufbau der Bürgerhäuser Kötztings - dem Pflegerschloss war ja fast nichts passiert - war es den Bürgern mehr ums Überleben getan und so privatisierten wohl die Marktlehner die hinter ihren Anwesen liegenden Grundstücke Stück für Stück.



1655

Der damalige Propstrichter Adam Türrigl erstellt für sein Kloster eine Auflistung der Kötztinger Bürger mitsamt ihren Grundstücken. Es bleibt fragmentarisch, aber zumindest die ersten 20 Anwesen sind detailliert aufgeführt und zeigen bei einigen Grundstücken Ortsangaben, die auf die frühere Marktbefestigung hinweisen:
der Bürger Pachmayr - nun Amberger Hof -
besitzt ain Gartten hünderm Haus welcher bei der Schmidten mit ainer Planckhen, und sonsten bay dem Graben mit ainem Zaun umbfangen.

 







 der Garten des  Bürger Kolbinger liegt mit einem "Orth auf die Schanz gegen Herrn Thomasen Rothauer Churfürstlichen Preuverwalters und Gerichtsschreoibers Gartten ..."




 

Der Bürger Scharrer im Rindermarkt - heutzutage die Schirnstraße - besitzt einen Garten, der " mit dem andern Ort auf Adam Türrigls Marktschreibers Paumbgartten und der Schanz stosst.














Es macht den Eindruck, als wäre die Fläche, die früher einmal eine Verteidigungsanlage gewesen ist, peu a peu in einen Gemüsegarten umgewandelt  und unter die Bürger verteilt worden. Solch ein tiefgründig umgegrabener Oberboden eignet sich natürlich gut zum Anbau von Obst und Gemüse.
Mit Ausnahme des Chamauer Tores tauchen auch die anderen 3 Markttore nicht mehr in den Unterlagen auf, die Befestigung hatte schlichtweg ihre Bedeutung verloren.
Nun erinnerte die Bollburggasse eher einem Mistweg, wie in modernen Reihenhausanlagen,  um die, hinter den Anwesen liegenden, Grünflächen zu erreichen.

1700

Wie sehr auch die kurfürstlichen Beamten, hier der Hauptmann, Pfleger, Kastner , Vogt- und Landrichter alhier zu Kötzting Johann Jakob von Mayr, das Kötztinger "Schrebergartenareal" schätzten, zeigt ein Vertrag mit dem Magistrat Kötzting, der ihm erlaubte die märktische Wasserleitung beim oberen Tor anzuzapfen und das Wasser in seinen "hünder dem Polwerch von Marthi Hofmann des Rats erkauften Garthen zu führen"

1802 und 1858

Der Schulunterricht der Kötztinger Schüler fand bis um das Jahr 1858 in zwei Klassenräumen im Spitalgebäude statt. 1858 dann wurde das damals neue Schulhaus (heutzutage das Parkhaus) auf dem Gelände des Schlossgartens errichtet und die Zufahrt/Zugang zum neuen Schulhaus musste über die lehmige Hohlgasse erfolgen, die heutzutage die Holzapfelstraße ist.
Für die Projektierung dieser Straße wurde ein Plan erstellt, der auch den Bereich der Bollburggasse sehr schön aufzeigt.
StA Landshut LGäO Kötzting Nr. 97 Erbauung eines neuen Schulhauses in Kötzting von 1858

Auf dem Plan sieht man ganz deutlich die Bollburggasse, die sich im oberen Bereich zwischen Wiesen, Städel und vor allem Gärten schlängelt. Das Anwesen Schwarz (vorher Kötztings erstes Forstamt und vorher in Besitz des Gerichtsschreibers Preiss ist heutzutage das Kaufhaus Wanninger) hatte offensichtlich einen gepflegten Garten. Sein Unterlieger, Schindler, hatte auf beiden Seiten des Weges eine Bebauung und ebenfalls einen Garten. Weiter hinunter in der Reihe der Marktlehen waren es dann zuerst einmal zumeist Wiesengrundstücke (Hastreiter, heutzutage Miethaner)
HStA München GL fasc 1836/75 Antrag die Bollburggasse, zu verschließen

Im Jahre 1802 beschwerte sich der damalige Gerichtsschreiber Preiss über nächtliche Umtriebe und permanente Schäden an seinem Eigentum.

In diesem Ausschnitt wird mit "A" bezeichnet: Gäßl, so man zu verschlüssen gedachte
Mit "B.B." zwey Gärtl des Gerichtsschreibers ... zwischen dessen Stadel und Neubaugebäude

Wie, weiter oben, bereits von Georg Rauscher in seinen Erinnerungen geschildert, war die Bollburggasse eine Abkürzung für Bürger aus dem oberen Markt, um in den unteren zu kommen und wieder zurück nach nach Hause.
Es gab aber auch einen Sonderfall:

Zur kurzen Einführung: Die 36 Kötztinger Marktlehner hatten durch ihren Freiheitsbrief u.a. die uneingeschränkten Brau- und Schankrechte erhalten - und dies auch noch in einem Umkreis von 2 historischen Meilen. Eingeschränkt wurde dieses Monopol nur durch die individuellen Braurechte, die adelige Familien dem Herrscherhaus im Laufe der Jahrhunderte abgetrotzt hatten. Kötzting als Verwaltungszentrum und Marktplatz (alle Waren mussten damals auf/über den Markt verkauft werden) versorgte seine Bürger und Kunden mit einer "Perlschnur" an Wirtshäusern, beiderseits der Marktstraße.

Nun zum Problem:

Damals herrschte strenge "POLIZEI", der damalige Ausdruck für eine Sperrstunde.
Wenn also Kötztings (der Bürgermeister/Kammerer hatte seinen eigenen "Polizisten") Gendarm  - zumeist gleichzeitig auch der Flur- und Nachtwärter - diese Sperrstunde kontrollieren wollte und die Wirtsstuben vorne von der Marktstraße her betrat.........wichen die ertappten Gäste einfach nach hinten aus und entwischten nach oben und unten über die Bollburggasse.
Eine sehr frühe Discostrecke also.
Auch Spätheimkehrer, stille und laute, streitende und gerne auch raufende, zogen öfters über den hinteren "Schleichweg" nach Hause, und manche dieser Streitereien wurden wohl zuerst nur lautstark ausgetragen, bis man dann oben bei den Zaunlatten des Gerichtsschreibers Preiss angelangt war, wo man sich dann leicht und wiederholt munitionieren konnte.
Gerichtschreiber Preiss jedenfalls beschwerte sich bei der Regierung in Straubing über die andauernden Belästigungen und Beschädigungen und stellte den Antrag, diesen Schleichweg verschließen zu dürfen.
Vergeblich, wie man weiß, erst der Straßenneubau nach dem Marktbrand 1867 ließ stückweise diesen alten Kötztinger Weg verschwinden.

Ein kleiner Rest dieser alten Kötztinger Gartenkultur war der kleine Garten von Frau Sonnleitner in der Gehringstraße. Dieser Gemüsegarten dürfte mit dem äußeren der beiden Gärten des Gerichtsschreibers Preiss in Teilen übereinstimmen.
Arbeitskreis  Heimatforschung Serwuschok 202 von 1973


 
Mit der Projektierung und dem schrittweisen Bau der späteren Gehringstraße wurde gleichzeitig auch versucht, das Kötztinger Abwasserproblem in den Griff zu bekommen.
Auch hier kurz zur Erinnerung: Dachrinnen, Fallrinnen und Abwasserkanäle waren nicht einmal auf der Marktstraßenseite gebräuchlich damals, umso weniger auf dem Trampelpfad hinter den Gebäuden, wo aber viele Marktlehner Feldscheunen inkl. Kellergewölben hatten, die regelmäßig überschwemmt wurden.
 Mit dem beginnenden Neubau der - späteren - Gehringstraße wurden nun die ersten systematischen Abwassersammler gebaut.
Genauso abschüssig, nur um ca. 15m nach rechts versetzt und weniger breit muss man sich die Bollburggasse vorstellen, ungepflastert, durch jahrhundertelange Nutzung aus festgestampftem Lehm, wehe den Bewohnern im unteren Markt, wenn bei Starkregen die Brühe die Bollburggasse herabgeschossen kam.
Bild Arbeitskreis Heimatforschung KUSW821




Sonntag, 9. Februar 2020

Der Schi-Stra-Bus - ein Beruhigungspflaster für den Bayerischen Wald


Der Schi-Stra-Bus und die Zellertalbahn

Bild von Michael Bauer vom DGEG Museum in Westerwald Schi-Stra-Bus bei einer Museumsfahrt 2002
Der folgende Beitrag über den Schi-Stra-Bus stammt bereits aus dem Jahre 2016, aber ein Überaschungsfund im Winter 2020 bringt mich dazu, den Beitrag noch einmal zu überarbeiten. Was ist der Hintergrund:
Schon seit vielen, vielen Jahren bin ich auf der Suche nach einem Dokumentarfilm mit dem Titel  "Der große Wald", den die Firma Leckebusch aus München in den Jahren 1955 und 1956 im Bayerischen Wald gedreht hatte.
Ich kenne Zeitungsberichte sowohl über die Dreharbeiten in Kötzting als auch aus späteren Zeiten  von den Filmvorführungen. Auch in der "Filmographie" der Firma Leckebusch, die schon lange in Konkurs gegangen ist, ist der Film aufgeführt, ohne allerdings auf einen Link oder Hinweis zu verweisen, wo noch eine Kopie des Films stecken könnte. Vom Bundesfilmarchiv in Berlin, in den einschlägigen Filmarchiven in Bayer, ja sogar bei der Nationalparkverwaltung im unteren bayerischen Wald, überall habe ich nach dem Film gesucht und in der letzten Januarwoche 2020 dann hat ihn mir Sepp Barth aus der Bad Kötztinger Kurverwaltung per USB-Stick präsentiert. Der Tourismusverband Ostbayern e.v. hatte diesen Film wohl schon lange/immer in Besitz und ihn auch digitalisieren lassen.
Über Sepp Barth habe ich dann auch die Erlaubnis erhalten den Film bzw. Teile davon zu verarbeiten.
Der Film ist solch ein tolles Zeitdokument, dass die Veröffentlichung nicht durch mich erfolgen wird, das ist eher einer Aufführung im Rahmen des Kötztinger Waldvereins passend. Später einmal kann ich dann Teile davon - zumindest was die Kötztinger Filmsequenzen betrifft - besprechen.
Übrigens, es gibt noch einen Film mit/über Kötzting, den es zu entdecken gilt, nur kenne ich von diesem nur einige wenige - so sagt man wohl heutzutage - Screenshots. Es geht um einen "Pseudopfingstfilm", nach einem Roman von Maximilian Schmidt. Wenn ich richtig informiert bin spielt Herr Henneberger den Pfingstbräutigam und das Pfingstbrautpaar fährt in einer Kutsche.
Nun aber zurück zum Grund, weshalb ich den Schi-Stra-Bus Beitrag noch einmal in die Gegenwart vorhole:
Im Film, der große Wald, ist der sprichwörtliche Rote Faden eine Fahrt mit dem Schi-stra-bus sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße vom Norden bis hinunter in den Süden des bayerischen Waldes, eben des "Großen Waldes". Zwei dieser Sequenzen, einmal eine Fahrtstrecke und einmal das Wechseln von der Schiene auf die Straße, habe ich herausgeschnitten und darf ich hiermit - mit Erlaubnis des Tourismusverbandes Ostabayern e.v. präsentieren
Die Landschaftsaufnahme KÖNNTE der Bereich nach dem Bahnhof Blaibach in Richtung Kötzting sein....


Der Umbau und der Wechsel von der Schiene zur Straße..... im Film heißt es es wäre im Bahnhof Kötzting geschehen, ich glaube es aber nicht, der Hintergrund passt einfach nicht. Es ist die Technik, die hier so besonders ist.

Kötztinger Umschau von 1955

Der Kampf um die Zellertalbahn reicht zurück bis weit in das 19. Jahrhundert, schon die erste Industrieansiedlung Kötztings im Regenstein durch den in Eschlkam geborenen Schriftsteller Maximilian Schmidt, genannt Waldschmidt, gründete auf der Phantasie, dass mit dieser Bahn der Rohstoff Holz und die Papier- und Pappe- Fertigprodukte preiswert zu den Kunden und Abnehmern gefahren werden könnten. Aus dem großen Projekt wurde ein Pleiteunternehmen, weil die Bayerwald Eisenbahn Linie nicht über Kötzting sondern über Viechtach und Teisnach hinaus nach Deggendorf und Plattling geführt worden war.
Viele Jahrzehnte später wurde dann Kötzting selber an das deutsche Eisenbahnnetz angeschlossen. Anschließend kam die Strecke Lam Kötzting-Zellertal zur Ausführung - vorerst noch ohne eine direkte Verbindung der beiden Teilstrecken, weil der damalige Kötztinger Bürgermeister Kollmaier die Abgabe des dazu notwendigen Wiesengrundes verweigerte. Diese Weigerung erbrachte als, eigentlich provisorisches, Ergebnis einen Kötztinger Nebenbahnhof, den Bahnhof Zellertal, so dass unser eigentlicher Bahnhof  - und im Internet bei Buchungen ist er auch so vermerkt- Kötzting Hauptbahnhof heißen müsste.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgte dann der Lückenschluss über Miltach nach Straubing.
In den zwanziger Jahren kam dann wieder die Idee der Zellertalbahn auf und viele interessierte Kräfte versuchten diese Idee zu realisieren aber erneut war es die Waldbahn, die sich als Regentalbahn durchsetzte und den Streckenschluss von Viechtach nach Blaibach folglich realisieren konnte.

Bei vielen Entscheidungen gegen die Zellertalbahn waren es durchaus wirtschaftlich Gründe, die in den schweren Zeiten gegen den Bau sprachen  aber manchmal auch der nachgewiesene Einfluss der Regentalbahn in Viechtach der in München als Bremser wirkte.

Kötztinger Umschau Februar 1950
Dieser Einfluss wird vor allen dann ab 1949 deutlich, als diese Bahn von vielen Bürgermeistern (von Cham bis Zwiesel) und vor allem von den vielen tausenden Arbeitslosen als der große Heilbringer angesehen wurde.
















Kötztinger Umschau Dezember 1949, die Kräfte werden gebündelt







 Liest man die vielen Zeitungsberichte und die Protokolle der Politikerreisen aus den Jahren 1949 bis 1953 so ist der Ablauf ein beredtes Zeichen für unterschiedliche Einflussnahmen auf die verschiedenen Entscheidungsträger.





Ganz grob kann man sagen, dass, angeschoben zuerst vom Bundestagsabgeordneten Ludwig Volkholz, sich ein Zellertalbahnkomitee gegründet hatte, in welchem sich die Bürgermeister der interessierten Städte und Gemeinden zusammenschlossen (in der Zeitung heißt es: natürlich ohne Viechtach). Der Bundesverkehrsminister wurde eingeladen und befürwortete die Strecken, die Bundesbahn befürwortete die zellertalbahn ebenfalls, stellte aber klar, dass angesichts der leeren Kassen ein Neubau auf ihre Kosten nicht in Frage käme. München sollte nach der Vorstellung der Bundesbahn den Neubau finanzieren und dort wollte der Bundesverkehrsminister auch vorstellig werden. Aber bei der Abstimmung im Landtag in München berichtet die Presse nachträglich von einer entscheidenden Einflussnahme der Regentalbahn auf die Abgeordneten.

Also ganz grundsätzlich zwei Lager: die Zellertalanlieger und der Bund dafür, München, die Post mit ihrem Bussystem und Viechtach mit der Regentalbahn AG waren dagegen.













Wie das Kaninchen aus dem Zylinder zog nun die Deutsche Bundesbahn den Schi-Stra-Bus, den Schienen Straßen Bus hervor. Ein, heutzutage würde man sagen, Hybridantrieb ermöglichte es dem Fahrzeug sowohl auf der Schiene als auch auf der Landstraße im Zellertal zu fahren. Der Zug kam in Kötzting von Cham kommend an, wurde dort hydraulisch angehoben und von dem Drehkranz der Schienen herunter auf seine Räder gehoben. anschließend fuhr der Bus auf der - sehr maroden - Zellertalstraße bis nach Bodenmais, wo er wiederum auf die Schienen der Bundesbahn wechselte.

Im Detail war der Einsatz, lt Wikipedia auf der Strecke Passau Cham geregelt:

Einsatz


Passau–Cham

Die ersten drei Serienfahrzeuge wurden mit Beginn des Sommerfahrplans ab dem 8. Juni 1953 auf der Strecke von Passau nach Cham eingesetzt:

Von den 140,7 Kilometern Gesamtstrecke wurden somit 63,8 auf Schienen zurückgelegt. Für das Umsetzen von der Schiene auf die Straße und umgekehrt wurden jeweils zehn Minuten eingeplant. Zusätzlich erfolgte ein Fahrtrichtungswechsel im Bahnhof Zwiesel. Die gesamte Reisezeit betrug fünfeinhalb Stunden. Die Verbindung wurde einmal täglich angeboten. Weil es in Cham keine Unterstellmöglichkeit gab, verlängerte man sie später unter Nutzung der Bahnstrecke Schwandorf–Furth im Wald um 19,2 Kilometer bis Furth im Wald. Hierzu war ein weiterer Fahrtrichtungswechsel in Cham erforderlich.
Die Verbindung im Bayrischen Wald bestand bis zum Ende des Sommerfahrplans 1956 und wurde vor allem wegen der im Winter auftretenden Traktionsprobleme aufgegeben. Als einzige der Verbindungen mit dem Schienen-Straßen-Omnibus erhielt sie unter der Nummer 426h eine eigene Fahrplantabelle im Kursbuch der Deutschen Bundesbahn und war deshalb auch in der beiliegenden Karte mit einer besonderen Signatur eingezeichnet.

Lt den Berichten in der Kötztinger Umschau wurde allerdings zuerst einmal im Februar 1957 für ein paar wenige Tage der Betrieb eingestellt, im darauf folgenden Sommer allerdings tauscht das Fahrzeug nicht mehr auf.


Gesagt getan, mit großem Pomp wurde die Betriebsaufnahme in Kötzting und die erste Ankunft in Arnbruck gefeiert. Kurz zuvor war die Deutsche Post mit einem Einspruch gescheitert.
KÖZ1953-1

1953-2

Im vergleich der beiden Photos - oben die Zeitung und unten die Umschau - sieht man den Qualitätsunterschied der damaligen Drucktechnik


KU vom Februar 1953

 
KÖZ 1953-4




KÖZ1953-5

 
KÖZ1953-5

KÖZ1953-6






Die fahrplanmäßige Verbindung von Passau nach Cham beginnt, Kötztinger Umschau von 1953


Hier und folgend einige Aufnahmen, die ich von unserem Schi-Stra-Bus aus einem Film des Bundesfilmarchivs als Standbilder herauskopiert habe:

Der Film beginnt in Cham, dann folgt die geschlossene Schranke in Chamerau mit dem Stocker Haus im Hintergrund und dann der Fahrwerkswechsel auf dem Kötztinger Bahnhof.















Ein großes Hindernis - oder zumindest eine große Schwierigkeit für das Fahrzeug - aber war der Zustand der Zellertalstraße - ein anderes Projekt, dass schon seit Jahrzehnten in der Schublade gelegen war -  der für den doch relativ großen Schi-Stra-Bus einige gefährliche Begegnungen mit anderen Kraftfahrzeugen brachte.
Noch 1957 zeigt ein Bild der Ausbesserungsarbeiten dieser Straße in welch katastrophalem Zustand der Straßenbelag war und es ist ein Wunder, dass die Bundesbahn sich auf dieses Experiment überhaupt einließ.

Zellertalstraße kurz vor Traidersdorf im Jahre 1957 - auf dieser Straße musste der Schi-Stra-Bus täglich fahren....und das auch im Begegnungsverkehr mit diversen Lastwägen, was auch häufiger zu Unfällen führte..

Wie in Wikipedia nachzulesen, wurde der Betrieb des Schi-Stra-Busses nach Ablauf des Sommerfahrplanes 1956 eingestellt, weil es in den Wintermonaten auf den Straßen des Bayerischen Waldes unüberwindliche Schwierigkeiten gegeben hatte.


Laut dem Bericht in der Kötztinger Umschau aber wurde der Betrieb zumindest noch bis Februar 1957 fortgesetzt, dann erlaubte der Straßenzustand keine Weiterführung mehr und im Sommerfahrplan 1957 gab es dann keinen Schi-Stra-Bus in Kötzting mehr


Am Ende nun ein link auf den Film in Bundesarchiv, im Laufe der Wochenschau des Jahres 1953 taucht auch unser Schi-Stra-Bus auf, aber auch der Rest des Filmes ist interessant
Die Zeitungsauschnitte stammen alle von der Kötztinger Umschau, die in der UNI Bibliothek in Regensburg archiviert ist.


Eine Zufallsbegegnung brachte noch einen schönen Fund für diese Straßen- Schienenverbindung und auch den Beweis wie klein und vernetzt diese Welt mittlerer weile ist.
Letzten Mittwoch, Anfang September kommt eine mail aus dem Stadtarchiv Amberg, weil der dortige Archivdirektor in einem meiner Beiträge die Familie Hubrich gefunden hatte - Google machts möglich - und er über Eugen Hubrich, einen unserer Ehrenbürger, einen Bericht zusammenstellt, den wir übrigens nach der Veröffentlichung erhalten werden. Ein Wort gab im Gespräch das andere und ich konnte ihm einiges an Material aus unserem Archiv zusammenstellen. In diesem Zusammenhang sah ich in den Unterlagen, die der Arbeitskreis Heimatforschung Kötzting von Hubrich gesammelt hatte das Manuskript eines Theaterstücks von Hubrich, der genau diese Verkehrsverbindung in einem Einakter als Komödie thematisiert.
Er entwirft ein Szenario, dass die Einweihung genau am Pfingstmontag stattfinden sollte und sich im Zellertal der Schi-Stra-Bus und der gerade stattfindende Pfingstritt begegnen würden, was dann natürlich angesichts der Straßenbreite und der Zuggröße nur in einer Katastrophe enden kann.
Hier nun ein paar Seiten aus dem Originalmanuskript mit dem Höhepunkt und ein paar Pfingstszenen:

Fahr ma oder fahrma net?
Schwank in 1 Akt von der Eröffnung der Zellertalbahn Bodenmais Kötzting
von Eugen Hubrich


erste Seite







Beschreibung der Kötztinger schweren Pferderassen, die "Auwosserer Langschwoifler"

der Zusammenstoß in der Pfingstreiterstraße bei der Konservenfabrik







Donnerstag, 30. Januar 2020

Ein Rätsel für Autokenner

 Ich habe heute Bilder von Ostern 1975 digitalisiert und bin über das Bild eines Autos gekommen, das ich nicht einordnen kann.
Nur aus reiner Neugier: was ist/War das für ein Fahrzeug, das an Ostern 1975 auf dem Weg zum Arber hängengeblieben ist:
Offensichtlich Vorderradantrieb und die Fahrertüren öffnen sich nach vorne.
Das Markenzeichen vorne sieht fast wie das von AUDI aus, aber das glaube ich nicht, die Audis der 70er Jahre glaube ich zu kennen.



was ist das für ein Auto?