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Montag, 8. April 2019

Der Kötztinger Spartakistenaufstand vom April 1919

Die Zeiten waren schlecht in der Nachkriegszeit in Deutschland und sicherlich besonders trüb im Bayerischen Wald, der damals auch als besonderes Notstandsgebiet galt. In den Kötztinger Zeitungen beklagten sich die Arbeiterräte, also die Vertretung des Arbeiterstandes, dass die "Brüderlichkeit" der  Beamten, Bürger und Bauern den Arbeitern gegenüber, welche an der Front geherrscht hatte, nun, nach dem Kriege, wieder der Vergangenheit angehören würde und sich die Besitzenden nicht um die Not der zumeist arbeitslosen Arbeiterschaft kümmern würden.
In Kötzting kam es laufend zu Versammlungsaufrufen der verschiedensten Interessenverbände und Parteien und vor allem ein Herr Stöger, in anderen Quellen Steger genannt, wirbelte die öffentliche Meinung gehörig durcheinander.
wenn nicht anders gekennzeichnet stammen die Zeitungsausschnitte
alle aus dem Kötztinger Anzeiger von 1919





Bei der Generalversammlung am 23.2.1919 wird der "Einberufer" mit Namen genannt: Stöger, der Mann, dessen Verhaftung  später der Auslöser des Aufruhrs in Kötzting gewesen ist.












Eine Versammlung folgte der nächsten, hier nur ein kleiner Ausschnitt der verschiedensten Interessengruppen, welche in der Zeitung erschienen waren.













































Schon im Januar gab es in München Streitigkeiten zwischen dem Vollzugsrat der Arbeiter und der Landesregierung, wobei der Vollzugsrat die Macht beanspruchte.  Nach der Ermordung Eisners und der Bestimmung eines neuen Ministerpräsidenten kam es kurze Zeit später zu einem erneuten Putsch, worauf die Regierung Hoffmann nach Bamberg übersiedelte und München in der Hand der Räterepublik verblieb.


Nun kam es auch in Kötzting zu Aufrufen, in die sich bildenden Freikorps einzutreten. In Cham bildete sich ein Grenzschutz-Bataillon und forderte die Bürger, Arbeiter und Bauern Kötztings zum Beitritt auf, um München zu schützen.  
In Kötzting ging es nun Schlag auf Schlag: Am 13. April fand die Gründung einer "sozialen Bürgervereinigung" statt, ausgesprochen als Protestkundgebung gegen die Räterepublik und als Kundgebung für die Regierung Hoffmann. 2 Säle im Gasthaus Graßl reichten nicht, um die Teilnehmer aus dem ganzen Bezirke aufzunehmen. Der stellvertretende Vorsitzende der Bürgervereinigung, der Kaufmann Kroher (der Vater unseres späteren Bürgermeisters) ermahnte die anwesenden Arbeiter und "Nichtbesitzenden" zur Geduld mit der Regierung Hoffmann, diese werde alles ihr Mögliche tun um ihre Lage zu verbessern.  Das Schimpfen auf den Kapitalismus sei sinnlos und die Sozialisierung von Betrieben in der gegenwärtigen Situation gefährlich und keine Spielerei.  Am Schluss seiner Rede forderte Kroher die wohl 1000 Teilnehmer zu einem dreifachen Hoch auf die Regierung Hoffmann auf, "in das von der gesamten Volksmenge begeistert eingestimmt wurde. Die anwesenden wenigen Kommunisten, Spartakisten und Bolschewiken, welche sich während des Vortrages ziemlich ruhig verhalten hatten, kamen nun in große Erregung, denn sie mussten fühlen, wie ihnen das Wasser auf ihre Mühlen abgegraben worden, und dass ihr unheilvoller Stern im sinken ist." Der Redakteur - schon in seiner Berichterstattung der Kundgebung sehr einseitig- gibt seinen Lesern und den Bürgern noch ein paar Leitlinien mit: "Die staatstragenden Elemente .....mögen sich aber gesagt sein lassen, dass die Zeit einer königlich bayerischen Ruhe seit der Revolution für immer vorbei ist und das das zwingende Gebot der Stunde heißt, organisieren, handeln und gegenseitig schützen. Nur durch festes Zusammenstehen der mittleren Stände unseres Volkes werden die staatszersetzenden unsauberen Elemente in Schach gehalten und schließlich auch wieder zur Vernunft gebracht!"



Nun, die Reaktion folgte bereits am nächsten Tag:
gewalttätige Demonstration in Kötzting - Bürgermeister Schödlbauer verprügelt
Am 14. April kam es dann in Kötzting zum großen Knall. "Unter lautem Schreien und Lärmen zug gegen 8 Uhr abends gestern eine Menge Demonstrierender, meistens Arbeiter, die allem Anschein nach durch gemeine, äußerst infame Lügereien aufgehetzt wurden, vom Bahnhof herauf in die Bahnhofstraße, bewaffnet mit Stöcken und Steinen um gar so manchem friedliebenden Bürger, wie man aus den furchtbaren Drohungen entnehmen konnte, den Garaus zu machen. Einfach scheußlich, wenn man den Vorgang mitansehen mußte, mit welch wildem Gebrüll das vor sich ging. Nicht genug mit dem furchtbaren Geschrei warf die Menge Herrn Vogl die Fenster, dann in ihrer blinden Wut und unüberlegter Handlungsweise dem Buchbindermeister Wilhelm Oexler die Fenster ein, beschädigten Türe und Auslage sowie Glasaufsatz, ein Schaden von ungefähr 450 Mark. Herr Bürgermeister Schedlbauer ermahnt die Menge zum Auseinandergehen aber statt diesen in seinen Ratschlägen zu folgen gebärdeten sich diese wie wilde Tiere und fielen über ihn her und bearbeiteten ihn mit Stöcken. Heute nun wurden die Hauptschuldigen verhaftet und mittels Lastwagen fortgebracht. Dass die Sache sich nicht gerade so leicht abschütteln läßt, wird sich zeigen, zumal wir im Belagerungszustand uns befinden."  


Georg Rauscher, der Kötztinger "Stadtschreiber" war als junger Mann selber Augenzeuge dieser Vorgänge und beschreibt die chaotischen Tage in einem seiner Kurzberichte.
Georg Rauscher in der Kötztinger Umschau vom 19. und 20. April 1969
Kötztinger Umschau vom 5.4.2019
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Bericht in der Umschau der letzten Woche, als es um die Nachkriegsgeschichte in Miltach ging, der dortige Expositus Karl Kirchgartner bekam ebenfalls Nachrichten von den Vorgängen in Kötzting und befürchtete als Folge davon sogar einen Bürgerkrieg in Bayern.














Was war nun die Reaktion in Bayern auf die gewalttätigen Unruhen im Lande: die Regierung Hoffmann, die die Nachfolge nach der Ermordung Kurt Eisners angetreten hatte und angesichts der Ausrufung der Räterepublik in München nach Bamberg ausgewichen war, verhängte bayernweit das Standrecht und auch in Kötzting bildete sich eine Einwohnerschutzwehr, die zwar zum Üben ausrückte, aber nie zum Einsatz kam, im Gegensatz zu den Freiwilligen aus unserer Gegend, welche sich der Regierung bei der sogenannten "Weiße Truppe" zur Verfügung gestellt hatten.



Damit endete zwar nicht die Not der Menschen in Kötzting, aber die Unruhen fanden hier, nach einem kurzen Aufflackern, ein schnelles Ende. Mehr zu diesem Thema zuerst einmal in der Pfingstbeilage der Kötztinger Zeitung in diesem Jahre. Vor Allem der schroffe Gegensatz der Lebenswirklichkeit der arbeitslosen Kriegsheimkehrer mit dem Wunsche der Jugend und vor Allem der Frauen und Mädchen nach all den Jahren des Tanz- und Vergnügungsverbotes endlich wieder mit Freude leben zu können, äußerte sich in schrillen Angriffen auf das "vergnügungssüchtige Weibervolk" in den Leserbriefspalten des Kötztinger Anzeigers