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Sonntag, 28. Dezember 2014

Kötzting im Jahre 1905


Eigentlich ist es ja eine Art Wiederverwertung bzw. Recycling, was ich hier betreibe. Die Pfingstbeilage "Kötzting vor 100 Jahren" kann ich hier zwar ein zweites Mal verwerten, allerdings, und das ist hier das Wichtigste, ich bin an kein Zeilenvolumen gebunden und ich kann soviel Bildmaterial einbringen wie ich möchte. Und diese Vorteile kann ich hier wirklich weidlich nutzen. Auch Kleinigkeiten, die ich in der Pfingstbeilage eher unter den Tisch fallen lasse, können hier wieder mit aufgenommen werden. Heuer z.B. die Widmung der Holzapfelstraße oder die neue Schubleiter der Feuerwehr Kötzting.
Im Endeffekt entsteht hiermit eine kleine, bebilderte, Chronik Kötztings.
Ich habe viel Unterstützung durch tolles Bildmaterial erhalten und möchte mich ausdrücklich bei Michi Zilk, Michael Traurig und bei unserem Arbeitskreis Heimatforschung also Frau Rabl Dachs und Frau Kretschmer bedanken, die mir schnell, teilweise blitzschnell, Bildmaterial zugeliefert haben. Also nun gehts los:


Kötzting vor 110 Jahren

Das Jahr 1905

Wie eine Mischung aus BILD und Kötztinger Zeitung erscheint aus heutiger Sicht der frühere Kötztinger Anzeiger[1]. Er brachte – auf ein und derselben Seite -  sowohl die Nachrichten aus der großen weiten Welt als auch die alltäglichen Kleinigkeiten aus der näheren Umgebung. In der ersten Ausgabe des beginnenden Jahres 1905 wurde noch von den letzten Neuigkeiten rund um den Jahreswechsel und um Weihnachten berichtet.
So erzählten die Neukirchener, dass im nahen Rothenbaum in Böhmen während der Christmette eine „solemne Rauferei“ mit Messern und Revolvern ausgetragen worden war, in Folge derer die Andächtigen in wilder Flucht aus der Kirche geeilt waren.
Chamerau amüsierte sich über einen Mann, der allein dadurch bereits Aufsehen erregt hatte, dass er nach der Messe am Stephanitag mit einem Strohhut durch die Menge am Friedhof geschritten war. Wenn man keine Nachrichten hat, dann muss man sich eben welche machen.


Zwei große Ereignisse prägten das öffentliche Leben und die Berichterstattung in Kötzting im Jahre 1905. Zum einen war das natürlich das Pfingstfest mit all seinen Begleiterscheinungen, zum anderen wurde im Spätsommer ein großes Landwirtschaftsfest mit Volksfest über mehrere Tage hinweg gefeiert.
Zuerst noch ein paar Kleinigkeiten:
Der am 3.06.1902 gegründete Bezirks=Fischerei=Verein wurde mit dem Jahreswechsel Besitzer des Hafenbrädlschen Fischwassers vom Wehr der Marktmühle bis hinauf zum Wehr der Hohenwarther Mühle.



Mitgliedsurkunde für Rudolf Häfner
Sammlung Voithenleitner



Alle Kötztinger Vereine hielten ihre Faschingsbälle, der Burschenverein eröffnete den Reigen beim Burschenwirt Lemberger im Saal, heute Marktstraße 7.  "Weiß man doch" schrieb der Chronist in der Zeitung über die Dekorationsvorbereitungen der Kötztinger Burschen,  "daß der Ball des Burschen=Wanderer=Vereins immer einer der schönsten war und so verspricht derselbe besonders heuer ein recht amüsanter zu werden...." Der Turnverein tanzte beim Mühlbauer Georg (=Dimpfl, am hinteren Ende der Metzstraße)
beim "Dimpfl" Ecke Metzstraße - Brandstraße Bild: Arbeitskreis Heimatforschung
und der Lichtenegger Bund hielt sein „Tänzelfest“ beim „Gumbirl im Krähwinkel“ (damals Wirtshaus Wagner, heute Heigl Schlosser in der Marktstraße); der katholische Gesellenverein[2] hatte sein Vereinslokal beim Januel und glänzte dort mit seinen vielbeachteten Theateraufführungen.

beim "Leboid" Bild Arbeitskreis Heimatforschung



Am ersten März schrieb der K.A. in Erinnerung an das Tänzelfest im Krähwinkel, gegeben von den Lichtenegger Rittern :
Und siehe da! Sie sind gekommen
Die Ritter und die edlen Frauen
Und haben Fräuleins mitgenommen:
Sie wollten männiglich ja schauen
Krähwinkels Pracht und seine Größe-
Das gab ein Lärmen und Getöse!
Fidele Stunden sind gewesen
Die ritterlich man hat genossen,.
In fernsten Zeiten wird man lesen:        <<<<<<<<<<<<<<<<wie wahr, heute nach 110 Jahren
"Krähwinkel" wurd mit Bier begossen.
Dazu dann Tanz und Kurzweildinge:
Zu Hilf! Daß ich sie recht besinge.
Er hat die Dimpflburg gebauet                                            wir viele Bilder und Aquarelle von
Krähwinkel selber und so weiter,                                        Kötzting und seiner Umgebung aus
All was man staunend hat geschauet.                                  den Jahren 1899 bis 1905
Es sei ihm Dank und Ehr erwiesen
und seine Kunst stets hochgepriesen!
Zu helfen kam zu Kurzweilspielen
Gar mancher Gast und mancher Ritter;
Wer könnt sie nennen aus den vielen,
Die trotzten Stürmen und Gewitter.
Auch ihnen Dank und allen Leuten
Die nicht den Weg zum feste scheuten.
Darum, ihr Ritter, helft zusammen;
Der Rittergeist uns stets beseele:
Und Allen, die zum feste kamen,
Ein "Gern Gedenken" niemals fehle!
In jedem Monat einmal kommet!-
Wie´s Lichteneggern Rittern frommet.
bereits 1889 erweiterte Josef Wagner sein Lokal um eine Kegelbahn: in der Legende: K=Voithenleitner Haus M = Teil des alten Rathauses Bild Staatsarchiv Landshut
nach dem Burschenball noch eine zünftige Kneipe am
Faschingswochenende
Auch wenn der Fasching, wie es sich gehörte, am Aschermittwoch (8. März) endgültig vorbei war, so gab es doch einen guten Grund noch ein wenig weiter zu feiern: der Flottenverein - in Kötzting zu Unterstützung der deutschen Flotte des Kaisers in Berlin vor wenigen Jahren neu gegründet - hielt im Decker Bräustübl (Jahre später das Monokel in der Holzapfelstraße, heutzutage Wohnhaus) einfach einen "Seefischball" ab und so gings halt noch ein wenig in die Verlängerung.....Aber schon am 13. März fand die Prinz=Regenten=Feier statt, natürlich beginnend mit einem Festgottesdienst, nachfolgend einem Festumzug aller Kötztinger Vereine und einem Konzert der Musikkapelle "Mühlbauer". Kernige Reden wurden geschwungen und von Seiten des anwesenden Militärs ein Hoch auf das "schöne und gastliche Kötzting" ausgebracht. "Noch lange hielt eine herrliche Feststimmung an und die Weisen der Musikkapelle erschollen fort und fort und des Berichterstatters Verschwiegenheit nennt nicht die Zeit, zu welcher die letzten vom Festfrühschoppen nach Hause gezogen sind."

Wiedereinführung von monatlichen Viehmärkten

da "Schousta"Sepp aus Gehstorf am Saumarkt am Marktplatz
Bild von Christa Rabl-Dachs
Bild Arbeitskreis Heimatforschung
Mit Regierungsgenehmigung hat der Kötztinger Magistrat beschlossen  an 14 Freitagen in Kötzting wieder Viehmärkte abzuhalten. Die tierärztliche Kontrolle wird an den Haupteinfallsstraßen in Kötzting durchgeführt: beim Kugelmeier, beim Januel, auf der Bahnhofstraße, hier noch Straubingerstraße genannt und beim Kollmaier (damals vor der Oberbergerbrücke, nun Anwesen Meimer) Die Viehmarktplätze sind für Schlachtvieh die Metzgasse und für das gewöhnliche Vieh die obere Marktstraße, für Schweine war ebenfalls die Metzgasse reserviert.



Adelheid Plötz als Händlerin
am Viehmarkt
Bild Arbeitskreis Heimatforschung
In der Mitte der Straße hat eine Gasse freizubleiben. dass eine Passage für Personen und Fuhrwerke übrig bleibt. Im Übrigen sei: "das Anschwellen der Euter der zum Verkauf gebrachten Tiere verboten!"
Noch in meiner Kindheit, so erinnere ich mich bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein, dass an manchen Freitag sehr früh am morgen Schweinemärkte am Marktplatz unterhalb und seitlich des Marktbrunnens abgehalten wurden. Es standen die flachen Holzkisten, gefüllt mit Stroh und den quiekenden Jungschweinen, in Reih und Glied am Straßenrand. Als ich noch ein kleiner Bub war, so unter 4 Jahren, wurde ich von meinem Großvater hinaus auf den Marktplatz geschickt um ihm die an diesem Tage gültigen Schweinepreise zu überbringen, interessiert hatte es ihn sicherlich nicht, er machte ihm halt Spaß mich als "wichtige Person" mit den Viehhändlern verhandeln zu lassen.





die Holzapfelstraße
beide Ratskollegien waren sich einig und beschlossen zu Ehren des sich um den Markt Kötzting so sehr verdient gemachten Ehrenbürgers und kgl. Oberlehrers Karl Holzapfel die Straße vom Schlossermeister Haas bis zum Friedhof aufwärts "Holzapfelstraße" zu benennen. Diese teilweise hohlwegartige Gasse hatte bis dahin noch keinen Namen.















Die neue Schubleiter für die Kötztinger Feuerwehr



die 1905 angeschaffte Schubleiter als nostalgisches
Schaustück Bild: Michael Traurig
schon lange bestellt und auf Anregung der Kreisregierung angeschafft, traf nun am 16.5.1905 die neue Hightech Schubleiter ein. Eine nach dem so genannten Nürnberger Patent "Balance=Leiter" gebaute Leiter, die bei einer Steighöhe von 13 m durch die neuen ebenfalls patentierten Einstellvorrichtungen in jedem Terrain gefahrlos aufgestellt werden kann. Diese Leiter im Anschaffungswert von 850 M wurde extra für die Kötztinger Verhältnisse konstruiert und von der Nürnberger Firma Braun gebaut.










noch 1934 bei einer Einsatzübung erbrachte sie gute Dienste
Bild: Michael Traurig



die Neue Leiter wird stolz präsentiert, links daneben wohl eine der Leitern, die den Ärger mit Herrn Lindner verursachten



Die Lokalbahn Konzell Miltach
Nach 20 monatiger Bauzeit, über 14 Kilometer und 18 Brücken hinweg, wurde die neue Bahnstrecke Konzell=Miltach Anfang Mai fertiggestellt. „Dem Vernehmen nach werden die direkten Züge von Straubing=Cham und zurück mit erhöhter Geschwindigkeit durchgeführt.“  Der Bau war im Jahre 1903 begonnen worden und hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Am 27. Mai, rechtzeitig vor Pfingsten, wurde die Lokalbahnverbindung Konzell-Miltach dann auch von einer Kommission der Generaldirektion eingeweiht und eröffnet. Somit ist eine durchgehende Eisenbahnverbindung auch von Furth, Kötzting, Waldmünchen nach Straubing geschaffen. Dies wirkte sich auch gleich noch im selben Jahr bei den Besucherzahlen beim Pfingstfest aus; 2050 Besucher werden am Pfingstmontag auf der Strecke Cham-Lam befördert, 600 Personen mehr als im Vorjahr. Die neue Bahnstrecke wird allein für 200-300 Personen verantwortlich gemacht. (14.Juni)





Die Burschenfahne
Bild: Burschen und Wandererverein  Bad Kötzting
„Mit dem Wahlspruch, „die weite Welt ist unser Feld“ geschmückt tritt die Fahne des hiesigen Burschen-Wanderer-Vereins ins öffentliche Leben.. Unter der Vorstandschaft des Conrad Krämer ging man ernstlich daran den langjährigen Wunsch nach einer Burschenfahne in die Tat umzusetzen. Eine Sammlung unter den Mitgliedern hatte nicht ausgereicht, so dass man auf die Opferbereitschaft der Kötztinger Bürger gehofft hatte und siehe da zur großen Überraschung flossen die Spenden so reichlich, dass die Fahne gekauft werden konnte.
Das diesjährige Pfingstfest wird das erste sein, bei welchem die herkömmlichen Burschenzüge von einer Fahne begleitet werden“, steht in einem Vorbericht zu Pfingsten am 08.Juni. Leider war der erste Einsatz der Burschenfahne ein eher trauriger, noch vor Pfingstfest musste sie zuerst bei einer Beerdigung eines Burschenvereinsmitgliedes eingesetzt werden.


Pfingstritt 1905

Andreas Krämer und Elise Waldmann mit den beiden Begleitern
Bild Arbeitskreis Heimatforschung
Zähe hängen die Bewohner des bayr. Waldgebirges an ihren alten Bräuchen und Sitten“, meinte der Autor des Berichtes über den Pfingstritt in seiner Einleitung. Der Ritt selber wird in diesem Jahr nur kurz geschildert, er verlief ohne besondere Vorkommnisse. „Am Pfingstsonntage verkündeten Böllerschüsse, Musik und Trommelwirbel die Festesnähe“. Nach einem musikalischen Weckrufe sammelten sich die Teilnehmer am Pfingstritte bei der St. Veithskirche. Um 1/2 8 Uhr setzte sich die Prozession in Bewegung.











zwei Geistliche im Chorrock begleiteten den "fungierenden " Kooperator Späth im Hintergrund sieht man
das im Fasching beim Lichtenegger Bund erwähnte Wirtshaus Wagner: "beim Gumbierl"
Bild Arbeitskreis Heimatforschung
 


Drei Geistliche im Chorrock ritten zusammen mit 200 Pfingstreitern nach Steinbühl, alle zu Pferde, letztere mit Blumen und Bändern geschmückt Um 1/2 1 Uhr sah man in der Ferne die Pfingstreiter wieder kommen, alle Straßen und Plätze belagerten sich mit einer großen menge von Zuschauern - die Glocken läuteten, die Böller knallen, während die Pfingstreiter unter lautem Gebete einziehen - ein selten erhebender Anblick. Auf einem großen freien Platze vor Kötzting, dem so genannten Bleichanger. nahm die Prozession Aufstellung.


Kranzlübergabge 1905 an Andreas Krämer auf dem Bleichanger Bild: Arbeitskreis Heimatforschung
Kooperator Späth, der „fungierende Geistliche“ hielt eine Ansprache in der er die Jugend zu Glaubenstreue und Sittenreinheit ermahnte und anschließend zeichnete er als Pfingstbräutigam den Bürger- und Kaufmannssohn Andreas Krämermit der Überreichung des Tugenzkränzchens (Filigranarbeit aus Gold)  aus, dessen Wahl auf Frl. Elise Waldmann als Pfingstbraut fiel. Ganz knapp heißt es anschließend: „um 5 Uhr nachmittags folgte der übliche Burschen und Brautzug und abends der Ehrentanz. Von Jahr zu Jahr nimmt der Besuch des Pfingstrittes zu, eine gewaltige Zuschauermenge war an diesem Tage in unserem Markte“.



Wahlkampf
Es ist übrigens jetzt Wahlkampfzeit und in Kötzting folgen nach Pfingsten mehrere Wahlkampfversammlungen nacheinander. Aus heutiger Sicht muss man feststellen, dass die Zeitung, sehr tendenziös und parteinehmend berichtete und mit einer heutzutage unvorstellbaren Vermischung von Kommentar und Nachricht zu Werke ging. Nur die Kandidaten des Zentrums wurden mit positiven Eigenschaften beschrieben, die anderen entweder als liberal und unschlüssig oder gar als „Pfaffenfresser erster Güte“ angeschwärzt. Dieser Dr. Becher schimpfte auch sehr deutlich über die Geistlichen, die die Schule vernachlässigten und doch über die Schule und die Lehrer herrschen möchten und diese nicht frei machen wollen von den niederen Geschäften als Mesner; daß sie die Mesnerhäuser nicht freigeben wollten sondern die Gemeinden zwingen neue Schulhäuser zu bauen; daß die Lehrer die Buckerl richtig machen,. All diese Aussagen erzeugten  ein "Murren" im Publikum und veranlaßten den Redner mit seiner Hetze abzubrechen und in ein ruhigeres Fahrwasser einzulenken.

Lehrer Amberger, Marktmühle links
Dreger Michael rechts
Bild Arbeitskreis Heimatforschung
Um nicht zu plump parteiisch zu wirken, lässt der Autor einfach eine „unbekannte und unbenannte“- Person sprechen und zitiert diese, um die drei Hauptkandidaten der Parteien zu  beurteilen: „Ein Bäuerlein urteilte über die Versammlung: der Lehrer (Amberger, liberal) hat mir gefallen, der Doktor (Becher, Bauernbund) ist ein bissiger Teife, der Pfarrer (Klimmer, Zentrum) hat mir schier noch besser gefallen.“ Die Sozialdemokratie spielte zu dieser Zeit in Kötzting keine Rolle, die „Hauptwahlkampflinie“ lag zwischen dem Bauernbund (eher liberal) und der Zentrumspartei (klerikal konservativ).
Die Macht der lokalen Zentrumspartei war für den Bauernbundkandidaten, dem Arzt Dr. Becher aus Teisnach, zu stark, es drohte ihm der Verlust seiner Anstellung bei der Papierfabrik Teisnach und so zog er nach diversen Durchstechereien in verschiedenen Zeitungen und Gegendarstellungen seine Kandidatur zurück. Als sein Nachfolger trat dann der Kötztinger Bürgermeister und Kaufmann Liebl an.
Das Wahlrecht sah damals eine indirekte Wahl über Wahlmänner vor. Die Zentrumspartei des Amtsgerichtsbezirks Kötztings gewann am 11.07.1905 die Wahl mit Pauken und Trompeten und erhielt sämtliche Wahlmänner für sich.

 

Der Sommer in Kötzting
Die nun durchgehende Zugverbindung nach Straubing erschloss dem Kötztinger Gastgewerbe  nun ganz neue Möglichkeiten. Schon 2 Monate nach Eröffnung der Bahnlinie Straubing – Miltach – Kötzting meldete sich der Verein der SCHILDLER mit 600(!) Personen aus Straubing zu einem Tagesausflug nach Kötzting an und der Ortsverschönerungsverein wartete mit einem Riesenprogramm auf diese Besucher. Eigens zu diesem Zweck wurde ein
Ganzseitiges Tagesprogramm veröffentlicht, dass eine beeindruckende Vielfalt für solch einen Tagesausflug aufweist.














Landwirtschaftliches Vereinsfest in Kötzting
20.-22. 08.1905

Das Vereinsfest beginnt, auf denn, liebes Kötzting, ziehe dein schönstes Festgewand an, schmücke dich und begrüße alle, die in diesen Tagen zu uns kommen.
Zu dem aufgebauten herrlichen Portal und der Tribüne, zu Glückshafen und Schießstätte, zu den geräumigen Wirtsbuden sind nun noch allerlei Schaubuden in vorzüglicher Qualität getreten: ein Zaubertheater, der großartige Nürnberger Kinematograf, eine interessante Menagerie, die Schiffschaukel, dazu die hochinteressante schön ausgestaltete schwankende Weltkugel und Anderes – genug zum Schauen, zum Amüsieren. So also sah das Volksfest vor 100 Jahren aus. Darüber hinaus ist ein Kinderfestzug geplant, allein zum Tragen der Preisfahnen werden 40 „größere Knaben“ benötigt, begleitet von „20 weißgekleideten Mädchen“.
ein tolles Zeitdokument aus der Sammlung Voithenleitner: der Festplatz auf dem Bleichanger beim Landwirtschaftlichen Vereinsfest im August 1905, deutlich zu erkennen sind die verschiedenen Bier- und Weinzelte, die Schiffschaukel und das im Text der Zeitung erwähnte altdeutsche Portalzentral in der Mitte, dahinter verbergen sich wohl die Ehrentribünen
 Sonntag, 20. August, ein klarer Sonnentag und Kötzting wurde durch einen Weckruf, einer Tagesreveille, aufgeweckt. Vormittags zogen mit klingendem Spiel und geholt vom Kötztinger Turnverein all die auswärtigen Turner ein und mittags  stellte sich dann der große  Festzug auf.
Jeder der Festwägen hatte eine eigene Begleitung, was bei dem bergigen Terrain des Ortes sehr nötig war. Voraus ein strammer Herold, hoch zu Ross, darauf die bekannte Zugsentwicklung, eine Abteilung Feuerwehr, Preisfahnenträger, Tambourmajor, Tambours, Marktkapelle, Turner von auswärts und Festwagen des Turnvereins Kötzting (Huldigung an Vater Jahn), im Hintergrund eine knorrige Eiche, vorne übende Turner; auch der Turnverein „Ruhmannsfelden“ brachte einen schönen Turnerwagen.
Im nächsten Wagen die Vertretung des landwirtschaftlichen Bezirksausschusses; darauf der herrliche Festwagen der Marktgemeinde Neukirchen „die Jagd“ darstellend und allerlei Getiere, reizend gruppiert; unter einem Baumstock lag sogar ein lebender Fuchs; hoch oben saß ein balzender Auerhahn; ein Bild , das jeden Waidmann zu Herzen sprach.


 
Festzug des Landwirtschaftlichen Vereinsfestes 1905, rechts das Eckgebäude ist der "Lemberger", in dessen Saal die Burschen im Fasching 1905 ihren Burschenball abgehalten hatten. Ein tolles Zeitdokument, dem Arbeitskreis übergeben von  Röhrl Fritz.

 In Festequipage folgten der Magistrat, Gemeindekollegium von Kötzting und das Lokal=Comitee, dem der vom Magistrate Kötzting gestellte Festwagen „Der Ludwigs=Turm“ nachfuhr. Wie freudig der Turm aus dem Waldesgrün herausgrüßte; auf dem obersten Sockel saßen ringsum den Turm 12 Gnomen munter und frisch in die Welt blickend, kleine Knaben von der St. Josephspflegeanstalt hier.
Die Gemeinde Traidersdorf zeigte einen mächtigen Baumstamm mit Pickel und Hacke unter dem Thema Waldpflege und Jagdleben. Oben der Auerhahn, in einer Höhle der Fuchs, auf dem Boden eine ganze Fichtenkultur und ächte stämmige Waldler als Holzknechte und Jäger.
Die Gemeinde Arndorf resp. der Ortsteil Kammern stellte das landwirtschaftliche Treiben dar, mit Bauernstube und Getreidetenne. Die Miltacher zeigten einen durch Blumenflor lieblich wirkenden Festwagen zum Thema „Gärtnerei“.
Nun folgte zuerst eine Musikkapelle und dann ein Prachtszene. Der Krieger und Veteranenverein stellte ein schaurig ehrfürchtiges Panorama zusammen: im Vordergrunde eine ergreifende Samariterdienstgruppe: verwundete Krieger, gepflegt von Schwestern- im Hintergrund, hochthronend die stattliche „Germania“ (Fräulein Elise Waldmann, die Pfingstbraut desselben Jahres); umgeben war der Wagen von gefangenen Kürassieren, General und sonstigen Kriegern zu Pferd; den Wagen begleiteten bayerische Infanteriesoldaten, die den Gefangenentransport übernommen hatten. Wem fielen nicht die heißen Augusttage von 1870 ein! Ein feierlicher Schauer ergriff alle, welche die Prachtgruppe zu sehen Gelegenheit hatten.
Als bewusst gesetzter Kontrast folgte ein fideler Schützenwagen mit der feschen Schützenliesl der Alt=Schützengesellschaft Eschlkam.
Herr Rudolf Häfner als Herold des Lichtenegger Festwagens
Bild aus der Sammlung Voithenleitner


Den nächsten Prachtwagen führte Herr Häfner als Herold der Lichtenegger an. Der Wagen selbst stellte die Ruine Lichtenegg dar. Im Vordergrund war Frl. Fischer Else zu sehen, umgeben von drei Edelknaben in Prachtgewändern, begleitet von Rittern zu Pferd, Knappen und Lanzenträgern und als Abschluss folgte als passende Gruppe die Schützengesellschaft Kötzting verkleidet als alte Armbrustschützen.
Wenige Jahre zuvor hatte Kötzting einen Flottenverein erhalten, was im Fasching nicht wenigen anderen Vereinen Stoff zum Spott und Hohn gab, hier fanden sie sich mit drei Phantasiematrosen in Seidengewändern ein, 1 Matrose und 2 Matrosinnen. Hinter ihnen fuhr ein voll aufgetakeltes Segelschiff mit Namen , na wie heißt es wohl: „Kötzting“
Es lag auf blauen und grünen Wellentüchern; im Schiff standen und saßen 6 Blaujacken mit freier Brust, keck die Matrosenmütze auf dem Kopf, 6 Studenten, Söhne hiesiger Beamter und Bürger.
Den Schluss der Festwägen bildete die Huldigung der Gewerbe an die „Bavaria“. (Frl. Mathilde Hastreiter) gestellt vom katholischen Gesellenverein. Vertreter der einzelnen Gewerbe standen mit ihren Werkzeugen zu Füßen der Bavaria.
„Durch das Portal – altdeutsches Tor, eine herrliche plastische Täuschung, zog der Zug ein, gruppierte sich um die Festtribüne, auf deren erhöhtem Podium, reichlich mit Blumen umgeben, die Büste Sr Kgl. Hoh. unseres erhabenen Prinzregenten stand.
Bürgermeister Liebl begrüßte die Gäste und mit einem Hoch auf den Prinzregenten schloss die Begrüßungs- und Huldigungsrede, worauf von den Tausenden von Festteilnehmern die Königshymne gesungen wurde, ein Akt der schönsten und hellsten patriotischen Begeisterung, die so recht zeigte welch treue Bayern in unserem schönen Walde wohnen“.
Wie immer bei solchen patriotischen Feiern wurde ein Huldigungstelegramm an den Prinzregenten geschickt, damit dieser auch ganz bestimmt erfuhr welch brave Bürger hier feierten und vor allem, weil man wusste, dass kurz nach dem Abschicken eine Antwort aus München zu erwarten war, die man erneut der feierlich gestimmten Festgemeinde dann vorlesen konnte.

Wirtshaus Wolfgang Stoiber, später Franz Graßl,
Bild: Arbeitskreis Heimatforschung
 Der Gastwirt Wolfgang Stoiber zeichnete für das Telegramm an seine königliche Hoheit verantwortlich und erhielt von Schloss Linderhof die huldige Antwort, die die Festgemeinschaft dann wiederum gerührt zu Kenntnis nahm.
Seine königliche Hoheit der P r i n z=R e g e n t lassen den anlässlich des landwirtschaftlichen Lokalfestes in Kötzting versammelten Landwirten für die allerhöchst demselben in treuanhänglicher Gesinnung dargebrachte Huldigung bestens danken.
Für viertausend Teilnehmer waren Festzeichen hergerichtet, die aber bei weitem nicht reichten, so groß war der Sturm auf die Budenstadt
Heutzutage sind wir auf dem Volksfestplatz an ein zentrales Bierzelt gewöhnt. Damals wurden vier Wirtsbuden und je eine Wein und Kaffeebude errichtet. Der „Lindnersche Kinematograph“ wurde allgemein als die beste Schaubude angesehen, wahrscheinlich waren zu diesem Zeitpunkt die ersten Stummfilme eine Sensation in Kötzting.

Der oben beschriebene Festzug war der Höhepunkt des ersten Tages, des Sonntags, der auf dem Festplatz sehr spät endete. Der Montag aber gehörte der Landwirtschaft. Morgens schon begann der Zutrieb der zumeist schönen Tiere und mit Eifer und unparteiischer Geschicklichkeit walteten die Preisrichter ihres Amtes.
Preise wurden vergeben:
für die auswärtigen Prachtwägen (nur 1. Preise)
für die Kötztinger Festwägen (Ehrendiplome)
für Leistungen bei der Durchführung des Festes (Ehrendiplome)
für landwirtschaftliche Produkte und Gartenerzeugnisse (Diplome)
für die Bezirkstierschau (Geldpreise mit Preisfahnen)
Und, meinte der Redakteur, abends wieder spät hinein, Oktoberfeststimmung – wir gingen auf „unsere Wiese“.
Die Kötztinger wollten faire Gastgeber sein und vergaben bei den Festwägen nur erste Preise, für die eigenen Wägen nur Diplome, hatten aber die Rechnung ohne die Neukirchener gemacht. Die Kötztinger mussten lesen, vermutlich im Hohenbogener Boten, dass die Steller des Wagens dadurch beleidigt worden wären, weil man sie mit den anderen Festwägen auf eine Stufe gestellt habe.
Bitte seid keine beleidigte Leberwurst!, meinte der Kötztinger Anzeiger.
Kötzting rechtfertigte sich, dass erstens jeder der Wägen etwas besonderes dargestellt habe, der eine mehr im Originellen, der andere mehr im Ausputz, die Kötztinger Vereine sogar, trotz der erheblichen Ausgaben ganz auf einen Geldpreis verzichtet hätten. Und noch dazu:
originell war der Neukirchener Wagen trotz seiner Schönheit nicht mehr, da Neukirchen beim letzten Vereinsfest auch einen „ähnlichen Jagdwagen in Neukirchen“ gestellt hatte. Andere Festwägen mit „von Hunden gezogenen Böhmerwägerl“ auf eine Stufe zu stellen, war billige aber unfeine Pressleistung. „Von einer Zurücksetzung Neukirchens kann gewiss keine Rede sein, aber wir müssen ganz entschieden gegen den Ton der von Neukirchen in der Presse angeschlagen worden ist, Verwahrung einlegen“ So endete das große Fest also mit einem kleinen Misston, aber das Resümee fällt sehr positiv aus:

Kinderfestzug im August 1905 um den Marktbrunnen herum, ein tolles Zeitdokument ebenfalls aus der Sammlung Voithenleitner, ebenso wie die folgenden Aufnahmen der Kinder. Herr Häfner geht zusammen mit zweien seiner Söhne als Kaiser Ludwig verkleidet gleich hinter der Musikkapelle
Am dritten Tag, dem Dienstag folgte nun der Kinderfestzug, „schon am Vormittag hindurch sprang und sang, haschte und klatschte die ganze junge Welt voller Ungeduld“.
derselbe Kinderfestzug im unteren Markt: Sammlung Voithenleitner , man beachte den Marktbrunnen vor dem alten Rathaus
nun der Pfingstreiterbrunnen

 182 Kinder folgten in vielen Gruppen und Bildern den Marktfahnenträgern. Dargestellt wurden Bilder aus dem Volksleben, vom Wirt über die Handwerker bis hin zum Rettich- und Krennweib.
das sind alle Häfnerkinder der Reihe nach
Sammlung Voithenleitner




Andere Nationen kamen auch nicht zu kurz und sogar die vier Jahreszeiten wurden dargestellt. Ein Kinderschützenzug und das edle Burgfräulein von Lichtenegg mit Waldgeistern, Gnomen, Zwergen und Bergleuten bildeten den Abschluss.
drei der in der Zeitung erwähnten Jahreszeiten wurden
von den Schwestern Liebl (Bankgeschäft), Schwestern der später
geborenen Frau Paula Dietrich dargestellt
Nach den Kinderfestzug war noch Fotoshooting im Häfner Garten….die zweite von links ist Maria Häfner, später Voithenleitner…
die zwei Jungs sind ihre Brüder… das große Mädel und die ganz kleinesind unbekannt
Sammlung Voithenleitner





















Das Fest neigte sich dem Ende zu, „Alles noch voller Leben und Treiben auf „unserer Wiese“
Nun wurde endlich Nacht und das Brillantfeuerwerk abgebrannt, Nummer für Nummer wurde mit Beifall aufgenommen, besonders schön soll der Lichteffekt am Regen gewesen sein, und somit war ein würdiger Abschluss des Festes geschaffen worden, auch wenn in den vollbesetzten Buden noch lange weiter gefeiert worden war.
Wir haben ein schönes Fest gefeiert, dank allen denen , die mitgearbeitet haben. Nun aber schmiedet das Eisen, so lange es warm ist. Der Lokalverein werbe neue Mitglieder, verstärke sich, sammle einen Fond an, dass in kürzerer Folge wie bisher (etwa alle 3 Jahre) solche feste gefeiert werden können.“
6500 Personen wurden allein am Kötztinger Bahnhof an den drei Tagen gezählt.



Tourismus in Kötzting

Diese enorme Anzahl an auswärtigen Besuchern war die

Ursache, dass Kötzting bei den Gästezahlen im Jahr 1905 solch einen großen Sprung nach vorne gemacht hatte. Im September erstellte der Magistrat eine kleine Statistik anhand der ausgestellten Fremdenlisten und summierte für das Jahr 1905 12577 Personen, die als Touristen, Sommerfrischler oder sonstige Gäste Kötzting besucht hatten, nachdem im Jahre 1904, obwohl dies damals ebenfalls eine Rekordzahl gewesen war, nur ca. 5500 Gäste anwesend gewesen waren.

Den Abschluss der regelmäßigen Veranstaltungen im Jahresverlauf bildete erneut das Weihnachtsfestspiel der Sankt=Josef=Pflege=Anstalt. Die Kinder übten unter der Anleitung der Schwestern mehrere Theaterstücke und Singspiele ein. Der Höhepunkt war ein großes „lebendiges Bild“, genannt der Kinderfreund. Diese Aufführungen des Josefsheims waren traditionell sehr gut besucht und  stellten in der Berichterstattung  ein Bindeglied dar, das aus der besinnlichen Weihnachtszeiten heraus zu den Berichten über Vereinsversammlungen und fröhliche Faschingsfeiern des neuen Jahres 1906 hinüber führte.


Ein Nachtrag zu diesem Überblick über die Zeitungsausgabe von 1905:

die jüdische Familie Kirschner und ihre Verwandtschaft in Kötzting:


die Familie Häfner war um die Jahrhundertwende bereits sehr fortschrittlich und hat viele Kötztinger Feste abgebildet. Da der Photograph der Familie sehr häufig aus dem eigenen Haus- bzw. hier aus dem alten Rathaus- heraus photographiert hat ist, ist automatisch das gegenüberliegende Haus sehr häufig der Hintergrund ihrer Bilder. Da ich zZ, das heißt eigentlich schon seit zwei/ drei Jahren dabei bin die Spuren unserer früheren Kötztinger jüdischen Mitbürger zu sammeln und zu erforschen, fiel mein Blick sofort auch auf die Menschengruppe vor dem Kirschner Anwesen. Die Geschichte unserer jüdischen Mitbürger und ihre Schicksale muss einer eigenen und für das Internet viel zu umfangreichen Veröffentlichung vorbehalten bleiben, aber angesichts der tollen Aufnahme aus der Sammlung Voithenleitner möchte ich eine kurze Bildanalyse hinzuliefern:

dies ist ein vergrößerter Ausschnitt aus dem Kinderfestzugbild von weiter oben:

Das Bild wurde 1905 aufgenommen, die Kirschners, die den Laden betreiben, sind 15 Jahre zuvor - die ersten Kinder sind noch in Böhmen geboren -  aus Modlin in Böhmen zugewandert. Das bayerische Heimatrecht haben sie Alle erst mit dem Kauf des Gebäudes 1894 erhalten. Zu sehen ist also das Geschäft des Moritz Kirschner, einer der Buben ist der spätere Mentor, Gründer und Finanzier des 1.FC Kötzting, ein anderer ist Max Kirschner, der noch im Herbst 1914 am Anfang des Krieges für das Deutsche Reich im Krieg gefallen ist. Eines der Mädchen ist Ida Kirschner, die Frau des späteren Kötztinger Kreisbaumeisters Hermann Seiler, Ida Seiler. Zwei der anderen Mädchen sind in die USA ausgewandert. Eines der Mädchen hatte später als verheiratete Freiwirth 2 Buben, die den Naziterror überlebt haben und später in England und den USA lebten.

Interessant ist die Personengruppe am oberen Ende der Eingangstreppe. Vor allem der bärtige Mann ganz oben scheint eine typisch jüdischen Hut zu tragen. Da ich mit Frau Anna Rosmus in den USA mehr oder weniger regelmäßig Kontakt habe, habe ich ihr gleich den Bildausschnitt zugesandt und um Ihre Meinung gebeten, ob ich mit meiner Vermutung richtig läge. Frau Rosmus hat sich an ein paar Spezialisten für jüdische Kleidung in den USA gewandt und wenige Wochen später kam die Bestätigung:

"The dark hat may be a Shtreimel.  Basically, this is a hat worn by Hasidic men on special occasions.  It is traditionally made of fur.  That is my guess.  The other man may also have some type of Hasidic dress on.  I am sending you some pictures to look at comparisons.  Of course this is only my educated speculation."  
 
Da wir den Familienverband der Kirschners um die Jahrhundertwende genau kennen, war es wohl so, dass sich Besuch aus Böhmen angekündigt hatte, um das Kötztinger Spektakel zu bewundern. Die Mädchen und Buben, festtäglich gekleidet, waren sicherlich nicht in der Kötztinger - katholischen - Volksschule eingeschult und daher auch nicht Teilnehmer des Kötztinger Kinderfestzuges.
Dieser Bildausschnitt ist ein unbezahlbarer Beleg für die damaligen jüdischen Mitbürger, die sich hier sichtlich gefreut haben und den Festzug und die festlichen Tage in Kötzting sicherlich genossen haben.

Gerade mal gute 30 Jahre später - ein zeitlicher Katzensprung - und der politisch gesteuerte Hass auf jüdische Menschen zeigte auch in Kötzting Wirkung:
Ausschnitt aus der Kötztinger Umschau vom 29./30. Januar 1983

Ergänzung zur Jahreschronik von 1905:

Streit um eine Formalie und der beleidigte Magistrat

In Archiv gibt es einen Bestand "002/1 Familienstandsbögen und Einbürgerungen bis 1912 von A-Z  und dort findet sich im Buchstabenbereich "L", den ich im Moment bearbeite, eine Vorgang aus dem Jahre 1905. Die Hauptdarsteller sind Herr Karl Lindner Senior auf der einen und der gesamte Magistrat mit Ausschuss auf der anderen Seite.




Der Magistrat forderte ultimativ, Herr Lindner solle seine beleidigenden Äußerungen mündlich oder schriftlich zurücknehmen und drohte andernfalls mit einem Gang vor Gericht. Herr Karl Lindner sieht die Vorwürfe nicht ein und weigert sich in seinem dreiseitigen Brief  ausdrücklich seine Anschuldigungen zurückzunehmen.

Was war nun der Anlass des Streits?
ganz einfach:   eine Leiter

Doch der Reihe nach, am 13. April des Vorjahres 1904, eine Viertelstunde nach Mitternacht, hatte es im Lindnerschen Sägewerk gebrannt. Die Zeitung schreibt von Feuersignalen und Glockengeläute, die die Bewohner aufgeschreckt hatten. Auch die Feuerwehren von Gehstorf, Haus, Sperlhammer, Grafenwiesen, Liebenstein , Weißenregen und Thenried waren vor Ort, konnten aber nur das Übergreifen auf das Wohnhaus verhindern. Zwei Säger konnten sich nur mit knapper Not, aber vielen Brandverletzungen,  retten und da neben dem Sägewerk auch viele Materialien verbrannt waren, war der Schaden, den herr Lindner erleiden mußte dann auch sehr groß.

Nun benutzte die Kötztinger Feuerwehr bei dem Löschvorgang eine kräftige Leiter und diese verblieb auf der Brandstätte, da sämtliche Lindnerschen Leitern mitverbrannt waren. Ein Jahr ging übers Land und die Leiter stand immer noch beim Lindner, woraufhin der Kötztinger Feuerwehrkommandant beim Magistrat anklopfte und dieser einen knappen Brief an Herrn Brauerei- und Sägewerksbesitzer Lindner schrieb, er solle die Leiter endlich abgeben, widrigenfalls der Magistrat diese von einem märktischen Mitarbeiter abholen lassen würde.

Das war nun offensichtlich genau der Tonfall, den Herr Lindner nicht hören wollte und so gab er den Herrn Markträten wohl einige Namen an seinem eigenen Wirtshaustisch in froher Runde.
Dies erfuhren die Kötztinger Räte und daraufhin forderten die Markträte eine öffentliche Entschuldigung in mündlicher oder besser sogar in schriftlicher Form im Kötztinger Anzeiger.

Herr Lindner sah die Sache natürlich ganz anders, und in einem dreiseitigen Brief versuchte er seine beleidigenden Aussagen vom Wirtshaustisch zu rechtfertigen bzw. insofern abzuschwächen, als ihn die Erinnerung an die Brandnacht immer noch umtreiben würden, dies umso mehr, als in seiner Erinnerung der Ablauf der Brandmeldung zumindest suboptimal gewesen war.
Zuerst aber stellte er klar: meine Äusserungen, wodurch sich der Magistrat beleidigt fühlt und die ich zurücknehmen bzw im Kötztinger Anzeiger widerrufen soll, nehme ich nicht zurück und widerufe ich auch nicht. 



... daß mich immer noch ein äußerst schmerzliches Gefühl beschleicht, wenn ich an den Brand denke ist leicht erklärlich, um so mehr als ich zu meinen Leitern nicht mehr konnte, das Wohnhaus in äußerster Gefahr stand vom Feuer auch ergriffen zu werden und Niemand im Markte vom Brand etwas bemerkte, erst meine Sohn Karl in den Markt laufen und die Leute aufwecken mußte zum Lärmmachen durch Läuten, durch Trompetensignale, so daß bis Hilfe kam, die Säge mit den


Einrichtungen als verloren angesehen werden mußte, ebenso ein Theil fertiger Waare und Hilfe nur zur Rettung des Hauses angebracht erschien. Ich ersuche nunmehr hiervon Kenntnis zu nehmen und meinen Gemütszustand bei der Rückerinnerung an diesen traurigen Fall auch in Berücksichtigung zu ziehen, mir die Leiter noch kurze Zeit zu belassen und füge nochmals an, daß diese gut verwahrt ist und in ihrem guten zum gebrauch fähigen Zustande erhalten wird.
Karl Lindner
Der im Brief erwähnte Sohn Karl Lindner, ist der spätere Artillerieoffizier Karl Lindner,

Das aber reichte den Markträten nicht und wehrten diese sich gegen seine Beleidigungen mit der erneuten Forderung nach einer Entschuldigung, die wohl auch schlussendlich erfolgte, auch wenn die Forderung nach einer Entschuldigung in der Zeitung nicht mehr erhoben wurde:.Hier der Entwurf des Schreibens:

Hiermit beehren wir uns mitzuteilen, daß der Magistrat in seiner heutigen Sitzung, bei welcher sämtliche Mitglieder anwesend waren, beschlossen hat, die von Ihnen am 18. Mai gemachten beleidigenden Äusserungen sind mündlich oder schriftlich von Ihnen zurückzunehmen.......
Die Leiter können Sie einstweilen bis zur Beschaffung einer neuen Leiter noch behalten.

Magistrat 
Liebl
Bürgermeister


Wie in dem Bericht weiter oben zu lesen, hat die Kötztinger Feuerwehr ja im Jahre 1905 eine hochmoderne Feuerwehrleiter erhalten, die beim Lindner deponierte Leiter war dann wohl für den Einsatz verschmerzbar


Die soziale Absicherung 1905 und eine Eingabe beim Königshaus

Bild von Mathias Heilmeier, Waschtische bei der Marktmühle im Regenfluss
Im Stadtarchiv findet sich ein sehr großer Bestand Akten über die Heimatrechtsverleihungen., sozusagen die damalige Sozialversicherung. Heimatrecht bedeutete, dass der jeweilige Heimatort, der einer Person und deren Nachkommen das Heimatrecht verliehen hatte, sich um die (aller)notwendigsten Mittel kümmern musste, so dass seine Schutzberechtigten überleben konnten.
In vielen Fällen glich diese Hilfe jedoch mehr einer Unterstützung, um nicht sterben zu müssen.

Passend für das Jahre 1905 fand ich ein besonderes Beispiel solch eines Schicksals.
In dem kleinen, quadratischen Häuschen, hingeduckt zwischen dem Amberger Wohnhaus der Marktmühle und dem Anwesen Winterschneider - alle drei Anwesen nun aufgegangen im Mietshaus Penner - wohnte das alte Ehepaar Müller. Das Haus spielte übrigens schon um 1760 eine armseelige Rolle, als das Abfallwassers des Prioratsmisthaufens regelmäßig deren Wohnbereich überflutete. Siehe "Der Odel ist ein schleziges Wesen" in den Gelben Bänden
 Die Familie Müller wurde im November des Jahres 1905 noch als Musterbeispiel in der Zeitung herausgestellt. Durch den Tod des Mannes war die nun 86 jährge Witwe sozial im freien Fall, sie bat um Unterstützung, weil all die Geschenke, die sie für ihr 50 jähriges Hochzeitsjubiläum erhalten hatten nun bereits für die Beerdigung des Ehemannes verbraucht würden.


Die Flößerswitwe Anna Müller  schreibt  am 19. November 1905 an den königlichen Prinzregenten Luitpold: "unser Besitztum besteht aus einem kleinen Hause mit 2/3 Aar Grundstück zur notdürftigen Ernährung einer Kuh" Der Besitz ist wegen der schon lange eingetretenen Erwerbsunfähigkeit so stark  mit Hypotheken belastet, dass er für sie keinen Gegenwert mehr hat.
Aufgrund der im Zeitungsausschnitt angesprochenen einmaligen Begegnung des Verstorbenen mit dem späteren Prinzregenten schöpft sie wohl den Mut um an Allerhöchster Stelle um Unterstützung zu bitten, denn so endet sie: " sehe ich einer bitter traurigen Zukunft entgegen.. "Unter Bezug auf die anhängende Zeitungsnotiz und der öfteren Erwähnung der Güte und bekannten Wohlwollens richtet sie die allerhöchst unterthänigste Bitte um eine momentane aussergewöhnliche Unterstützung".
Zusage für 20 Mark aus der königlichen Hofkasse


Am 12. Dezember antwortet die königliche Hofkasse und schreibt dem Marktmagistrat Kötzting, dass der Prinzregent 20 Mark für die Bittstellerin zur Verfügung stelle und verlangt vom Mgistrat eine Quittung über diesen Vorgang. Am 13. Dezember, also sofort nach Ankunft des Briefes, quittiert der Bürgermeister Liebl die Auszahlung des Betrages.
Die bereits 1905 hochbetragte Flößerswitwe lebte noch viele Jahre, denn es sind amtliche Schreiben übermittelt, die den schlechten, ja katastrophalen Bauzustand des Hauses beim Magistrat anmahnen und um Abhilfe auffordern: Der Kamin, inner und außerhalb des Hauses sei nicht feuersicher, sowohl die Treppenunterkonstruktion als auch die Dach und Dielenbretter seien verfault und müssten dringend ausgetauscht, bzw. unterstützt werden. Im Dezember 1913 wurde der Anna Müller der Beschluss eröffnet und 1915 schreibt der Bürgermeister Wensauer für den Magistrat an den Rand, dass nichts geschehen sei.



wenige Jahre später moniert das Bezirksamt (=Landratsamt heutzutage) den gefährlichen Bauzustand
des Hauses am Regen
Aus dem Jahre 1892 existiert ein Plan, in dem die Entwässerung des BZAgebäudes eingezeichnet ist und der exakt den Bereich aufzeigt:
StA Landshut Rep 164-8 Nr. 40 von 1892



[1]  Bayerische Staatsbibliothek München, 4Eph.pol.3cel 1900 ff
[2] aus dem katholischen Gesellenverein entstand später die Kolpingsbewegung




1 Kommentar:

  1. Eine wirklich toller, interessanter Beitrag. Bitte mehr davon.
    Interessant für mich persönlich wären die Kinderfestzüge der Jahre von
    1962 bis ca. 1969. Habe davon leider nur zwei, drei Fotos.
    mfg. Karola Leisegang

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