Briefe - und Dokumente - aus Kötztings Vergangenheit
Dokumente des Hoffens und der Verzweiflung
Mehrere Zufälle kamen da zusammen, die zu diesem ganz besonderen Blogbeitrag führten, der noch dazu auch noch weiter ausgebaut werden wird.
Shelly Feder, ein Nichte der gebürtigen Kötztingerin Susanne Kirschner, und ihr Mann Elli verwalten einen ganz besonderen Schatz. Es sind Briefe und Unterlagen aus dem familiären Umfeld der
Familien Klein, Kirschner und Freiwirth, die uns im nachhinein kleine Lebensbilder übermitteln und später sogar von verzweifelten Versuchen und Rückschlägen berichten, die sich passgenau in die überlieferten Schicksale dieser Kötztinger Familien einfügen.
Shelly Feder, mit der ich bereits seit Jahren in Kontakt stehe, hatte begonnen, Briefe aus ihrer familiengeschichtlichen Sammlung, die Kötzting betreffen, auszusortieren und mir mehrere davon zum Korrekturlesen geschickt, da das automatische Transkript durch eine AI nicht zu nachvollziehbaren Resultaten geführt hatte.
Die Briefe stammen zunächst aus der Sammlung von Shelly Feders Großvater,
Dr. Ludwig Klein, der bereits 1933 nach Palästina ausgewandert gewesen war und in den folgenden Jahren der Dreh- und Angelpunkt für viele der verzweifelten und verzweifelnden Mitglieder dieses Familienverbandes werden sollte. Schrittweise ab dem 1.4.1933 war es für unsere
Kötztinger jüdischen Mitbürger jedoch immer schwieriger geworden, ihr tägliches (Über-)Leben zu sichern.
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Sammlung Shelly Feder: Shelly Feder mit ihren Großeltern, Dr. Ludwig Klein und seine Frau, in den Briefen als Friedl bezeichnet. |
Da, und das ist der zweite Ansatz, ich bereits seit Jahren im
Bayerischen Landesverein für Heimatkunde und dort beim Netzwerk "
jüdisches Leben in Bayern" interessiertes Mitglied bin, ist es nun der nächste Schritt, solche einzelnen Briefe und Dokumente in den historischen Zusammenhang der Abläufe in Kötzting - und parallel dazu in Palästina und sogar in England - zu bringen. In der Datenbank des Landesvereins werden die Beiträge über die beiden Kötztinger Familien Kirschner (Freiwirth) und Hahn demnächst ebenfalls verlinkt werden.
In den folgenden Briefen und Dokumenten wird der enge Zusammenhalt des Familienverbandes Kirschner/Klein sichtbar. Die meisten der Briefe mit den verzweifelten Versuchen, nach Palästina auswandern zu können, stammen aus
Tirschenreuth, Kötzting und
Tel-Aviv.
In Kötzting besaß die Familie des Julius Kirschner das große Haus in der heutigen
Marktstraße 15. Alice Kirschner betrieb ein Konfektionsgeschäft und Julius Kirschner handelte mit Rohprodukten, zumeist mit Tierhäuten. Johanna Aloysia Klein, genannt Alice, - aus einer Kaufmannsfamilie in Tirschenreuth stammend - hatte 1927 den Kötztinger Kaufmannssohn Julius Kirschner geheiratet. Sie bekamen zwei Kinder, zuerst die Tochter Susanne und danach noch den Sohn Alfred.
Es existiert ein Foto der (Groß-) Familie Kirschner vor ihrem Haus während des traditionellen Pfingstrittes. Es ist vermutlich der Kirchenzug nach der Feldmesse, der hier die Marktstraße herunterzieht.
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Sammlung Arbeitskreis: Bild nach 1928 und vor 1933. |
Zoomt man hinein in das Bild, kann man in der Ladentür Julius Kirschner erkennen, neben ihm seine Frau und auf ihrem Arm vermutlich den kleinen Alfred. Vermutlich ist eines der Mädchen in der Kindergruppe seine Schwester Susanne.
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Detail: Julius und Alice Kirschner mit dem kleinen Alfred. |
1936
27.6.1936 Frieda Klein an ihren Bruder Dr. Ludwig Klein in Tel-Aviv
Tirschenreuth, den 27.6.1936.
Meine Lieben!
Mit dem Beantworten der Briefe geht es mir wie euch. Man freut sich so sehr, wenn man einen so lieben, ausführlichen Brief bekommt und möchte sich am liebsten sofort hinsetzen und gleich einen ebenso ausführlichen Bericht senden, aber es kommt immer wieder eine dringende Arbeit dazwischen, wodurch der gute Vorsatz nicht zur Ausführung kommt. Heute endlich drängen keine geschäftlichen Arbeiten, in der Küche ist seit 14 Tagen Alice zu meiner Vertretung da, weil auch sie geschäftlich gut abkommen konnte und sie vor allen Dingen bei Paula sein wollte. Ich will auch hier gleich mit meiner Beantwortung eurer Fragen beginnen, so schwer es auch ist, denn Paulas Leiden hat sich derart verschlimmert, dass keine Hoffnung besteht, sie am Leben erhalten zu können. Bis vor acht Tagen wurde sie wegen der Wunde jeden zweiten Tag gebadet, das hat sie aber dann so angestrengt, dass der Arzt die Bäder nicht mehr verordnete. Dadurch erholte sich Paula wieder etwas, so dass wir wieder neue Hoffnung schöpfen, aber Doktor Göbel fürchtet, dass es nur eine scheinbare Besserung ist, weil die Wunde zu groß geworden ist, um normal heilen zu können und auch der Puls sehr unregelmäßig ist. Seit 14 Tagen haben wir eine Krankenpflegerin vom jüdischen Schwesternheim in Nürnberg, die aber vom Schwesternheim wieder abgerufen wurde und morgen abreisen wird. Angeblich wird sie in Nürnberg dringend gebraucht, wir vermuten aber, dass die Schwester, die leider noch sehr jung ist, ihrer Aufgabe nicht gewachsen ist. Man hat uns eine andere Schwester empfohlen, aber ich bin sehr verbittert, dass man einer Schwerkranken, nicht gleich die richtige Pflegerin schickt, obwohl wir ausdrücklich betonten, dass es sich um einen schweren Fall handelt. Mit einer christlichen Schwester wären wir vielleicht besser dran gewesen. Schon der Gedanke, dass wir Paula nicht mehr lange bei uns haben werden, stellt große Anforderungen an unsere Nerven, es ist immer wieder erschütternd, Paula so still und geduldig in ihrem Lehnstuhl sitzen zu sehen, von der Hoffnung beseelt, bald wieder gesund zu werden. Ihre Ähnlichkeit mit unserer lieben Mutter tritt jetzt mehr hervor, die großen Augen, mit denen sie uns immer anschaut und die stillen, friedlichen Züge. Sie genießt natürlich die denkbar beste Pflege, nur den Wechsel der Krankenschwester hätte ich ihr gerne erspart. Aber vielleicht ist es gut für Sie und uns, dass wir jetzt eine ältere bekommen, die mehr Erfahrung hat und uns die Gewissheit gibt, alles für Paula getan zu haben, was in unseren Kräften steht, nur dann werden wir das Schlimmste ertragen können, was uns noch bevorsteht. Valerie war Pfingsten hier und vergangenen Sonntag und kommt morgen mit Ida, Pepe und der kleinen Ruth per Auto wieder auf einige Stunden. Paula freut sich immer sehr mit ihren Schwestern, wir sorgen schon dafür, dass sie die Besuche nicht so anstrengen. Jetzt im Sommer steht uns ja das ganze Haus zur Verfügung, da brauchen nicht alle im Krankenzimmer sein. Alice ist mir eine gute Hilfe, sie arbeitet den ganzen Tag und leistet bei Paula Gesellschaft. Nun will ich nur wünschen, dass die Krankenschwester, die morgen kommt, erfahrener ist und Paula bessere Dienste leisten kann. Mit Fritzl Brief freute ich mich ganz besonders, seine Schilderungen und Eindrücke, die er auf dem Ausflug ins Land gewann, waren für mich von besonderem Interesse, weil ich die meisten Orte kannte, nur Sebastia besichtigen wir damals nicht. Mich wundert nur, dass trotz der Unruhe der Ausflug noch gemacht werden konnte, heute wäre es sicher nicht mehr möglich. Ich lese leider schon seit einigen Wochen keine Rundschau mehr, da ich durch Paulas Erkrankung meine Gedanken nicht mehr auf das Gelesene konzentrieren kann. Heute Morgen stand im Berliner Tagblatt, dass 60.000 Beduinen bewaffnet wurden, um die Araber in ihren Forderungen unterstützen zu können, die Sache scheint ernster zu werden, als von allen Seiten vermutet wurde. Ich mache mir große Sorgen um euch, an Zahl sind ja die Araber in der Übermacht, es wäre nicht auszudenken, wenn diese Menschenmassen das Land überschwemmten. Aber England muss ja auch dieser Lage gewachsen sein, es darf es nicht soweit kommen lassen. Ihr wolltet die Kinder während der Ferien in eine
Kwuzah senden, durch die Gefahr drohende Lage ist es doch am besten, sie bleiben bei euch in Tel Aviv, wo bis jetzt noch am wenigsten passiert ist. Ich will die anderen auch noch dran schreiben lassen und für heute schließen. Lebt wohl meine Lieben alle, schreibt uns bald und wieder so ausführlich wie im letzten Brief und seid alle innig gegrüßt und geküsst von eurer Frieda
Handschriftlicher Zusatz:
Meine lieben!
Leider komme ich sehr wenig zum schreiben daheim, da es ohne Mädeln in unserem unpraktisch gebauten Hause viel Arbeit gibt. Frieda möchte den Brief noch wegbringen. Hoffentlich sind die Nachrichten in den Zeitungen nicht richtig, sonst käme man aus den Sorgen nicht heraus. Seit inzwischen innigst geküsst von eurer Alice.
Auf der Rückseite handschriftlich von Max.
Meine Lieben!
Hoffe euch alle gesund und munter trotz der harten Zeiten. Recht viele Grüße und Küsse euch allen Max
In dem Brief ist die Rede von einem Aufenthalt in einer Kwuzah für den jungen Fritz Klein.
Es scheint dies die Vorbereitung auf bzw. der Vorläufer der Kibbutzbewegung gewesen zu sein.
Im Internet findet sich diese Zusammenfassung zu Beginn einer ganzen Abhandlung über das neue Leben im Erez Israel:
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Auszug aus: "Khwuzah und Kibbuz" aus dem Jahre 1933 |
In direktem Zusammenhang steht der Brief Alices, die von derselben Leidensgeschichte ihrer Schwester, Paula, berichtet, nachdem sie wieder in Kötzting angelangt ist.
11.7.1936 Alice Kirschner and Dr. Ludwig Klein in Tel-Aviv
Julius Kirschner, Kötzting
Postscheckkonto Nürnberg 12415 Telefon 67
Den 11./7./1936
Meine Lieben
Ich danke Euch herzlichst für Eure lb. Zeilen, die mir nach Treuth (=Tirschenreuth) nachgeschickt wurden. Ich war 3 1/2 Wochen dort. In dieser Zeit haben sich nicht nur die Kranke, sondern auch die andern sichtlich erholt. Es ist aber bei Gott nicht mein Verdienst, aber dadurch, dass ich gekocht habe, brauchten Siddi und Frieda sich nicht abhetzen. Frieda wurde ruhiger und das wirkte beruhigend auf Betty. Da Gretl ab 1.7. die Firma verlassen hat, ist Frieda nicht mehr so abkömmlich im Geschäft und ein Geschäftshaushalt ist halt leider mit einem privaten nicht zu vergleichen. Ich habe aufregende Wochen hinter mit. Am 2. Shawuottag bekam Alfred plötzlich Leibschmerzen und erbrach und am nächsten Tag musste ich ihn operieren lassen, keine Kleinigkeit hier in diesem Dorf, wo eine Operation selten vorkommt, aber es war zu spät irgend wohin zu fahren. Der Arzt machte seine Sache gut und die Schwestern

im Krankenhaus rührend besorgt. Ich war Tag und Nacht bei meinem Buben und ich brauch nur an die Nacht vor der folgenden aufregenden Operation zu denken, dann weicht jedes mal das schwindliche Gefühl, das mich ergreift, wenn ich an die Höhe der Dr. Rechnung denke. Ich bin durch meine Operation an Zahlen gewöhnt, aber dass ein Landarzt noch besser rechnen kann. Ich weiß, was du sagen willst, lb. Ludwig, und ich bin auch dankbar, dass mir mein Bub wieder geschenkt wurde, aber es ist mal so, es muss immer was daher kommen, dass man nicht aufatmen kann. Nun muss ich schauen, dass Alfred wieder zu Fleisch kommt. Er sieht nicht gut aus und isst nicht schön. Ich muss auch wieder an Paula denken. Es ist so schmerzlich, wenn sie einem ansieht mit ihren schönen Augen und man weiß, sie werden sich bald für immer schließen. Und dann die Meldungen aus Palästina. Nicht nur die Gefahr in der wir euch oft wähnten, auch die Überzeugung, dass die viele Arbeit, Mühe und Hoffnungen stündlich zunichte gemacht werden ist so bedrückend. Was soll nun werden? Wird denn der Streik kein Ende nehmen, soll die ganze Wirtschaft zu Grunde gehen, werdet ihr durchhalten können, das sind die Sorgen, die uns ständig peinigen und unsere Willenskraft aufreiben. Die Hauptsache, dass die Kinder davon nichts ausgehen(?). Wir haben hier einen ganz verregneten Sommer. Hoffentlich bessert es sich bald, denn die Ferien haben begonnen und meine Kinder brauchen dringend Sonne. Susi schwimmt schon gut. Sie wird ein richtiges Sportmädel. Nur ihre Nasen machen mir Sorgen. Ich fürchte sie werden so durch die Nase sprechen wie Julius. Ich habe sie schon oft untersuchen lassen. Es ist keine Wucherung da, nur Alfred hat hinterm Trommelfell eine starke Wucherung.
Im Geschäft ist es ruhig. An den Rohprodukten bleibt nicht viel. Die Schesen(?) sind zu groß. Ihr braucht mir nicht extra zu schreiben. Frieda schickt mir gewissenhaft Eure Schreiben, aber lasst dorthin öfter hören. Ihr wisst in welcher Unruhe wir sind und nun lebt wohl, bleibt gesund, meine Innigstgeliebten und seid innigst geküsst von eurer Alice
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Alice Kirschner, geb. Klein |
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Dr. Ludwig Klein |
Alice Kirschner, geb. Klein heiratete 1927 Julius Kirschner Kinder: Susanne * 1928 Alfred * 1930 Alice wurde zusammen mit ihrem kleinen Buben Alfred, am 13.6.1942 von Berlin aus nach Majdanek deportiert.
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Dr. Ludwig Klein heiratete Friedl Braun Kinder: Fritz >>>>>> der Vater von Shelly Feder Micha Die ganze Familie wanderte 1933 nach Palästina aus und wurde zum festen Ankerpunkt für die ganze Großfamilie trotz all der Schwierigkeiten, die sie alle in vielen Jahrzehnten in Palästina durchzumachen hatten.
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Den Brief schrieb Alice Kirschner aus Kötzting - nach ihrer Rückkunft von Tirschenreuth - an ihren Bruder Ludwig in Tel Aviv.
In Tirschenreuth lebten damals noch zwei Schwestern der beiden. Die todkranke Schwester Paula - verheiratet mit dem Inhaber des elterlichen Geschäfts Max Pick - und deren ledige Schwester Frieda. Das Ehepaar Pick hatte zwei Töchter Siddy und Betty.
Die im Brief erwähnte schwerkranke Paula (Klein, verh. Pick) verstarb nur wenige Wochen nach diesem Brief, am 13.8.1936 in Tirschenreuth, mit gerade mal 47 Jahren.
Die zweite Schwester, Frieda, wurde nun die Betreuerin der beiden Mädchen. Siddy konnte später ebenfalls nach Palästina entkommen, Betty wurde im Juni 1942 von Berlin aus nach Osteuropa deportiert, wo sie in Majdanek umkam.
Mehrere Kleinigkeiten aus dem Brief sind es wert, genauer hinzuschauen:
Alice spricht vom 2. Tag Schawuot.
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Am 2. Sch´wuo?tag |
Ich konnte das Wort nicht nur nicht genau entziffern sondern hatte auch überhaupt keine Ahnung, was sich dahinter verbergen könnte. Bei allen den vielen Beleidigungen und Unverschämtheiten, die man so in Facebook täglich lesen kann, gibt es dort doch Räume, in denen freundlich und hilfreich miteinander umgegangen wird und solche Bereiche sind zum Beispiel die verschiedenen Familienforschungsgruppen. In der Gruppe "Tracing the Tribe", einer FB -Gruppe für jüdische Genealogie hochgeladen, bekam ich bereits nach wenigen Minuten die Lösung präsentiert: es ist der
Schawuot-Feiertag und zusätzlich bekam ich noch den Hinweis, dass dies im Jahre 1936 der Donnerstag, der 28. Mai, gewesen sei.
In Wikipedia findet sich dazu die folgende Erklärung:
Die Festtage, die im Judentum als hebräisch ימים טובים jamim towim, deutsch ‚gute Tage‘ ‚Festtage‘ bezeichnet werden, sind halachisch (laut jüdischem Religionsgesetz) so definiert:
Die sechs Tage, an denen die Tora Arbeitsverbot gebietet, sind der erste und der
siebte Tag des Pessachfestes, der erste und der achte Tag des Laubhüttenfestes
(Sukkot), das Wochenfest (Schawuot) sowie der erste Tag des siebten Monats
(Rosch ha-Schana). Diese Tage werden als Feiertage (Jamim towim) bezeichnet.[1]
Schawuot ist also einer der Festtage, an denen die Tora ein Arbeitsverbot gebietet.
Das nächste ist die Passage im Brief, die von einer schwierigen Situation und einem Streik in Palästina - damals ein britisches Protektorat - spricht und auch dazu gibt es einen Hintergrund:
Das Jahr 1936 war ein entscheidendes und turbulentes Jahr im britischen Mandatsgebiet Palästina, geprägt vom Beginn des Arabischen Aufstands, einer großen Revolte der palästinensischen Araber gegen die britische Mandatsregierung und die wachsende jüdische Bevölkerung (die Yishuv).
Hier sind die wichtigsten Ereignisse des Jahres 1936:
- Beginn des Großen Arabischen Aufstands: Der Aufstand begann offiziell im April mit einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle und einem Aufruf arabischer Politiker zu einem landesweiten Generalstreik. Auslöser war die Ermordung zweier jüdischer Männer durch eine arabische Gruppe, woraufhin jüdische Bewaffnete zwei arabische Arbeiter töteten. Diese Ereignisse eskalierten zu weit verbreiteten Unruhen und Gewalttaten.
- Der Arabische Hohe Ausschuss: Als Reaktion auf die wachsenden Unruhen gründeten arabische politische Parteien im April 1936 den Arabischen Hohen Ausschuss (AHC) unter dem Vorsitz des Großmuftis von Jerusalem, Hajj Amin al-Husseini. Die Ziele des AHC waren die Beendigung der jüdischen Einwanderung, das Verbot des Verkaufs von Land an Juden und die Erlangung der nationalen Unabhängigkeit Palästinas. Sie organisierten und koordinierten den Generalstreik und andere Protestaktionen.
- Der Generalstreik: Im Mai wurde ein Generalstreik arabischer Arbeiter, Ladenbesitzer und Transportunternehmer ausgerufen, der bis Oktober andauerte. Er war ein wichtiger Bestandteil des Aufstands und sollte wirtschaftlichen und politischen Druck auf die britischen Behörden ausüben. Der Streik führte zwar zu erheblichen Störungen, wurde aber schließlich abgebrochen. Eskalation der Gewalt: Im Laufe des Jahres 1936 entwickelte sich der Aufstand von organisierten Protesten und Streiks zu einem bewaffneten Konflikt. Arabische Rebellen, oft angeführt von Bauern, griffen jüdische Siedlungen, britische Militär- und Polizeieinrichtungen sowie die Infrastruktur an. Die Briten reagierten mit harter Hand, unter anderem mit dem Einsatz von Streitkräften und Kollektivstrafen.
- Die Peel-Kommission: Angesichts der eskalierenden Gewalt setzte die britische Regierung eine königliche Untersuchungskommission unter der Leitung von Lord Peel ein, um die Ursachen der Unruhen zu untersuchen. Die Kommission traf im November 1936 in Palästina ein, um Aussagen sowohl arabischer als auch jüdischer Führer anzuhören. Ihre 1937 veröffentlichten Ergebnisse waren ein Meilenstein, da die Kommission zu dem Schluss kam, dass die widersprüchlichen nationalen Bestrebungen der beiden Gemeinschaften unvereinbar seien, und die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat empfahl.
16.8.1936 Frieda - und Max Pick - berichten vom Tode der Schwester und Ehefrau
handschriftliche Zusatz von Max.
Recht herzliche Grüße und Küsse, euer Max
Tirschenreuth, den 16. August.
Meine Lieben! Gestern traf euer liebes Schreiben ein, das ich heute nicht so froh beantworten kann, wie sonst. Unsere gute Paula ist nicht mehr bei uns. Donnerstag morgen um 2. 10 (10 Minuten nach 2 Uhr in der Nacht) entschlief sie, sanft und ruhig wie sie gelebt hatte, war auch ihr Tod. Max, Alice und ich blieben bei ihr bis zum letzten Augenblick, die Kinder schickten wir abends wie immer zu Bett, obwohl wir wussten, dass wir die letzte Nacht bei Paula sein werden. Schon Sonntagabend stellte sich höheres Fieber ein und wir bemerkten dann beim Verbinden, morgens und abends wurde die Paula immer verbunden, dass eine neue kleine Wunde entstanden war. Wir ängstig uns aber nicht, weil das öfter vorkam und die kleinen Wunden manchmal bald wieder heilten. Am nächsten Morgen hatte jedoch Paula schon 40.2 Temperatur in der Achselhöhle, wir riefen sofort den Arzt, der jedoch den Zustand nicht ganz hoffnungslos hinstellte und es nicht für unbedingt nötig hielt, Alice und Valerie zu benachrichtigen. Trotzdem rief ich beide gleich telefonisch an, und während Alice Mittag abreiste und dadurch um 5:00 Uhr Nachmittag schon hier sein konnte, glaubte Valerie, es sei nicht so schlimm. Sie rief wohl abends wieder an, aber Max ist am Telefon schlecht zu verstehen, er soll gesagt haben, es geht Paula wieder besser. Mittag gab der Arzt eine Kampferspritze, als aber Alice kam, hatte sich Paula wieder erholt. Abends bekam sie wieder eine Spritze, wodurch die Nacht ruhig verlief. Die Schwester wachte bei ihr und wir gingen zu Bett. Ich konnte natürlich nur wenig schlafen und um 3:00 Uhr hatte Alice keine Ruhe mehr und sah nach Paula. sie war sehr matt, er holte sich aber zusehends und als ich mich um 1/2 4 ebenfalls zu ihr setzte, war sie so frisch, dass sie mit uns plauderte, als ob ihr nichts fehle. Nach 2 Stunden wurde sie müde, und ich ließ sie dann wieder alleine. Als der Arzt Vormittag kam, war er selbst erstaunt über das gute Aussehen und gab die Hoffnung nicht auf, dass die künstliche Anregung des Herzens zur natürlichen Weiterbelebung führen werde.
Die Besserung hielt bis Mittag an, nachdem aber Paula einen kleinen Tellersuppe zu sich genommen hatte, er brach sie und wurde dann sehr matt. Der Arzt gab Nachmittag noch eine Spritze und am Abend sagte er uns, dass Paula die Nacht nicht mehr überleben wird. Das Schlimmste war für uns, dass Paula bald die Kraft verlor, zu sprechen, sie stammelte immer etwas, wir konnten sie aber nicht verstehen. Wenn auch Paula keine Schmerzen mehr hatte, man merkte es an ihren friedlichen Zügen, so waren für uns die letzten Stunden die qualvollsten, die wir seit Mutters Tod durchgemacht hatten. Nun ist alles vorbei, Paula hat ihr armes, bescheidenes Dasein, dass ihr so viel Leid und so wenig Freude bescherte, ausgelebt und eine größere Lücke hinterlassen als ein gesunder Mensch. Besonders Siddy und ich waren in den letzten Wochen so viel mit ihr beschäftigt, dass man sich an die plötzliche Ruhe und Arbeitslosigkeit nicht gleich gewöhnen kann. Max hatte seinen Platz bei Tisch immer neben Paulas Lehnstuhl, dem großen Lederstuhl aus dem guten Zimmer, den wir für Paula so um arbeiten ließen, dass Paula bequem darin sitzen konnte. Er war ja auch groß und breit genug und Paula konnte es keinen Morgen erwarten, aus dem Bett und in ihren bequemen Lehnstuhl zu kommen. Nur die letzten zwei Tage hatte die Paula kein Verlangen mehr danach und blieb lieber im Bett. Nun ist das Zimmer leer, Paula braucht uns nicht mehr. Die Überführung nach Floss, fand Freitagmorgen, die Bestattung nachmittags statt. Die Behörden erlaubten die frühere Beisetzung, weil wir die Tote sonst bis Sonntag hätten liegen lassen müssen. Valerie brachte uns Rosa mit, sie kam im Auto mit Pepe und Ida und hat uns Rosa gleich dagelassen. So bin ich mit einem Male, zu plötzlich, um mich gleich in die neue Lage hinein finden zu können, von allen Obliegenheiten entbunden worden. Die schwersten Tage für uns alle sind hinter uns, die Gäste wieder abgereist, und es bleiben uns nur die traurigen Erinnerungen. Die Kinder sind sehr gefasst, auch Max, der unglaublich unter den letzten Stunden litt, beginnt sich zu beruhigen. Er hat den schönen Trost, Paulas Leidenszeit durch seine Liebe und Teilnahme erleichtert zu haben und gerade die letzten Monate ihres Lebens zählen zu ihren schönsten, weil jeder bemüht war, ihr nur Liebes und Gutes zu erweisen. warum sind wir Menschen so geartet, dass wir nur in der Stunde der Not, Geduld und Kraft aufbringen, um seinen Liebsten alles zu gewähren, was man vermag? Vielleicht hätte ich dir nicht so ausführlich schreiben sollen, lieber Ludwig, aber man kann so Schweres ja auch nicht mit wenigen Worten mitteilen, du solltest wissen, wie Paulas letzte Stunden waren, nachdem du nicht zugegen sein konntest. In Europa wäre es möglich gewesen, noch rechtzeitig zu kommen und Paula noch lebend anzutreffen. „Wir müssen uns jetzt öfter schreiben“ bemerkte du in deinem gestrigen Brief und das wollen wir uns beherzigen. Lebt wohl meine Lieben alle, seid innig geküsst von eurer Frieda
25.9.1936 Frieda an Ludwig nach einem Besuch in Kötzting
Frieda Klein (Tirschenreuth) ist eine Schwester von Alice Kirschner (Kötzting)und Dr. Ludwig Klein (Tel-Aviv).
Die im Brief erwähnte Valerie (Eger und Prag) ist eine weitere Schwester und der ebenfalls im Brief erwähnte Max Pick (Tirschenreuth) ist der Ehemann Paulas - einer weiteren Schwester der Kleins -, dessen letzte Tage in diesem Brief nach Tel-Aviv geschildert werden.

handschriftliche Zusatz: die alten Marken sind von Alice, kann sie Fritz gebrauchen?.
Tirschenreuth, den 25. September 1936.
Meine Lieben, vor wenigen Tagen kam ich von Kötzting zurück, wo ich mit Betti die Feiertage verbrachte, und fand deinen lieben, ausführlichen Brief, lieber Ludwig, vor. Heute am Vorabend des Jom Kippur kann ich ihn schon beantworten, weil ich schön Zeit dazu habe. In Kötzting traf ich alle wohl und gesund an, nur Alice ist sehr nervös. Ihre misslichen, finanziellen Verhältnisse machen ihr viel zu schaffen und verbittert ihr ganzes Leben. Dass sie auch gar nicht aus ihren Schulden herauskommt! Die Kinder sind gesund, wenn auch die Sprache immer noch sehr zu wünschen übrig lässt. Beide reden so durch die Nase und obwohl sie sehr geweckte und kluge Kinder sind, stört die Sprache zu sehr. Man sollte nicht weit voneinander entfernt sein, es gibt doch vieles, was man mündlich besser besprechen kann. So erhielt Julius vor einiger Zeit einen Einkommensbescheid, der das Einkommen kurzerhand nach dem Umsatz berechnete und 10 % vom Umsatz als steuerbares Einkommen festsetzte. Früher brauchten sie überhaupt kein Einkommen bezahlen, aber der neue Beamte, den sie jetzt am Finanzamt haben, änderte das. Julius ging wohl hin und erhob mündlich Einspruch, verstand es aber doch nicht, den Beamten richtig klarzumachen, dass bei einer so trostlosen Bilanz, bei einer solchen Verschuldung nach Abzug der Werbungskosten von einem steuerbaren Einkommen nicht mehr die Rede sein kann. Nun müssen Sie über 100 DM Einkommensteuer, nachzahlen, ganz ungerechter Weise und, da die Frist des Einspruchs abgelaufen ist, kann man darin nichts mehr ändern. Der Beamte sagte wohl damals zum Julius, er müsse halt die Bücher prüfen, um festzustellen, ob sein Einspruch stichhaltig ist und da sie immer nur eine sehr primitive Buchführung hatten, gab sich Julius mit dem Steuerbescheid zufrieden, statt der Buch Prüfung zuzustimmen. Alice scheute sich immer, mir die Bilanz zu senden, weil sie mir ihre misslichen Verhältnisse nicht zeigen wollte. Ich konnte mir ja immer an den Fingern abzählen, wie es um sie stand, wenn sie nur mühsam den Verpflichtungen den Lieferanten gegenüber nachkommen konnten, wie groß musste da die Verschuldung sein, da ich doch von all den Darlehen wusste, die sie von den Geschwistern und von Julius Schwester in Amerika hatte. Die Hauptschuld trug ja bis jetzt das Rohrprodukten Geschäft, das viel zu viel Spesen verschlang. Die beiden Autos, das Personen und das Lastauto, das sie sich nur wegen der Rohprodukten anschafften, realisieren sie nicht und das hängt Ihnen heute noch nach, wie man bei uns zu sagen pflegt. Dann kann man noch die Konjunkturverluste hinzu, die gerade damals begannen, als Alice heiratete und das hält ein Anfänger nicht aus, wenn er wenig Betriebskapital hat. Jedenfalls kamen wir bei meinem dort sein, auf die Steuern zu sprechen, und als ich die Bilanz sah, wusste ich gleich, dass sie ganz zu Unrecht zu Einkommensteuer veranlagt waren, und selbst wenn sich die Schulden um 600 DM verringert hatten. Alicia regte sich nun sehr darüber auf, dass sie der ganzen Sache nicht besser nachgegangen war. Dann war sie in ganz verzweifelter Stimmung, weil sie fürchtet, dass sie nie aus der Verschuldung herauskommen wird. Es wird sich aber doch eine Besserung erzielen lassen, wenn Julius und Alice ihr Augenmerk mehr auf den Spesenapparat richten und alles, was dazugehört, ein Geschäft richtig zu führen, besser berücksichtigen. Sie hat sich jetzt ein neues Geschäftsbuch angelegt, ähnlich meinem Kassenbuch, dass ihr die nötige Übersicht über alle Vorgänge gibt und das auch dem Finanzamt gegenüber beweiskräftig ist. Für die Zukunft wird sie also vor ungerechten Steuerzahlungen bewahrt bleiben, aber sie kann halt auch diese letzte Nachzahlung nicht verschmerzen. Leider kann ich jetzt, da wir keinen kranken mehr im Hause haben, eher abkommen als bisher und so will ich anfangs November nochmals nach Kötzting fahren, weil da zwei Feiertage sind, Allerheiligen und Allerseelen. Dann kommt der Winter und da ist es mir in Kötzting zu wenig warm, denn ich friere zu leicht und dort lassen sich die Zimmer nicht so behaglich heizen wie bei uns. Ich habe Alice schon dieses Mal sehr ins Gewissen geredet, dass sie sich mehr zusammen nehmen müsse. es hat doch keinen Zweck, sich die schlechte Lage gar so in den Kopf zu setzen, damit macht sie es nicht besser. Auch gestern schrieb ich ihr wieder ganz energisch und ich hoffe, wenn ich in sechs Wochen wieder bei ihr bin, dass sie dann ruhiger geworden ist. Julius hat da keinen leichten Stand mit ihr, ein nervöser Mensch ist überhaupt schlecht zu vertragen. Auf dem Rückweg hielt ich mich in Weiden auf, um den dortigen Nervenarzt wegen Betti zu konsultieren. Er war mit ihr zufrieden, die "Reflexe", wie er sich ausdrückte, sei ruhiger geworden. Um dies festzustellen, klopfte er mit einem kleinen Hammer den Fuß und den Arm entlang. Er erzählte mir auch von einem sehr tüchtigen Spezialisten für Hirnkrankheiten, der sich vor einem Jahr in Würzburg niedergelassen hätte und der einzige Deutschlands in seinem Fach wäre..

Er hätte seine letzte Ausbildung in Amerika bei einem Gehirnspezialisten genommen, dem tüchtigsten, den wir zur Zeit überhaupt haben, so dass sogar Geheimrat Bumke aus München, ihm, dem Würzburger, viele seiner Patienten zuschickt. Dieser Professor Tönnies macht genaue Röntgenaufnahmen, und es wäre vielleicht in Betracht zu ziehen, ihn mal zu konsultieren. Bei Betti handelt es sich nicht um eine Geschwulst, sondern um Narben am Gehirn, meinte Doktor Barth und wenn auch nicht anzunehmen sei, dass es besser bei Betti wird, so könnte man doch auch noch diesen Spezialisten zur Rate ziehen. Max war sofort einverstanden, als ich es ihm erzählte und so werde ich vielleicht im Herbst noch mit Betti nach Würzburg fahren. Dann haben wir alles getan, was in unserer Kraft stand und es ist in solchen Fällen immer ein Trost, wenn auch ein schwacher. Doktor Barth fragte mich auch nach Paulas letzten Stunden. Er hörte davon und kannte sie gut, weil wir ihn einige Male holen ließen, wenn wir glaubten, dass es nötig sei. Auch als das letzte Stadium ihres Leidens anbrach, als am Gesäß eine anfangs kleine Wunde entstand, verständigten wir ihn. Er stellte damals schon fest, dass das Leiden fortgeschritten war, dass die Haut nicht mehr ernährt werden konnte und dadurch ab starb. Die Wunde wurde dann immer größer, breitete sich über das halbe Gesäß aus und ging unterhalb des Steißbeins, aber nur an dieser Stelle, ganz in die Tiefe, so dass dort ein großes Loch entstand. Schmerzen hat die Paula vom ersten Tag an keine an dieser Wunde, sondern nur an den Füßen, weil sich diese immer so hinauf krampften. Man konnte auch dagegen nichts tun, als schmerzstillende Medikamente geben. Gerade in den letzten Wochen fingen dann die Wunden zu heilen an, so dass vorerst eine Lebensgefahr nicht bestand. Sogar die tiefe Wunde heilte immer mehr, die andere, die sich nur an der Oberfläche ausgebildet hatte, wurde immer kleiner und die Fersen, die ebenfalls tiefe Wunden hatten, waren schon ganz zu geheilt. Auch das Verkrampfen der Füße ließ vollkommen nach, weshalb auch diese Schmerzen behoben waren. Die hohe Temperatur, die ich zwei Tage vor ihrem Tod feststellte, rührte weniger von einer richtigen Lungenentzündung als von einer so genannten Schluck-Lungenentzündung. Ein typisches Merkmal von Paulas Leiden ist das häufige Verschlucken, und das, erklärte mir Doktor Göbel, führt oft den Tod dabei. Es muss nicht beim Essen sein, sogar am Speichel verschlucken sich solche Patienten, und bei Paula konnte man oft wahrnehmen, dass sie sich bei ganz langsamen Trinken verschluckte. gerade am Tag vorher, als sie das hohe Fieber bekam, verschluckt sich Paula ganz besonders stark, als ihr die Schwester nach dem Mittagessen den Kaffee gab. Ob bei dieser Gelegenheit etwas in die Lunge eingetreten ist oder ob sich Paula später noch mal verschluckte, das lässt sich natürlich nicht feststellen. Als ich am Dienstagmorgen Paula gerade das Thermometer in die Axel gesteckt hatte, er braucht sie plötzlich weißen Schleim, die Schwester war gerade hinausgegangen, und ehe ich mich noch besann, wie ich den ihr den Schleim von den Lippen entfernen konnte, hatte sie ihn schon hinunter geschluckt. dabei fiel das Thermometer aus der Achsel, und ich sah, dass es nach so kurze Zeit schon auf 40 gestiegen war. Paula war ganz verfallen im Gesicht nach dem Erbrechen und erst die Einspritzungen brachten sie wieder zu sich, so dass sie Alice, als sie am späten Nachmittag kam, verhältnismäßig frisch antraf. Valerie hat nicht unsere Art, lieber Ludwig, sie hätte schon Mittag da sein können, wenn sie wie Alice, sich gleich in den Zug gesetzt hätte. Ich glaube es dir gerne, dass du ihr die Freude des Wiedersehens gemacht hättest, wenn es in deiner Macht gelegen wäre und du hättest ihr eine große Freude damit bereitet. Dienstag Mittag trat dann zum ersten Mal eine Herzschwäche ein, von der sich aber Paula wieder erholte. Die zweite erfolgte Mittwochmittag im Begleitung von Schüttelfrost und bald darauf wurde es Paula schwer, zu sprechen. Sie brachte immer mühsam die einzelnen Worte heraus, es kam dann nur noch ein unverständliches Lallen, aber sie war bei vollem Bewusstsein. Von 6:00 Uhr abends an lag sie mit geschlossenen Augen da, vielleicht war sie von da ab ohne Bewusstsein, genau lässt sich das nicht feststellen. Das ist alles, was ich dir von den letzten Stunden unserer armen Schwester berichten kann und eine tiefe Traurigkeit bemächtigt sich immer meiner, wenn ich an ihre letzten Monate denke und daran, dass sie nur 47 Jahre alt wurde. Man war sich das nicht bewusst, dass es plötzlich zu Ende gehen wird und dass eines Tages Paula nicht mehr bei uns sein wird. Dass du so oft noch Haifa fahren musst, beunruhigt mich sehr, auch, dass du nach den Feiertagen eine längere Geschäftsreise antreten willst. Wie wird die Sache mit der Medidente ändern? Schweres genug hast du dort mitgemacht, es wäre nur zu wünschen, dass du es endlich, endlich mal besser treffen würdest und die Existenzsorgen aufhört. Die Daunendecken gingen gestern an euch ab, sie sind sehr schön geworden, dieses Mal ist der Stoff bedeutend strapazierfähiger, so dass ihr mehr Freude daran haben werdet. Max fuhr heute nach Eger, um Jom Kippur in die Synagoge gehen zu können. Man hat jetzt bei Ida ein gutes Absteige Quartier. Schreibe uns nur bald wieder wie es euch allen meine Lieben geht, seid alle innig begrüßt und geküsst von uns allen besonders von eurer Frieda.
19.10.1936 Berlin die "Braun-Verwandtschaft", also die Seite von Ludwig Kleins Ehefrau Friedl, eine geborene Braun, schreibt nach Tel-Aviv
Berlin, den 19. Oktober 1936.
Meine Lieben.
Euren Brief erhielten wir am ersten Tag nach Rückkehr von unserer zehntägigen Erholungsreise. Wir waren ein Tag in Godesberg, wo Patienten von Hugo, Cohnen´s, das ist das frühere Fräulein Wittner, Ludwig wird sich wohl erinnern, sie verkehrte wohl auch bei dem alten Herrn (der Name ist mir entfallen) in Karlsforst sich im Januar zur Ruhe gesetzt haben. Die hatten uns Quartier in einer sehr netten jüdischen Familie in einem sehr schönen und gepflegten Einfamilienhaus besorgt. Und so haben wir von G. (Godesberg) aus jeden Tag etwas unternommen. Mal eine Rheinfahrt oder nach Bonn, in Köln waren wir zweimal; einmal hatten wir uns die Stadt angesehen, das andere Mal waren wir auch bei einem Patienten (man sollte glauben, Hugo hat eine Riesenpraxis), der in dieser Spielzeit am Kölner Theater ist und der uns eingeladen hatte, auch im Theater waren wir und haben ihn im "Don Juan und Faust“ von Grabbe gesehen. Es war sehr schön, gesehen haben wir viel Schönes. Nur wie gesagt, 14 Tage ist nicht lange. Nun hat sich bei euch inzwischen wieder Manches ereignet und nicht viel Gutes, ich hoffe, dass nach genauer Übersicht sich manches günstiger gestaltet, als du lieber Ludwig annimmst. Wird es nicht günstig sein, das Geschäft zu halten? Hoffentlich hören wir im nächsten Brief von euch schon etwas Bestimmteres über euch. Liebe Frieda, sag mal, muss der Umzug sein, hier in Deutschland hat man ein Sprichwort, einmal umgezogen ist halb abgebrannt! Besser werden die Möbel doch nicht vom Umzug, dann kostet es doch auch und Arbeit macht es auch bei euren vielen Büchern. Kann man dort nicht auch so seine Wohnung pflegen, wie die (es fehlt ein Wort) Türen Fenster braucht man doch nicht alle zwei Jahre zu streichen. Ich schreibe alles durcheinander, ich muss dabei Türen aufmachen. Dann liegt Wäsche zum Waschen in der Wanne, aber seit ein paar Tagen hatte ich immer etwas vor, dass mich davon abhält, zu schreiben. Nun möchte ich doch noch wissen, ob du schon im Besitz der zwei Blusen und und der Polobluse für Micha bist. Dann schickte ich dir einen schwarzen Rockanzug, hoffentlich passt er dir, ich schickte ihn als Muster ohne Wert und eingeschrieben. Ist er auch angekommen? Mittwoch geht ein Paket von Hugo, ein Doktor Bernhard Leeb (fehlt ein Wort) auf das Schiff und hat für Fritzl und für Micha Knickerbocker mit. Ich wünschte, die Fähre bringt euch die Sachen bald, wenn es so lange dauern würde wie mit den Blusen könnten die Jungen die Hosen inzwischen (fehlt ein Wort)
wachsen. Ich habe ihm eure Privatadresse und die Adresse vom Geschäft mit gegeben,
Ich habe ihm eure Privatadresse und die Adresse vom Geschäft mit gegeben, denn ihr könnt doch inzwischen umgezogen sein. Gucks hat morgen Geburtstag und Fritz hatte am 3. Oktober. Dran gedacht habe ich, aber ich hab keine Adresse, aber ich möchte doch nicht das Gucks eine schlechte Meinung von seiner Tante kriegt und so schicke ich ihm ein Polohemd an eure Adresse morgen oder übermorgen ab. Bei uns in der Praxis ist es recht ruhig. Hugo braucht sich nicht anzustrengen. in den letzten Wochen sind drei Familien – Patienten von Hugo, Schwarzenbergs, Senatspräsident, Doktor Katzer und Doktor Chloe – nach Palästina. Steffi arbeitet augenblicklich praktisch beim Provinzialverband und kommt immer sehr spät nach Hause. Nun ist auch noch das Büro der Universität vom Urlaub zurück und die Gebühren sind auch bezahlt, nun kann wohl die Prüfung steigen. Also will ich aufhören zu schreiben, denn ich will an die Kinder noch ein paar Zeilen richten. Schreibt mir nur welche von den Sachen ankommen, dann will ich gerne weiter schicken und alles Gute im neuen Jahr. Herzliche Grüße und Küsse Trude,
Lieber Fritzl es freut die Tante und den Onkel, dass wir dir mit den Buch eine Freude gemacht haben, hinein. Gesehen haben wir nicht, sondern haben es gleich von der Buchhandlung schicken lassen. Da ging es doch rascher. Sicherlich hast du recht viel verdient aber eine Waage hättest du auch von uns bekommen können. Onkel Hugo hat mal eine von einem Patienten geerbt und ich habe in den Gewichtskästchen nachgesehen, da gibt es Gewichtsplättchen von zehn 30,50, 100, 200, 500 mg. Die Waage hat die Tante auf dem Bücherschrank stehen und sie ist hier zu weiter nichts nutze als dass sie ab und zu abgestaubt werden muss. Wenn das nicht mit der Optikerin so kompliziert wäre. Ich kann mir denken, was ihr für Kram alle beide habt und jetzt gibt es doch nicht so viel Platz wie in Erfurt. Und gibt es auch Tiere bei euch. Schildkröten etc. in der Wohnung. Hier hat man jetzt sehr viel Wellensittiche, hat doch immer viel Freude an Tieren. Werden die Hosen passen? Sie sind 2 cm länger gemacht worden? Wie ist es mit fotografieren? macht ihr gar keine Bilder mehr – ich habe nur ganz am Anfang eurer Umsiedlung Bilder von euch.
Lieber Micha, ich denke schon daran, was gut schmeckt. Die Tante Trude geht jetzt sehr selten in die Stadt. Am Nachmittag muss sie sich dann immer einen kleinen Jungen zum Tür aufmachen bestellen. Aber ich werde mein möglichstes tun, dass mich meine Neffen in guten Andenken behalten.
Euch allen viele Grüße
1937
29.1.1937 Hermann Braun an seinen Schwager in Tel-Aviv

Felix Braun, Breslau, Schwertstraße 6
Breslau, den 29. Januar 1937
Lieber Fritz!
Ich sende dir in der Anlage einen Entwurf für Frieda, welchen sie sowie auch Ludwig von dem deutschen Konsulat in Jaffa, bald unterschrieben an mich zurücksenden soll. Dass Gericht hat bis zur Einbringung dieser Ergänzungserklärung eine Frist bis Ende Februar festgesetzt, und bitte ich dich Frieda zu ersuchen, dass die Angelegenheit sofort erledigt wird.
Bezüglich deiner Angelegenheit habe ich gestern noch mal mit Carl gesprochen und hat er sich in Berlin erkundigt, dass du ohne Bedenken nach hier kommen kannst, da du ja Vertreter für deutsche Fabriken bist. Da doch die Leipziger Messe, wie ich dir bereits schrieb, am 28. Februar beginnt, und sämtliche Fabrikanten zur Messe kommen, so halte ich es in diesem Falle für das Beste, wenn du dir alles beizeiten besorgst, damit du auch pünktlich zur Messe hier eintriffst.
Schreibe also bitte recht bald, wann man dich erwarten kann.
Mit den besten Grüßen an alle.
Dein Bruder Hermann
18.2.1937 Max Pick, der Witwer der verstorbenen Paula Pick, geborene Klein, ist schwer an Diabetes erkrankt und ist auf Kur in Karlovy Vary, Karlsbad. Er schreibt eine sehr "gewöhnungsbedürftige" Handschrift, die mich an zwei/drei Stellen überforderte, was jedoch den Inhalt des Briefes nicht verfälschen wird.

Karlsbad, den 18.2.1937.
Meine Lieben!
Habt jedenfalls Karte und Brief von mir erhalten. Noch einige Tage, dann bin ich ja zu Hause. Da einerteils und (nicht leserlich) stark mich davor. Kinder, ihr sollt jeden Tag Gott danken, dass ihr dort seid, bei uns ist es mehr als ekelhaft, nichts als Prügel zwischen die Füße – wollte ich könnte ganz dableiben – Da ist man doch nicht Mensch zweiter Klasse. Meinen Zucker habe nahezu ganz angebracht, war ein schlimmer Fall da zu sehr vernachlässigt, anfangs machte mir der Arzt wenig Hoffnung, aber er ist ungemein gründlich, ja sogar pedantisch und folge ich auch ganz genau seinen Anforderungen. Das Leben selbst ist ja nicht teuer. Da komme so einen Tag mit circa acht Mark aus – allerdings kommen dann noch die Ärztehonorare, weiß ich noch nicht, Blutuntersuchungen und sonst noch.
Sonst lebt man da billiger

als zum Beispiel in München.
Habt ihr noch im Sinn, euren Fritz nach Prag zu geben? Näheres erfahrt ihr bald. Meine Prager Verwandten haben mich diese Tage besucht, und da sprachen wir darüber, auch die liebe Frieda war dabei anwesend. Ich denke nun genug geschrieben zu haben, denn die liebe Frieda schreibt euch ja noch mehr und noch ausführlicher. Hoffentlich bekomme noch diese Tage meine schon längst zugesagten Devisen, das würde mir den Aufenthalt noch mehr verbilligen. Aber kalt nass und unfreundlich ist das Wetter, Hauptsache ist, dass es genug Cafés da gibt und man alle möglichen und unmöglichen Zeitungen lesen kann. Deutsche Zeitschriften, auch einige Reichsdeutsche, dann ist beste Langweile gesorgt. Schreibt nur bester Gruß Max
15.6.1937 Brief an Friedl und Ludwig vor einer Ausreise nach Uruguay
Breslau, den 15. Juni 1937
Liebe Frieda und lieber Ludwig, erst heute komme ich dazu, euren lieben Brief zu beantworten. Ich hoffe aber, dass wir uns trotz der langen Schreibpause von nun an regelmäßig schreiben werden. Mein Bein ist gut geheilt, man sieht am Knochen nichts, nur kann ich es vorläufig noch nicht ganz abbiegen wie das andere und bei starken Beanspruchungen spüre ich es noch ein wenig. Wir hoffen euch alle gesund, gerne hätte ich mir das Land angesehen, bevor ich nach Uruguay auswandere. Aber diese Absicht ist zeitlich und was die Kosten betreffen leider nicht möglich. Natürlich ebenso gerne hätte ich euch alle gesehen, aber ich glaube, dass wir uns doch noch alle in wenigen Jahren sehen werden. Ich werde (jetzt ist es ein 4:30 Uhr früh) dann versuchen wenigstens von Steffl euch ein Bild bei zu legen. Von Fritz und Micha hätte ich gerne auch eine Aufnahme sehen wollen, es freut mich sehr zu hören, dass sie so tüchtige Jungen sind, die euch gewiss viel Freude machen. Steffl ist ein richtiger kleiner Frechdachsgeworden, der vorläufig es am schönsten findet, im Hof unten (Mittagspausen etc. sind im unliebsame Unterbrechungen) zu spielen und sich so schwarz wie ein Neger zu machen. Jetzt im Sommer geht es ja, da kann man ihn leicht unter die Wasserleitung stellen.

meine Papiere etc. sind fertig und auch der Zeitpunkt meiner Reise ist bestimmt. Am 28. Juli geht das Schiff „Lipari“. Ich hoffe dort in meinem Beruf tätig sein zu können, Reklame, Gebrauch Grafik, Film, Außenreklame, Zeichen lehren, Portraits etc. Etwas wird doch zu machen sein. Im übrigen arbeite ich jetzt an meiner zweiten Plastik, die sehr gut geworden beziehungsweise werden, Ich sende davon gelegentlich eine Aufnahme. Ich habe keine Angst um mich. Auch Fritz soll keine haben den erstens ist nicht jede Auswanderung verbunden mit Missgeschick etc. Er soll nicht in den Fehler verfallen, seine Sache zu verallgemeinern. Fritz beklagt sich, das Recht hat er dazu, aber er müsste es wissen, dass er sich vor unserer lieben Schwägerin Grete doch etwas zurückhalten sollte, die zerredet sich nämlich den Mund. Wenn ich könnte, würde ich euch gerne helfen, ihm und euch über die Schwierigkeiten hinweg zu bringen, aber wenn ich es einmal könnte, habt ihr es hoffentlich nicht mehr nötig. Hermann, ich muss es leider sagen, ist ein großer Pamuffel, der fast ganz unter dem Pantoffel von Grete steht, wenn sie sagt, eine Sache ist gut, ist sie gut, u.s.w. Mit Martin steht es noch am besten, seine Frau ist ein kleines Gänschen, alle stehen sie unter dem Einfluss von Grete. Hugo und Trude sind sehr lieb und nett. Ida werdet, da ihr mit ihnen ja brieflich in Kontakt steht, alles wissen.

Für den ersten Brief nach so langer Zeit erst mal genug. Ich hoffe, dass ihr wieder bald mal schreiben werdet. Meine herzlichsten Grüße. Erstmals wieder sind zehn Tage vorbeigegangen, ohne ohne dass ich das Schreiben abschickte: Fritz soll sich den Koffer packen, ein Billett kaufen und hierher kommen und den Stier bei den Hörnern packen, d.h. sich mit seinen Brüdern auseinandersetzen. Für heut nichts mehr, als das Versprechen, euch von nun an mehr zu schreiben. Herzlichst W. (=Willi Braun, Friedl Kleins Bruder)
Einschub über die im Brief erwähnten Personen und deren Schicksal - von Frau Shelly Feder:
Willi Braun war ein Künstler und Maler. Einige seiner Gemälde haben sich erhalten, so auch das Bild, das er von Fritz Klein - dem Vater von Shelly Feder, der Familienforscherin, der wir die vielen Briefe verdanken - in Erfurt gemalt hat, als Fritz erst 10 Jahre alt gewesen war.
Die Im Brief erwähnte Gertrude - eine weitere Schwester - (1855-1944) hatte Hugo Tischler (1879-1943) geheiratet. Das Paar hatte 2 (oder sogar 3 ) Töchter.
Susi Tischler konnte Deutschland vor dem Beginn des Krieges verlassen, schaffte es nach Chicago und heiratete dort Hans Marx.
Es gibt Hinweise, dass Steffi, die zweite Tochter der Tischlers, von einem Arzt oder Zahnarzt versteckt wurde, den Hugo Tischler gekannt hatte.
Hugo und Gertrude Tischler wurden von den Nazis ermordet, von der Existenz eines dritten Kindes der beiden, das ebenfalls umgekommen sein soll, gibt es nur Gerüchte und keine Bestätigung.
Fritz, ein weiterer Bruder aus der Familie Braun, schaffte es zusammen mit seinem Sohn nach Israel, wanderte aber später in die USA aus, genauer nach Chicago.
Hermann (möglicherweise verheiratet mit einer Grete) und Martin waren weitere Geschwister der Friedl Klein.
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Sammlung Shelly Feder: Fritz Klein im Alter von 12 Jahren gemalt in Erfurth von Willi Braun. |
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Sammlung Shelly Feder: Szene im Hafen von Willi Braun.
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ca. 1.9. 1937 undatierter Brief von Alice an den Bruder in Tel-Aviv. Wir wissen, dass die Familie Alfred Kirschner, deren Besuch in Kötzting im Brief erwähnt ist, im Sommer 1937 nach Baden-Baden umgezogen waren und es ihnen im Sommer 1938 dort bereits sehr schlecht ergangen ist - Alice hätte sicherlich die Tochter Susanne nicht in ein "Krisengebiet" zum "Ferienmachen" mitgeschickt. Kann es nur 1937 gewesen sein. Dann ist vom bevorstehenden jüdischen Neujahrsfest die Rede und dieses war im Jahre 1937 vom 5.-7. September. Damit stammt der Brief aus dem Zeitraum von Ende August bis Anfang September 1937.
Alfred Kirschner, der Bruder von Julius Kirschner, seine Frau Renate, die beiden Mädchen Margot und Ingeborg und der Sohn Manfred waren im Sommer von Würzburg nach Baden-Baden umgezogen, in der Hoffnung, in dem mondänen und weltläufigen Badeort den Beklemmungen und Verfolgungen weniger ausgesetzt zu sein, als in Würzburg.
Der Brief ist gerichtet an Friedl und Ludwig Klein in Tel-Aviv

"Meine Lieben! Heute muss ich mich mal zu einem Brief aufraffen. Roch- haschana steht vor der Türe, die Hoffnung auf ein besseres Jahr, aber die Hoffnung in mir ist so gering, die Bangigkeit vor der Zukunft viel größer. Ich wünsche euch von Herzen, dass es euch immer gut gehen möge, gesund und schaffensfroh des Tages Arbeit bewältigen möge. Vor einigen Tagen sandte der Rechtsanwalt Formulare zum Ausfüllen, die ich gestern mit einem Begleitschreiben zurück sandte. Ich habe ihm geschrieben, ob er meint, dass für mich Aussicht bestünde, das Vorzeigegeld zusammenzubringen. Meine Verhältnisse sind nämlich die: mit dem Verkauf des Warenlagers kann ich gut alle meine Schulden begleichen außer Verwandten Darlehen. Von dem Erlös des Hauses und sonstigem was ich nicht mitnehmen, wollte ich das Vorzeigegeld erschwingen. Ich hätte verschiedene Interessenten, die froh wären das Haus um diesen Betrag den wir uns gedacht haben, kaufen zu können, aber dieser Preis muss behördlich bewilligt werden. Der Rechtsanwalt schaut für uns eine Nummer zu bekommen, kümmert sich aber weiter nicht darum, ob wir überhaupt das Vorzeigegeld zusammen bekommen. Man spricht nämlich davon, dass für ein Eiltransfer ein viel höherer Betrag zu entrichten ist als bisher und stimmt dies, dann bringen auch die Tirschenreuther das vorzeige Geld nicht zusammen. deshalb fürchten wir, dass für uns wenig Aussicht besteht, nach Palästina zu kommen. Meine Schwägerinnen sind gestern nach Amerika abgereist. Sie wollen sich für Bürgschaften bemühen, da von Julius viele Verwandte dort leben. Der Ansturm nach Amerika ist so groß, dass mindestens ein bis zwei Jahre vergehen, bis wir drankommen. Ich fürchte sehr, wenn die Verwandten sich nicht sofort kümmern, dass Julius und ich Arbeit bekommen, wir diesen zur Last fallen. Darauf verzichte ich, dann können wir hier auch ausharren. Julius nimmt jede Arbeit an, wenn uns das Geschäft eines Tages nicht mehr ernähren sollte. Die Kinder hoffen wir in einer Familie unterzubringen und dann können wir nachkommen. Wenn wir dann ausreichenden Verdienst haben, können wir die Kinder wieder zu uns nehmen. Eine ganze Familie kann nicht mittellos in einem fremden Land eine Existenz aufbauen. Deshalb wäre mir die Siedlung in Palästina so willkommen gewesen, Julius und ich hätten uns vor der Arbeit nicht gefürchtet, aber wie das Vorzeigegeld zusammenbringen. Ich bin gespannt, was mir der Rechtsanwalt antwortet. Julius liegt zur Zeit im Krankenhaus an Gesichtsrose. Hoffentlich kann er bald als geheilt entlassen werden. Geschäftlich bin ich zufrieden, so dass wir eigentlich nicht daran denken, bräuchten zu verkaufen.

"Geschäftlich bin ich zufrieden, so dass wir eigentlich nicht daran denken, bräuchten zu verkaufen.
Wenn wir weiter mit Ware beliefert werden und sonst keine neuen Einschränkungen kommen, könnten wir durchkommen. Die Schulden haben mir mein Leben verbittert, ich möchte mir keine neue Existenz auf Schulden aufbauen, lieber gehe ich hier zu Grunde. Nun weißt du, was ich von der ganzen Auswanderei halte. Eine Siedlung, ja, wenn sie auch nichts abwirft, mein Dach über den Kopf habe ich und was ich sonst zum bescheidenen Leben brauche. Wenn mein Mann noch etwas hinzuverdienen kann, ist noch besser, aber diese Sache hängt davon ab, ob ich das Vorzeigegeld zusammenbringe. Susi ist zur Zeit in Baden-Baden zu Besuch. Ich hatte die ganze Gesellschaft Albert mit Frau und drei Kindern drei Wochen zu Gast. Die Frau jammert und weiß nicht warum. Alberts Gehalt geht weiter, haben eine schöne Villa mit allen Bequemlichkeit und wunderbaren Garten und braucht noch Sommerfrische. Susi haben sie bis zum Schulbeginn mitgenommen. ich kann sie überall beruhigt mitgeben. Sie ist ein feines, vernünftiges Kind, das ist Tante Fridas Werturteil. Mein Bub kommt in ihrer Achtung schlechter weg, aber das macht nichts. Er ist doch ein goldig, lieber Bub. Ich bin gespannt, wie die arme Frieda mit dem Verkauf von Haus und Geschäft fertig wird. Es ist keine Kleinigkeit für eine Frau. Du schreibst von einem bevorzugten Transfer, wahrscheinlich meinst du den beschleunigten. Du glaubst nicht, dass alle Eiltransfer bekommen. Wir hatten es uns schon so schön gedacht, wie wir uns alles einteilen wollten, aber ich wage nicht zu hoffen, dass unser Wunsch, alle beisammen zu sein, in Erfüllung geht. Ich bin ab Montag drei Wochen ohne Mädchen, weil meine Zugehfrau ans Kartoffelgraben geht. Nun könnte ich die schöne luftige Wohnung beziehen, aber da ich nicht weiß, ob ich hierbleiben kann, will ich nicht mehr umziehen. Getrocknete Schwammerl habe ich bestellt. Dieses Jahr gibt es viel. Wenn Julius gesund wäre, würden wir Sonntag durch die Wälder streifen. Mit Albert habe ich kürzlich gesucht. Wir eine reichliche Portion gefunden. Ich habe schon drei Wochen keinen Radio gehört. Haben die Unruhe nachgelassen? Dann wird das Geschäft auch wieder besser werden. Wie könnte das Land sich entwickelt haben, wenn diese furchtbaren Unruhen nicht wären. Hoffentlich brauchst du nicht mehr reisen. In Tel Aviv, besteht keine Gefahr? ist Fritz an der Hochschule in Jerusalem angenommen worden? Man hört doch auch dort von Überfällen. Kannst du ihn außer der Gefahrenzone unterbringen?
Liebe Friedl, genau so habe ich es mir gedacht mit den Möbeln, ich riet ebenfalls, Frieda ab, den schweren Ledersessel mitzunehmen. Ich habe damals dein Schlafzimmer behalten und meines verkauft, aber diese Möbel werden zu schwer sein. Für Neuanschaffungen muss Exportabgaben, die sehr hoch sind, bezahlt werden. Darum hat es keinen Wert, die alten Möbel zu verkaufen und neue passend zu kaufen. Verbringt die Feiertage recht angenehm und seid herzlich geküsst von eurer Alice"
Hier die Familie Alfred Kirschners, die in Kötzting zu Besuch weilte und nun Susi Kirschner bis zum Ende der Ferien mit nach Baden-Banden nahm.
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Albert Kirschner
"© Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden" |
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Renate Kirschner, nee Goldschmidt
"© Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden" |
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Margot Kirschner
© Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden |
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Manfred Kirschner
"© Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden" |
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Ingeborg Kirschner
"© Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden"
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Von diesen fünf Menschen konnte nur Manfred - 1942 im Alter von 14 Jahren - mithilfe einer Kinderorganisation gerettet werden. Die anderen vier Familienmitglieder wurden am 17. August 1942 nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet.
Spätsommer - Herbst 1937
wohl ein bis zwei Wochen nach dem vorherigen Brief, da in dem Brief die Rede davon ist, dass Julius wieder gesund zurück ist, und die Familie die Weihnachtsvergünstigungen der Bahn nutzen möchte, um nach Tirschenreuth zu fahren. Daher die zeitliche Zuordnung zwischen den anderen beiden Briefen.
Dieser Brief drückt an vielen Stellen die Verzweiflung aus über all Schwierigkeiten und die ihnen verschlossenen Möglichkeiten, Deutschland zu verlassen.
Meine Lieben!
Julius ist Gott sei Dank wieder gesund zurück. Leider werden keine Besuchervisen
mehr ausgestellt und nun muss ich euch doch bitten, deinen Vorschlag, unsere
Kinder anzufordern, in die Tat umzusetzen. Ich werde einen Antrag stellen. Am
Palästina-Amt in München versicherte man mir, dass, wenn du die Kinder anforderst,
unsere Kinder bevorzugt sein würden. Nun komme ich auf einen früheren Brief von
dir zurück. Du schriebst damals, wenn Valerie die 1000 £ für uns oder Frieda
bereitstellen würde. Wie wäre es, wenn die Amerikaner für uns das machen
könnten. Ich habe eben an meine Schwägerin geschrieben, sie möchte sich mit unserer
Base Lori besprechen, ob sie nicht mithilfe der verschiedenen Verwandten diesen
Betrag zusammenbringen und das Vorzeigegeld beschaffen. Ich schrieb Ihnen, dass
du lieber Ludwig, Ihnen schreiben wirst, nach welcher Zeit das Geld zurückerstattet
werden könnte. du schriebst damals davon, ich habe es mir nicht gemerkt. Das
wäre der einzigste Ausweg in absehbarer Zeit hier weg zu kommen. Ich bin so
niedergeschlagen und verzweifelt. Kann uns wirklich niemand helfen? Sind wir
ganz verlassen? Warum schafft das Ausland keinen Ausweg, uns irgendwo
unterzubringen. Weihnachten wollen wir die verbilligte Reisegelegenheit
ausnutzen und nach Tirschenreuth fahren. Wir möchten uns schon längst gerne
aussprechen. Sie haben auch viel mitgemacht. Wie geht es euch? Wird es keine zu
große Belastung für euch sein, unsere Kinder aufzunehmen und nicht nur
finanziell, sondern auch die Arbeit, liebe Friedl. Susi ist sehr selbstständig
und auch Alfred, aber doch zwei Personen mehr, das spürt man. Lieber Ludwig,
wenn wir auf diese Weise nach Palästina können kämen, würdest du uns Arbeit
beschaffen können, damit wir bescheiden leben können? so viele Fragen gehen
durch meinen Kopf und mir ist gar nicht zum Schreiben. Die Adresse
meiner Schwägerin ist Herrn Alfons Josten 100 – 02 39. Avenue Corona New York
USA. Erkläre es ihm gut bitte, damit sie uns das Geld zur Verfügung stellen.
Seid alle innig geküsst von eurer Alice
Zusatz. Ich füge Rückporto bei damit ihr nicht unnötige Ausgaben durch mich
habt. Julius fürchtet, dass seine Schwestern das Vorzeigegeld nicht
zusammenbringen, dann wäre für uns auch dieser Ausweg versperrt. Müssen wir
wirklich zu Grunde gehen? Und bei den Tirschenreuthern rührt sich auch nichts.
Es ist gut, dass wir Sonntag heimkommen.. Die graue Wand, sie scheint
verschlossen und verriegelt. Ich möchte aber durch meinen Vorschlag mit dem Vorzeigegeld
die Tirschenreuther nicht benachteiligen, dass du dadurch dich für sie nicht so
kümmern kannst. Wird es keine zu großen Vorleistungen wird es keine zu große Belastung
für euch, wenn ihr unsere Kinder zu euch nehmt. Es ist ein großes Opfer. Dass
ihr damit bringt.
10.12.1937
Alice von Kötzting nach Tel-Aviv
Der nächste Brief aus der Hand von Alice Kirschner, der sich erhalten hat, stammt vom Dezember 1937 und lässt uns hineinblicken in den Alltag der Familie Kirschner im Winter in Kötzting:
Es ist tröstlich, daraus zu entnehmen, dass bei aller Bedrückung, die von Seiten der NSDAP sich von Jahr zu Jahr aufgebaut hatte, - und ihren Kötztinger Höhepunkt im November 1938 mit dem Zwangsverkauf des Hauses in der Marktstraße und der damit erzwungenen Vertreibung -hinaus aus Kötzting hatte - es den Kindern offensichtlich noch möglich gewesen war, Kinder zu sein, Freunde zu haben und ein Instrument zu lernen.

Meine Lieben
heute will ich mich auch mal zu einem ausführlichen Brief aufraffen. Ich freue mich unendlich, dass ihr meine Sendungen pünktlich bekommt. Habt ihr auch die Schwammerl erhalten? Ein mir nicht gut gesinnter Beamter wollte sie mir nicht als Mustersendung behandeln und als Paket rentiert es sich nicht, weil ich erstens nicht soviel hatte und 2. was würdet ihr mit einem Postkoli (=österreichisch für ein Postpaket) getrockneter Schwammerl anfangen. Eure letzten Briefe waren etwas zuversichtlicher. Recht herrlichen Dank für Eure guten Wünsche zu meinem Geburtstag. Geschäftlich geht es mit etwas besser. Durch die festen Preise sind weniger Warenverluste, höchstens bei Konfektion und dann habe ich mein Lager verkleinert und dadurch weniger Schulden. Wenn ich nur die Banken weg hätte. Julius hat mit den Rohprodukten - Häuten - zu tun und ist viel mit dem Auto fort. Auf der Straße nach Viechtach in einer Kurve musste er einem Fuhrwerk ausweichen und dabei ist das Auto auf der vereisten Straße ins Rutschen gekommen und kopfüber in den Straßengraben, so dass der Wagen auf dem Kopf stand. Gott sei Dank ist nichts passiert, weder ihm noch dem Wagen. Julius ist noch nicht zurück. Zwei Burschen haben mir die Nachricht gebracht. So geht es halt. Julius wünscht sich den Sommer herbei und die Kinder Schnee und Eis. Alfred ist lustig und fidel. Zu Ostern kommt er in die Schule. Hoffentlich bekommt er einen guten Lehrer. Susi ist ebenso geneigt

"hat immer eine Menge Freundinnen, ein Zeichen, dass sie anpassungsfähig ist. Beim Sport hat sie nicht soviel Schneid wie Alfred außer beim Schwimmen, wahrscheinlich auch nur solang sie Boden unter den Füßen hat. Zurzeit lernt sie Zitherspielen. Als ich Weihnachten daheim war, nahm ich die Zither mit, zu einem Klavier bringe ich es doch nie und man weiß ja nicht, ob Susi mehr Talent hat als ihre Basen. Also probiere ich es mit der Zither. Ein hiesiger Bürger und eifriger Markensammler bat Julius um Fritzls Adresse. Er will dir eine Sammlung schöner Trachtenmarken zur Ansicht schicken, von denen du behalten kannst was du willst und sollst ihm von dort Markten schicken. Er hat überall Beziehungen nur nicht nach Palästina. Ich habe ihm deine Adresse noch nicht gegeben, weil ich nicht weiß ob es dir angenehm ist. Sammelst du Steine? Ich habe nämlich einen Stein mit einer Schicht Asbest. Hier kommt nämlich Asbest vor, aber die Schicht ist zu dünne, dass eine Ausbeutung lohnt. Ist es wieder wärmer geworden bei euch? Liebe Friedl, du machtest in einem deiner letzten Briefe Andeutungen, als wenn sich Eure Lage bessern würde und schriebst seither nichts mehr davon in deinen Briefen. Ist es geschäftlich oder hast du, lieber Ludwig, Aussicht auf eine Stellung? Meine Gedanken weilen immer bei euch, wenn ich auch nicht schreibe. Ich hatte schriftliche Arbeit. Die Inventur war ins Reine zu bringen. Nun bin ich mit den Büchern nach. Morgen kommt die Flickerei dran. Nächste Woche habe ich große Wäsche. So vergeht die Zeit mit Geschäft und Haushalt. Anbei eine Aufnahme. Leider gibt es in Kötzting zur Zeit keinen Schnee, nur auf den Bergen. Soeben ist Julius zurückgekommen. Das Auto ist etwas beschädigt, aber sonst ist noch alles gut abgelaufen. Seid alle herzlichst geküsst von Eurer Alice.
Bei dem "Kötztinger Bürger", der bei Alice Kirschner vorgesprochen hat und ihr eine Sammlung an Briefmarken mit Trachtenmotiven nach Palästina im Austausch gegen dortige Briefmarken angeboten hatte, handelt es sich ganz sicher um Conrad Krämer d.Ä, dem Ostmarkonkeln, der ersten für seine großen Briefmarkensammlungen weithin bekannt war UND der ja der Mitbegründer des Kötztinger Trachtenvereins war.
links: Conrad Krämer d.Ä. Trachtler und Sammler von Briefmarken und Raritäten.
1938
16.1.1938
Brief von Alice an Friedl und Ludwig Klein in Tel-Aviv. Sie berichtet über die Entwicklung der Kinder und die traurige Situation in ihrem Geburtshaus in Tirschenreuth, nach dem Tode des Schwagers Max Pick.

Kötzting, den 16.1.1938
Meine Lieben,
liebster Ludwig, dein lieber Brief war mir eine unerwartete Freude, ein
richtiges Geburtstagsgeschenk. Es macht mir aber Sorgen, dass du in einer
derartig unruhigen Zeit so viel reisen musst. Wenn nur endlich diese Überfälle
unterdrückt und eine Verständigung mit den Arabern herbeigeführt würde. Eure
letzten Briefe habe ich nicht gelesen. Frieda hat sie Trude gegeben und von
dort waren sie nicht zurück, als ich Weihnachten dahin war. Frieda erzählte
mir, dass Fritzl einen schönen Brief nach Berlin geschickt hat. Die Hauptsache
ist, dass ihr alle gesund seid und dass du dein Geschäft allein hast. Du sparst
dir viel Ärger, denn du bist dir nur allein verantwortlich. Ich wäre sehr
glücklich, wenn ich dir und Tirschenreuth nicht das viele Geld schuldig wäre. Ich
bin in allen Handlungen gehemmt, muss immer daran denken, welche Verantwortung
ich trage und dass ich es noch nicht soweit gebracht habe, die Schulden
abzutragen. Zur Zeit sind wir über der
Inventur. Das Weihnachtsgeschäft war befriedigend und da ich mich im Einkauf
sehr zurückgehalten habe, komme ich mit den Rechnungen besser nach. Da aber der
Januar bis jetzt sehr schlecht ist, muss ich
meinen Bankkredit wieder voll in Anspruch nehmen und ich wäre doch so
gerne wenigstens von der Bank weggekommen. Nur die Schulden sind eigentlich
mein einziger Kummer. Da ich nie ans Leben große Ansprüche stellte,
wäre ich in meinem Waldwinkel herzlichst zufrieden

Da ich nie ans Leben große Ansprüche stellte, wäre
ich in meinem Waldwinkel herzlichst zufrieden, denn Geld allein macht nicht
glücklich, wie sich das bei Valerie gezeigt zeigt, aber Schulden drücken.
Momentan geht es mir gesundheitlich sehr gut, habe Gott sei Dank schon lange
keinen keine Gallenanfälle mehr gehabt, seit November nicht mehr. Die Kinder
entwickeln sich auch ganz gut. Susi lernt spielend. Alfred hat auch einen sehr
gerechten Lehrer bekommen. Er hatte schon fertig gebracht, dass er „R“, „ K“ u
„G“ ausspricht. Er hat doch das er
überhaupt nicht ausgesprochen und statt „K“ & „G“, sagte er „D“. Vorerst
kann man noch nicht sagen, wie er lernt. Seine Mitschüler scheinen auch nicht
gescheiter zu sein. Unsere Kinder vermissen nichts. Gibt’s Schnee und Eis
siehst du von innen den ganzen Tag nichts. Als wir den ersten schönen Schnee
hatten, hat sich Alfred buchstäblich im Schnee vor Glück und Freude gewälzt. Es
ist ja gut, dass die Kinder nichts merken von unseren Sorgen. Ich habe wirklich
nicht viel Geduld. Man hat dieses Jahr viel Trauriges erlebt und komme ich nach
Tirschenreuth. In das verwaiste Haus kann ich schon gar nicht mehr froh werden.
Max hätte nicht so schnell sterben dürfen,
bestimmt war die strenge Diät schuld. Er war so mager, hat auch gefroren, was
bei ihm früher nie der Fall war. Wen hast du im Geschäft, wenn du nicht da
bist? Leider hat es dieses Jahr keine Schwammerl gegeben. Sonst hätte ich
welche geschickt. Vielleicht erwachsen dieses Jahr welche. Frieda hat mit Trude
wegen eurer Europa Reise gesprochen. Hoffentlich wird etwas daraus. Wie gerne
möchte ich euch alle mal wieder sehen. Für Friedl und dich wäre eine
Entspannung viel wert. Seid alle meine Lieben innig
geküsst von eurer Alice
23.1.1938 Brief aus Tirschenreuth an Ludwig
Tirschenreuth, den 23.1.1938.
Meine Lieben! Obwohl ihr meinen letzten Brief aus Berlin noch nicht beantwortet habt, will ich euch heute wieder schreiben. Es ist ohne dies einer der langweiligen Sonntage, sie sind die trostlose Tage der Woche, die man am besten mit solchen Arbeiten, also mit Schreiben von Privatbriefen, ausfüllt. Das Wetter ist trüb und nasskalt und passt ganz zu meiner Niedergeschlagenheit. Die leichte Venenentzündung, von der ich euch in Berlin schrieb, war leider nicht so harmlos, ich kam mit 39° Fieber nach Hause und konnte erst nach fünf Wochen das Bett für 1 Stunde verlassen. Inzwischen sind 14 Tage vergangen und es wird noch weitere 14 Tage brauchen, bis ich den letzten Rest dieses langen Krankenlager überwunden habe. Dabei konnte ich noch froh sein, dass ich wenigstens zu Hause liegen konnte, die schriftlichen Arbeiten erledigte ich im Bett. Frau Grüner half Nachmittag im Laden und hatte viel Freude am Kundendienst. Für Ihre Arbeitslosigkeit war das eine angenehme Abwechslung. Doktor Göbel meint, dass mich die Zahnbehandlung zu sehr mitgenommen hat und ich auch in Berlin zu viel herumgelaufen bin. Sobald das Frühjahr kommt, wollen wir an Sonntagen viel ins Freie gehen, was bestimmt zur Kräftigung des ganzen Organismus beitragen wird, denn einen Klimawechsel, einen längeren Aufenthalt in Höhenluft , kann ich mir nicht mehr leisten, seit Max nicht mehr ist. Dem Geschäft fehlt dann die Führung, einer von uns beiden musste eben immer da sein. Inzwischen traf auch dein Brief ein, liebe Friedl, es war mir unter diesen Umständen nicht möglich, mit deiner Freundin zusammen zu kommen und Valerie hab ich seit Monaten nicht gesprochen. Alice war Weihnachten hier, aber Valerie nimmt sich keine Zeit, sich nach uns um zu sehen, selbst wenn die Schwester krank ist. Idas Mann hat sich von seinem Kompanie-Geschäft getrennt. Hugo kaufte ein Grundstück in Eger und will nun ein zweistöckiges Haus bauen, mit Kühlanlagen, wo Pepe sein Geschäft ausüben wird. Die Beteiligung an der Kompanie war eine große Fehlspekulation und ob der Neubau mit seinen Drum und Dran nicht auch verkehrt ist, wird sich noch zeigen. Dieser Hugo weiß schon nicht mehr, was er mit seinem Geld anfangen soll und dann kommt es zu solchen Fehlschlägen. Jedenfalls hat er jetzt seinen Kopf voll mit dem neuen Projekt und die arme Valerie muss dem allen stand halten und hat keine ruhige Stunde. Da werden dann die Sonntage für die Besprechungen mit dem Architekten und dem Rechtsanwalt hergenommen, denn die Liquidation des Kompanie Unternehmens ist noch nicht erledigt und bringt für Valerie, die dieser Sache geistig am besten gewachsen ist, diese Aufregungen. Es geht ihr daher ähnlich wie dir, lieber Ludwig, nur dass du mit Friedl über alles sprechen kannst, während Valerie dem berührten Hugo nur das notwendigste erzählt. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie uns so selten besucht, Hugo sieht es nicht gern, und so will sie sich das nicht erkämpfen. Sie wird auch nicht nach Teplitz gefahren sein, denn nach Marienbad fuhr sie damals mit Pepe im Auto, ohne dass es Hugo wusste, Teplitz ist nicht so leicht zu erreichen, geschäftlich kommt Pepe nicht hin. Es ist nun einmal so, Valerie könnte ihre Geschwister am ehesten unterstützen und darf es nicht, das lässt sich nun einmal nicht ändern. Alice geht es geschäftlich etwas besser, sie konnte das Lager verkleinern und dadurch die ärgsten Dränge. Nun müsste sie noch die Bankschulden wegbringen, die Zinsen lasten schwer auf dem kleinen Betrieb. Bei uns geht alles seinen gewohnten Gang, die Inventur wird ja zeigen, wie wir abgeschnitten haben. Es ist schmerzlich für mich, das Alles ohne Max machen zu müssen, warum musste uns das Schicksal diesen wertvollen Menschen rauben! Immer wieder kommen mir die wenigen Tage seiner Krankheit in den Sinn und ich könnte leichter darüber hinweg kommen, wenn ich die


wenn ich die .... Gewissheit hätte, dass ihn auch ein anderer Arzt nicht hätte retten können, dass Max auch dann nicht im Bett geblieben wäre, oder sich niedergelegt hätte, wenn ich damals zu Hause gewesen wäre. Vergangenen Sonntag, es war der erste, an dem ich so richtig aufbleiben konnte, suchte ich mit den Kindern seine Sachen zusammen, die noch tauglich waren, um sie euch schicken zu können. Es sind dies zwei Anzüge, ein Wintermantel, ein Sommermantel, Bleylerock, Unterwäsche und Hose, ein paar Schuhe, ein paar Hausschuhe, ein paar Handschuhe, Oberhemden und Taschentücher. Hoffentlich passen dir die Sachen, lieber Ludwig, die Hemden kann ja Friedl abändern, bei den Anzügen ist es schon schwieriger. Ich fügte dazu noch deine helle Hose bei und zwei Selbstbinder zum Geburtstag, sowie Socken, desgleichen Oberhemden und Strümpfe für Fritz und Micha. Die zwei Schlafanzüge von Max sind wohl aus Schurwolle, er trug sie nur während seines Kuraufenthalt, sonst hatte er Nachthemden, die ich auch mitsandte, weil sie noch so gut erhalten waren. Sommerschlafanzüge haben wir aber nur in minderwertiger Qualität, weshalb ich für Fritz keinen beilegen konnte. Auch das Unterziehhöschen sandte ich mit und einen Pullover nachträglich zum Geburtstag, hoffentlich gefällt es dir. Wir packen die Sachen in zwei Pakete, sie waren aber für den Versand per Post zu schwer und hätten den Seeweg über Hamburg gehen müssen. Da ließen wir sie wieder von der Post holen, und arbeiteten es in drei Pakete, die am 20. Januar an euch abgingen. Schreibt uns bitte gleich, wie alles angekommen ist. Die Anzüge werden sehr verdrückt sein und aufgebügelt werden müssen. Obwohl sie Max nur sonntags trug, sind sie vielleicht nicht ganz frei von kleinen Flecken, den Rosa bürstet die Kleider nicht so gewissenhaft, ich nahm mir keine Zeit mehr, die Sache genauer durchzusehen, abgesehen davon, dass ich auch noch nicht die Kraft dazu hatte. Ferner wirst du auch alles gut lüften müssen, liebe Friedl, denn ich bildete mir ein, dass ihm noch der Geruch des Sterbezimmers anhaftet. Die Hüte ließ ich vorerst zurück, ebenso die hohen Schuhe, sie sind für Ludwig nicht modern genug, ein paar Schuhe davon hatte sich Max ebenfalls erst für seinen Kuraufenthalt angeschafft. Sollte Ludwig bei Regenwetter sie doch anwenden können, dann schreibt es mir, dann hebe ich sie vorerst noch auf, ebenso den besseren der Hüte, falls das modernisieren nicht viel dort kostet. Die schlechten Sachen sende ich bei Gelegenheit nach Kötzting, für Julius sind sie bestimmt noch brauchbar. Nun habe ich euch alles von uns berichtet und ich bitte euch nur, uns ebenso ausführlich zu schreiben, wie es euch geht, und ob Ludwig endlich die Angelegenheit mit Maas in Ordnung hat. die Rundschau berichtete nicht sehr hoffnungsvoll über die wirtschaftlichen Verhältnisse bei euch und deshalb werdet auch ihr noch lange euer geschäftlichen Sorgen nicht los, fürchte ich. Es ist schon schade, dass dass ich weder Eugen B. noch Sophie B. Sprechen konnte. Wann werden wir uns mal selbst wieder sehen? Was habt ihr mit Fritz Studium vor? Wann ist Michas Bar Mitzwa? Kann ich ihm irgendein schönes Buch hier kaufen, dass er sich wünscht? Schreibt mir das alles bitte und noch viel mehr von euch, ich interessiere mich ja für alles. Lebt wohl meine Lieben alle seid innig geküsst von eurer Frieda.
Handschriftlich von Betti:
Viele Grüße und Küsse auch von Betti.
Handschriftlich von Siddy:
Meine Lieben, Tante Frieda, schreibt uns immer alles vor der Nase weg. Sie bringt es mit beneidenswertes Sicherheit fertig, nichts zu vergessen, so bleibt uns beiden Mädels nichts weiter übrig, als immer nur Grüße dranzufügen. Im Geschäft sind wir noch immer kräftig über der Inventur. Es geht dieses Jahr nur langsam vorwärts, weil wir wenig Leute dazu sind. Viele Grüße und Küsse, Siddy.
2.4.1938 Vermutlich Dr. Ludwig Klein an andere Familienmitglieder
Einschub;
Aufgrund des rosa Durchschlagpapiers und dem Hinweis auf Jerusalem, scheint es mehr als nur wahrscheinlich, dass der folgende Brief von Dr. Ludwig Klein stammt, auch wenn die aufgeführten Personen sonst nicht in diesem "Hauptbriefwechsel" eine Rolle spielen.
Eine Rückfrage bei Shelly Feder, der Sammlerin dieses besonderen Schatzes, bracht die Erläuterungen.
Der Brief erzählt zum ersten, dass Dr. Ludwig Klein auch Beiträge für das "Sandbanks Erziehungsdepartement". Herr Sandbank war demnach ein guter Freund Dr. Kleins, der, obwohl er seinen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften erworben hatte, selber auch Philosoph und Soziologe genug war, um sich in diesem Metier sicher zu bewegen und Beiträge dazu in den lokalen Zeitungen veröffentlichte. - schrieb.
Der weitaus größere - zweite - Teil behandelt Familieninternas, die die Familienmitglieder seiner Frau betrafen. Friedl Klein, Ludwig Kleins Ehefrau war eine geborene Braun und hatte 5 weitere Geschwister: Fritz, Hermann, Willi, Martin und Gertrude.
Gertrude (1885-1944) heiratete Hugo Tischler (1879-1943) eine ihrer vermutlich 2-3 Kinder konnte sich nach den USA retten.
Fritz Braun und sein Sohn Gustav entkamen zuerst nach Palästina, der Vater aber wanderte später ebenfalls in die USA aus. Nachkommen des Sohns leben heute noch in Israel.
Einschub Ende
Brief auf dünnem Durchschlag Papier, vermutlich Kopie von Ludwig Klein.
2. April 1938.
Ich muss morgen zeitig nach Jerusalem fahren und bin zur Zeit stark in Anspruch genommen durch das Geschäft, durch eine Arbeit, die ich für Sandbanks Erziehungs-Department schreibe (Für ich die ein kleines Honorar bekommen werde, dass wir gut brauchen können) und durch eine Wirtschaftsprüfung, die mir übertragen worden ist. (in diesem Falle wird das Honorar hoffentlich so schön sein, wie das Auto des Auftraggebers, des Vizebürgermeister, unsere Städtchens). Trotz dieser vielfachen Inanspruchnahme möchte ich den Brief meines Schwagers Fritz einige Zeilen hinzufügen. Die vornehme Art, in der er die Meinungsverschiedenheiten mit seinen Brüdern, nach aller bitteren Enttäuschung darstellt, ehrt ihn, aber sie gibt nicht ganz das richtige Bild des Sachverhalts.
Lange Zeit hindurch waren die Briefe an Fritz aus Breslau auf den Ton abgestimmt: “liebes Fritzl, komm nach Hause, wir brauchen dich nötig, hier wird alles gut werden.“ Plötzlich und unerwartet kommt ein Umschlag: “es wird leider leider nicht möglich sein, dass unser lieber Bruder in Breslau bleibt“, heißt es in einem Brief an uns. Was war geschehen, was hat sich geändert? Warum schreibt man auf einmal an Fritz, er solle ja nicht nach Gräfenberg kommen, sondern doch lieber nach Amerika auswandern!!! Nicht einmal nach Gräfenberg, geschweige denn nach Breslau, am liebsten über das große Wasser! Woher dieser Umschwung?
Dann fährt Fritz nach Gräfenberg, warum denn auch nicht? Hermann bemüht sich nicht hin, nein, lieber Hugo. Es lag nicht daran, dass er keinen Pass hatte. Martin kommt auf abgezählten Stunden, nachdem man den armen Kerl tagelang hatte warten lassen. Fritz muss nach Trieste zurück, um seinen Pass verlängern zu lassen, und fährt dann noch einmal nach der Tschechoslowakei, nach Reichenberg, um Herrn Reinke aus Langenöls zu sprechen. Heinke kommt nicht und geht auch nicht ans Telefon. Fritz ruft immer wieder im Breslau an, bis ihm schließlich Aenne Wende sagt, er solle keinesfalls mehr anrufen.
Das Fritz keine Einreiseerlaubnis, nach Deutschland erhalten habt, ist dem hiesigen deutschen Konsulat unverständlich. Mir sagte der Beamte: “ Ich weiß, in welchen Fällen die Antragsteller die Erlaubnis erhalten, in welchen nicht. Im Falle, ihres Schwager sage ich, dass er die Erlaubnis erhält.“ Drei Tage später war die Absage in meinen Händen. Das ist von den lieben Verwandten gefingert worden. Natürlich sind sie gefragt worden, ob der Besuch nötig wäre, und haben die richtige Auskunft gegeben.
Hermann und Martin haben einen Auseinandersetzungsvertrag mit Fritz geschlossen und diesem Vertrag haben Sie zu erfüllen, darüber gibt es gar nichts zu reden. Fritz kann es seinem Sohn gegenüber nicht verantworten, dass er auf irgendwelche Rechte verzichtet, nachdem er bei Abschluss des Vertrages großzügig gewesen ist. Ich will nicht, dass Fritz nach Amerika geht. (zur Zeit kann er es gar nicht, weil ihm das nötige Kleingeld fehlt), ich glaube, dass er sich hier eine bescheidene Existenz aufbauen kann, selbst wenn es nicht gelungen ist, nach fünf Jahren meine Existenz genügend zu festigen. Fritz ist im Gegensatz zu mir ein guter Verkäufer. Aber beim Aufbau einer Existenz ist jeder Pfennig von außerordentlicher Bedeutung, davon kann ich ein Lied singen. Die Existenz, die sich Fritz aufbaut, soll ja schließlich nicht nur für ihn, sondern darüber hinaus für seinen - hier fehlt wohl das Wort Sohn-einmal eine Grundlage sein. Vor allem soll sich Fritz wieder ein Heim begründen können, indem er mit seinem Sohn zusammenleben kann. Sollten das die Brüder nicht so fühlen wie wir?
Vor allem handelt es sich darum, dass Fritz seine Akten wieder
Neue Seite:
bekommt, die er in naiven Vertrauen seinen Bruder Hermann übergeben hat. Das wäre sehr gut, wenn du das durchführen könntest. Dass du doch deine Autorität als Familienoberhaupt für Fritz sonst etwas erreichen kannst, scheint mir nach dem Verhalten der Brüder leider zweifelhaft. Euch allen herzliche Grüße
31.5.1938 Valerie aus Eger nach Tel-Aviv
Briefpapier des Josef Krasa, Eger.
Eger, am 31. Mai 1938.
Die Hauptsache, hätte ich bald vergessen! Unsere herzlichste Gratulation zur Barmitzwah des lieben Micha! Wir wünschen ihm eine recht glückliche und frohe Zukunft!
Meine Lieben!
zu meiner großen Freude erhielt ich am 26. Mai euren lieben Brief, doch wurde diese getrübt durch die Mitteilung, dass der gute Micha so eine schmerzhafte Krankheit durchmachen muss. Ich hoffe, dass es gut aus heilt und lieber Micha wieder ganz wohlauf ist. Wie ich aus eurem lieben Schreiben entnehme, habt ihr geschäftlich noch immer zu kämpfen, aber leider geht es jetzt den meisten Juden so. Unser Detailgeschäft ist nicht sehr zurückgegangen, die Stickerei hat, wie ihr ja wissen werdet, seit zwei Jahren der liebe Ernst übernommen, aber es ist kein Vergleich zu den Zeiten, die wir hatten. Er muss von früh bis Abend angestrengt arbeiten, muss selbst reisen und sich mit allem einschränken, um sein Auskommen zu finden. Wir haben ja auch viel gearbeitet und gespart, besonders ich hatte die ganze Woche keine freie Stunde und habe sehr oft die frühesten Morgenstunden und die halbe Nächte mit Arbeit verbracht, aber wir hatten wenigstens den gewünschten Erfolg.
Doch was nützt das heute? Kann man wissen, ob wir die Früchte unserer Arbeit genießen werden? Die Situation ist bei uns noch immer sehr ernst. Ihr hört es ja im Rundfunk und lest es in den Zeitungen. Wir haben auch wenig Sorge um uns, als um Ida und besonders das Kind. Am 21. Mai, als es am kritischten war, hat lieber Pepo Ida mit dem Kind nach Prag zu seinen Eltern gebracht und sind beide bis heute noch dort. Nunmehr hofft man ja, dass es zu keinem Krieg kommt, aber die Gemüter sind in beiden Lagern sehr erregt. Man weiß nicht, was man machen soll. Am 26. Mai als euer lieber Brief kam, war ich in Eger und habe früh liebe Frieda angerufen. Da ein Feiertag war, kam sie Mittag herüber und

und waren wir beide sehr froh, uns wieder einmal aussprechen zu können. Liebe Frieda brachte mir auch euren lieben Brief an Sie. Wie sie euch bereits mitgeteilt hat, ist sie nunmehr zur Auswanderung nach Palästina entschlossen. Sie fährt Pfingsten zur lieben Alice und will dann Fronleichnam, das ist circa 14 Tage nach Pfingsten, herüber kommen, und mir Bericht zu geben, wie sich liebe Alice und Julius dazu stellen . Wir werden uns beraten und euch dann gleich darüber Nachricht geben. Es fällt mir sehr schwer, unser elterliches Haus und Geschäft zu verkaufen, aber es wird leider nichts anderes übrig bleiben und wenn liebe Frieda mit den Kindern auswandert und das Haus und Geschäft verpachten würde, so möchte es bestimmt in Kürze enteignet werden und die armen Weisen hätten dann noch weniger, als wenn der Besitz gleich verkauft wird. Was uns betrifft, so wissen wir noch nicht, ob und wie lange unseres Bleibens hier noch ist. Ich für meinen Teil würde für Palästina stimmen. Hugo kann sich natürlich dazu nicht entschließen. Er möchte, wenn es sein muss, seinen Wohnsitz nach Prag verlegen. Mit lieben Pepo und Ida habe ich eigentlich noch nicht ernsthaft darüber gesprochen, jedenfalls haben wir jetzt alle große Sorgen.
Rosa Rauch hat uns aus Argentinien geschrieben, sie sind sehr beunruhigt, und wir sollen sofort Nachricht geben, wie es uns geht und was wir zu tun gedenken. Sie schrieb durch Luftpost und war der Brief in fünf Tagen hier. Es geht Ihnen ganz gut. Fritz hat geheiratet und hat eine gute Stellung in einer Strickwarenfabrik. Irma führt einen Damenschneidersalon und Rosa hilft ihrem Mann im Geschäft, er hat eine gute Vertretung. Sie haben einen Buben mit einem Jahr, Rosa hat mir regelmäßig geschrieben und lässt euch immer grüßen und erkundigt sich wie es euch und unseren Lieben geht, besonders für liebe Alice hat sie reges Interesse. Ich wünsche und hoffe, dass ich euch nächstes Mal Angenehmeres berichten kann. Lieber Pepa wäre mit dem Geschäft zufrieden gewesen, er hätte sich mit der Zeit gut eingeführt, nun ist alles infrage gestellt. Für heute seid alle vielmals gegrüßt und geküsst von eurer Valerie.
Einschub:
Von Tirschenreuth nach Eger sind es gerade mal 29 km, da kann man schon mal schnell hinüberfahren.
Einschub Ende
7.6.1938 Tirschenreuth an Tel-Aviv
Die zeitliche Zuordnung geschieht hier durch einige Details, die in dem Brief erwähnt sind.
Erstens wird die Auswanderung nach Palästina nun konkret geplant, Siddy ist noch in Tirschenreuth, und die Familie Kirschner in Kötzting kann noch an Pfingsten Besuch empfangen, was 1939 nicht mehr möglich gewesen wäre, da sie ja bereits ihr Haus verkaufen hatten müssen und sehr beengt und bedrängt nur noch temporär geduldet waren. Am 20.7.1939 mussten sie sogar aus Kötzting wegziehen und wurden nach Regensburg abgemeldet. (Alte Einwohnermeldekartei Kötzting, die beiden Kinder sogar schon zwei Wochen vorher. Diese wurden am 8.7.1939, als nach München verzogen, eingetragen).
Also 1939 kommt nicht mehr in Frage und 1937 waren die Pläne noch nicht so detailliert.
Auch ist in dem Brief auch erwähnt, dass die dritte von Julius Schwestern nun ebenfalls nach Amerika auswandern kann.


Den 7. Juni
Lieber Ludwig!
Dein liebes Schreiben war nur vier Tage unterwegs, traf also rechtzeitig vor Pfingsten ein, so dass ich es sogar noch einige Tage vor meinem Besuch in Kötzting dorthin senden konnte und so Julius und Alice Gelegenheit hatten, sich die Sache bis zu meiner Ankunft reichlich zu überlegen. Ich war nun mit den Kindern die beiden Pfingstfeiertage bei Ihnen und da auch die Prospekte kamen, konnten wir anhand dieser Papiere die Angelegenheit in allen Punkten richtig durchgehen. Alice und Julius sind bereit, mit uns zu siedeln, während Alice schon beim Erhalt deines Briefes fest dazu entschlossen war, hatte Julius anfangs Bedenken wegen des Klimas, da er große Hitze nicht gut verträgt. Zudem sind zwei Schwestern in Amerika, die jüngste wandert auch in Bälde nach dorthin aus, weshalb ihm Amerika sympathischer gewesen wäre. Als er die Prospekte sah, und vor allen Dingen die günstige Ansiedlung in Herzlia, das durch die Nähe des Meeres klimatisch am besten zu ertragen ist, da war auch er mit allem Eifer bei der Sache, in Palästina zu siedeln.
Da das Lehrmädchen anschließend an Pfingsten ihren Urlaub genommen hat, kann ich erst nach dessen Rückkehr nach Berlin fahren, voraussichtlich am 14. Juni, um die nötigen Schritte einzuleiten. Den Wirtschaftsberater von Doktor Tischler kann ich ja aufsuchen, seine Adresse habe ich noch, aber vielleicht frage ich vorher bei der Rasco nach einem geeigneten Berater, oder spreche auch mit Doktor Tischler darüber. Alice wäre für einen Nürnberger Anwalt gewesen, weil sie dann mit mir gekommen wäre, um gemeinsam mit mir sich zu beraten. Aber das höre ich schon in Berlin, wie es besser ist, ob es nicht richtiger ist, sich in Berlin einen zu nehmen. Das Siedeln selbst haben wir uns so gedacht, dass Betti und ich den Haushalt führen, während Alice und Siddy Feld- und Gartenarbeit verrichten. Ob Julius einen Lastwagen mitnehmen darf, werden wir durch den Berater hören, jedenfalls wäre es freilich gut, wenn er durch einen Nebenverdienst die Existenz erleichtern könnte.
Vor allen Dingen möchte ich mir die Hausarbeit, wir sind ja sieben Personen, durch geeignete Hilfsmittel erleichtern, zum Beispiel wären ein elektrischer Kochherd, eine eben solche Wasch – und Bügelmaschine, ein kleiner Kühlschrank wünschenswerte Dinge. Ob der Strompreis sehr hoch ist, so dass man sich dann diesen Luxus nicht leisten kann? Erkundige dich bitte in dieser Hinsicht, man will ja nur zweckmäßiges mitbringen und nicht unnötiges Geld ausgeben. Ich weiß ja auch gar nicht, ob man neue Haushaltsgegenstände mitnehmen darf, das werde ich alles in Berlin erfahren. Sehr wichtig ist ja auch die Möbelfrage. Obwohl die Häuser gleich so modern gebaut werden, dass zum Beispiel die Schränke in jedem Zimmer gleich eingebaut sind? Ferner sind in dem Prospekt von Herzlia zwei und drei Zimmerhäuser angegeben, wir müssten aber ein Haus mit vier Zimmer haben, welche Möbel nimmt man mit und welche lassen wir zurück? Gerne hätte ich ja den Salon von euch, weil er einen großen Tisch hat und bequeme Stühle, während mein schönes Biedermeier Zimmer wohl ganz ungeeignet ist, schon wegen der Polstermöbel. Mir fällt soeben ein, dass ich mal mit Valerie darüber reden kann, vielleicht nimmt sie es mir ab. Man bekommt für alte Möbel nicht viel, wenn man sie verkauft, wenn es auch noch so gut erhalten ist. Dann hat Alice von euch das Schlafzimmer, das sie ebenfalls gerne behalten möchte, dagegen würde sie ihr Wohnzimmer gerne verkaufen. Die Metallbetten, wir haben zwei und Alice eins, werden wir mitnehmen, eine Matratze ließ ich mir schon vor einigen Jahren zu einer Couch um arbeiten, eine zweite Matratze ließe sich ebenfalls für diesen Zweck herrichten, so dass wir wohl dann mit Schlafgelegenheit versorgt wären. Das Klavier müssten wir verkaufen, weil Siddy schon Jahre lang nicht mehr spielt, sie hat keine Freude daran. Wie ist es mit den Federbetten? An kühlen Regentagen wird man sie nicht entbehren können, für heiße Tage sind genügend Woll- und Steppdecken vorhanden. Für meine Daunendecke machte ich mir seinerzeit Überzüge außer den Einschlagdecken, um den Seiten Bezug der Daunendecke besser zu schonen und sie ist dadurch auch noch wie neu. Ob wir nun besser daran tun, für die Woll- und Steppdecken ebenfalls Überzüge zu nähen, statt Einschlag stecken? Wenn es sich hier auch um alte Decken handelt, bleiben sie nicht sauberer in Überzügen? Das ist dein Gebiet, liebe Friedl, diese Fragen wirst du mir alle beantworten. Denke bitte an alles, was wir dort brauchen, es werden leider Neuanschaffungen schwer zu tätigen sein. An Kleidung bin ich ja im Bild, denke ich. Es kommen für uns nur gute Hauskleider infrage, die bequem für die Arbeit sind, für Siddy vielleicht kurze Hosen aus grauen Drill, wie ich damals die Mädchen auf dem Lande sah. Ich möchte eben in Ruhe alles vorbereiten, besonders was an Wäsche und Arbeitskleidung genäht werden muss. Sobald ich von Berlin zurück bin, schreibe ich euch wieder vielleicht schon von Berlin aus. Ich will ja gleichzeitig den Zahnarzt aufsuchen, von der Brücke brach die Klammer ab, das wäre ja nur eine kleinere Reparatur, aber die anderen Zähne müssen auch nachgesehen werden, hoffentlich gibt es da keine großen Arbeiten, so dass ich nicht lange in Berlin bleiben brauche..

Es gäbe noch vieles zu fragen und zu schreiben, aber ich will doch nur das Nötigste erwähnen. Ich wollte mit dem Brief nicht warten, bis ich von Berlin zurück bin, ihr solltet sofort nach meinem Besuch in Kötzting wissen, dass wir alle zum siedeln entschlossen sind und nicht länger als nötig auf diesen Bescheid warten. Wie geht es Micha? Ich war gerade bei Valerie, als euer Brief an sie eintraf und ihr von seiner Erkrankung durch das Zahn ziehen berichtet. Hoffentlich ist er wieder vollkommen hergestellt. Die Kötztinger sind alle wohlauf, Susi ist sehr gewachsen und ein ruhiges und vernünftiges Kind, Alfred aber sehr verzogen. Die Hauptsache ist jedoch, dass sie alle gesund sind. Ich schreibe euch bald wieder. Bleibt alle weiter gesund und seid innig geküsst von uns allen
Frieda.
Inzwischen wird ja Friedl in Herzlia gewesen sein, ich glaube schon, dass diese Siedlung die geeignete für uns ist, denn das heiße Klima fürchte auch ich sehr und da dieser Ort Tel Aviv am nächsten liegt, ziehe ich ihn ganz besonders allen anderen vor. Valerie habe ich natürlich seit dem Erhalt deines Briefes nicht mehr gesprochen. Vielleicht kommt sie in nächster Zeit wieder einmal zu uns, aber Alice sagt, dass sie sich von ihr nicht von ihrem Vorhaben abbringen lässt, falls Valerie nicht für das siedeln sein sollte. Es war für uns eine große Erleichterung, dass Alice so für die Sache eingenommen ist.
15. Juni. 1938 Frieda aus Tirschenreuth zum Bruder
Meine Lieben!
Vielleicht bekommt ihr beide Briefe, den gestrigen und den heutigen gleichzeitig, aber ich muss heute noch mal schreiben, weil ich heute Nachmittag bei einem Devisenberater war, den mir ein Bekannter hier empfahl und diesem die Transfer Angelegenheit übertragen habe. Dieser Gedanke kam mir heute Morgen. Ich sagte mir, dass ein hiesiger in diesen Dingen besser Bescheid weiß als einer in Nürnberg und ich dann, kaum zu Hause angekommen, abermals wegfahren musste. So habe ich nun den Rechtsanwalt Doktor Ernst Stubner und Robert Kempner, so lautet die Adresse, die Sache übergeben. Der Anwalt stellt die Aussicht, den Transfer auf rascher Weg zu bekommen, nicht so hoffnungslos hin wie gestern der Beamte der Rasco. Auch wegen Betti brauche ich nicht befürchten, dass sie nicht mitkommt. Es handelt sich nur darum, einen Käufer für das Haus zu finden und, wie weit ich das Warenlager verkaufen kann. Günstiger wird es für mich, wenn ich es langsam ausverkaufen könnte, weil ich dann mehr dafür bekomme, als wenn ich es in Bausch und Bogen an den Nachfolger des Geschäfts abgebe. Jedenfalls habe ich nun hier alles erledigt, was ich erledigen kann, mir bleibt jetzt nur der Verkauf von Haus und Geschäft. Morgen fahre ich mit dem Frühzug zurück und bin vormittag zuhause. Sonntag wird vielleicht Alice mit ihrem Mann und den Kindern kommen, auch in ihrer Angelegenheit konnte ich mit dem Anwalt sprechen. Es hängt jetzt ganz davon ab, wie sie ihr Haus verkaufen können, denn das Warenlager reicht gerade zur Abdeckung der Lieferanten Schulden. Ich habe dem Herrn von der Rasco doch nicht so genau verstanden, ein Anwalt nimmt die Sache eben anders in die Hand. Ob das Siedeln so leicht für uns ist, wie es nach dem Prospekte geschildert wird, bezweifeln hier viele. Gerade der Artikel in der Rundschau, der die Einweihung der letzten Rasco Siedlung beschreibt, erwähnt ja auch, dass man nur in mühevoller Arbeit aufbauen kann, man meint das Haus schon fix und fertig vorzufinden, aber dem ist nicht so. Manchmal befallen mich bange Zweifel, ob ich es richtig gemacht habe, dass ich die Existenz hier aufgebe, aber für Siddy gibt es ja hier keine Zukunft, wenn auch Betti und ich hätten verbleiben können. Und je länger man die Auswanderung hinaus schiebt, je älter wird man und kann dann schon gar nichts mehr leisten. Nachdem auch ihr dafür seid, wird es wohl für uns alle das Beste sein. Hoffentlich hat euch mein gestriger Brief nicht ganz konfus gemacht, ich schrieb eben, wie ich mir es dachte, es wäre besser gewesen, ich hätte ihn nicht gleich abgeschickt. Sind nicht Fritzl Schlussprüfungen bald beendet? Schreibt uns nur gleich, wie er sie bestanden hat, er wird froh sein, sich von dem vielen Lernen erholen zu können. Seid alle meine Lieben vielmals herzlichst gegrüßt und geküsst eure Frieda
16.7.1938 Tirschenreuth nach Tel-Aviv

Tirschenreuth, den 16.7. (1938)
Meine Lieben! Seit vielen Wochen warten wir auf Nachricht von euch und sind sehr besorgt über euer langes Stillschweigen. Euer letzter Brief datiert vom 25. Mai und seitdem haben wir keinen mehr von euch erhalten. Ich fuhr nach Pfingsten nach Berlin und schrieb euch von dort aus zwei Luftpostbriefe, und ich begreife nicht, warum ich so lange wartete und euch nicht schon längst dringend, um Antwort auf meine Briefe bat. Aber man hofft mit jedem Tag und aus Tagen werden Wochen und als Wochen Monate und dann ist es höchste Zeit, dass man schreibt und nicht länger auf Antwort wartet. Inzwischen sind die großen Unruhen bei euch ausgebrochen, man liest es in der Rundschau und hört es durch den Radio und die Sorge um euch wächst ins unerträgliche. Wie geht es, Micha? Ich las seinerzeit einen Brief an Valerie, wo ihr ihr von seiner Erkrankung, durch das Ziehen eines Zahnes verursacht, mitteiltet. Schreibt uns also bitte postwendend, ob ihr alle gesund seid und ob du, lieber Ludwig noch in Haifa und Jerusalem zu tun hast, wo ja die Unruhen zur Zeit am schlimmsten sich auswirken.
Ist es unter diesen Umständen überhaupt ratsam, unseren Plan, zu euch zu kommen, zu verwirklichen? In unserer Angelegenheit steht die Sache jetzt folgendermaßen: Wie ich euch damals von Berlin aus schrieb, habe ich die Transferbeschaffung dem Devisenberater Doktor Aschner, Amtsgerichtsrat a.D. Berlin, W 15, Meinekestraße 9 übergeben. Vor einigen Tagen erhielt ich von ihm den Bescheid, dass er für meinen Antrag nun die verbindliche Zusage von der Devisenstelle bekommen habe und sie die Reichsbank zu Erteilung einer Vormerkung Nummer übersende. Ich hoffe, dass die Anträge der Kinder und für Kötzting auch bald den gleichen Erfolg haben, so dass wir nun vorerst die Nummer von der Reichsbank bekommen. Ich habe nun gestern dem Anwalt geschrieben, dass er mir mitteilen möge, wie lange es dauern wird, bis unsere Nummern an die Reihe kommen, d.h. also, ob er den Auswanderung Termin einigermaßen feststellen könne, da dies für mich von größter Wichtigkeit sei. Ich habe einige Herbstaufträge erteilt, zu einer Zeit, als ich mit einer baldigen Aufgabe des Geschäftes nicht rechnete. ich müsste versuchen, die betreffenden Lieferanten zur Streichung dieser Aufträge zu bewegen, wenn ich das Geschäft schon in der nächsten Zeit auflösen müsste. Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, mit einem Herrn zu sprechen, der seine Reichsbanknummer schon seit März 1937 hat und damit rechnen kann, dass er im Laufe eines Jahres an die Reihe kommt. Er hat mir mit 80-prozentiger Sicherheit versprochen, mir die Nummer zu geben. Ich kann also meine Nummer für diese eintauschen, weil er eine Bürgschaft aus Amerika für seine ganze Familie bekommen hat und da seine Frau nicht gern nach Palästina geht, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit seine Nummer abgeben. Nun möchte ich auf jeden Fall mit den Kindern gleichzeitig auswandern, weshalb mir die Nummer nicht viel helfen wird. Ich habe meinem Anwalt noch nichts davon geschrieben, weil ich erst hören will, welche Aussicht er sich von meiner Nummer verspricht. Für Alice dagegen hätte die Nummer größeren Wert, weil sie dann mit ihrer Familie ja auch früher auswandern könnte. Nun ist aber bei ihr der Fall in Erwägung zu ziehen, dass sich vielleicht ein Tauschobjekt mit Chicago, von dem ich euch in meinem Berliner Brief bereits schrieb, verwirklichen lässt. Der Betreffende hat seine Bank beauftragt, bei der Devisenstelle anzufragen, ob ein Tausch genehmigt würde und in diesem Fall wäre es für Alice günstiger, nach Amerika als nach Palästina auszuwandern. Wird die Genehmigung erteilt, dann müsste Julius vor allen Dingen mal zur Information nach Chicago fahren und da er sogar Verwandte dort hat, ist diese Reise für ihn nicht so schwierig. Da dieser Plan nicht so aussichtslos ist, wie er für den ersten Augenblick schien, hat Alice dafür nun mehr übrig als für eine Siedlung in Palästina. Sie sagt, wenn es sich wirklich so verhält, dass dort bereits ein Geschäft in dem Haus betrieben wird und auch Mieteinnahmen da sind, dann ist ihr um die Zukunft nicht Bange. Julius ist ein guter Handwerker, und falls sie das dortige Geschäft nicht ausüben kann, so hofft sie mit ihrer Fertigkeit, in Handarbeiten einen guten Nebenverdienst zu schaffen. Nach Palästina braucht man ein Vorzeigegeld von 1000 LP und das ist bei Alice infrage gestellt, weil sie nicht weiß, was sie für das Haus bekommt. Wenn aber der Tausch nicht genehmigt wird, dann kann man vielleicht durch einen so genannten Teil-Tansfer die Auswanderung nach Palästina erreichen.
Für uns wäre es ja besser, wenn sie mit uns gehen würde, denn was fangen wir an, wenn sie nicht mitkommt? Ohne Julius können wir doch nicht siedeln und welche Existenzmöglichkeit bietet sich uns sonst noch? Es handelt sich auch vor allem darum, ob wir die Mittel für die LP 1000 pro Person aufbringen und das hängt wiederum davon ab, was wir aus dem Verkauf von Haus und Geschäft für einen Erlös erzielen. Vor einigen Tagen habe ich meiner Bank den Auftrag gegeben, sich....
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Vor einigen Tagen habe ich meiner Bank den Auftrag gegeben, sich.... wegen eines Käufers zu erkundigen. Man kommt da durch seine Bank leichter zum Ziel, weil die Bank ein Interesse daran hat, mit dem Nachfolger wieder in Geschäftsverbindung zu kommen. Ich hatte ja einen Interessenten, der allerdings bald nach Max Tod bei mir war und das Geschäft gerne gekauft hätte. Wer dachte damals daran, diesen schönen Betrieb aufzugeben und wie gut wäre es gewesen vor einem Jahr zu verkaufen! Diese Woche war es gerade ein Jahr, als Max plötzlich erkrankte, es ist mir jeder Tag, ja fast jede Stunde mit allen Einzelheiten so sehr in Erinnerung, dass ich mit schmerzlicher Deutlichkeit noch mal alles durch lebe, was ich in jenen traurigen Tagen abspielte. Ein Jahr, wie rasch ging es vorüber, bin ich nun mit den Kindern allein, wie vieles hat sich inzwischen geändert und wie spät kam ich zu der Gewissheit, dass ich das Geschäft nicht erhalten kann. Viel zu spät habe ich mich zu dem Entschluss durchgerungen, es zu verkaufen, viel zu sehr hing man an dem elterlichen Betrieb. ich war da nicht die einzige, Valerie und Alice bestärkte mich ja in meinem Vorhaben, das Geschäft nicht zu verkaufen und viele andere dachten ebenso, aber Ihnen alle fehlte der richtige Weitblick in die Zukunft. Das lässt sich nun nicht mehr ändern, und ich will auch nicht verzagen; wenn wir alle gesund bleiben, dann wird es uns auch gelingen, eine neue Existenz aufzubauen.
Freilich wäre es eine gute Lösung gewesen, ganz besonders für uns, mit Julius zu siedeln, weil wir ohne ihn diesen Erwerbszweig nicht wählen können und wir haben in dieser Richtung, seit wir von euch die Prospekte erhielten, die schönsten Luftschlösser gebaut. Als dann das Tauschobjekt auf dem Plan trat, da kamen dann die Zweifel über Alice. Nun muss man eben abwarten, wie sich das alles weiter entwickelt. Sie hat ja jedenfalls ihre Sache mit Palästina dem Anwalt übergeben, so dass sie ihre Nummer bald nach uns bekommen wird, weil sie damals erst den Antrag stellen konnte, als ich von Berlin zurückkam, während ich für die Kinder und mich gleich persönlich die nötigen Angaben machen konnte. aber acht Tage Zwischenzeit können keine große Rolle spielen, weshalb man annehmen kann, dass wir gleichzeitig hätten auswandern können. Ich weiß nur nicht, ob es sich bei uns um einen gewöhnlichen oder beschleunigten Transfer handelt. Der Herr, der mir vielleicht seine Nummer gibt, hält nicht viel von den beschleunigten Transfers, allerdings scheinen in dieser Hinsicht die Berliner Anwälte mehr zu erreichen als die anderen, die nicht in Berlin ansässig sind. Somit habe ich euch unsere Angelegenheit mitgeteilt, wie weit wir jetzt sind, und was habt ihr inzwischen unternommen? Warst du liebe Friedl in Herzliah, um dich wegen einer geeigneten Siedlung umzusehen? Konnten dir deine Bekannten etwas empfehlen oder dir zu irgendeiner Sache raten? ich kann mir nicht anders denken, als dass ein Brief von euch verloren gegangen ist, was hättet denn ihr für eine Ursache, uns so lange nicht zu schreiben? Wie hat Fritz seine Prüfungen bestanden? Und welche Hochschule würde er nun besuchen? Valerie war einige Male hier, sie macht sich wegen ihres Schwiegersohnes auch Sorgen. Den Bau in Eger haben sie natürlich nicht beginnen lassen, so dass sie den Bauplatz jederzeit verkaufen können. Pepo hat das Geschäft nun allein, aber kein richtiges Lokal dafür, hat nach der Trennung von seinem Sozius nur vorübergehend einige räumliche gemietet, da ja Hugo einen ganz modernen Geschäfts Baum mit elektrischer Kühlanlage und allen drum und dran aufführen lassen wollte. Nun weiß Valerie nicht, wozu sie Pepo raten soll, ob er sein Geschäft in Eger aufgeben und nach Prag ziehen soll, um dort neu anzufangen oder einstweilen in Eger bleiben. Ernst ist zufrieden mit seiner Stickerei, er hat sich gut eingearbeitet, allerdings steht ihm Valerie immer noch mit Rat und Tat zur Seite und es ist bewundernswert, wie viel Valerie leistet. Sie leitet die Stickerei, fährt dazwischen nach Eger und sieht dort nach dem Rechten, besorgt ihren Haushalt, weil sie kein Mädchen nimmt, sondern nur eine Stundenfrau. Ihr ist das lieber wegen Hugo, und dabei sieht sie gar nicht so abgearbeitet aus, sondern ist immer noch eine schöne, blühende Frau in den besten Jahren voll ungebrochener geistiger Tatkraft. Was wäre aus dieser Frau erst geworden, wenn sie einen ebenbürtigen Partner gehabt hätte und nicht diesen Hugo, der in keiner Weise zu ihr passt! Ida hat bei weitem nicht die Klugheit und die Schaffensfreude ihrer Mutter, ähnelt mehr ihrem Vater und wie die kleine Ruth sich entwickelt, kann man heute noch nicht sagen. Vorerst ist es ein schönes, kerngesundes Kind, eine Augenweide für jeden und Valeries einzige Freude. – – – Was ist eigentlich aus deiner Lebensversicherung geworden, lieber Ludwig? Vor einigen Tagen kam mir der Brief in die Hand, den du mir damals gibst, als du zum Abschied bei uns warst. Er ist an die Lebensversicherung gerichtet und enthält die Abtretung deines Anspruchs an mich. Hat dieses Schriftstück einen Wert? Du hattest diese Versicherung mit 9 Mille belehnt und wirst seit 1933 keine Prämien mehr bezahlt haben. Wie verhält es sich damit mit deiner Forderung? Welche Summe hättest du
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Welche Summe hättest du noch zu beanspruchen? Ich dachte gar nicht mehr an dieses Schriftstück, es war mir ganz aus dem Kopf gekommen, ich suchte nach der letzten Vermögenserklärung, da fand ich es unter den alten Steuerakten. Schreibe mir doch mal darüber, wie es sich damit verhält.
Nun mache ich Schluss und gebe den Brief heute Nachmittag auf, wenn die Kinder abermals von der Post nichts von euch bringen. Sicher ist dann morgen etwas da von euch, aber jedenfalls geht der Brief heute weg, ich wollte, ich hätte nicht so lange damit gewartet. Hoffentlich habe ich bald gute Nachrichten von euch, dann will ich das lange Warten gerne in Kauf genommen haben. Lebt wohl, meine Lieben alle, seid innig gegrüßt und geküsst von eurer Frieda
Handschriftlich von Betti.
Meine Lieben!
Pfingsten waren wir in Kötzting. Da war ein Mädel zur Erholung in Siddys Alter. Dieses Mädel arbeitet in einem Spielwarengeschäft in Nürnberg. Wir spielten Ball. Susi und Alfred machten auch mit. Wir spielten so, dass wir sogar eine Fensterscheibe einschlugen. Im Herbst dürfen wir vielleicht nach Prag fahren. Als Fanny Urlaub hatte, machte ich das Kantor sauber ich schrubte und bohnerte. Jeden Abend machen wir mit Tante einen Spaziergang durch die Wiesen, das ist Tantes Lieblingsweg. Sonntag wollten wir vielleicht zum ersten Mal baden gehen. Viele Grüße und Küsse Betti
Handschriftlich von City.
Meine Lieben, stellt euch nur vor, was ich vorigen Sonntag geleistet habe. Wir gingen, wie üblich zwischen den Zimmerbalken durch die Wiesen in den Engelmannsbusch. Dort mussten wir uns unterstellen, weil es plötzlich regnete. Wir waren schon ganz ungeduldig, weil wir nicht in die Teufelsküche gehen konnten. Erst dachten wir, wir gehen durch den Wald doch weiter, aber es regnete noch zu stark. Ich wollte mit einem großen Satz wieder unter einen dichten Baum springen und landete mit beiden Füßen in einem Wespennest. Ich mit einem Satz wieder raus, aber schon waren meine beiden Knöchel bös zerstochen. Tante Frida war gleich hinter mir und hat auch je einen Stich am Kopf und am Bein abbekommen. Betty, die langsam hinterdrein trottete, hat natürlich nichts abbekommen. Ich würde sehr gerne nach Palästina kommen. Hoffentlich klappt es bald.
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Ich würde gerne am Feld arbeiten. So ist mir ganz gleich, was ich arbeite, nur nicht in einem Büro. Ida lacht mich aus, wenn ich sage, dass ich Bäuerin werden will. Die Lore geht jetzt mit Max nach New York. Die Schiffskarten und Bürgschaft haben sie schon. Lore hat halt schon kurz nach Weihnachten verkauft. Mich ziehts nicht nach Amerika, ich will lieber nach Palästina.
Lieber Fritzl, was hast du jetzt vor? Wo wirst du weiter studieren? Bei uns ist heuer gar kein richtiger Sommer, wir sind noch nicht mal zum Baden gekommen. Allerdings könnten wir auch nur sonntags gehen. Sonst wäre ja Tante mit Fanny allein im Geschäft. Sonst weiß ich für heute nichts zu schreiben, seid alle vielmals gegrüßt und geküsst von eurer City.
Liebe Vettern, schreib doch auch mal was denn jetzt wo Ferien sind, werdet ihr schon mal Zeit finden.
Handschriftlich von Frieda
Soeben schreibt mir der Anwalt, dass ich die Nummer 7054 von der Reichsbank bekam. Meinen gestrigen Brief hat er noch nicht, hoffentlich bekomme ich morgen Antwort darauf. Nochmals Gruß und Kuss Frieda
Einschub
In Seite drei erwähnte Siddy einen sonntäglichen Spaziergang zum " Engelmannsbusch". Die Googl-KI erklärt diese offensichtlich wunderschöne Gegend folgendermaßen: Das "Engelmannsholz" bei Tirschenreuth ist ein Waldgebiet am Engelmannsteich, das als beliebtes Naherholungsgebiet gilt und einen wichtigen Lebensraum für seltene Tiere wie den Braunen Bär und Flechten darstellt. Es gibt Pläne, einen Teil des Waldes zu überplanen und dort einen Erlebnispark mit Naturlehrpfad und Café zu errichten, wofür der Englmannsteich abgedämmt und eine Insel angelegt werden soll.
Auch die in ihrem Schreiben erwähnte "Teufelsküche" kann man bei Tirschenreuth finden: "Die Teufelsküche ist ein Bachtal mit Granitformationen. Es befindet sich südlich von Tirschenreuth im Oberpfälzer Wald, nahe der Ortschaft Pilmersreuth a. d. Straße, inmitten eines ausgedehnten Nadelwaldes. Es gibt dort eine Große und eine Kleine Teufelsküche. Links und rechts eines langsam dahinplätschernden Waldbachs erheben sich mächtige Granitblöcke, entstanden durch Wollsackverwitterung. Einschub Ende
6. und 7. 10.1938 Frieda Tirschenreuth an den Bruder in Tel-Aviv

Tirschenreuth, den 6.10.1938
Meine Lieben!
Sofort nach Erhalt eures Briefes schrieb ich an Dr Aschner und bat ihn mit großer Dringlichkeit, sich um die beiden Eil-Transfer für Betti und mich zu bemühen, wobei ich deine Mitteilungen von Dr. Förder weitergab. Während Dr. Aschner sonst meine Briefe umgehend beantworte, dauerte es jetzt immer einige Tage und so habe ich auch heute auf meinen genannten Brief vom 28. September noch keinen Bescheid. Jeder Post sehe ich mit Banger Erwartung entgegen, bringt sie einen zusagenden Bescheid von Doktor Aschner oder einen abschlägigen? Ich verspreche mir nicht viel davon, persönlich nach Berlin zu fahren, abgesehen davon, dass ich zur Zeit nicht abkommen kann, da mich eine dringende, geschäftliche Angelegenheit hier festhält.
Nun kam gestern eine Art Rundschreiben von Dr. Aschner des Inhalts, dass die Palästina Regierung für die Anforderung von Verwandten 300 Zertifikate zur Verfügung gestellt hat. Auf solche
Anforderungs-Zertifikate können ausnahmsweise Eltern, ohne Rücksicht auf ihr Alter, von Kindern und auch Geschwister angefordert werden. Bedingung ist allerdings, dass die Einwanderung bis zum 30. November erfolgt sein muss. Ferner heißt es in dem Schreiben: „ Falls Sie eine Möglichkeit zu einer derartigen Anforderung haben, so empfehle ich Ihnen, sofort mit ihren Angehörigen in Palästina in Verbindung zu setzen, damit diese bei dem Emigration Department ein Anforderungs-Zertifikat beantragen. Von Berlin aus kann die Anforderung nicht in die Wege geleitet werden.“
Alice erhielt dasselbe Schreiben und rief mich gestern Abend noch an, mit der Bitte, dir sofort über das Rundschreiben zu berichten. Was ist nun in dieser Angelegenheit zu tun? Wäre es nicht am besten, vor allen Dingen Alice und ihre Familie anzufordern oder gilt das nur für ledige Geschwister? Oder glaubst du, dass du Alice mit ihrer Familie und mich anfordern kannst und dann die beiden Mädels Eil-transfer kommen können? Wenn das zu erreichen wäre, dann wäre ja uns allen geholfen, aber das wage ich gar nicht zu hoffen. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass du dein möglichstes tun wirst, nachdem diese Sache nur von dort aus erledigt werden kann.
Friedls Anschrift werde ich befolgen und keine elektrischen Maschinen kaufen. Die Unterhemdchen für Fritz waren noch lagernd. Mir fällt soeben unser Badezimmer ein. Ist es zweckmäßig, die Badewanne und das Waschbecken mitzunehmen, desgleichen das Spülbecken in der Küche? Von den Möbeln konnte ich bis jetzt nur Kleinigkeiten verkaufen, hoffe aber, wenn es soweit ist, dass auch die großen Stücke weg gehen werden. Ich weiß immer noch nicht, ob du mit dem Biedermeier Zimmer das von euch meinst oder das Kleine von mir, glaube aber, dass das Kleine Alice jedenfalls mitnehmen soll und wir das große von euch.
Inzwischen ist glücklicherweise das Schlimmste verhütet worden, dass uns hätte treffen können, der Krieg. Nun will ich auch weiter die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir den Eil-Transfer bekommen, denn unser weiteres Schicksal hängt davon ab. Während ich soeben den Brief schließen wollte, fällt mir wieder eine Frage für dich, liebe Friedl, ein. Wie ist es mit den Teppichen? Wenn wir natürlich die alten hierlassen, so wird man jedoch für die guten Teppiche auch dort Verwendung haben. Ich denke dabei an den großen Teppich im guten Zimmer, an die noch sehr gut erhaltenen Bettvorlagen und Läuferstoffe;
Den 7. Oktober
Ich ließ den Brief gestern liegen in der Hoffnung, dass heute ein Bescheid von Berlin da ist. Die erste Post brauchte keine Nachricht, Siddy holt nun die zweite Post und nimmt diesen Brief mit, falls wieder nichts da sein sollte. Es kostet viel Willenskraft, dieses Hangen und Bangen und diese Ungewissheit ruhig ertragen zu können, aber es muss eben durchgehalten werden, man darf nur die Hoffnung nicht verlieren. Seit alle, meine Lieben innigst gegrüßt und geküsst von uns allen
Frieda.
Einschub:
Frieda schrieb in ihrem Brief vom 6.10.38 von der abgewendeten Kriegsgefahr. Eine Woche vorher war das sogenannte Münchener Abkommen geschlossen worden, in dem dem Dritten Reich das sogenannte Sudetenland zugesprochen wurde, was auch sofort - am 1.10.1938 - zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht in dieses ehemalige Grenzgebiet der Tschechoslowakei geführt hatte.
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Detail aus der Bayerischen Ostmark - einem Organ der NSDAP |
Diesen Einmarsch ins Sudentenland habe ich bereits mit Bild- und Zeitungsmaterial in einem Blogbeitrag dargestellt. Adolf Hilter wird in diesem Zusammenhang mit den Worten zitiert, dieses wären seine letzten Gebietsansprüche, die er an Europa stellen würde........
Einschub Ende
10.10.1938 Frieda aus Tirschenreuth an Ludwig

Tirschenreuth den 12.10.1938
Meine Lieben!
Hoffentlich habt ihr meinen letzten Brief erhalten, der vor acht Tagen abging. Inzwischen erhielt ich von Dr Aschner den Bescheid, dass er wiederholt mit dem Leiter des Palästina Amts Rücksprache genommen und die entsprechenden Anträge gestellt habe. Erhoffe mir in der nächsten Zeit, weiteres mitteilen zu können. Ich schrieb ihm nun abermals, wie dringend es sei, dass Betti und ich den
Eil-Transfer bekommen, schilderte ihm die näheren Umstände und gab der Überzeugung Ausdruck, dass das Palästina Amt sich diesen Darlegungen nicht verschließen wird. Als Antwort auf diesen Brief schrieb mir soeben der Anwalt folgendes:“ Wenn Sie die Erteilung des Zertifikats sehr beschleunigen wollen, so würde ich empfehlen, sich von ihrem Bruder, Doktor Ludwig Klein, in Tel Aviv anfordern zu lassen, was zur Zeit ausnahmsweise möglich ist.“ Wie soll ich das verstehen? Dass du Alice mit ihrer Familie anfordern sollst, schrieb ich dir ja schon in meinem letzten Brief und erwähnte ja auch, ob es richtig wäre, auch mich anzufordern. Können dann aber die beiden Mädels mitkommen? Und wie ist es mit dem Transfer? Nachdem Alice einen Eil-Transfer auf keinen Fall in Anspruch nehmen könnte, ist es sehr wichtig, dass du sie mit ihrer Familie anforderst, hoffentlich hast du Erfolg, denn Alice und Julius sind fest davon überzeugt, dass sie mit ihrer Arbeitskraft eine Existenz aufbauen werden. Für Amerika besteht wenig Aussicht, es hat keinen Zweck, die Zeit, mit warten nutzlos zu verbringen, zumal ihnen ja die Mittel fehlen, ohne Geschäft hier die Wartezeit zu verbringen. Aus diesem Grunde ist die Anforderungen von Alice besonders dringend.
Nun möchte ich nur wissen, wie die beiden letzten Briefe Doktor Aschners zu verstehen sind, ob Aussicht besteht, dass wir zwei Eil-Transfer bekommen, nachdem er, wie er im ersten Brief schreibt, wiederholt mit dem Palästina Amt Rücksprache genommen und die entsprechenden Anträge gestellt hat. Ob ferner Aussicht besteht, dass du uns alle, Alice mit ihrer Familie und mich mit den Mädels anfordern kannst und wir trotzdem den Eil-Transfer beanspruchen können. Ich werde abermals an den Anwalt schreiben und mir das näher erklären lassen, und du wirst dort sicher Aufschluss bekommen und mir dann mitteilen können, wie unsere Sache steht. Wenn nur diese Ungewissheit schon beseitigt wäre, das Hangen und Bangen ist schwer zu ertragen. Die Übernahme des Geschäftes wird möglicherweise in der nächsten Woche erfolgen, dann erst kann ich mich voll und ganz dem privaten Angelegenheiten widmen. Es gibt ja so vieles noch zu tun. In meinem letzten Brief fragte ich dich, liebe Friedl, wegen der Badewanne. Diese wird man wohl doch nicht mitnehmen, wie ist es aber mit dem kleinen Schränkchen, und der Bank, die im Badezimmer stehen? Den Heißwasser Speicher7, er ist elektrisch, wird man schon mitnehmen, erfasst wohl nur 16 l, wir benutzen ihn nur zum Kopf waschen, aber er wird uns auch dort gute Dienste leisten. Und die übrigen kleinen Zutaten, die Glasplatte und einen vernickelten Halter für mehrere Zahnbürsten?
Sonst weiß ich für heute nichts mehr, schreibt uns bitte bald wieder, besonders wenn ihr Nachricht habt, ob ihr uns anfordern konntet. Bleibt weiter gesund und seid von uns allen vielmals gegrüßt und geküsst Frieda
31.12.1938 Tirschenreuth und Kötzting nach Tel-Aviv

Tirschenreuth, den 31.12.1938
Meine Lieben,
Als dein Brief vom 22. Dezember eintraf, wir erhielten ihn am 29. Dezember, war mein Brief am Tage vorher abgegangen, Julius entschloss sich nun, sofort nach Berlin zu fahren, um beim Palästina-Amt zu hören, was in unserer Sache geschehen muss. Nachdem er dort als Siedler schon seit Juni gemeldet und im Namensregister vermerkt war, kam er gleich zu dem zuständigen Beamten, mit dem er unseren Fall eingehend besprechen konnte. Dieser wunderte sich vor allen Dingen sehr, dass die Sache noch nicht weiter fortgeschritten ist, nachdem sie schon seit Juni läuft. Ich fürchte, dass wir alle Schuld daran sind, weil wir immer nicht wussten, ob Julius nach USA oder mit uns nach Palästina gehen soll und weil wir uns eine Auswanderung nicht denken konnten, die nicht gleichzeitig den Transfer ermöglichen soll. wie dem auch sei, Julius erwähnte natürlich nichts davon, und erfuhr nur von dem Beamten, dass es für ihn zur Erlangung des Zertifikates den einen Weg gebe, dass du, lieber Ludwig, das Vorzeige-Geld von LP 1000 in Palästina vorweisen kannst. Er bemerkte jedoch, dass du das Geld gar nicht haben brauchst, dass dies nur eine Formsache sei, um das Einreisevisum zu erhalten und dass dies schon von vielen durchgeführt werden sei. Ich nehme an, dass man den Nachweis über das Vorzeige-Geld auch durch Bekannte erbringen kann, die über diesen Betrag verfügen, denn der Beamte war erstaunt, dass du von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht hast. Nun kam er allerdings darüber nicht hinweg, dass wir vier Zertifikate brauchen und während ein Zertifikat für die Kötztinger keine Schwierigkeiten bereitet und Siddy und Betti mit Wizo-Zertifikaten auswandern können, wusste er keinen Rat, was er mit mir anfangen soll. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, Julius war eineinhalb Stunden bei ihm, weil der Beamte während der Aussprache sehr oft durch telefonische Anfragen unterbrochen wurde, er wollte dann mit Julius auch gleich in die Wizo-Abteilung gehen, fand aber dort niemanden vor, weil an diesem Tage keine Sprechstunde war. Er versprach jedoch, Julius, dann alles weitere zu veranlassen, sobald die formale Seite der Angelegenheit, also der Nachweis über das Vorzeige- Geld, in seinen Händen sei. dabei könnten unter Umständen ihm seine Schwestern behilflich sein, indem diese für ihn den Nachweis erbringen. Ob es aber genügt, dass sie einen beglaubigten Bank Auszug senden, oder ob das Geld von USA nach Palästina überwiesen werden muss, das hat Julius nicht mehr gefragt. Nun liegen aber die Bürgschaften für Julius und seine Familie schon in München bei der Schifffahrtsgesellschaft, vielleicht genügen diese Bürgschaften für das Vorzeige-Geld. Julius will zu diesem Zweck nächste Woche nach München fahren, auch bei dem dortigen Palästina Amt vorsprechen, um näheres über die Wizo-Zertifikate zu hören, nachdem dies in Berlin nicht mehr möglich war. Ganz im Bilde bin ich ja immer noch nicht, aber es wird wohl so sein, dass die Kötztinger zusammen ein, und Betti, Siddy und ich je ein Zertifikat brauchen, selbst wenn wir gemeinsam siedeln wollten, das aber nur die Kötztinger und ich das Vorzeigegeld haben müssen, wenn die beiden Mädels Wizo-Zertifikate bekommen. Da aber meine Person den Beamten so viel Kopfzerbrechen machte, muss ich fürchten, dass ich selbst, wenn du das Vorzeige-Geld für mich nachweist, kein Zertifikat bekomme, weil diese an einzelne Personen nicht abgegeben werden. Julius wird ja das auch in München erfahren, ebenso muss er dort hören, ob man für Betti ein Wizo-Zertifikat beantragen kann. Wahrscheinlich wird Alice mitfahren, denn es gibt so viel zu fragen, dass zwei Personen zu tun haben, um nichts zu überhören und an alles zu denken. Zudem versäumen die beiden nichts, da sie Geschäft und Haus schon verkauft haben, während ich immer noch da sein muss, um dem Käufer das Geschäft und Haus übergeben zu können, wenn er die behördliche Genehmigung hat, worauf ich täglich warte. Soweit decken sich ja die Auskünfte von Julius mit den deinen.
Seite 2:

Nur das mit dem Vorzeige-Geld erwähntest du nicht. Über die Transfermöglichkeiten hat Julius nicht gesprochen, er kann das auch in München nachholen. Ihr werdet dann wieder Bescheid bekommen. Auch ich erhielt von Valerie einen Brief, dass der Transfer zur Zeit nicht möglich ist, ich nehme aber an, dass die Vormerkung bei der Reichsbank doch nicht zwecklos ist und der Transfer auch nach unserer Auswanderung durchgeführt werden kann. Alice hofft sogar, dass Julius das Visum in München gleich bekommt, wenn die Bürgschaften seiner Schwestern ausreichend sind, wodurch dann für ihn einem Zertifikat nichts mehr im Wege steht. Ich hätte ja mit dem Schreiben dieses Briefes warten können, bis Julius von München zurück ist, aber es ist doch gut, wenn du den Bescheid von den Berliner Palästina-Amt hast. Man sieht freilich die Auswanderung jetzt mit ganz anderen Augen an, so leicht ist das Siedeln auf diese Weise nicht mehr, man wird sich die Siedlung selbst nicht wählen können, ja, man kann sich das Leben in Palästina gar nicht recht vorstellen. Es macht mir Sorgen, wie wir uns dort fort bringen sollen.
Hoffentlich geht wenigstens hier unsere Sache weiter und bringt Julius von München besseren Bescheid. Seid alle meine Lieben herzlich gegrüßt und geküsst von eurer Frieda.
Handschriftlich von Alice.
Da liebe Frieda ausführlich berichtet hat, bleiben mir nur die herzlichen Grüße und Küsse. Wenn wir doch Glück hätten und die Bürgschaften für das Visum verwendbar wären. Ich lege wieder einen Porto Schein bei, denn du hast durch den lebhaften Briefwechsel größere Porto Ausgaben. Innigst eure Alice
1939
6.3.1939
Abschrift
Zweigstelle, München des Palästina Amts in Berlin der Jewish Agency for Palestine,
München, den 6. März 1939,
Herrn Julius Kirschner Kötzting
Wir erhalten über Prag die Mitteilung, dass sie sich für die Auswanderung nach Palästina interessieren. Wie wir zugleich erfahren haben, haben Sie einen Schwager in Tel Aviv, und wäre eventuell die Möglichkeit gegeben, Ihnen die Einreise zu verschaffen, wenn Ihnen dasselbe oder sonst einer ihrer Bekannten drüben ein Konto von LP 1000 zur Verfügung stellen würde. Allerdings wäre auch in diesem Fall eine sofortige Einwanderung noch nicht möglich, da bereits eine sehr große Anzahl derartige Vormerkungen vorhanden sind. Sie wollen uns gleichzeitig mitteilen, wie alt ihre beiden Kinder sind und welche bisherige Schule und eventuelle Berufsausbildung die selben haben. Nach Klärung dieser Frage wäre dann ein weiteres eingehen auf diese Frage möglich.
Hochachtungsvoll
Palästina Amt, Zweigstelle, München6.4.1939 Ludwig an Alice in Kötzting
Tel Aviv den 6. April 1939.
Liebste Alice,
ich sandte heute Früh einen Brief an dich ab und erhielt jetzt abends deinen Brief vom 1. April, den ich sofort beantworten muss.
1. Vor allem: Julius soll jetzt nicht mit einem Transport ohne Zertifikat fahren, da in letzter Zeit bei vielen Transportschwierigkeiten entstanden sind. es scheint wirklich, dass wir uns hier nicht hier, sondern immer überlegen, bis es zu spät ist lange Zeit ging es glatt, und ich glaub die schließlich auch euch empfehlen zu können, diesen Weg einzuschlagen. Aber jetzt ist auch dieser Weg versperrt. Ich hoffe aber, dass die Sache wieder in Ordnung kommt, und wenn es soweit ist, schreibe ich sofort.
2. Was die Antwort des Palästina Amts betrifft, so habt ihr ja aus meinem Brief von gestern wohl ersehen (und ich habe es schon früher an Frieda geschrieben), dass es keineswegs genügt, dass diese LP 1000 für euch hier eingezahlt werden. Es müssen noch einige weitere Bedingungen erfüllt werden und außerdem müssen erst einmal wieder Zertifikate da sein, was zur Zeit nicht der Fall ist.
3. Was die 300 $ betrifft, so werde ich sie ( abgesehen von den Rechtsanwaltsgebühren, die nicht sehr hoch sein werden), nicht verwenden, ohne von euch noch einmal Bescheid zu erhalten. Es ist damit so: der volle Betrag der Zinsen, der etwa LP 50 beträgt, ist nur dann zu zahlen, wenn das Zertifikat wirklich erteilt wird. (denn nur dann muss das Geld ungefähr ein halbes Jahr auf euren Namen liegen bleiben). Wird das Zertifikat nicht erteilt, so wird die Bank etwa 40 % des vollen Betrages, d.h. LP 20 verlangen. Ich habe für die 300 $ LP 63.000 erhalten, so dass nach Abzug der Bankgebühr und der Rechtsanwaltskosten noch LP 35 übrig bleiben würden, wenn das Zertifikat nicht erteilt würde. wenn das Zertifikat erteilt wird, dann sind auch die Rechtsanwaltsgebühren höher, so dass mit der Verschiffungsgebühr für eure Umzugsgut und so weiter alles verbraucht würde. Dann ist ja aber auch der Zweck erreicht.
4. Vorläufig habe ich aber noch keine Bank gefunden, die mir die 1000 LP leiht. Bei einem Bank muss erst eine Direktion Sitzung stattfinden, die erst nach Pessach – also nächste Woche – abgehalten werden kann. Bei dieser Bank gibt es nur ja oder nein und wenn ja, dann günstige Bedingungen von der zweiten Bank, mit der ich verhandelt habe, konnte ich bis jetzt nur eine Zusage von 600 LP erhalten, vielleicht gibt sie auch eine Zusage für 850 LP, weil ich noch weiter dränge; sicher ist aber schon, dass ich mindestens 150 LP noch von anderer Seite besorgen müsste. Die Kosten werden bei dieser zweiten Bank höher sein als bei der ersten, aber die erste Bank hätte gewisse andere Vorteile. Um all diese Dinge zu wissen und richtig zu erlegen, ist eben die Hilfe eines in dieser in diesen Sachen bewahrenden Advokaten nötig gewesen.
Das ist wohl alles, was ich euch im Augenblick dringend mitzuteilen habe, schreib mir bald wieder und sagt mir, wie ich mich verhalten soll. Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen verbleibe ich euer Ludwig
7.4.1939
15.4.1939
Dr. Ludwig Klein antwortet sofort auf den vorherigen Brief
Tel Aviv, den 15. April 1939
Lieber Julius, liebe Alice,
Gestern (Freitag) Abend erhielt ich euren Brief mit dem Schreiben des Palästina Amts an euch vom 7. April und werde gleich morgen damit zum Aggro Karten gehen. Allerdings kann ich euch heute schon sagen, dass das Schreiben des Palästina amtsunverantwortliche Unsinn ist. Nach der Schedule für April, die die hiesige Regierung inzwischen bekannt gemacht hat, werden bis auf weiteres neue Anträge auf Zertifikate überhaupt nicht angenommen, sondern die wenigen Zertifikate, die die Regierung für April herausgibt, dienen ausschließlich zu Erledigung alter Angelegenheiten. Außerdem genügt es auch nicht, dass „der Betrag für euch in Palästina hinterlegt wurde“ , sondern es muss an der Nachweis geführt werden, dass euch das Geld schon seit 2-3 Jahren gehört. Das ist gerade die Schwierigkeit. Aber selbst dann ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass sofort ein Zertifikat da ist. Es gibt Leute, die nicht nur 1000, sondern mehrere 1000 £ hier haben und einwandfrei nachweisen können, dass Ihnen das Geld gehört und trotzdem kein Zertifikat bekommen können, weil es einfach nicht genügend Zertifikat gibt für all die Menschen, die sich plötzlich entschlossen haben, nach Palästina zu kommen. Die Palästina Regierung gibt höchstens 1000 Zertifikate pro Monat, darin sind Eltern, Zertifikate, Studenten, Zertifikate, Arbeiter, Zertifikate und so weiter enthalten, nur ein paar 100 für solche, die 1000 £ besitzen nachweisen können, während viele Tausende in Deutschland, Tschechei, Slowakei, Italien und Jugoslawien darauf warten, ganz abgesehen von den aus Deutschland ausgewiesenen Juden in Polen! Da ist es doch in jedem Fall eine Glückssache, wenn man zu einem Zertifikat kommt. Es ist wirklich eine Schande, wenn durch falsche Auskünfte des Palästina Amts, die Menschen zu Entschließung verleitet werden, die nicht begründet sind.
Ich schreibe euch, dass du ausführlich, nicht um euch die Hoffnung zu nehmen, sondern nur um euch vor falschen Erwartungen zu bewahren. Es handelt sich keineswegs um eine Sache, die in wenigen Wochen zu erledigen ist, sondern es ist absolut nötig, sich in Geduld zu wappnen. es hat auch gar keinen Zweck mehr, illegale Einwanderung zu versuchen, da die britische Polizei offenbar jetzt die Anweisung hat, die illegale Einwanderung zu unterdrücken. Es sind schon mehrere Schiffe aufgebracht worden, sie liegen im Hafen von Haifa, und die Leute dürfen nicht vom Schiff. Es ist leider auch dafür schon zu spät, eine Zeit lang ging das ganz gut. Man wusste, dass es aufhören würde, man man konnte nur nicht wissen wann.
Ich war inzwischen wieder bei der zweiten Bank, um zu hören, ob man mir die 1000 £ leihen will, die Sitzung der Direktion hatte aber noch nicht stattgefunden. Wenn es diese Bank ablehnt, muss ich mich wieder an die erste Bank wenden, die mir aber nur einen Teilbetrag geben will, ich muss dann versuchen, mir den Rest anderweitig zu leihen. Das alles geht aber nicht in wenigen Tagen. Selbst wenn sich aber ein Weg findet, haben wir aber das Zertifikat noch nicht, da wie schon erwähnt, bei der April Schedule Zertifikate für neue Gesuche nicht gegeben worden sind. Ihr dürft es euch nicht so einfach vorstellen, sich 1000 £ zu leihen, selbst wenn ich aus den 300 $ die Zinsen bezahlen kann. Es ist doch hier nicht anders als in Deutschland: stellt euch doch vor, ihr kämmt in Deutschland zu einer Bank und würdet sagen, leihen Sie mir 12.000 DM. Ich will Zinsen dafür bezahlen! Das würde doch auch nicht jede Bank tun. Wir wollen die Hoffnung nicht sinken lassen, aber man muss Geduld haben. Wie ich euch schon wiederholt schrieb, wird es am leichtesten sein, dass eure Kinder hier herkommen, bitte dringt darauf, dass die Kinder dort berücksichtigt werden und herkommen können. Das ist das einzige, was wirklich baldmöglich wäre, wenn das Palästina Amt will. Aber anscheinend will euch das Palästina Amt nur mit falschen Hoffnungen abspeisen.
25.4.1939 Bestätigung aus Kötzting
Der Ortsbauernführer Georg Wieser - alte Hausnummer 35 in Kötzting - stellt diese Bescheinigung für Julius Kirschner aus.
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Wirtshaus und Metzgerei des Georg Wieser, Ortsbauernführer |
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12.5.1939
Frieda an Ludwig
Frieda die Schwester Ludwig Kleins und die alleinige Betreuerin für Betty und Siddy in Tirschenreuth - zwei Jahre zuvor war ja mit Max Pick auch der Vater der beiden jungen Frauen verstorben - schreibt an den Bruder und informiert diesen über die schwierige, unübersichtliche Situation mit all den Gerüchten und Unwägbarkeiten über die beabsichtigten Auswanderungsversuche des Familienverbandes.
Einschub Frieda schreibt mehrmals vom "Lift", wenn sie das Verschicken von Mobiliar an eine Spedition - mit dortiger Einlagerung - meint, was offensichtlich damals bereits von Ausreisewilligen veranlasst wurde, ohne schon eine Zusage zur Einreise in ein anderes Land in der Tasche zu haben, nur um für alle Fälle schon mal gerüstet zu sein.
In dem Brief ist die Rede von " Hachsharah" und von Havelberg, als einem Weg für junge jüdische Menschen, nach Palästina ausreisen zu können. Im Internet findet sich unter anderem Folgende Kurzerklärung für Hachschara:
„Hachschara“ bezeichnet die gemeinschaftlich organisierte landwirtschaftliche, gärtnerische, handwerkliche oder hauswirtschaftliche Berufsausbildung junger Jüdinnen und Juden mit dem Ziel der Einwanderung ins Britische Mandatsgebiet Palästina/Erez Israel. Der Begriff selbst stammt aus dem Hebräischen und wird allgemein mit „Tauglichmachung“ oder „Vorbereitung“ übersetzt.
und für Havelberg:
Ein Neuanfang in Palästina – das war die Hoffnung der jungen Jüdinnen und Juden, die von 1934 bis 1941 in einem Waldgehöft bei Havelberg ausgebildet wurden. Die 15- bis 18-jährigen lebten dort wie im Kibbuz und erlernten alles, was sie für ihr späteres Leben in der Gemeinschaft brauchen würden. Mit Abenteuerlust oder Selbstverwirklichung hatten ihre Auswanderungspläne nichts zu tun. Diese jungen Menschen versuchten, dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen. »Denken ohne Geländer« bot den Rahmen für ein studentisches Projekt der Hochschule Magdeburg-Stendal und eine Exkursion zur ehemaligen Havelberger Ausbildungsstätte.Darüber hinaus kommen noch zwei besondere Begriffe vor: Das Vorzeigegeld und das Palästinaamt Das Vorzeigegeld wurde von Ländern verlangt, in die die jüdischen Bürger Deutschlands ausreisen wollten und stellte das Deutsche Reich vor Devisenprobleme. Hier eine Hinweis von Wikipedia über die Probleme mit dem Vorzeigegeld: "In der Weisung war ferner Görings Ministerialdirektor Helmut Wohlthat als Beauftragter genannt, der mit George Rublee vom Intergovernmental Committee on Refugees Verhandlungen führte (Rublee-Wohlthat-Abkommen), die sich mit der Finanzierung und Organisierung der Auswanderung der Juden aus Deutschland befassten. Dabei ging es einerseits um die Frage, ob das von den Aufnahmeländern verlangte „Vorzeigegeld“, das angesichts der Devisenknappheit nicht aufgebracht werden sollte, vorfinanziert und später durch deutsche Exporterlöse, durch Schuldbuchforderungen oder beschlagnahmte jüdische Vermögenswerte in einem Treuhandfonds abgetragen werden könne. Zweitens wurde erwogen, den größten Teil des beschlagnahmten jüdischen Vermögens für den Unterhalt von rund 200.000 meist älteren, nicht erwerbsfähigen in Deutschland verbleibenden Juden zu verwenden. Diese Pläne erwiesen sich zumindest mit Kriegsbeginn als nicht umsetzbar. Der „Erste Vierteljahreslagebericht 1939“ des Sicherheitshauptamtes stellt eine Verarmung des jüdischen Mittelstandes fest und weist darauf hin, dass überall die Einwanderungsbestimmungen verschärft und die „Vorzeigegelder“ erhöht worden seien. Am 25. Februar erließ Heydrich eine „Anordnung über die Vermögensabgabe auswandernder Juden“; mit diesem Geld sollte die Auswanderung mittelloser Juden gefördert werden."
Zum Palästina-Amt hier eine Kurzerklärung von Wikipedia:
"Zu den Aufgaben des Palästinaamtes gehörten die Besorgung von Ausreiseerlaubnissen und Visa sowie die Bereitstellung von Geldern für die Emigration. Neben den eingerichteten Beratungsstellen wurden Ausreise-Handbücher verfasst sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten, die unter anderem dem Erwerb von handwerklichen und landwirtschaftlichen Fähigkeiten dienten. Zur Verbesserung der Integration in die neue Heimat wurden Sprachkurse in Neuhebräisch angeboten.
Im Oktober 1941 kam es zum endgültigen Verbot der jüdischen Auswanderung im Deutschen Reich und die Organisation stellte ihre Tätigkeit dort und in den besetzten Gebieten ein, was jüdische Selbsthilfe fast unmöglich machte und nur noch die Rettung einzelner Juden zuließ". Einschub Ende |
Mein Lieber Ludwig!
12.5.39
Deinen lieben Brief, den ich am 7.5. erhielt, kann ich
leider erst heute beantworten, weil ich soeben von Berlin, wohin ich am
7.5.fuhr, zurückgekommen bin. Es lohnte sich schon diese Reise, denn es traf
ein Brief an Julius vom Palästina-Amt ein, er lautete:
„Sehr geehrter Herr Kirschner, ohne Ihnen sagen zu können, ob und wann Ihre
Berücksichtigung als Siedler möglich sein wird, bitte ich Sie zur Vorbereitung
jedenfalls mitzuteilen, welcher Reichsmarkbetrag Ihnen zur Verfügung steht und
ob Ihnen eventuell außerdem noch Beträge im Ausland zur Verfügung gestellt
werden können.“
Dann kam ein Brief an Julius vom Komitee in England mit einem Fragebogen, der
ausgefüllt wieder zurückgeschickt werden musste und der bezweckt, dass er die
Wartezeit in England verbringen kann, wenn für seinen Unterhalt gesorgt wird
und seine Weiterwanderung bald bevorsteht.
Ferner erhielt Siddy den Bescheid, dass sie für Havelberg vorgemerkt ist und
nach Bezahlung des Masers in Höhe von acht Mark sich für die Abreise
vorbereitet halten soll.
so kam alles zusammen, und da ich ohnehin die Reise nicht mehr aufschieben
wollte, mir lag Siddy Hachscharah, besonders am Herzen, fuhr ich Sonntag weg.
Am Palästina Amt gab mir Doktor Lehmann den Bescheid, dass es vielleicht
möglich ist, einen Transfer von 750 LP zu erreichen, das sind 300 Mille
Reichsmark und da Julius nur sieben Mille übrig haben wird, müssten die Kinder
die restlichen 23 als Darlehen geben. Er will nun sehen, ob das durchführbar
ist, desgleichen, ob Julius ein Siedlerzertifikat bekommt. Die Dame, d.h. die
Frau des Rechtsanwalts, die mir im Januar schon so gerne behilflich war, hat es
veranlasst, dass Julius bei den Zertifikaten in Erwägung gezogen wird,
desgleichen bei dem Transfer leider. Transfer. Leider konnte ich keine bindende
Zusage vorerst erreichen, in 14 Tagen trete die Kommission zusammen, die
darüber entscheidet, sagte man mir. So hoffnungsvoll mir anfangs der Brief
machte, als ich ihn las und ich dann Frau Doktor Mamlock sprach, die ebenfalls
glaubte, dass es endlich klappen könnte, so bedrückt war ich dann wieder nach
der Unterredung mit Doktor Lehmann. Dieser geht nicht aus sich heraus, man hat
das Gefühl, dass er schon längst wieder an etwas anderes denkt, während man mit
ihm spricht. Er verschanzt sich immer hinter diese Kommission und kommt damit
am weitesten, weil man dann nicht länger in ihn dringen kann, dass er doch
endlich Julius das Zertifikat zuteilt. Er gab mir nicht einmal die Bestätigung
für das englische Komitee, dass die Weiter Wanderung bevorsteht, weil das noch
nicht entschieden ist und so vermerken wir nur in dem Fragebogen, dass der
Antrag für das Siedlerzertifikat gestellt ist. Man muss eben alle Möglichkeiten
ins Auge fassen, wenn gleich ich mir sage, dass es weit besser wäre, wenn
Julius nicht mehr nach England brauchte, denn seine Schwester könnte das Geld,
dass sie für seinen Unterhalt dort stellen müsste, weit besser für ihn in
Palästina für verwerten. Da heißt es nun abwarten und in 14 Tagen wieder nach
Berlin schreiben und dort nicht locker lassen.
Siddy wird voraussichtlich Ende Mai abreisen, sie ist voller Freude und
Erwartung, und ich bin um eine Sorge leichter. Es passt sich gut, dass sie in
die Nähe von Berlin kommt, Frau Grüner ist ja in Berlin und auch Trude Tischler
hat sie sehr herzlich eingeladen, jeden Sonntag zu ihr zu kommen, weil Susis
Zimmer leer steht und sie die immer bei ihr schlafen kann. Deine Schwester
schreibt deshalb selten an dich, liebe Friedl, weil Hugo Tischler die Briefe
immer gleich in den Kasten wirft und sie nicht so lange liegen lässt, bis Trude
Zeit hat, daran zu schreiben. Steffi ist noch in Berlin, sie möchte ebenfalls
noch England, und Tischler müssen warten, bis ihre Nummer an der Reihe ist.
Gesundheitlich geht es Ihnen gut und nachdem Hugo wieder als Arzt für die Juden
zugelassen ist, ist er auch nicht ohne Beschäftigung, was seiner Frau die
Hauptsache ist, denn am schlimmsten ist es, wenn die Männer ohne Arbeit sind.
Nun zu deinem Brief, lieber Ludwig. Es tat mir sehr leid, dass ich damals im
ersten Impuls den Brief geschrieben habe, man hat sich leider jetzt viel zu
wenig in der Gewalt, dieses Hangen und Bangen bringt einem wirklich um die
klare Überlegung. inzwischen sehe ich ja in Berlin, wie schwer es ist, mit
seiner Forderung durchzudringen. Die ganze Sache kommt mir wie ein
Lotteriespiel vor kaum. Tausende warten auf die wenigen Zertifikate. Deine
Frage wegen des Transfers ist nun zum
Teil beantwortet. Wenn wir hier mit Kötzting zusammen 30 Mille transferieren
können, dann bleibt uns ungefähr noch die gleiche Summe, die dann nach Prag
transferiert werden könnte, wenn es einen Zweck hätte. Das müssten streichen.
Das müsste Valerie am besten wissen und ich werde ihr darüber schreiben. Du
schreibst von meinem Vermögen, das ist nicht mehr groß, weshalb ich es mit den
Kindern zusammen verwende. Ich allein besitze circa zwölf Mille und mit den
Kindern zusammen wären es 30 Mille Restbetrag, 
. Ich allein besitze circa zwölf Mille und mit den Kindern
zusammen wären es 30 Mille Restbetrag, wenn 750 I. P.
Transferiert werden können. In Berlin habe ich verschiedenes besorgt, was uns
noch fehlte, Gartenmöbel Liegestühle, Petroleum, Herd und Ofen und anderes mehr.
Nun sah ich dort auch diese elektrische Mangelapparate, womit alle Wäsche ganz
wundervoll geplättet werden kann, ohne jede Anstrengung und ohne viel
Stromverbrauch. Frau Grüner riet mir sehr dazu, sie zu kaufen. Ich möchte aber
vorher deine Ansicht darüber hören, liebe Friedl, man muss sich das gut
überlegen, freilich hat diese Maschine viele Vorteile, sie ist spielend zu
bedienen und das Platten der Wäsche dadurch für mich keine Anstrengung.
Vielleicht könnte man damit auch für Lohn bügeln und hätte dadurch ein
Nebeneinkommen. Die Maschine kostet 280 Reichsmark, vorausgesetzt, dass die
Mitnahme billigt würde. Nun wäre aber ein elektrischer Kühlschrank ebenso
wichtig und beide Artikel wird man nicht mitnehmen dürfen. Schreibe mir also
deine Meinung, was du für richtig hältst. Wie ist es mit dem Lift, soll ihn
Alice absenden, wenn sie die Packerlaubnis bekommt und zwar an den Spediteur,
den ihr uns nanntet? Die Lagerkosten müsste Helen bezahlen, schreibt also bitte
gleich darüber, denn Alice darf nach Pfingsten schon packen. Wir sind noch
nicht soweit, wollen aber unseren Lift auch bald abschicken, wenn man das kann,
d.h. wenn ihr es für richtig hält, dass wir ihn an den Spediteur senden, auch
wenn unsere Auswanderung noch nicht bevorsteht, hier machen es viele so. Wegen
Betti, sprach ich mit Frau Mamlock, sie ist dafür erst die Kötztinger
wegzubringen, und nannte mir für Betti eine Zertifikatart, ich merkte mir
leider den Namen nicht, die aber in Palästina beantragt werden müsste, sonst
sprach ich mit niemand über Betti. Bei Doktor Lehmann erwähnte ich nur, dass du
hoffst, mich anfordern zu können, was er auch bejahte. Natürlich würde ich
Betti auf keinen Fall alleine hier zurücklassen, darin wirst du mir ja
beipflichten, lieber Ludwig. Hätte sie nicht diese Anfälle, dann hätte man
versuchen müssen, sie mit Siddy auch die Hachsacharah zu bringen, aber es ist
eine Gewissensfrage, nachdem leider die Anfälle immer wieder auftreten. Gibt
also bitte bald Antwort wegen dem Lift und wegen der Eis und Bügelmaschine. Ich
möchte den Brief noch wegbringen, bleibt weiter gesund, meine lieben alle und
seid vielmehr vielmals herzlich gegrüßt und geküsst eure Frieda.
Handschriftlicher Zusatz: Ich glaube es wäre das Beste, wenn Kötzting
und wir jeder seinen Lift absenden könnte.
23.5.1939 Dr. Ludwig Klein in Tel-Aviv nach Tirschenreuth an seine Schwester Frieda
23. Mai 1939,
Meine liebe Frieda,
Deinen lieben Brief. Vom zwölften des Monats habe ich erhalten und hoffe, dass wir das große Glück haben werden, dass ich lieben Julius LP 750 für ein Siedlung Zertifikat bewilligt werden. Von der Bank habe ich bereits die Zusage, dass Sie mir LP 250 leiht, so dass dann die LP 1000 vorhanden wären, die für ein Rapotalistenzertifikat notwendig sind. Man hofft hier, dass demnächst eine Schedule herauskommt, so dass wieder Zertifikate zur Verfügung stehen. Bitte tut dort alles, was in euren Kräften steht, damit ihr die LP 750 bekommt. Man kann von hier aus in dieser Sache nichts tun. Es liegt ganz bei euch es durchzusetzen, ich habe jetzt von einigen Fällen gehört, dass Leute hier ange kommen sind, denen dieses Siedlerzertifikat vom Palästina Amt bewilligt worden ist. Ich werde auch noch einmal zu Doktor Förder gehen, obwohl ich mir klar darüber bin, dass er hier nur schöne Worte macht, während alles in Berlin entschieden wird. Alles, tut dort alles, was möglich ist. ich glaube auch, dass es so schnell gehen könnte, dass Julius nicht erst noch zwischen Aufenthalt in London zu nehmen braucht, das Geld, dass dieser Aufenthalt in England kostet, kann man hier besser zum Kauf von Hühnern für die Wirtschaft brauchen.
Ich freue mich sehr, dass Siddy nunmehr in Hachschara kommt. Hoffentlich gewöhnen Sie sich gut ein. Die Aussicht, auf diese Weise in absehbarer Zeit nach Palästina zu kommen, wird es ihr sicher leicht machen, sich in die neue Umgebung und die neue Tätigkeit hinein zu finden.
Was nun den Transfer des Restvermögens betrifft, so müsste ich zwei Dinge wissen:
erstens zu welchem Kurs werden die Reichsmark in CK um gewechselt? Ist es der bekannte Kurs von einer Reichsmark gleich zehn CK, so dass ihr in Prag für eure 30.000 Reichsmark einen Betrag von circa 300.000 erhaltet?
Zweitens ist es möglich, mit dem Geld in Prag Einkäufe zu tätigen oder kommen die Gelder dort auf gesperrte Konten? wenn man mit den CK einkaufen kann, dann könnte man Werte im Betrag von circa LP 400 dafür kaufen, so dass man also schließlich für 3000 Reichsmark einen Gegenwert von LP 400 hätte. Würde dir das genügen? Wenn Julius noch die Bewilligung von LP 750 erhält, hättet ihr dann zusammen circa 1200 LP, dafür bekommt man schon einen besseren Meschek(Wirtschaft).
Heute kam die Nachricht, dass das englische Unterhaus das Weißbuch angenommen hat. Nun wird es wohl hier wieder Unruhe geben. Ich bin froh, dass Fritz gerade auf Pfingstferien hier ist. Bei den großen Demonstrationen in Tel Aviv nach der Bekanntgabe des Weißbuchs hatte ich Ordnungsdienst, es war sehr anstrengend, aber bereitete mir große Genugtuung, dass ich etwas für die Sache tun konnte und dass ich es mit meinen 47 Jahren noch wunderbar durchhält.
Lebt recht wohl und seid herzlichst gegrüßt und geküsst von Ludwig
30.Mai 1939 Dr. Ludwig Klein Tel-Aviv an Alice und Julius Kirschner
Tel Aviv, 30. Mai 1939
Liebe Alice, lieber Julius,
Ich erhielt euren Brief und hatte zu meiner Freude schon von Frieda gehört, dass ihr Aussicht habt, ein Siedlerzertifikat zu erhalten. Lasst nichts unversucht, um die Entscheidung zu euren Gunsten herbeizuführen, selbstverständlich soll Julius nach Berlin fahren, um persönlich die Dringlichkeit eures Falles darzulegen. Die Entscheidung fällt nur in Berlin, es ist aber notwendig, dass ihr dort ungehemmt, alles vorbringt, um endlich berücksichtigt zu werden. Ich weiß, dass andere schon mit dem Siedlerzertifikat 750 LP hier angekommen sind, wie ich ja schon an Frida schrieb, zeigt, dass ihr es auch versteht, das Palästina Amt zu überzeugen.
Das für das Schülerzertifikat von Susi dort 4000 Reichsmark verlangt werden, wundert mich sehr. Davon war hier nicht die Rede, als wir die Bürgschaft für Susi bei der Stadtverwaltung unterschrieben. Ich wäre dafür, dass ihr den Betrag noch nicht so schnell zahlt. wenn ihr ein Schüler Zertifikat erhaltet, dann gilt dies ja auch für die Kinder und die 4000 Reichsmark wären unnütz ausgegeben. Ich werde mich auch hier noch erkundigen, wieso man dort diese Summe für Susi fordert.
Was den Lift betrifft, so möchte ich euch auf folgende Punkte aufmerksam machen:
Erstens, solange ihr kein Zertifikat habt, dürft ihr den Lift nicht ohne weiteres absenden, sondern ihr müsst mir zunächst eine genaue Liste aller Sachen einsenden, die in dem Lift kommen sollen. Diese Liste muss ich hier vorlegen, dann erhaltet ihr Bescheid, wann der Lift abgesahnt werden kann.
Zweitens, der Lift muss so klein wie möglich sein, und zwar aus folgendem Grunde: ich fürchte, dass ihr nicht in der Lage sein werdet, die Ausladung des Lifts in Tel Aviv dort zu bezahlen. Dann kostet aber das ausladen mindestens LP 0,58 per Kubikmeter, also für einen Lift von 20 m³ circa LP 13, die Aufbewahrung kostet LP 0,035 per Kubikmeter und per Woche also für 20 m³ 0,7 per Woche und für ein halbes Jahr ungefähr LP zehn. Möglichst viel packt in Kisten, denn das Ausladen von Kisten ist unvergleichlich viel billiger als das Ausladen von Lifts. Das Ausladen der Kisten kostet fast gar nichts und auch die Einlagerung ist viel viel billiger. Also möglichst alles in Kisten und nur das was unbedingt nicht in Kisten geht in einen Lift. Bitte schreib dies auch an Frieda, damit sie sich auch genau nach beiden obigen Punkten richtet. Es lohnt wohl kaum die Fracht, Reis und Zucker hierher zu senden, viel wichtiger sind Kleidungsstücke aller Art, auch für die Kinder, Wolle und so weiter.
Sonst gibt es nicht viel Neues. Fritz ist am Sonntag nach Jerusalem gefahren, am 25. Juni kommt er für die großen Ferien nach Hause. Auf baldiges. Frohes Wiedersehen, herzlich grüßt und küsst euch Ludwig
Einschub
Der im Brief angesprochene "Lift" ist sicherlich ein benötigter und reservierter "Platz" bei einem Speditionsunternehmen, vermutlich vergleichbar mit einem heutigen Container
Einschub Ende
3.6.1939 Dr. Klein wird angeschrieben wegen der Münchener Jugendfürsorge (Susi Kirschner kann Monate später auf diesem Wege gerettet werden. der kleine Bruder Alfred wird abgelehnt. da er noch zu jung war, gemäß des Regularien dieser Jugendhilfe.)
9.6.1939
Frieda aus Tirschenreuth an den Bruder Ludwig in Tel-Aviv
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Tirschenreuth, den 9.6.1939
Meine Lieben, Alice sandte mir euren lieben Brief vom 30. Mai nach und da ich wegen leichten Fiebers zwei Tage liegen musste, kann ich ihn erst heute beantworten. Es geht
mir jetzt wie dir, liebe Friedl, ich merke, dass ich 49 Jahre alt bin und die körperliche Leistungsfähigkeit stark nachlässt. und trotzdem ist mir nicht Bange vor der Auswanderung, im Gegenteil, vielleicht bekommt
mir das heiße Klima besser, weil ich viel Wärme brauche. Wie dem auch sei, ich habe keinen anderen Wunsch, als die beiden Mädels drüben zu sehen und wenn es uns gelingen sollte, dass Julius siedeln kann,
dann sind sie bei ihm gut aufgehoben. Als ich deinen Brief, lieber Ludwig, erhielt, hatten wir ohne dies vor, Julius nach Berlin zu schicken, die Ausreise wurde dadurch nur beschleunigt. Frau Doktor Mamlock nahm sich seiner
Sache an und will nicht ruhen, bis sie das Siedlerzertifikat für ihn erreicht. auch Doktor Lehmann zeigte sich dieses Mal von einer besseren Seite, und wenn er allein zu bestimmen hätte, bekäme Julius das Zertifikat
ganz bestimmt. So aber entscheidet die Kommission, die in den nächsten Tagen zusammentreten sollte, wenn nicht die Sekretärin von Doktor Lehmann recht behält, die dafür eintrat, dass die Kommission erst
in 14 Tagen ihre Beschlüsse fassen soll, weil bis dahin die neue Scheduls bekannt ist. So wenigstens, berichtete Julius, als er zurückkam. Wegen des Transfers musste ich eine Bescheinigung vom Finanzamt beibringen,
dass das Darlehen, das die Kinder Julius geben wollen, deren eigenes Vermögen ist und der Verdacht der Kapitalflucht nicht begründet ist. Man gab mir erst nur die Bescheinigung, darüber, dass das Vermögen
den Kindern gehört, die andere Zusicherung konnte ich vom Finanzamt nicht bekommen, weil es irrtümlich auf dem Standpunkt stand, dass dies Sache der Devisenstelle sei. Doktor Lehmann genügt aber die halbe Bestätigung
nicht, er rät Julius dringend, diese durch den zweiten Schriftsatz ergänzen zu lassen und mich deshalb telefonisch anzurufen, damit keine Verzögerung entsteht. Daran merkt die Julius das große Interesse,
dass Lehmann an ihm nahm, und da er am selben Tag noch heim fuhr und bei uns abstieg, konnte ich am nächsten Morgen das gewünschte Schriftstück am Finanzamt beantragen. Ich hatte inzwischen bei den Akten von
Ascher das selbe Schriftstück vorgefunden mit einem Merkblatt aus dem einwandfrey hervor, ging, dass es sich bei diesem Schriftsatz um einen Allgemeinen handelt, und nachdem das Vermögen der Kinder ohnedies sichergestellt
ist, kommt ja eine Kapitalflucht gar nicht infrage. Ich bekam nun die beiden Bestätigungen in der Fassung, wie es Doktor Lehmann wollte und sandte sie gleich per Einschreiben nach Berlin. Nun heißt es wieder warten
und hoffen, und wenn ich die Akten von Aschen durch sehe, dann muss ich feststellen, dass wir heute genauso soweit sind wie vor einem Jahr. Der Fehler war der, dass wir die ganze Sache zu wenig verstanden und alles diesem
Aschen übergaben, der nichts erreichte als die Zusage des Transfers seitens der Devisenstelle. Heute verstehe ich die Sache so, dass bei Erhalt des Siedler Zertifikates auch der Transfer gesichert ist und das beides nicht
vom Devisenamt, sondern vom Palästina Amt abhängt. Doch hat es keinen Sinn, über begangene Fehler nachzugrübeln, ich nehme mir immer fast vor, nur mehr vorwärts zu schauen und zu denken. Nur dann wird
es mir möglich sein, die Schwierigkeiten, die sich immer wieder in den Weg legen, zu überwinden. Hoffen wir also inbrünstig, dass Julius das Zertifikat bald bekommt, damit vorerst dieser vierköpfigen Familie
geholfen ist. Siddy wartet täglich auf ihren Abruf nach Havelberg, Julius sprach mit der Leiterin der Inlandshachschara , die ihm versicherte, dass sie spätestens bis 10. Juni abreisen kann. Sie freut sich sehr auf
Ihre neue Tätigkeit, ihr ist gar nicht Bange vor der Umstellung und die Aussicht, dadurch bald zu euch zu kommen, erhöht nur ihre Bereitschaft für den neuen Beruf. Sie will gern Fritzls lieben Rat befolgen und
sich heute fotografieren lassen, ihr werdet dann schon im nächsten Brief ein Bild von ihr erhalten. Betti und ich machen es dann ebenso doch eilt es uns jetzt noch nicht damit.
In der letzten Rundschau las ich davon, dass die Elternanforderungen in nächster Zeit in größeren Umfange erfolgen werden. Vielleicht gelingt es dir, lieber Ludwig, meine Anforderung durchzusetzen,
wie wird es aber mit Betti werden? Kannst du dich nicht mit dem Rechtsanwalt beraten, den du in Julius Sache genommen hast? Ich schrieb dir ja schon im letzten Brief, dass Frau Mamlock sagte, dass Bettys Angelegenheit nur
von dort erledigt werden kann. Sollte es nicht möglich sein, Betti, den Kötzting mitzugeben?
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ihr wisst, dass Betti meine Hauptsorge ist und bleibt und dass ich sie nie hier allein zurücklassen würde. Was nun die Fragen in deinem Brief an mich wegen des Transfers betreffen, so wird es wohl keinen Zweck haben, die restlichen 30 Mille nach Prag zu transferieren, denn dort gibt es die gleichen Schwierigkeiten des transferieren wie bei uns. doch will ich Valerie darüber schreiben, ebenso darüber, ob sie Waren kaufen kann. Kleine Beträge wie LP 100 scheint hier jeder Auswanderer transferieren zu können, wenigstens hörte ich in Weiden davon und wenn Siddy soweit ist, dass sie mit ihrer Gruppe auswandern kann, dann müsste man versuchen, durch Antrag einen kleinen Transfer zu bekommen, des gleichen bei Betti und bei mir. ich will vorerst Doktor Lehmann mit uns nicht behelligen, solange Julius sein Zertifikat nicht hat. Aber meinst du nicht auch, dass uns ein kleiner Teil Transfer gewährt wird. Zum Schluss komme ich auf den Hauptteil deines Briefes an Alice zu sprechen. die Frage des Lifts. wenn ich dich richtig verstanden habe, so soll man nur dann die Listen des Umzugsgutes an dich einsenden, wenn man den Lift absenden will und kein Zertifikat besitzt. Dies trifft nun in vollem Umfang bei uns zu und ich füge dir deshalb unsere Listen bei. Ich kann sie ohne dies entbehren, da ich für die Devisenstelle andere anfertigen muss, sie sandte mir gestern die vorgeschriebenen Formulare dafür. Die Preise für die einzelnen Gegenstände wurden von einem amtlichen Schätzer eingesetzt, sie werden ja bei euch keine Rolle spielen. er hat die Sachen niedrig aufgenommen, wie ihr seht, was auch hier weiter nicht ins Gewicht fällt, da alt Besitz ohne weiteres mitgenommen werden darf und nur für neue Sachen Abgaben entstehen. In der Liste ist nicht enthalten: für mich eine Koffer Schreibmaschine, für Betti, eine elektrische Bügel, für Sie ein elektrischer Kochherd und ein Kühlschrank. Diese Gegenstände müssen von der Devisenstelle erst bewilligt werden, den Antrag um Mitnahme habe ich bereits gestellt, aber noch keinen Bescheid hierüber erhalten. aus diesem Grunde sind sie auch noch nicht gekauft, man pflegt in solchen fällen die Auftragsbestätigung an die Devisenstelle zu senden und nach Erhalt der Genehmigung den Kauf perfekt zu machen. Wenn ihr die neuen Bestimmungen über Mitnahme von Umzugsgut in der Rundschau gelesen habt, dann werdet ihr gesehen haben, dass es bei Ausländern keine Beschränkung in der Mitnahme von Umzugsgut gibt, vielleicht trifft das auf die Kinder zu und sie bekommen dadurch die Bewilligung. Ich werde euch jedenfalls sofort schreiben, wenn ich von der der Devis einstelle Bescheid habe. Von ihrem Vermögen können die Kinder monatlich 500 Reichsmark abheben, aber es reicht nicht, da die Neuanschaffungen zu viel kosten. In Schuhe, Leihwäsche, Kleider muss viel ergänzt werden, dann die Metallcouch das Harmonikabett, Petroleum, Ofen und Petroleum, Herd, eine Couch für Alice, Stoff zum beziehen der Matratzen für die Couch, und für eine Federmatratze von mir, aus der ich mir noch eine Couch arbeiten lasse, nachdem ich keine Doppelcouch mehr bekam. Das Harmonikabett bleibt dann als Gast bet. Ich selber kann 200 Mark monatlich abheben, aber auch mir reicht es nicht, zumal ich für Alice verschiedenes kaufte. Man bekommt auf Antrag eine bestimmte Summe frei, muss ihn aber entsprechend begründen können. Diesen Antrag habe ich gestellt, um oben genannte Gegenstände kaufen zu können und mit Betti nach München zu Professor Lange fahren zu können, ferner für Siddy die Auslagen für die Hachschara decken zu können. Sobald sie die abgereist ist, will ich mit Betti nach München fahren, sie braucht neue Einlagen, orthopädische Schuhe etc. Alice kommt mit, weil sie mit Schenker wegen ihres Lifts sprechen will, wobei sie ihm deine Mitteilung, dass es billiger kommt, in Kisten zu packen, bekannt gibt. Wir haben nur Bedenken, ob das Geschirr, Glas und Porzellan, in Kisten so gut gepackt werden kann, dass es gut ankommt und wir werden hören, wie sich Schenker dazu äußert. Julius hat ja mit Schenker den Auftrag über einen 5 m Lift bereits abgeschlossen, vielleicht lässt er diesen entsprechend abändern. Alice wird dir ja geschrieben haben, dass sie die Umzugsgelüsten bei der Devisenstelle schon eingereicht und die Genehmigung zum Packen jeden Tag erhalten kann, während wir nicht soweit sind, weil wir zur Devisenstelle Nürnberg gehören, und uns diese die Listen wieder zurückgeschickt hat wegen der Formulare, die man jetzt dazu benutzen muss. Nun wird aber Alice an dich die Listen nicht mehr schicken brauchen, wenn Julius das Zertifikat bekommt, anders verhält es sich bei uns. Wir wissen nicht, wie lange wir noch hier wohnen können, die Bestimmungen darüber habt ihr ja auch in der Rundschau gelesen. Wenn man uns also die Wohnung aufsagt, dann würde ich mit Betti in irgendeiner Stadt, Berlin oder Regensburg möbliert wohnen und aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir vorher unseren Lift wegsenden. |
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es kommt nun darauf an, welche Aussichten für meine Anforderung und für Bettys Auswanderung bestehen, keinesfalls wird man aber mit dem absenden des Umzugs so lange warten können, bis wir das Zertifikat haben. Und aus diesem Grunde ist es gut, dass ich dir die Listen sende, damit du die nötigen Schritte zur Absendung des Lifts in die Wege leiten kannst. Beim Schenker in München werde ich ja hören, ob man von hier aus die Kosten der Lagerung in Tel Aviv bezahlen kann, was ich bezweifle, ich fürchte vielmehr, dass nur der Transport von hier bestritten wird. Nach meiner Rückkehr aus München gebe ich dir wieder Bescheid, du wirst mir auch berichten, sobald ich den Lift absenden kann. Es vergehen ja ohnehin einige Wochen, bis ich von der Devisenstelle die Packerlaubnis erhalte, bis dahin habe ich deinen definitiven Bescheid, ob und wohin der Lift geschickt werden soll. Dabei musst du aber berücksichtigen, dass auch Siddys Möbel, Kleider und Wäsche im Lift enthalten sind, wie du aus den Listen er siehst, habe ich die Möbel so gut es ging zwischen den Kindern geteilt. Sie sind beim Finanzamt jeder für sich veranschlagt, was sich für sie bei der Festlegung der Steuern günstiger auswirkt. Die bei Aufzählung der Gegenstände, die wir mitnehmen sollen, erwähnt ihr auch wieder Wolle. Was meint ihr mit Wolle, wollen die Kleider jedenfalls? Die Kleider frage ist jedenfalls nicht befriedigend zu lösen, weil fertige Sachen sehr teuer sind und Stoffe wegen Mangel an Näherinnen nicht verarbeitet werden können. Betti und ich werden ja noch Zeit genug haben, sich richtig einzudecken. Über Fritz, liebe Zeilen freut sich sie Dessert, sie kann es nicht erwarten, ihren Vetter und einzigen Spielgefährten wiederzusehen. Ob sich beide sehr verändert haben? Sie ist sich ziemlich gleich geblieben, glaube ich, bei ihr ist es wie bei Micha, bei beiden sind die Gesichtszüge die selben geblieben. Auf den Bildern finde ich Fritz sehr verändert, fast nichts erinnert an das jungen Gesichtl, dass mir im Gedächtnis geblieben ist. ich werde ja hören, was sie dir schreibt, wenn es endlich soweit ist, dass sie bei euch eintrifft und sie ihren großen Vetter an staunen wird. Das gibt bestimmt von beiden Seiten eine reine, große Wiedersehensfreude!
Was macht Micha, ist er immer noch so vergnügt? Hat er viele Freunde und bleibt er gerne alleine? Was erzählt Fritz von Jerusalem, macht in das Studium Freude und strengt es ihn nicht zu sehr an, nachdem er nebenbei noch Stunden gibt? Ich will diesen Brief bis morgen, Samstag, liegen lassen. Vielleicht kommt die ersehnte Post von Citys Abruf und ich kann es euch gleich mitteilen. Leider kam auch heute, Sonntag für Sie keine Nachricht, weshalb ich den Brief nicht mehr länger liegen lassen will bleibt weiter gesund erleben alle und seid von uns vielmals. Herzlich gegrüßt und geküsst Frieda
14.6.1939 Regina (vermutlich die Schwägerin) aus Kolin im "Böhmischen Protektorat" an Frieda, von der sie fälschlicherweise annahm, dass sie sich bereits in Palästina befände.

14.6.1939
Kolin, u. Dos Alto 494
Protektorat Böhmen.
Liebe Frieda!
Von Albert erfuhr ich die Adresse deines lieben Bruders, und da ich annehme, dass du bei ihm bist, so schreibe ich direkt an seine Adresse.
Seit wann bist du in Erez? Und hast du deine beiden Nichten auch mitgenommen? Ich konnte von keiner Seite erfahren, wo du steckst und selber hast du mir nicht mehr geschrieben, obwohl ich von hier im Oktober dir geschrieben hatte.
Von Therese, die im Januar in Tirschenreuth war, hörte ich, dass das Haus dort verkauft wurde, aber wo du bist, das wusste sie nicht.
Therese ist ab Januar auch zu Hause und Mamas Wohnung wurde hierher übersiedelt; wir wohnen jedoch möbliert, da sehr schwer eine Wohnung zu finden ist, und man immer glaubt, bald auswandern zu können. Momentan hoffen wir wieder auf ein Zertifikat, um sobald wie möglich von hier fort zu kommen. Albert schrieb, dass nun schon bei euch die Traubenernte begonnen hat; hier beginnen die Kirschen und Erdbeeren zu reifen. Geschäftliche Angelegenheiten gibt es immer noch zu richten, und die Möbel stehen noch in B. Was wir damit machen werden, wissen wir auch noch nicht. Was hast du alles mitgenommen? Und was treibst du? Ich würde mich riesig freuen von dir bald zu hören, wie es dir und den Deinen geht.
Inzwischen sei doch herzlich gegrüßt von Mama und an deine Angehörigen. Viele Grüße. Was machen die Buben?
Unterschrift Regina
3.7.1939 Dr. Ludwig Klein an Julius Kirschner

Tel Aviv, den 3. Juli 1939.
Lieber Julius,
Ich erhielt deinen Brief vom 24. Juni und war sehr enttäuscht darüber, dass du kein Siedlerzertifikat erhalten hast. Ich hatte gehofft, dass du bei deiner Anwesenheit in Berlin deinen Fall so energisch vorgetragen hast, dass man dir das Zertifikat nicht verweigern würde. Nun können wir uns nur damit trösten, dass auch das vielleicht zum Guten gewesen ist. Ich bin gar nicht begeistert davon, dass du nach England gehst. Bist du erst einmal in England, dann ist das Palästina -Amt dich los und wird dir nie ein Siedlerzertifikat geben. Bleibst du aber dort, dann kannst du, wenn es im Oktober wieder Zertifikate gibt, deine Sache persönlich vertreten und hast Aussicht berücksichtigt zu werden. Also überleg es dir gut, ehe du deine Absicht nach England zu reisen, ausführst. Andererseits musst du natürlich auch sehr berücksichtigen, dass im Fall eines Krieges die Reise nach Palästina unmöglich ist, wenn du noch in Deutschland bist, hingegen ist es von England aus dann nicht so ausgeschlossen.
Hinsichtlich der Möbel ist alles in Ordnung, nur müsst ihr mir noch sofort die Fabrikmarke (möglichst auch die Fabriknummer) folgender Gegenstände angeben:
Fotoapparat,
Staubsauger,
Nähmaschine,
Bügeleisen.
Für die Werkzeuge müsst ihr noch eine Einzelaufstellung eingeben. Die Hauptsache ist schließlich, dass ihr die Sachen an die Adresse, Silbermann & Weidler gesandt habt, die ich euch damals angegeben habe. Dann wird alles in Ordnung sein. Ich nehme an, dass Frieda und Alice inzwischen aus München zurückgekehrt sein werden, und hoffe, dass ich in den nächsten Tagen einen ausführlichen Bericht darüber erhalte, was sie ausgerichtet haben.
Sobald die Kinder abgereist sind, sendet uns bitte ein Telegramm mit bezahlter Rückantwort, damit wir euch dann die Ankunft der Kinder sofort telegraphisch anzeigen können. Telegraphiert uns, mit welchem Dampfer die Kinder fahren, damit wir im Hafen sind, wenn sie ankommen. Ich nehme selbstverständlich an, dass die Kinder direkt nach Tel Aviv fahren. Wir werden ja auch hier hören, wann der nächste Kindertransport eintrifft und werden zur Stelle sein. Sonst habe ich für heute nichts Neues und verbleibe mit herzlichen Grüßen und Küssen Ludwig
Einschub
Was aber damals noch niemand wusste, war, dass der kleine Alfred gar nicht in dieses "Kinderverschickungsprogramm" aufgenommen wurde/konnte, da er - entsprechend den Regularien dieses Programms - einfach noch zu jung war. Von der Anlaufstelle in München - ursprünglich ein Waisenhaus - wurde er später wieder seiner Mutter übergeben. Nur Susanne schaffte es im Dezember 1939 nach Palästina zu ihrem Onkel zu entkommen.
 | Susanne Kirschner auf ihrem Pass, "gültig zur einmaligen Ausreise", vom Dezember 1939 |
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 | Das Waisenhaus in München, die Sammelstelle für den Kindertransport |
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Einschub Ende
10.7.1939 Valerie (Ludwigs Schwester) aus Prag nach Tel-Aviv

Prag den 10.7.1939
Meine Lieben!
Wir erhielten deinen lieben Brief vom 15. Juni, wo du bemerkst: heute muss ich dir im Telegrammstil schreiben, weil ich dir noch mit der morgigen Luftpost einige Nachrichten geben wollte und es schon spät ist. wir haben jedoch diesen zweiten Brief bis heute nicht erhalten. Warst du verhindert lieber Ludwig oder musst du noch einen Bescheid abwarten? Wir hoffen euch alle gesund, was G. L. Auch von uns berichten kann. Vor einigen Tagen sind hier Kapitalisten Zertifikate eingetroffen. Lieber Bepp ist jeden Tag am Palästina Amt und erwarten wir bestimmt, dass er dieses Mal mit an die Reihe kommt. Wie er selbst gesehen hat, steht er mit auf der Liste, doch ist noch nicht bekannt, wer von den vorgemerkten Personen mit einem Zertifikat beteiligt wird. außerdem sind noch verschiedene Schwierigkeiten zu bewältigen, vor allem, wegen dem Transfer, wie dieser durchgeführt werden kann und in welcher Höhe die Verrechnung der Devisen erfolgt. Sobald wir etwas bestimmtes darüber hören, werden wir euch sofort Nachricht geben.
Hast du inzwischen die Wohnung von Onkel Hugo übernommen, lieber Ludwig? Hoffentlich ist sie nicht zu teuer. Nach unserer Ansicht müsste es der selbe Preis sein, wie bei Herrn Billing, da ist die selbe Lage ist. Bitte schreibe uns im nächsten Brief den genauen Preis. Von lieber Alice und lieber Frieda hörten wir, dass sie den Lift absenden können. Die Hauptsache wäre aber, wenn lieber Julius das Siedler-Zertifikat recht bald bekommt, damit der Lift nicht so lange beim Spediteur stehen muss und Lagerspesen entstehen.
Habt ihr den Badeanzug erhalten? Hat dir die Firma Kolben – Danek schon Offerte und Katalog geschickt? Wie uns die Firma sagte, kann hier zwar nichts in Kronen bezahlt werden, doch hat er dir einen Grossisten Rabatt von 33 % eingeräumt und ist der Preis vielleicht dadurch sehr günstig, so dass du die Bestellung machen kannst und sich ein Exportgeschäft daraus entwickeln kann.

Wir haben erst kürzlich durch eine Bekannte Erfahrung, dass man internationale Rückantwortscheine beilegen kann. Die Dame sagte uns, dass ihr Sohn geschrieben hat, dass der Brief zwar Devisen-amtlich geöffnet worden war, dass aber die Rückantwortscheine nicht heraus genommen wurden. Wir legen daher heute zwei Scheine bei, da du schon so viele Porto Ausgaben für uns hattest.
Bestätige uns bitte, im nächsten Brief, ob du die Scheine erhalten hast.
Ernst und Otto haben sich bei der Hachaluz gemeldet und sind bereits auf Hachschara eingestellt worden. Sie hoffen, dass sie dadurch auf legal, weil sie nach Palästina ausreisen können. Und nun erwarten wir baldige angenehme Nachrichten von euch. Herzliche Grüße und Küsse von uns allen besonders von eurer Valerie
Handschriftliche Zusatz
Ruthbeul (schwer zu lesen) lässt alle herzlichst grüßen, besonders lieben Micha.
20.7.1939 Abmeldehineis der Familie Kirschner nach Regensburg
 |
StA Kötzting alte EInwohnermeldekartei |
Religion weggezogen nach
Kirschner Kaufmann geb 12.4.92 Kötzting israel. Regensburg
Julius 20.7.39
+ 8.9.40
Staatsangehörigkeit
Bayern Ja
Alice Gattin 2.1.94 Tischenreuth Regensburg
geb. Klein 8.5.1945
(=symbolisches Datum für Opfer der Schoah
Verehelichung: 17.1.27 in Tirschenreuth
Kinder
Susanna Theresia Tochter 20.11.27 Kötzting israel. München
8.7.39
Alfred Joachim Sohn 2.9.30 Kötzting israel. München
8.7.39
Einschub
Die Karteikarten, auf denen in den 20er und 30er Jahren die Kötztinger Einwohnermeldekartei geführt wurde, entsprachen nicht der heutigen DIN-Norm. Also für diese "Datenbank" dann in der Nachkriegszeit neu Karten und ein dazugehöriger Kasten angeschafft wurde, waren die alten Karten einfach zu lang und so schritt man kurzerhand zur Papierschere und kürzte die alten Karten an der linken und rechten Seite einfach um ein Stück ein, so dass an beiden Rändern jetzt Teile der Info fehlen.
Einschub Ende
22.7.1939 Frau Manuok - früher Palästina-Amt - an Familie Kirschner

Kantstraße 49, 22.7.1939
Sehr geehrtes Ehepaar Kirschner,
In umgehende Beantwortung ihres freundlichen Briefes teile ich Ihnen mit, dass ich zwar vom Palästina Amt abgegangen bin, um mich einen verantwortungsvollen Posten in der Frauenberatung der Reichsvereinigung zu widmen, dass ich aber Frau Freund die Sache ans Herz gelegt habe.
Nun teilt mir Frau Freund heute zu meiner größten Freude mit, dass von Palästina aus aufgrund einer Liste von uns noch mal 20 Siedler – Zertifikate vergeben werden, und dass es ihr gelungen ist, sie auf die Liste von Siedlern mit 500 LP zu bekommen.
Nun schreiben Sie bitte umgehend mit Luftpost an ihren Schwager Klein in Tel Aviv, er muss sich dahinter klemmen, dass Ihnen das hier beantragte Siedlerzertifikat auch wirklich erteilt wird. Denn es ist doch üblich, dass auch in Palästina Angehörige an die Jewish Agency und damit an die Regierung herantreten, die wieder andere Leute vorschlagen, und die Zertifikate sollen doch von dort auf den Namen lautend kommen.
Bitte schreiben Sie auch Ihre richtige jetzige Adresse hin!
Wenn das alles klappt, ist ja Arbeitssuche hier nicht mehr nötig. Ich drücke alle Daumen. Weitere Korrespondenz in dieser Frage bitte ich mit Frau Freund, die Ihnen restlos helfen wird und der anständigste Mensch in der Meinekestraße ist. Viele viele Grüße, auch an die reizende Nichte in Sommerfeld und Fräulein Klein in Tirschenreuth!
Ihre alte Lotte Manuok
handschriftlicher Zusatz von Julius Kirschner:
Unsere neue Adresse lautet:
Julius Kirschner, Regensburg.
Bei Glaser Furtmayrstraße 4a/erster Stock
25.7.1939 Julius Kirschner an Dr. Ludwig Klein in Tel-Aviv
"Bin vom Palästina Amt zur Entscheidung vorgeschlagen Julius an Doktor Ludwig Klein in Tel Aviv"
26.7.1939 Ludwig Klein an Julius Kirschner
26.7.1939 Dr. Ludwig Klein an Julius Kirschner
Tel Aviv, den 26. Juli 1939.
Lieber Julius,
Ich erhielt heute dein gestriges Telegramm aus Berlin und ging sofort zur RASSCO , um zu erfahren, welche Stelle hier die Entscheidung fällt. Man schickte mich dort zur Sochnut, Abteilung für mittelständische Siedlung. Leiter der Abteilung ist Doktor Penner, Sachbearbeiter Doktor Franz Mayer. Dieser sagte mir aus den Akten folgendes vertraulich: es ist richtig, dass du von Berlin vorgeschlagen worden bist, und zwar als Nummer 22 auf einer Liste von 26 Bewerben. Berlin hat verlangt, dass die vorgeschlagenen nach der Reihenfolge berücksichtigt werden sollen – du siehst also, dass wiederum nicht hier entschieden wird, sondern in Berlin, in dem Berlin eben die Reihenfolge bestimmt. Auf Berlin entfallen vier Zertifikate, so dass du dir also ausrechnen kannst, welche Aussicht du mit Nummer 22 hast. Als ich Doktor Mayer unsere lange Leidensgeschichte erzählte, war er mehr als erstand, dass Berlin dich noch nie in seinen Briefen an die Mittelstandsabteilung erwähnt hat, so dass er von dir überhaupt noch nichts wusste. Er hat mir nun folgendes zugesagt: aller Voraussicht nach werden auf der Liste der 750 LP Zertifikate zwei Stellen frei. Für die eine hat er einen ähnlichen Fall wie den deinen vorgesehen, die andere Stelle ist nunmehr für dich reserviert, wenn sie frei wird. Auf diese Weise könntet ihr sogar LP 750 transferieren statt nur LP 500. Unsere Sache wird von zwei Seiten unterstützt werden:
Einmal von der RASSCO, der ich in Aussicht gestellt habe, dass du mit ihr, nicht mit einer der anderen Gesellschaften abschließen wirst, so dass sie nun ein Interesse haben, dass du berücksichtigt wirst und den Vertrag mit Ihnen machen kannst.
Zweitens von Frau Kitzinger. Ich habe Frau Kitzinger in meinen früheren Briefen an euch schon erwähnt. Sie interessiert sich sehr für eure Kinder, und ich habe sie gebeten, als Unbeteiligte zu Doktor Mayer zu gehen und ihm alles zu sagen, was man ihr aus Berlin-München über eure Lage geschrieben hat. Sie hat mir sofort versprochen zu Doktor Maier zu gehen. So hoffe ich, dass Doktor Mayer mich bald anrufen und mir eine günstige Entscheidung verkünden wird. Nachdem nun Berlin euch als sehr dringenden Fall (wenn auch als Nummer 22) gemeldet hat, hoffe ich, dass die Mittelstandsabteilung bald einen Weg finden wird, euch irgendein Zertifikat zu geben, damit ihr wieder Ruhe und Arbeit findet. Natürlich werde ich, wenn Doktor Mayer nichts von sich hören lässt, noch einigen Tagen wieder zu ihm gehen. Ich hoffe bald Antwort auf meinen letzten Brief zu erhalten und verbleibe mit vielen herzlichen Grüßen und Küssen Ludwig
3.8.1939 Dr. Ludwig Klein an Alice Kirschner

(Tel-Aviv, den) 3. August 1939
Meine Lieben,
Ich erhielt euren lieben Brief bis einschließlich 28. Juli und hoffe, dass euch mein Brief vom 26. Juli nach gesandt worden ist, da ich noch nach Kötzting adressierte.
Ich wunderte mich, dass Doktor Lehmann selbst das Telegramm an mich aufgesetzt hat. Er musste doch wissen, dass es nur 20 A5 – Zertifikate gab, dass er euch als Nummer 22 auf die Liste gesetzt hat, so dass es doch klar war, dass ihr nicht dran kommt, da Berlin vorgeschrieben hatte, dass die Reihenfolge eingehalten wird. Übrigens entfielen ja, wie ich euch schrieb, von den 20 Zertifikaten nur vier auf Berlin. Es wäre also besser gewesen, Doktor Lehmann hätte euch als Nummer vier auf die Liste gesetzt, statt ein Telegramm an mich zu senden mit einem Auftrag, der – wir ja wissen musste – vollkommen unausführbarer. Es ist ja selbstverständlich, dass ich alles Erdenkliche tue, um eure Einwanderung nach Palästina zu ermöglichen. Aber in diesem Fall war es unmöglich.
Ich bin aber glücklich, dass die Sache doch auch ihr Gutes hatte. Wenn auch ein A5 – Zertifikat nicht infrage kommt, so haben wir doch nunmehr Hoffnung ein LP 750 – Zertifikat zu bekommen, das ist ja noch besser. Bis jetzt warte ich allerdings vergeblich auf den Telefonanruf von Doktor Mayer, ich lass ihn noch bis Montag Zeit, dann gehe ich wieder hin. Auch die gute Frau Kitzinger wird uns helfen. Nun habt nur noch etwas Geduld, ich hoffe wir stehen jetzt kurz vor der Lösung. Ich verstehe nicht, liebste Alice, was für Sorgen du dir wegen der Lifte machst. Versicherung, Zoll und Entladungskosten machen doch keine Schwierigkeiten. Du weißt doch, dass deine Schwägerin mir LP 63,300 geschickt hat, wovon ich nur LP 2 für den Rechtsanwalt ausgegeben habe. Der Rest von LP 61,300 ist in meinem Geschäft jeden Tag zur Verfügung, um an die Spediteure zu zahlen, sowie der Lift eintrifft. Nimm bitte deine Schwägerin jetzt nicht in Anspruch. Wir würden sie allerdings dann brauchen, wenn euch ein LP 750er Transfer bewilligt würde, weil ja dann LP 250 hier zugezahlt werden müssen, um die für das Zertifikat erforderliche Summe von LP 1000 zu erreichen. Ich glaube wohl, dass ich mir diesen Betrag leihen könnte, damit ihr sofort das Zertifikat erhaltet, und habe dies auch den hiesigen Stellen gesagt. Aber ihr müsstet dann dafür sorgen, dass es von Amerika zurückgezahlt wird. Das ist aber eine spätere Sorge, erst wollen wir einmal den LP 750 Transfer haben.
Wie ihr wisst, wollte ich ja den Lift auspacken und in ein leeres Zimmer stellen, damit keine hohen Lagerkosten entstehen. Dann könnte ich ja den Lift selbst nicht aufbewahren, sondern müsste ihn verkaufen. Ich sehe ein, dass euch der Lift auf dem Lande sehr wichtig sein wird, und werde daher zuerst den Lift im Ganzen einlagern. Nur wenn es länger dauern sollte, werde ich ihn auspacken.
Ich werde nun den Lift hier mit LP 500 (circa 6000 Reichsmark) versichern, ich warte damit noch einige Tage. Sollte es euch nicht recht sein, so Telegrafie mir, dann kann ich es noch ändern. Herzliche Grüße und Küsse, (Ludwig)
6.8.1939 Julius Kirschner an den Schwager Ludwig Klein in Tel-Aviv

6.8.1939
Meine Lieben!
Euer lieber Brief vom 26. Juli hat uns sehr beruhigt. Nun getraue ich mir auch wieder zu hoffen, und vielleicht haben wir das Glück, doch bald unser Ziel zu erreichen. Ich hoffe, dass du lieber Ludwig, bei Herrn Doktor Mayer endlich an den richtigen Mann gekommen bist. Soviel ich hörte, war Frau Kitzinger, damals in München auch Vorstandsdame im Antonienheim in München, in welchem sich unsere Kinder befinden. Auch spricht man noch heute davon, dass Frau Kitzinger eine große Wohltäterin war. So habe ich wenigstens die Hoffnung, dass du nun Leute um dich herum hast, welche wirklich Menschen aus ihrer Not helfen wollen. Und kann man deshalb aufs Neue hoffen.
Meine Schwester schreibt nun: "sobald sie 1300 $ einzahlt, könne ich sofort nach England kommen. Das Geld liegt bereit, und ich solle ihr sofort mitteilen, ob sie einzahlen soll."
Euer letzter Brief vom 26. Juli aber, gab mir so viel Hoffnung, dass ich ihr folgendes schrieb: "du brauchst für mich vorerst nirgends ein bezahlen, halte aber trotzdem das Geld bereit, falls es uns glückt, nach Tel-Aviv zu kommen, kann ich es notwendig für unsere Siedlung brauchen." Ihr seht also, dass ich mich nun ganz auf euch verlasse und so Gott will, (wir) bald unser Ziel erreichen werden. Hoffentlich gibt’s keinen Rückschlag, denn wenn wir wieder enttäuscht werden, so dürft ihr mir´s nicht verübeln, wenn ich einen anderen Ausweg suche und vor allem mal nach England gehe. Falls Berlin nicht alle Papiere dorthin gesandt hat, lege euch

Falls Berlin nicht alle Papiere dorthin gesandt hat, lege euch .... eine Fotokopie meines landwirtschaftlichen Ausweises bei, vielleicht nützt es euch etwas. Den Berlinern habe ich nie getraut, da bekommt man nur schöne Worte und solange man keinen Vetter oder Basel im Palästina-Amt in Berlin sitzen hat, kann man nicht hoffen. Außerdem arbeitet dort jedes für sich, um wegzukommen. So bin ich glücklich, wenigstens das eine in Berlin erreicht zu haben, meinen Fall als dringlich zu behandeln. Den Rest, wenn auch schwer, er hoffe ich von euch. So könnt ihr euch denken, dass wir alle nun voller Ungeduld auf euren nächsten Brief lauern.
Inzwischen wirst du auch unseren Brief erhalten haben. Das Telegramm hat mir Herr Lehmann, der Leiter der Mittelstandssiedlung selbst aufgesetzt und geäußert, es ist nun Sache ihres Herrn Schwager in Tel Aviv, ob sie diesmal drankommen oder nicht. Dabei geht dieser Kerl her und setzt mich auf die 22. Stelle, wovon nur vier zu vergeben sind und tut, als wenn er für mich die größten Anstrengungen gemacht hätte, so arbeiten die Berliner Stellen.
Susi und Alfred gefällt es großartig im Antonienheim. Die Vorstandsdame sowie Frau Dr Renner sind voller Lob und sehr zufrieden mit unseren Kindern. Susi bekommt bereits englische Stunden. Ich bin noch immer Strohwitwer. Seit Siddy in Havelberg ist, muss liebe Frieda die Alice haben und so bin ich nun hier meiste Zeit allein. Wie froh wäre ich, wieder ein glückliches vereintes Familienleben zu haben. Für die lieben Zeilen und Grüße von der lieben Friedl und Fritzl besonderen Dank und seid alle auf ein Wiedersehen hoffend, herzlich gegrüßt, euer Julius
6.8.1939 Valerie aus Prag nach Tel-Aviv

Prag, 6.8.1939
Meine Lieben!
Auf unserem Brief vom 10. Juli sind wir bis heute ohne Antwort, doch hoffen wir, dass ihr diesen samt den zwei Rückantwortscheinen erhalten habt. Auch wegen dem Preis der Wohnung von Onkel Hugo habt ihr noch nichts geschrieben.
In eurem letzten Brief schreibt ihr, dass wir uns beim englischen Konsulat wegen Zertifikaten, die aufgrund einer Rente erteilt werden, erkundigen sollen. Wir haben uns darüber noch nicht informiert, weil inzwischen die Kapitalisten-Zertifikate eingetroffen sind. Lieber Pepo kann diesmal, wenn auch nicht mit Sicherheit, doch mit 95 % auf ein Zertifikat rechnen. Wir wollen daher abwarten, bis es entschieden ist.
Leider ist diesmal das Zertifikat mit der Bedingung verknüpft, dass nur zwei Personen auf das Zertifikat ausreisen können. Es ergibt sich nun die schwierige Frage: ist es besser, wenn Pepo mit Ida fährt oder soll Pepo lieber das Kind mitnehmen? Ihr könnt euch denken, wie aufgeregt wir sind, dass solche Schwierigkeiten gemacht werden, denn es ist fast undenkbar, dass Eltern ein vierjähriges Kind nicht mitnehmen können. Außerdem sind auch noch große Umstände mit dem Transfer der 1000 LP verbunden. Lieber Ludwig, bitte erkundige dich sofort, was leichter ist und rascher erledigt wird, wenn die Eltern das Kind anfordern, oder wenn Pepo mit dem Kind fährt und die Frau anfordert. Es ist ja auch zu bedenken, wenn die Eltern das Kind anfordern, wie man dann so ein kleines Kind nach Palästina bringen kann. Bitte, ratet uns, was wir machen sollen.
Liebe Friedl, sei so gut und schreibe uns im nächsten Brief ausführlich, wie die Wohnungen beschaffen sind. Ida hat so schöne Möbel und es ist schade für jedes Stück, dass sie hierlassen muss. Teile uns bitte mit, wie groß die Zimmer sind, damit wir uns ausrechnen können, was Platz hat. Bemerke auch, was eine Wohnung mit zwei Zimmern, Küche und Bad kostet und ob eine passende Wohnung in Tel Aviv zu haben ist.
Wir hätten euch schon längst ein Paket mit gebrauchten Sachen gesandt, doch kann man momentan keine Pakete von hier schicken. Es tut mir leid, dass der Badeanzug lieber Ludwig nicht passt, es war die größte Sorte.

hoffentlich hat lieber Fritz dafür Verwendung.
Von lieber Alice hörten wir, dass lieber Julius nunmehr doch Aussicht auf ein Siedlerzertifikat habe und wünsche von ganzem Herzen, dass es endlich einmal Wirklichkeit wird.
Wir legen zwei Rückantwortscheine bei und bitten zu bemerken, ob ihr sie erhalten habt. Wir erwarten baldige ausführliche Nachrichten von euch. Für heute seid alle vielmals gegrüßt und geküsst von uns allen besonders von eurer Valerie.
Meine Lieben.
Ich möchte dich bitten, lieber Onkel, dass du dich hauptsächlich danach erkundigen möchtest, ob ich die Möglichkeit haben werde, bis ich nach Palästina komme, sofort die Ida oder das Kind anzufordern. Wir wissen hier nicht, wie weit die neuen Bestimmungen, die jetzt laut dem "Weisen Buch" bestehen, eingeschränkt sind.
Eine Anforderung der Eltern oder der Frau war immer/früher/sofort möglich. Wie es jetzt natürlich ausschaut, kann man von hier aus nicht sagen. Es ist fast unglaublich, wie unüberlegt es diesmal verteilt wird und es gibt einfach nur Kopf-Zertifikate und zu jedem solcher Kopf- Zertifikate bekommt man noch einen Verwandten-Zertifikat für die Frau oder für ein Kind. Außerdem kostet das Zertifikat ein wahnsinniges Geld und es wird kaum mit einer halben Million tschechischer Kronen zu bezahlen sein. Es wird für viele unerschwinglich sein und meistens für die Zionisten ist es unerreichbar. Ich bin jeden Tag im Palästina-Amt und bin sehr dahinter, um es perfekt zu haben. Wir sind natürlich alle darüber ärgerlich, dass wir uns dann entschließen müssen, entweder die Ida oder das Kind da zu lassen. Man spricht zwar davon, dass noch irgendetwas nachgemacht wird, aber daran glaube ich nicht, denn die Bestimmungen sind aus London ausgegangen und können hier vom hiesigen Palästina-Amt natürlich nicht geändert werden. Es besteht die Möglichkeit, dass das Kind nach England durch eine Kinder Aliyah kommen könnte. Aber sie war noch zu jung und da habe ich die Sorge, dass sie mir nicht angenommen wird. Wäre es nicht möglich, wenn alles schon schief gehen sollte, dass du die kleine Ruth adaptieren könntest? Dann könnte sie als kleine Palästinenserin geführt werden. Schreibe uns, lieber Onkel sofort und erkundige dich bitte ausführlich nach allen Möglichkeiten, denn ihr könnt euch lebhaft vorstellen, dass für uns jetzt jede Auskunft von Wert ist. Die Zeit rückt heran und so könnten wir schon Ende September in Erez sein. Ich hoffe, dass nichts unangenehmes dazwischenkommt und dass wir uns werden in Gesundheit können kennen lernen. Ich danke euch allen schon heute für eure Bemühungen und verbleibe als euer Pepo.
x.8.1939 Julius Kirschner an den Schwager Ludwig Klein

Lieber Ludwig!
Deinen lieben Brief vom 3. August erhalten, besten Dank. Doktor Lehmann, sowie die ganze Berliner Gesellschaft am Palästina-Amt, könnte ich vor lauter Wut, so lange anspucken, bis sie ersaufen, mehr sind sie nicht wert. Lege dir auch einen Brief von meiner Schwester bei, worin du ersehen kannst, dass sie uns die fehlenden 250 LP sofort senden wird. Wenn es dir nur glücken würde, für uns das Zertifikat zu bekommen. Durch Berlin bekomme ich’s niemals, das war ich mir schon immer bewusst, nur liebe Frieda und Alice wollten es nicht glauben. Meine liebe Not ist nur, dass ich oder wir nicht unter die Sperre (1. Oktober bis 31. März 1940) fallen, solange will ich unter keinen Umständen mehr warten. Deshalb schrieb ich meiner Schwester, mit der Einzahlung nach England noch zu warten, weil ich dieses Geld für Erez viel notwendiger brauchen könnte. Kannst dir meine Ungeduld denken, nachdem meiner Reise nach England nichts mehr im Wege steht, sie aber nicht antworten will, weil ich täglich eine Lösung von Palästina erwarte. Solltest du, trotz deiner großen Anstrengungen und deines guten Willens, nur vertröstet werden, so darfst es mir ebenso mitteilen, denn es ist doch besser, wenn man es gleich weiß, wie man dran ist. Von Doktor Lehmann, bekam ich beiliegenden Brief. In diesem Brief merkt man, dass er Doktor Mayer für unsere Sache bereits tätig ist. Die Beantwortung des Briefes lege ebenfalls bei. Den Lift vorerst im Ganzen einzustellen, statt auszupacken, wird wichtiger sein. Ebenso sind wir mit der Versicherung, so wie du es

in deinem Brief vom 3. August in deinem Brief vom 3. August vorschlägst, einverstanden. Bald wieder von dir zu hören, grüße dich sowie liebe Friedl, Fritzl und Micha herzlichst dein treuer Schwager, Julius.
Da der Brief zu schwer wird, habe ich den Brief von meiner Schwester weggelassen. Versichere dir aber nochmals, dass du mit 250 LP von meiner Schwester ganz bestimmt rechnen kannst.
Höre soeben, dass ich, wenn ich das Zertifikat bekomme, trotzdem für die Kinder extra Zertifikate und zwar Schüler- Zertifikate anfordern muss. Stimmt das? Nochmals herzliche Grüße euer Julius
10.8.1939 Ludwig an Valerie und Pepo

10. August 1939
Liebe Valerie, lieber Pepo,
Ich erhielt euren Brief vom sechsten des Monats und habe mich sofort mit dem Advokaten in Verbindung gesetzt. Er sagte mir: wenn Pepo hier ist, kann er sofort ein Zertifikat für Ida oder Ruth besorgen, es ist ganz leicht für wen von beiden. Sowohl für Ehefrauen wie für kleine Kinder gibt die hiesige Regierung sofort Zertifikate. Die Adoption durch mich ist zwar theoretisch möglich, kommt aber praktisch gar nicht infrage, weil es absolut nicht nötig ist, er bekommt für Ruth ein Zertifikat innerhalb fünf Tagen. Die Frage, ob Ruth oder Ida mit PayPal fahren soll, ist also– wie er sagt – keine juristische Frage. Soweit der Rechtsanwalt.
Mein Rat ist nunmehr folgender: der Rechtsanwalt hat seine Erklärung lediglich unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten der hiesigen Regierung abgegeben. Er fügte aber hinzu, dass im Ausland die Auswanderung der Frau eher Schwierigkeiten machen kann als die eines kleinen Kindes. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es also richtig, dass Pepo dort ein Zertifikat für Ida nimmt und alles für ihre Ausreise ordnet. Dann ergibt sich aber die Schwierigkeit: wie kommt Ruth hinterher? Deswegen meine ich, dass noch Ordnung der Auswanderung von Ida, Pepo erst einmal allein hier herkommen soll. Sofort nach seiner Ankunft geht er zum Advokaten und fordert seine Tochter Ruth an, er bekommt das Zertifikat für Ruth, wie der Rechtsanwalt gesagt hat und damit fährt Ida mit Ruth sofort ab und alle drei sind hier wieder beisammen.
Was die Wohnungsfrage betrifft, so ist es hier mit den Wohnungen, wie mit allem anderen, nämlich du kannst alles hier so schön und so Guthaben wie irgendwo in Europa, hinsichtlich der Wohnungen wahrscheinlich sogar besser, weil hier alles neu ist und meist aufs modernste gebaut wird. Die Hauptsache ist nur: man muss es bezahlen können! Ein Wohnungsmangel besteht hier nicht, es wird wieder ziemlich viel gebaut, allerdings kann es sein, dass ihr ein paar Wochen warten müsst, bis gerade die Wohnung fertig ist, die ihr ausgesucht habt. Für eine Zweizimmerwohnung mit Küche und Bad – Bad ist hier ganz selbstverständlich – werdet ihr zur Zeit wohl viereinhalb Pfund ausgeben müssen, wenn die Wohnung sehr schön ist – mit Warmwasser und Zentralheizung – kostet sie fünf Pfund, es kommt auch sehr auf die Gegend an. Die Zimmer sind hier im Allgemeinen kleiner als in Europa, rechne nicht mit mehr als 4 m breit und 3,80 lang. Wenn die Möbel schön sind, ist es gewiss gut, sie sollen nur nicht groß sein.
Den Badeanzug habe ich inzwischen schon wiederholt mit Wonne getragen, er passt mir gut. Fritz würde er doch weniger passen als mir, der Fritz ist doch ein ganzes Stück länger als ich.
Von den Rückantwortscheinen habe ich einen dankend erhalten und gleich für diesen Brief verwendet. Den zweiten hat vermutlich D. K. Praha.
Was die Wohnung von Onkel Hugo betrifft, so kann ich nur mitteilen, dass er im ganzen 218 £ bezahlt hat, genau LP 217,455. Was ich aber nicht weiß, ist, für welche Zeit er gemietet hat, vermutlich auf drei Jahre, weil es eine Zweizimmerwohnung ist, für die man zur Zeit hier circa sechs LP pro Monat zahlt. Die Neueinwanderer zahlen hier vielfach die Miete auf zwei Jahre Voraus, auf drei Jahre ist allerdings lange, ich weiß daher nicht, wie die Sache zusammen hängt.
Was Julius betrifft, so hat das Palästina Amt Berlin nun endlich....
>>>>>> hier bricht die Stelle ab

.... Weil sie das Geld noch nicht liquide haben oder aus einem anderen Grunde, dann ist Julius an der Reihe. Es ist zu erwarten, dass zwei ausfallen. Sonst muss Julius noch bis zur nächsten schedule warten, aber es ist jetzt wenigstens sicher, dass er dran kommt. Wie wir hören, ist für seine Tochter Susi das Zertifikat von der hiesigen Regierung bewilligt. Wir hoffen also, dass wenigstens das Kind bald hier ist.
Nun hoffe ich von Herzen, dass deine Erwartung inzwischen in Erfüllung gegangen ist und du das Zertifikat in Händen hast. Also auf baldiges Wiedersehen, wir werden zusehen, dass es inzwischen etwas kühler wird.
25.9.1939 Alice Kirschner - nun in Regensburg in der Prüfeningerstraße an den Bruder in Tel-Aviv

Regensburg, den 25.9.1939
Meine Lieben! Ich habe schon verschiedene Briefe an euch geschrieben, die ihr leider nicht erhalten habt. Diesmal hoffe ich, dass er befördert wird. Ihr werdet natürlich, wie wir traurig sein, dass unsere Sache nicht vorwärts geht. Anscheinend haben wir es mit unserem Devisen Anwalt nicht erraten, der nicht genügend rasch arbeitet. Wir hätten vielleicht den früheren Anwalt Doktor Aschner nehmen sollen. Nun ist es zu spät. Bis die Transfer Angelegenheit verzollt ist und die Paltreu wieder Einzahlungen entgegen nimmt, wird Doktor Mamlock vielleicht doch alles geregelt haben. Und unser Lift. Der ist jetzt in Triest und wird mit einem italienischen Dampfer weiter befördert. Die Geschichte kostet uns noch mal 1200 Mark. Da wir einen Revers unterschreiben mussten, dass wir für alle eventuellen Prozesskosten aufkommen, ist es wichtig, dass du davon weißt. Denn anscheinend hättest du oder Silbermann % Weidler das Recht, die Reederei auf Herausgabe des Lifts zu verklagen. Trotzdem ist uns geraten worden, zu unterschreiben, damit der Lift rasch weiter befördert wird. Ob wir richtig gehandelt haben, wirst du besser wissen als wir. Frieda und die Mädels haben ebenfalls die Packgenehmigung erhalten. Der Transport muss aber ab der deutschen Grenze in Devisen bezahlt werden. Was sollen Sie tun? Ich weiß nicht, wie lange sie noch in ihrer Wohnung bleiben können und es wird sehr schwer sein, eine Wohnung zu finden. Ach, es wäre überhaupt höchste Zeit gewesen, dass wir an die Reise gekommen wären. Nun heißt es wieder Geduld und nochmals Geduld. Wir sind alle gesund und braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Wir wohnen nicht mehr bei Glaser. Unsere Anschrift ist jetzt Regensburg Prüfeninger Straße 95/O. Die Kinder haben sich gut eingewöhnt. Susi wird häuslich gut abgerichtet. Seit circa 14 Tagen haben sie Schulunterricht. Alfred wird in die zweite Klasse müssen, denn das Jahr Pause kann er nicht einholen. Wie geht es euch, meine Lieben? Heute habe ich gehört, dass die Briefe über die Schweiz befördert werden können. Wir haben einen Prospekt von der Siedlung Beth Izchak bekommen. Auch die anderen Regensburger Familien. Krones wird mit dem nächsten italienischen Schiff reisen, das vielleicht Mitte Oktober verkehren wird. Ich wünsche euch zu dem bereits begonnenen Jahr alles alles Gute. Möge euch der liebe Gott gesund halten und euch und euren lieben Kindern reichen Segen bescheren. Es ist höchst die Eile, sonst kommt auch dieser Brief nicht in eurem Besitz. Siddy gefällt es sehr gut, ist zufrieden und glücklich. Pepo hat sein Zertifikat erhalten, nur wissen Sie nichts wegen dem Transfer, wie Valerie schrieb. Seid, alle meine Lieben, eh nichts geküsst von eurer Alice
Handschriftlich darunter.
Herzliche Grüße in Eile, euer Julius
2. und 5.10.1939 Frieda an den Bruder Ludwig
Seite 1
Tirschenreuth, 2.10.1939
Meine Lieben!
Heute Morgen teilte mir Alice die Schweizer Adresse mit und ich nehme gern die Gelegenheit war, euch endlich nach so langer Zeit auch von uns Nachricht zukommen zu lassen. Wir sind alle gesund und hoffen zuversichtlich, dass auch ihr alle wohlauf seid. Über den Stand der Auswanderung wird euch Alice genau informiert haben, ich brauche also darüber nicht zu berichten. Valerie schrieb mir zu den Feiertagen, dass Pepo das Zertifikat erhalten hat, ich hörte weiter nichts darüber, ob er eine Möglichkeit fand, mit Ida und dem Kind auszuwandern. Siddy ist noch immer in Havelberg, sie hätte kurz vor Ausbruch des Krieges nach Holland kommen können, da sie aber die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzt, wurde sie abgewiesen, denn man nahm dort nur deutsche auf. Nun wurde sie für Dänemark vorgemerkt, wo ihre fremde Staatsangehörigkeit Frömmigkeit keine Rolle spielt, aber es lässt sich vorerst nicht sagen, wann ihre Auswanderung bevorsteht. Ich erwarte täglich von ihr Nachricht, nachdem sie das ihr monatlich zustehenden Marken Geld schon verbraucht hatte, muss sie den 1. Oktober abwarten, um wieder schreiben zu können. Es wird das in der Hachscharah sehr genau genommen, sie dürfen keine eigene Kasse haben und müssen sich den Vorschriften fügen. Aber trotzdem gefällt es Siddy außerordentlich gut in ihrer Umgebung, die Arbeit macht ihr Freude und befriedigt sie voll und ganz. Allerdings kann sie dort nur im Haushalt ausgebildet werden, die Landwirtschaft wird nur von den Jungens ausgeführt. Es sind zu wenig Mädchen auf dieser Hachscharah , weshalb keine entbehrt werden kann. So sehr Siddy auch landwirtschaftliche Kenntnisse sich aneignen sollte, muss man sich damit zufrieden geben, dass das eben nicht verwirklicht werden kann, denn die Hauptsache ist ja doch, dass sie nicht mehr untätig sein braucht und sie empfindet das Glück, arbeiten zu können, auch ganz besonders. Dann ist sie wenigsten unter jungen, gleichaltrigen Gefährten, die die Sorgen nicht so schwer tragen und hoffnungsvoller in die Zukunft zu blicken. Vermögen, als ein älterer Mensch. ich wäre nun endlich soweit, um packen zu können, doch bereitet der Transport des Lifts einige Schwierigkeiten. Wie mir, Schenker und Co., Nürnberg, mit dem seinerzeit den Vertrag Abschluss, mitteilte, kann der Lift nur bis zur deutschen Grenze in Reichsmark bezahlt werden, von da ab in Devisen. Ich reiche nun ein Gesuch an die Devisenstelle Nürnberg ein und bat um Zuteilung dieser Devisen, bin aber bis heute noch ohne Bescheid. Es hängt sehr viel davon ab, dass ich packen kann, denn ich möchte hier nicht länger bleiben, sondern auch nach Regensburg ziehen, vorausgesetzt, dass Alice eine Wohnung dort für mich auftreibst. Siddy schrieb in ihrem letzten Brief, dass man den Lift nur dann versenden kann, wenn man ihn jemand mitgibt, also den Namen des auswandernden im Frachtbrief, oder wie man das Schriftstück bei einem Lift nennt, angebt. Wenn nun Julius das Glück hätte, endlich soweit zu sein, dann wäre auch diese Schwierigkeit überwunden, aber wer kann das heute sagen, wann es mit Julius weitergeht? Er bekam jetzt den Bescheid von der Jugendfürsorge München, dass Susi angefordert ist, das ist allerdings noch nicht feststeht, wann die technische Möglichkeit besteht, den Kindertransport wegzubringen. Ich glaube aber nicht, dass ich Susis Namen für die Versendung des Lifts verwenden kann. sollten denn nicht die Listen genügen, die ich dir einmal zusandte, du hattest mir eigentlich den Empfang der selben nie bestätigt. Freilich musstest du damals hauptsächlich mit Julius korrespondieren, vielleicht unter blieb deshalb die Bestätigung der Listen. Ich hoffe, dass auch du den Weg über Zürich nehmen kannst, um uns wieder Nachricht zukommen zu lassen. die Adresse ist folgende: Fürsorgezentrale der israelitischen Kultusgemeinde Zürich. Man muss einen internationalen Antwortschreiben beifügen, den ich dir anliegend mit sende. Gib uns also sofort Nachricht, wie es euch allen geht, ob Fritz wieder in Jerusalem ist und was mein Micha treibt. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dass Julius und Alice Betti mitnehmen Könnten, wenn nicht, dann bleibt mir nur die eine Hoffnung, dass es dir gelingen möge, uns beide anzufordern, denn ich kann Betti auf keinen Fall alleine hier zurücklassen, und das habe ich dir ja schon zu wiederholten Malen auseinandergesetzt. Dass mich auch die Sorge um den Transfer besonders schwer drückt, kannst du dir denken, der Anwalt schrieb Ende September, dass er vorerst nicht sagen könne, ob und wann der Transfer durchgeführt werden kann. Also auch hier sind wir leider noch nicht am Ziel. Während des Schreibens kam soeben der Bescheid von der Devisenstelle, dass sie die Zuteilung der Devisen zum Transport des Lifts ablehnt. Was nun? Ich schrieb sofort an Alice und werde nun hören, was sie antwortet.
Seite 2:

vielleicht kann Alice über Sonntag herkommen, damit man mündlich die neue Lage beraten kann. Nun ist ihr Lift nicht angekommen und liegt in Trieste, und unser Lift kann ohne Devise nicht abgeschickt werden. Man muss wirklich alle Willenskraft zusammen nehmen, um nicht zu verzweifeln! Es wird leider nichts anderes übrig bleiben, als Julius Schwester in Anspruch zu nehmen, denn ich muss unter allen Umständen packen, weil ich die Wohnung räumen muss.
Den 5. Oktober
Der Brief blieb leider bis heute liegen, inzwischen ist auch Antwort von Alice eingetroffen. Sie meint, vielleicht ist von dem Geld von Helen noch so viel übrig, dass der Transport des Lifts davon bezahlt werden kann. Ich weiß nicht, was Helen dir damals Sani, aber ich fürchte, dass es nicht erreicht, da ja auch die Versicherung davon bezahlt werden muss, unser Lift müsste genauso hoch versichert werden wie Julius und die Prämien werden ja jetzt vielleicht doppelt so hoch sein. gib mir also bitte umgehend Bescheid, ob ich den Lift aufgrund der dir damals ein gesandten Listen sofort absenden kann und ob du den Transport ab deutscher Grenze bestreiten kannst, d.h. ob Helen hierfür noch Geld dort stehen hat. Ich fürchte ja, dass deine Antwort sehr lange unterwegs sein wird und ich werde noch an Doktor Mamlock Berlin Schreiben, der gerade für Versendung von Lifts viel in Anspruch genommen wird und auf diesem Gebiet große Erfahrung besitzt. Sobald ich eine Wohnung habe, möchte ich auf jeden Fall packen, denn ich möchte das nicht unnötig hinaus schieben. Hoffentlich bekomme ich von dir eher Antwort als ich meine, ich brenne ja förmlich darauf. Seid alle eh nichts gegrüßt und geküsst von eurer Frieda
Handschriftliche Zusatz von Betti.
Meine Lieben! Jetzt sollt ihr von mir auch wieder was hören. Die beiden Neujahrs Feiertage waren wir in Regensburg bei Tante Alice. Es hat mir so gut gefallen. Mit Onkel ging ich auch bisschen fort. Er zeigte mir von weitem den Flugplatz mit der Fabrik. Ich sah immer neue Flugzeuge steigen, das sehe ich gern. Siddy haben wir ein großes Winterpaket geschickt. Da Tante nicht ganz wohl war, suchte ich mit rosa warme Sachen zusammen, Herr und Frau Bloch, bei denen Tante Alice ist, sind sehr nette Leute, Herr Bloch, macht die Witze da musste ich lachen. Er hat überhaupt ein Komiker Gesicht, meint Tante. Es war einfach einzig schön. Wenn wir Siddy was schicken, legen wir immer was zum naschen bei. Ich habe immer zu tun. Tante Alice schickte mir Sachen zum sticken, die sind noch von ihrem Laden, dann bringt Rosa wieder was zum flicken und Sofa geht die Zeit schnell. Dann schreibe ich wieder. Siddy lange Briefe. Dann kommt auch mal Helga von Schmalzl zu uns. Sie erzählt lustige Sachen dann muss auch ich ihr was von meiner Kinderzeit erzählen das hat sie gern. Viele herzliche Grüße und Küsse Betti

gegen Ende 1939 aber vor dem 1.1.1940 :
Einschub:
Da dieses folgende Bestätigungsschreiben ein Ablaufdatum hat (1.1.1940) ist davon auszugehen, dass es zeitlich vorher, allerdings auch wieder nicht zu weit vorher, geschrieben wurde.
Einschub Ende
To whom it may concern.
We hereby confirm that we are holding at the sole and free disposal of
Mr. Joseph Krasa, Praha, Smichov, Tylova 2A,
Mrs. Ida Krasa, nee Stingl, Praha, Smichov, Tylova 2A
Miss. Ruth Krasa, Praha, Smichov, Tylova 2A,
the amount of L.P. 4 each monthly, i.e.
L.P. 12 (Palestine Pounds monthly)
for a period of 5 years, beginning as from their immigration into Palestine and we are to pay the above-mentioned amounts to the said person.
The beneficiaries are entitled to freely and solely disposal of this amount, provided that they are personally calling at our counters and have legally immigrated into Palestine not later than 1st January of 1940.
An wen es angeht.
Hiermit bestätigen wir, dass wir den Betrag von monatlich LP 4 für jede der nachstehend genannten Personen, also insgesamt LP 12 (Palästina-Pfund) monatlich,
für die Dauer von fünf Jahren, beginnend mit dem Zeitpunkt ihrer Einwanderung nach Palästina,
zur alleinigen und freien Verfügung von
Herrn Joseph Krasa, Frau Ida Krasa, geb. Stinge, und Fräulein Ruth Krasa, sämtlich wohnhaft in Prag-Smíchov, Tylova 2A, halten und bereithalten.
Wir werden die oben genannten Beträge an die genannten Personen auszahlen.
Die Begünstigten sind berechtigt, frei und ausschließlich über diese Beträge zu verfügen,
vorausgesetzt, dass sie persönlich an unseren Schaltern erscheinen
und nicht später als am 1. Januar 1940 rechtmäßig nach Palästina eingewandert sind.
18.10.1939 Julius in Regensburg an Ludwig in Tel-Aviv

Meine Lieben! Diese günstige Gelegenheit ausnutzen, will ich euch unser bisheriges Ergebnis unserer Auswanderung mitteilen. Wir sind bereits von der Reichsbank zur Einzahlung des Transfers aufgerufen worden. Zur Einzahlung aber benötigt man erstens, da unser Vermögen nicht ausreicht, eine Schenkungsgenehmigung von der Devisenstelle in Nürnberg, damit uns die Tirschenreuther den fehlenden Betrag geben dürfen und zweitens eine Erwerbsgenehmigung von der Devisenstelle in München, dass ich transferieren darf. Beides ist eingeleitet und nach dessen Erledigung kann bei der Paltreu eingezahlt werden. (Dies ist vermutlich eine Abkürzung für Palästina Treuhand). Leider hat es unser Anwalt verkehrt angepackt und sind dadurch einige Wochen nutzlos vergeudet worden. Da aber bei der Paltreu seit 1. September für Einzahlungen gesperrt war und sie erst demnächst wieder ihre Arbeit aufnehmen, so hoffen wir, dass trotzdem keine Zeit nutzlos verstrichen ist. Sobald eingezahlt ist, dürfte der Aushändigung eines Zertifikates nichts mehr im Wege stehen. Wichtig ist uns, dass das für uns bestimmte Zertifikat auch für uns bleibt. Ich meine damit, dass man nicht etwa unter irgendwelchen Vorwand, uns beiseite schiebt und unser längst ersehntes Zertifikat einen anderen vorzieht. Bei der Vetternwirtschaft am Palästina-Amt in Berlin ist alles möglich. Deshalb bitte ich dich, lieber Ludwig, bei Herrn Doktor Mayer dafür zu sorgen, dass unser Zertifikat auch an uns ausgehändigt wird. Die Einzahlung des Transfers an die Paltreu kann täglich erfolgen. Die Auswanderung an und für sich, soll stärker betrieben werden als vorher. Unsere Susi wird voraussichtlich als erstes die Ausreise antreten. Wegen Alfred haben wir noch nichts gehört. Da wir immer noch hoffen, bald auswandern zu können, ist es uns lieber, wenn Alfred bei uns ist. Da wir keine Post von euch bekommen, schreib doch auch über die Schweiz. Die Fürsorgezentrale der israelitischen Kultusgemeinde in Zürich, vermittelt die Post von und nach Deutschland. Unser Lift war bereits in Haifa und ist wieder zurück nach Trieste transportiert worden. Nun hoffen wir ihn mit einem italienischen Dampfer an Ort und Stelle zu bringen und hoffen euch alle gesund und seid alle herzlichst gegrüßt, euer Julius
18.10.1939 Alice aus Regensburg an den Bruder Ludwig in Tel-Aviv

Regensburg, den 18.10.1939
Meine Lieben!
Leider haben wir bis heute immer noch keine Nachricht von euch, hoffen aber, dass die verschiedenen Briefe, die wir auf Umwege an euch sandten, in euren Besitz gelangt sind. Dass unser Lift in Trieste liegt, schrieb ich euch bereits und das wir den Revers unterzeichnet haben, dass wir alle etwaigen Kosten auf uns nehmen. Damals haften wir den Transport Trieste – Tel Aviv in deutschem Geld zu bezahlen. Leider ist uns dies nicht genehmigt worden. Schenker verlangte eine Adresse in Tel Aviv, damit sich seine Firma in Trieste mit der selben in Verbindung setzen kann. Wir gaben deine Adresse und die meiner Schwägerin Helen an. Solltest du nicht über den Betrag verfügen können, so beantrage, dass der Lift einstweilen in Trieste lagert. Du kannst dir ausrechnen wie viel Dollar unser Lift und auch der von Tirschenreuth bis an Ort und Stelle kostet und vielleicht selbst an meine Schwägerin schreiben. Wir baten sie vor circa acht Tagen an dich 500 $ zu senden, damit auch eine eventuelle Reise bezahlt werden kann. Die Briefe sind furchtbar lange unterwegs, dass es vielleicht gut ist, wenn auch du an sie schreibst, und sie fragst, ob Schenker, Triest, an sie geschrieben hat und ob sie einen Betrag dorthin eingesandt hat. Frieda wird nun doch packen, denn sie kann nicht mehr in der Wohnung bleiben und ich habe immer noch keine Unterkunft für sie und Betti. Hast du Frieda angefordert und gibt es keinen Ausweg für Betti? Wenn nur einmal ein Brief von euch an uns käme, worin ihr darüber schreibt. Frieda und ich können zur Zeit uns nur brieflich verständigen, da ein Besuch nur unter Umständen möglich ist, so will man sich eine Reise nur für den dringenden Fall lassen. Wir hoffen aber, dass wir ihr beim Umzug helfen können. Herr Kahn, von hier gab ich einen Brief mit, doch hörten wir gestern, dass ihm, als er aufs Schiff kam, ein großer Koffer fehlte. Vielleicht waren gerade da die vielen Briefe drin, die er für die Leute mitgenommen hat. Der Brief soll noch weg. Hoffentlich seid ihr gesund, seid innig geküsst von eurer Alices. Sendet euren Brief an folgende Adresse
Herrn Signor Alfredo, Schwarzkopf
presso Signora Brambilla
San Giorgio 23,
I. Piano,
Milano Italien
Bekannte haben von Palästina über Holland Nachricht bekommen. Sind nicht Doktor Herzberg in Holland und hättet ihr nicht auf diese Weise eure Briefe befördern können? Aber verwendet obige Adresse. Herr Schwarzkopf wird euren Brief an seine Schwester, bei der wir wohn wohnen und verwandt sind, beilegen: Antwortschreiben bekommt man jetzt sehr schwer und kann ich dir keinen beifügen.

Dieser Brief - zusammen mit den beiden vorherigen zusammengepinnt, stehen inhaltlich in einem Zusammenhang, da in den beiden Schreiben von Alice von der Reise eines Herrn Kahn nach Palästina die Rede ist, dem sie Briefe mitgeben wollte bzw. gegeben hatte.
Meine innigst Geliebten!
Herr Kahn fährt in einigen Tagen nach Palästina, und ich will ihn bitten, dass er mir diesen Brief mitnimmt. Leider geht unsere Sache nicht vorwärts. Unser Anwalt hat noch einmal von vorn angefangen, weil er ganz übersehen hatte, dass wir schon unsere Reichsbank Nummer hatten und bereits aufgerufen war, dass er schon aus den vielen Briefen, die er nicht beantwortet hatte, erfahren musste. Hoffentlich kann er seinen Fehler, bis man bei der Paltreu einzahlen kann, wieder gutmachen. Ich mag Frieda gar nichts davon schreiben. Sie ist voller Sorgen, weil der Hausherr sie nicht mehr in der Wohnung lässt und wir können keine Unterkunft für Sie und Betti auftreiben. Sie sind wirklich in einer verzweifelten Lage. Hast du Frieda angefordert? Was machen wir mit Betti.
Gibt es denn gar keinen Ausweg? Wird das Zertifikat uns wieder genommen, wenn wir nicht rechtzeitig das Geld frei bekommen? Kannst du für uns noch mal vorsprechen. Wir haben sowohl am Palästina Amt als auch an die Paltreu geschrieben und hoffen, dass das Geld noch rechtzeitig freigegeben wird. Susi hat die Mitteilung bekommen, dass sie angefordert ist. Sie wird vielleicht demnächst in ein Sammellager kommen. Wann es technisch möglich sein wird einen Transport zusammenzustellen kann noch nicht gesagt werden. Im Antoniusheim war man recht zufrieden. Wie mir das Kinderfräulein sagte, sei Susi sehr anständig, man habe ihr schon gezeigt, die Zimmer aufzuräumen und sauber zu machen, was sie gern verrichtete. Ich hoffe also, dass sie eure Liebe und Mühe sich verdienen wird, wenn sie hoffentlich recht bald zu euch kommt und keine zu große Belastung für dein schon reichliches Arbeitspensum, liebe Friedl, bedeutet. Das ist nun das einzig erfreuliche, dass meine Susi zu euch kommen darf, wenigstens ein Anfang, vielleicht folgen Sie und auch wir bald nach. Die Kosten für unseren Lift belaufen sich doch nicht so hoch, wie wir zuerst angenommen. wenn es nur bald weiter ging. Schenker konnte uns darüber noch nichts mitteilen. Falls wir nicht bald nachkommen, wird es vielleicht besser sein, wenn es ausgepackt wird, wegen der Betten und Wollsachen. Ist nicht zu fürchten, dass Motten hinein kommen? Wenn dies nicht der Fall ist, könnt ihr ihn ruhig zulassen. Nur deshalb habe ich Befürchtungen. Eingemottet ist schon alles. Unser Brief über Italien werdet ihr erhalten haben. Nun kann man über den jüdischen Hilfsverein Zürich die Briefe versenden. Hoffentlich hören wir von euch bald etwas. Du wirst sicher sehr zornig sein, lieber Ludwig, dass wir noch nicht weitergekommen sind. Wir sind ja auch furchtbar niedergeschlagen und ich kann nicht sagen, wie mir ist. Wenn die Post kommt, ist es gewöhnlich nichts erfreuliches und doch wartet man von Post zur Post auf die Erlösung. Hoffentlich seid ihr alle gesund. Seid innig geküsst von eurer Alice.
12.11.1939 Dr. Ludwig Klein an den Mittelsmann Herrn Alfredo Schwarzkopf in Mailand.
Dieser Herr wurde im Schreiben von Alice Kirschner an ihren Bruder Ludwig als Adressat empfohlen.
Tel Aviv, den 12. November 1939
Herrn Alfredo, Schwarzkopf, bei Mrs. Brambilla, San Gregorio 23, Milan.
Sehr geehrter Herr Schwarzkopf,
Ich erhielt ihren geflossen Brief vom 18. vergangenen Monats und war hoch erfreut, durch sie von Frau Alice Kirschner zu hören.
Die einzelnen Angelegenheiten liegen nun wie folgt:
Der Lift von Kirschner befindet sich tatsächlich in Trieste. Die Firma Schenker und Co., Trieste ist an die hiesigen Spediteure, Silbermann & Weidler, an die Lift adressiert war, herangetreten und hat S.& W. um Einsendung der Verschiffungsdokumente ersucht, ohne die Bezahlung der Fracht Trieste – Tel Aviv zu fordern, so dass ich annahm, dass die Fracht bis Tel Aviv vollständig von Kirschner beglichen wäre. Ist dies nicht der Fall, so wäre hier eine unverhältnismäßig hohe Summe in palästinensischen Pfunden zu bezahlen, so dass es besser wäre, wenn der Lift noch in Trieste bleiben würde, bis irgendeine günstigere Regelung möglich ist. Ich werde das erforderliche mit Silbermann & Weidler besprechen und alles so regeln, wie es für Kirschner am besten ist.
Mit Doktor Mayer habe ich selbstverständlich gesprochen. Es wird Ihnen bekannt sein, dass zur Zeit in Trieste ein englischer Beamter ist, der Zertifikate und das Einreisevisum für Palästina erteilt. Voraussetzung ist, dass die für das Zertifikat erforderlichen 1000 LP vorhanden sind. Die Haavarah die 1000 LP an diejenigen Personen aus, die vor Ausbruch des Krieges den entsprechenden Reichsmarkbetrag in Deutschland eingezahlt haben. Die Haavarah darf aber an diejenigen nicht zahlen, die nach Kriegsausbruch in Deutschland einzahlen, weil an feindliche Ausländer Zahlungen nicht geleistet werden können. Infolgedessen hat Kirschner die 1000 LP nicht und kann – wie die Dinge zur Zeit liegen – kein Zertifikat für Palästina erhalten. Ich bitte Kirschners, mir alles mitzuteilen, was sie dort in dieser Angelegenheit hören.
Frida Klein oder Betti Pick anzufordern, ist zur Zeit vollkommen unmöglich. Frida Klein soll den Lift nur dann absenden, wenn die ganze Fracht bis Tel Aviv dort bezahlt werden kann.
Ich möchte gern an Julius Kirschner Schwester Helen schreiben. Ich habe aber Ihre Adresse nicht, es wäre mir sehr erwünscht, die Adresse in New York sobald wie irgend möglich zu erfahren. Ich werde dann sofort an Helen ausführlich schreiben. Wir sind alle vier gesund, Fritz setzt sein Chemiestudium an der Universität Jerusalem fort. Es wäre alles gut, wenn wir nicht so viel Sorge um die Verwandten in Deutschland hätten. Es ist vollkommen unmöglich an sie von hier aus – sei es direkt oder indirekt – zu schreiben. Wir wünschen sehnlichst, dass Susi recht bald mit dem Kindertransport hier herkommt.
Ich danke Ihnen im Voraus herzlichst für Ihre Mühe in der Sache Kirschner und begrüße Sie als Ihr Ihnen ergebener
Zusatz: sobald es etwas Neues gibt, lasse
27.11.1939 Alice und Julius aus Regensburg nach Tel-Aviv
Regensburg, den 27.11.1939.
Meine Lieben! Wir sind immer noch ohne Nachricht von euch und wissen nicht, ob ihr unsere verschiedenen Briefe erhalten habt. Trotz ungeheuere Arbeit und Mühe und Einhaltung des vorgeschriebenen Termins war es uns nicht möglich, ein Zertifikat zu erhalten. Herr Schwarzkopf von Milano, der unsere Briefe an dich beförderte und der euch in nächster Zeit aufsuchen wird, schrieb uns, dass das Comitee Officio, Palästinensae, Portuale, Triest via del Monte 7 auf Ansuchen Zertifikate ausgibt. Wir haben uns sofort hin gewandt, auch Frieda und Betti und auch nach Berlin darüber geschrieben. Dort weiß man noch nichts, erhielten wir gestern Bescheid. Man würde uns vormerken zur S. H., aber Alfrederl können wir nicht mitnehmen. Julius will deshalb nicht annehmen. Wenn aber sonst kein Ausweg bleibt, wäre es doch besser, wenn wenigstens Julius sich anmelden wird. Wenn wir doch wenigstens von dir Nachricht hätten. Ich kann mir denken, wie ärgerlich du bist, dass unsere Sache nicht geklappt hat, aber du darfst mir glauben, wir haben kein Geld gespart und keinen Weg und keine Mühe und doch umsonst. Wir sind ja so verzweifelt, aber was hilft das alles. Susi wird hoffentlich mit dem nächsten Transport mitkommen, aber meinen Alfrederl wollen sie nicht mit lassen, weil er erst neun Jahre ist. Ich wäre so froh gewesen, wenn er den kalten Winter hier nicht mehr hätte sein müssen. Als ich sie das letzte Mal besuchte, war er so erfroren, dass ich ihn gerne zu mir genommen hätte. wir haben nur Notwohnung und geht dies nicht. Sonst sind beide gesund, es gefällt Ihnen sehr gut. Wenn wir nicht bald wegkommen, können wir es uns nicht mehr leisten, die Kinder im Heim zu lassen. Wir wollten Ermäßigung, aber Frau Renner, die das über hat, ist unbarmherzig. Die passt mal nicht auf ihren Platz. Frieda hat gepackt. Es ging alles in einem Lift aber er geht erst ab, bis Silbermann & Weidler bei Schenker in Trieste meldet, dass die Fracht bezahlt wird.

Ich hoffe, dass er nicht so lange unterwegs ist, wie unser Lift. Siddy wird voraussichtlich diese Woche abreisen. Hoffentlich landet sie glücklich bei euch. Bekannte erhalten von ihren Angehörigen über Ungarn Nachricht und wollen wir deshalb auch diesen Weg versuchen. An Palästina-Amt in Berlin meint man, dass du von dort (Palästina) aus versuchen sollst, für uns und Betti (Begleitzertifikat) das Siedlerzertifikat zu erhalten. Da Susi mit der Jugendalja fährt, könnte die Betti mit mit uns. Frieda war bei Doktor Tischler sehr freundlich aufgenommen. Sie hatten eine Aufnahme, wo Micha (ihr Abgott) bildschön getroffen ist. Frieda will mit Betti nach Berlin ziehen, wenn es geht. Also schreibt, damit wir von euch hören. Es ist Julius letzte Hoffnung, dass ihr vielleicht schon vorgearbeitet habt und von dort das Zertifikat kommt. Seid innig geküsst von eurer Alice.
Schreibt an folgende Adresse: Rudolf Freiwirth, Rumbach Sébastien und 7/I.21. In Budapest VII
Meine Lieben.
es ist fürchterlich, dass von euch keine Nachricht kommt. Man weiß nicht, wie man dran ist. Es sind alle Formalitäten für ein Siedler – Zertifikat erfüllt, zum Transfer einbezahlt, also alles in Ordnung und nun hören wir nichts mehr. Erst wenn ich von euch Antwort habe, dass wir mit keinem Zertifikat rechnen können, will ich mich mit etwas anderem befassen. Habt ihr wegen meinem Alfrederl etwas erreicht? Das ist momentan meine Hauptsorge. Schreibt bitte an meinen Schwager nach Budapest, damit wir endlich von euch hören. Seid alle recht herzlich gegrüßt, euer Julius
1940
1.10.1940 Helene Kirschner schreibt aus New-York nach Tel-Aviv und hat schlechte Nachrichten.


New York den 1.10.1940
Meine Lieben!
Schon lange hörte ich nichts mehr von Euch, mein letzter Brief von Ende April (ich legte für Susi einen Dollar bei) blieb unbeantwortet. Nehme an, dass der Brief verloren ging. Hoffentlich seid ihr alle gesund und auch liebe Susi. Leider habe euch heute eine traurige Mitteilung zu machen. Unser lieber Julius ist auf dem Wege zu Euch einem Herzschlag erlegen. Er ist in Bulgarien begraben. Von Siddy, welche bei ihm war, haben wir noch keine Nachricht. Kann euch nicht beschreiben, wie ich fühle. Bring es bitte lieber Susi schonend bei und sagt ihr, dass wir sie nicht vergessen werden. Sobald ich gefasster bin, will ich an Susi schreiben. Liebe Alice schrieb mir noch, dass ihr vom Palästina-Amt versprochen wurde, dass sie durch den tragischen Fall berücksichtigt wird und bald ein Zertifikat bekommt. Sie ersuchte mich, euch zu verständigen, dass ihr dort auch daran arbeiten sollt. Lasst bitte bald von Euch hören.
Wir alle, besonders die arme Alice wartet so auf Nachricht von euch und Susi.
Herzliche Grüße Eure Helen. Extra viele Grüße an liebe Susi von uns allen.
Meine Adresse
1040 Park Avenue Apartment 7 B.
New York
bei Mrs. Coleman
25.11.1940 Helene Kirschner wiederholt die schlimme Nachricht

New York, 25.11.1940
Meine Lieben!
Ich weiß nicht, ob ihr meinen Brief von Anfang Oktober erhalten habt. Ich machte Euch in dem selben die traurige Mitteilung, dass unser lieber Julius auf der Reise zu euch in Bulgarien einem Herzschlag erlegen ist. Es ist uns allen unfassbar. Liebe Alice ist trostlos, sie wartet so mit Sehnsucht auf Nachricht von Euch, besonders von Susi. Bringt ihr bitte die Nachricht schonend bei.
Ist Siddy schon bei euch? Haben außer einer Karte nichts von ihr gehört, anscheinend sind Briefe verloren gegangen und wir möchten so gerne Näheres wissen. Liebe Alice hat Aussicht, mit dem nächsten Transport reisen zu können, da sie wegen dem tragischen Fall berücksichtigt wird. Aber ich bin heute schon nervös, da die Reise anscheinend sehr beschwerlich ist. Auf der anderen Seite ist es schrecklich, sie in Berlin zu wissen, wenn nur dieser Krieg zu Ende wäre. Lasst bitte bald von euch hören, (ich) lasse diesen Brief einschreiben, damit ihr ihn bestimmt bekommt.
Herzliche Grüße Eure Helen.
Extra viele Grüße und Küsse an Susi von uns allen.
Adresse Helene Kirschner bei Mrs. Coleman 1040. Park Avenue Apartment 7B New York
1941
Wer genaueres über diese Familien und ihr zumeist trauriges Schicksal erfahren möchte, kann dies aus den bereits veröffentlichten Dokumentationen entnehmen.
Weiterführende Literatur zu diesen Familienschicksalen:
Ingild Janda-Busl, Juden in der Oberpfälzischen Kreisstadt Tirschenreuth (1872-1942)
Erika und Gerhard Schwarz, Das Rittergut Garzau und jüdische Zwangsarbeit
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