Aus der Pfingstbeilage der Kötztinger Umschau des Jahres 1986
Der Pfingstritt aus gelehrter Feder
Diese Quellensammlung bietet einen Überblick über die literarische und kulturelle Bedeutung des Kötztinger Pfingstritts, einer berittenen Wallfahrt in Bayern. Der Hauptteil konzentriert sich auf das Werk des Gelehrten Dr. Karl von Reinhardstöttner, der das Brauchtum in seiner Erzählung "Eber auf Eberstein" (1874) literarisch würdigte, nachdem er durch ein Erbe in der Region verwurzelt wurde. Die Texte beschreiben detailliert den Ablauf des Pfingstritts, von der Prozession zur Nikolauskirche Steinbühl bis zur Verleihung des "Sittenpreises" (Tugendkranzes) an den würdigsten Jüngling. Ergänzend betonen verschiedene Autoren wie Karl B. Krämer und Dr. Sigfrid Färber die historische Tiefe und die kulturelle Wichtigkeit dieses Festes als Ausdruck bayerischer Volksfrömmigkeit und Heimatliebe. Eine abschließende Notiz erwähnt die anhaltende Verbindung der Familie Reinhardstöttner zu diesem Brauch bis in die Neuzeit.
Geschrieben hat sie Dr. Karl von Reinhardstöttner (1847 - 1907), der als Wissenschaftler sehr verdienstvoll an der Technischen Hochschule in München wirkte, als Dozent für romanische Sprachen in Würzburg und München tätig war und schon in jungen Jahren eine angesehene Anstellung als Erzieher · zweier Wittelsbacher Prinzen (Alfons und Ludwig Ferdinand von Bayern) gefunden hatte.
Wie kommt dieser weltgewandte Gelehrte - er hat Übersetzungen aus dem Italienischen, Spanischen und Portugiesischen geschrieben und sogar eine italienische und portugiesische Grammatik verfasst - dazu, eine Schilderung des Kötztinger Pfingstritts in Druck zu geben! Dr. Karl von Reinhardstöttner hatte von einem Onkel das Schlossgut Lixenried mit 150 Tagwerk Grundbesitz geerbt. Seitdem verband ihn ein herzliches Verhältnis mit der dortigen Bevölkerung.
Er half überall mit Rat und Tat, saß oft und gerne mit den Lixenrieder Bauern, Kleinhäuslern, Holzknechten und Glasbläsern im Bräuwirtshaus und nahm am Leben des Dorfes regen Anteil.•
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Neben dieser Buchreihe veröffentlichte von Reinhardstöttner unter dem Titel "Vom Bayerwald" noch eine - meines Wissens - vierbändige Folge mit jeweils vier oder fünf kulturgeschichtlichen Erzählungen aus dem Bayerischen Wald. Darin wollte er die wichtigsten Abschnitte der Geschichte eines kleinen aber reizenden Landstriches des deutschen Vaterlandes darstellen, in Erzählungen, deren Vorgänge sich wirklich dort ereigneten, wofür archivalische Belege, geschichtliche Forschung, einheimische Überlieferung und jahrzehntelanger Verkehr mit Land und Leuten bürgen.
Der zweite Band dieser Reihe "Vom Bayerwalde" (1899) enthält die eingangs erwähnte Schilderung des Kötztinger Pfingstritts, eingebettet in die Erzählung "Eber auf Eberstein". Der Titelheld, Herr von Walther, der Sohn eines ehemaligen adeligen Gutsbesitzers im Bayerischen Wald, durch die
"Bauernbefreiung" (Aufhebung der Grundherrschaft und der Patrimonialgerichtsbarkeit) von 1848 um sein Erbe gekommen, jetzt in München lebend, besucht inkognito den verlorenen Familienbesitz . Von dort aus fährt er in Begleitung des wackeren Dorfwirts nach Kötzting, um "dem berühmten Pfingstlritt , der berittenen Wallfahrt nach der Nikolauskirche Steinbühel, beizuwohnen" .
In der Person des Gastwirts aber drückt Karl von Reinhardstöttner seine ganz persönliche Anteilnahme und seine Begeisterung für den „Kötztinger Pfingstlritt" aus.
Quellen:
- Karl von Reinhardstöttner, Vom Bayerwalde , Vier kulturgeschichtiiche Erzählungen, Band 2, Berlin 1899.
- Karl von Reinhardstöttner, Land und Leute im Bayerischen Walde, Bayerische Bibliothek, Band 17, Bamberg 1890.
- August Sieghardt, Bayerischer Wald ; Landschaft, Geschichte, Kultur, Kunst ; Nürnberg 1959.-
Zu der Begegnung mit dem Pfingstritt, von der in der Erzählung „Eber auf Eberstein" im zweiten Band der Buchreihe „Vom Bayerwald" zu lesen ist, kommt es, als der Titelheld, Herr von Walther , in Begleitung eines wackeren Dorfwirts nach vierstündiger Kutschenfahrt den Markt Kötzting erreicht , „als die Glocke des stattlichen Turmes neun Uhr schlug."
Der Autor Dr. Karl von Reinhardstöttner schildert , was beide erlebten bis in alle Einzelheiten:
„Der Wirt verließ, nachdem er das Fuhrwerk eingestellt hatte, den Gast nicht, und es war dies für die Stimmung desselben ganz gut. Er zog ihn mit sich von Schenke zu Schenke, wie es hier so Sitte ist, ob auch der Fremde sich nicht mit gleicher Begeisterung wie sein Begleiter für das damals .noch übliche Rauchdörrbier erwärmen und an sich keineswegs erproben konnte, was der Wirt versicherte, dass es nur darauf ankomme, sich an den Trunk zu gewöhnen, denn das Bier an sich sei sehr gut. Unter solchen Walther nicht stets angenehmen Umständen nahte die Stunde heran, wo der feierliche Pfingstritt wieder nach dem Markte in festlichem Zuge zurückkehrte. Die Eigenschaften, die Bayerns alter Geschichtsschreiber, der treffliche Aventin, an den Bayern rühmt, leuchten an den Waldlern, diesen echten
Bajuwaren, ganz besonders hervor. Sie gehen nicht gern außer Landes, - man gedenkt der darum sprichwörtlich gewordenen Bodenmaiser - , sie haben viele Kinder, sie hegen aber auch einen ausgesprochenen Sinn für Schaustellungen und theatralische Aufführungen . Allenthalben haben sich Reste solchen Schaugepräges erhalten, und mancher ähnliche Gebrauch lebt nur noch in alten Sagen und Erzählungen fort.
Ein reizendes Fest
Ein derartiges Schaustück entfaltet der alljährlich am Pfingstmontage, wie einige wollen, schon seit dem Jahre 1412 eingeführte Pfingstlritt. Wo dieser Gebrauch, wie viele andere, bisweilen ihm sehr ähnliche, anknüpft, ob er ein Rest der alten heidnischen Tage ist, ob Gelübde in schweren Prüfungen die Christenheit hierzu veranlassten, ob ein Vorgang zu Grunde liegt, der an die Ballade vom Grafen von Habsburg erinnert, mag uns hier nicht beschäftigen. Es ist ein reizendes Fest, diese berittene Wallfahrt, und über dem eigenartigen Getümmel vergaß selbst Walther, den sein Wirt mitten in die lebendigen Handlungen hineingezogen hatte, auf Augenblicke das ungestüme Wogen seines eigenen Herzens.
Die Mittagssonne lag über dem breiten Thale des Weißen Regens, das die dichtbewachsenen Höhen des Kaitersberges, des Hohenbogens und des Haidsteins umschließen, von deren waldigen Wänden das auf einen in den Regen hinabfallenden Hügel erbaute, altehrwürdige Kötzting geschützt scheint. Aus der Ferne zeigte sich eine berittene Schar, die, von einer zahlreichen Volksmenge auf einem großen, freien Platze vor dem Markte erwartet, unter welcher sich Walther und sein Wirt befanden, in gemessenem Schritte herantrabte. Je näher sie kamen, desto lebendiger wurde es in der Menge, die ihrer harrte.
Heimwärts Wogt die Schar
Weit über hundert Mann, aus Kötzting selbst und der Umgegend stammend, hatten gegen acht Uhr morgens ihre stattlich gekämmten und geputzten Rosse bestiegen. Im priesterlichen Gewande, dochmit hohen Reitstiefeln angetan, ritt ihnen der Pfarrer voran, von einem gleichfalls berittenen, vom Posthalter ausgestatteten Kreuzträger begleitet. Der Priester hält die Monstanz, bisweilen auch nur ein
Kreuz, welches ein hübsches Kränzlein, aus Gold und Silberdraht gefertigt, ziert - der sogenannte "Tugendkranz". Scharen von frommen Wallfahrern folgen ihnen nach der vor mehr als fünf
Jahrhunderten geweihten Nikolauskirche in Steinbühel, die etwa sieben Kilometer weit von hier gelegen ist.
Die Ablesung der vier Evangelien gestattet dem Trosse eine viermalige Ruhe; bis sie das Ziel ihrer Wallfahrt erreicht haben. Dort entwickelt sich dann ein buntes Bild. Der Geistliche liest drinnen das
feierliche Hochamt, draußen aber um die Kirche herum stampfen und wiehern die ungeduldigen Rosse, an Pfähle und Bäume, Zäune und Mauern angebunden, indessen ihre Lenker im Heiligtum der Andacht obliegen. Ist mit dem feierlichen Segen das Messopfer beendet, so strömt die gläubige Menge aus der dicht gefüllten Kirche heraus, die Berittenen schwingen sich wieder gewandt auf ihre Rosse, und heimwärts wogt die Schar und ihr Gefolge in unabsehbarem Zuge, wie sie gekommen war. Wohl macht manchem sein etwas schwerfälliges Pferd zu schaffen, das er unter dem Drucke der glühenden Mittagssonne doppelt mühsam lenkt, aber die Dinge erwartend, die sich da weiter entfalten sollen, scheut er die Mühe nicht, und an Hitze ist das Landvolk ja mehr als an Kälte gewöhnt.
Anerkennung und Ermahnung
Näher und näher rücken sie dem heimatlichen Orte, wo hoch am Turme der Pfarrkirche die bayerische Fahne flattert, wo Böllerschüsse krachen und eine tosende Menge von allen Himmelsgegenden her sich eingefunden hat, deren viele nun schon seit Stunden auf dem Bleichanger stehen.
Unter dem Jubel des Volkes hat der Festzug die weite Ebene erreicht. Der Priester reitet in die Mitte des von den Wallfahrern und dem Volke gebildeten Kreises, hält eine längere oder kürzere Ansprache und fordert dann den Jüngling, der für dieses Jahr bestimmt ist, den "Sittenpreis" in Empfang zu nehmen, auf, hervorzutreten.
Mitten aus der Menge heraus macht der Gerufene sich und seinem Pferde Bahn, soweit sie ihm nicht freiwillig von den erfreuten Bekannten geräumt wird, reitet nicht ohne berechtigten Stolz vor den Geistlichen hin und erhält aus seinen Händen unter Worten der Anerkennung und Ermahnung für die Zukunft den "Sittenpreis". Die Klänge eines kräftigen Tusches, mehr oder minder reine Akkörde, verherrlichen ihm diesen unvergesslichen Augenblick, worauf der Zug wieder.in die Pfarrkirche zurückkehrt.
Zu verschiedenen Zeiten, besonders in den letzten Jahrzehnten, hat man allenthalben Versuche
bemüht, andere Feierlichkeiten daran zu knüpfen, alte Texte, wo solche. vorlagen, zu modernisieren und
ähnliche ins Gebiet der Spekulation der Gewerbe treibenden fallenden Beigaben zu erfinden, die bald den einfachen Grundzug zur Nebensache umgestalten. Der Freund des Volkes und seiner Geschichte muss solches, wo es geschieht, aufrichtig bedauern. Auch der einfache, doch so schmucke Pfingstlritt zu Kötzting ist seit lange mit der kirchlichen Feier nicht beendet. Der tugendsame Jüngling erscheint alsbald in anderem Gewande als .Pfingstlbräutigam", und unter reichem Gepräge zieht er in die Stadt, dankt dem Pfarrer für seine Wahl, dem Stadtoberhaupte für sein Kränzlein, des Landesfürsten wird mit einem Hoch gedacht, und der Bräutigam sieht sich nun um eine ,Pfingstlbraut" um, die er zum Gastmahle und zu dem darauffolgenden .Hochzeitsballe" führt. Der Tanz setzt sich auch des andern Tages fort, sodass das Volk des Marktes und der Umgebung sich lange schon auf das Pfingstfest mit vollem Rechte freuen darf.
Das ist nichts Kleines
Soweit die kirchliche Feier dauerte, war unser Gast, des schönen Bildes, dessen Zeuge er wurde, aufrichtig froh, an der Seite des Wirtes gestanden. Als der Priester die Worte laut ausrief: .Ich fordere den Bürgerssohn Xaver Meindl auf, hiermit den Tugendkranz zu empfangen", und dieser wie ein Ritter in die Schranken des Turniers hervorsprengte, da konnte sich der Wirt kaum mehr mäßigen. "Das ist der, Veri", sprach er zu seinem Begleiter, "ein Sohn von einer Schwester meiner verstorbenen Frau. 0 Marie, was wär das heute für eine Freude für Dich! Wissen Sie, Herr von Walther, das ist nichts Kleines. Drei junge Leute nennt der Bürgermeister, und nur den bravsten von den dreien sucht sich dann der Herr Pfarrer aus. Und wie er droben sitzt auf dem Gaul, wie wenn er seiner Lebtag geritten wäre. Ja, der Bub' hat einen Geist. Mein Weib hats allweil gesagt, aus dem wird noch was" . . .
Der Pfingstritt - Krone des Brauchtums
Wenn am Pfingstmontag an die dreihundert Reiter, Bürger und Bauern, das uralte Gelöbnis der berittenen Wallfahrt nach Steinbühl erneuern , erleben wir: ein kerniger, der Tradition seines Brauchtums bewusster Menschenschlag legt ein mächtiges und überzeugendes Bekenntnis zu seinem Herrgott und zu seiner Heimat ab. Ungetrübter Bürgersinn, bäuerliche Lebenskraft und tiefverwurzelte Heimatliebe sind seit Jahrhunderten der Hintergrund dieser religiösen Handlung, in der sich die Seele des Waldlervolkes in ihrem schlichten Wesen und ihrer inneren Frommheit offenbart . . .
(Karl B. Krämer)
Sommerglokken, Wiesenschaumkraut und Steinbrech, aus den Kornhalmen steigen die Ähren auf, und die Schmetterlinge schweben um die bunten Blüten. Da ist wohl mancher andächtiger als in der Kirchenbank, wenn er auch kaum ein Wort verstehen kann . . .
(Johann Linke)
(Dr. Sigfrid Färber)
Die Krone des Pfingstbrauchtums im Bayerischen Wald ist aber unstreitig der Kötztinger Pfingstritt.
Nicht als ob es hier nur eine Prozession zu Pferde gäbe. Solche sind bis in die katholischen Gegenden Norddeutschlands verbreitet. Aber die große Zahl der Reiter, der Reichtum des Schmucks von Ross und Mann, Bürger und Bauern in alter Tracht, das herrliche, im Maiengrün prangende Zellertal, durch das
der Ritt geht, und der nicht geringe Reichtum des mit dem Ritt verbundenen Brauchtums machen ihn für jeden Heimatfreund und für jeden Fremden zu einem unvergesslichen Erlebnis . . .
(Dr. Oskar Ritter von Zaborsky-Wahlstätten)
Ja. an dem Tag kommt es mir jedesmal vor, als fiele aufs neue in alle Herzen das Pfingstfeuer der Liebe und Gnade. Möge es an jedem Pfingstmontag aus unserem Wald hinausleuchten in die weite Welt . . .
(Eugen Hubrich)
Ein späterer Nachkomme des Autors und Wissenschaftlers Dr. Karl von Reinhardstöttner, lebte nicht nur auf dem im Text erwähnten Lixenried sondern hatte auch besonders enge Beziehungen zum Kötztinger Pfingstritt. Im Jahre 2016 erhielt er sogar die Auszeichnung für 25jährige Rittteilnahme.
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Foto Rabl-Dachs: Dr. Claus von Reinhardstoettner am Pfingstmontag 2016 am Kötztinger Marktplatz bei der Entgegennahme seiner Ehrenfahne. |
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Kötztinger Zeitung 5.7.2017 |