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Samstag, 9. Dezember 2023

Kötzting 1924

 In diesem Jahr ist es erneut wieder möglich, auf die Ausgaben der damaligen Kötztinger Tageszeitung, dem "Kötztinger Anzeiger" zurückzugreifen, der sich in einem - fast - lückenlosen Bestand in der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhalten hat.


In der Hyperinflation des Vorjahres war zwar ein Stillstand eingetreten, nichts desto trotz waren die nominellen Beträge des Papiergeldes fast unaussprechlich. Deshalb wurde mit Datum des 2.1.1924 zumindest mit einem Buchhaltertrick - sprich einer neu eingeführten Abkürzung der Währungsbezeichnung - dies etwas vereinfacht, in dem kurzerhand entschieden wurde, dass zukünftig 1 Billion Reichsmarkt 1 BillM entspräche und Beträge unter 10 Milliarden als "nicht geschrieben" eingeordnet werden müssten, also unter den Tisch fallen konnten. Nun war langsam auch wieder ein vernünftiges Wirtschaften möglich und so änderten sich auch sogleich die Geschäftsanzeigen, die im Vorjahr fast ausschließlich aus Ankündigungen von Preissprüngen bestanden.
Manche Gewerbebetriebe, vor allem die Brauereien und Wirtshäuser, stellten den Betrieb sogar zeitweilig ganz ein und konnten nun endlich wieder ihre Kundschaft bedienen.
Liest man manche der Geschäftsanzeigen etwas genauer, so muss man den Eindruck gewinnen, dass die meisten Gewerbebetriebe, Brauereien, Gaststätten, Bäckereien usw. gegen Ende des Vorjahres ihren Betrieb komplett eingestellt hatten, bzw. einstellen mussten.
Vereinsfeste konnten nicht mehr gefeiert werden, Jubiläen und Fahenweihen mussten abgesagt werden und all dies wurde nun nachgeholt.
So gut wie alle Gemeinden des Landkreises Kötzting  hatten für ihre Gefallenen des Weltkrieges besondere Gedenkstätten geplant, die dann aber als Baustellen brach liegen gelassen werden mussten. 
Es setzte ein kleiner Bauboom ein und sogar regelrechte Großprojekte wurden ins Auge gefasst. 
Das ganze Jahr hindurch reihten sich nun Feste, Bälle, Einweihungen, Fahnenweihen und Geschäftseröffnungen. Kötzting versuchte vieles nachzuholen und dies erinnert auch ein wenig an die bekannten 20er Jahre in Berlin.
In diesem Beitrag werden nun manche der Neu- und Wiedereröffnungen aufgeführt, wobei es schon überraschend ist, dass offensichtlich sogar die Bäckereien ihren Betrieb eingestellt hatten. 
Da es im Jahre 1923 im zweiten Halbjahr viele Anzeigen der Bäckereien gegeben hatte, die alleine das Ausbacken fremder Teige annoncierten, kann man rückschließen, dass es ihnen gar nicht mehr möglich gewesen war, Rohware - sprich Mehle - in großem Stil zu erhalten und es den Kunden überließen solches zu kaufen und sie danach nur noch deren Waren ausbuken.

 










Wintersport in Kötzting

Das Kötztinger Pferdeschlittenrennen

Anfang Januar gab es 1924 anscheinend ausreichend Schnee - auf dem Arber waren 250 cm gemeldet -, denn für Sonntag, den  13. Januar wurde von einem "Renncomite" zu einem großen Pferdeschlittenrennen auf der Auwiese eingeladen. Bei den Veranstaltern des Rennens waren die neuen Währungsabschläge jedoch noch nicht angekommen, weil diese noch von "schönen Preisgeldern  von 10 Billionen abwärts" sprachen.



KA vom 8.1.1924

Hier das Ergebnis dieses Rennens:



 Nach dem großen Erfolg des Schlittenrennens, kam es 3 Wochen später zu einer Neuauflage:







Und weiter gings mit den Winteraktivitäten


Vom Kaitersberg - bzw, - vom Reitenberg herab wurde ebenfalls ein Schlitten- und Skirennen organisiert, wobei die Kombination dieses Sportereignisses mit einem Wurstball - in der Reihenfolge zuerst Wurstball und dann anschließend eine Bergrennen - sicherlich spektakuläre Bilder für die Zuschauer geboten hatte. 


Nicht nur herunter von Reitenstein, auch herab vom Ludwigsberg gab es damals eine Rodelbahn, die auch sehr gerne von Erwachsenen ge- und benutzt wurde und offensichtlich in den Kurvenbereichen gar nicht " so ohne" gewesen war, wie manche Unfallberichte zeigen. Ein Schlitten, besetzt mit drei Herren, war vermutlich eher ein Zugschlitten zur Winterarbeit und möglicherweise nur schwer zu lenken.


Die drei "Herren" waren sicherlich nicht mit solch einem Stuhlschlitten unterwegs gewesen, der sich eher dafür eignete, Kleinkinder im Schnee zu schieben. Ich erinnere mich noch gut daran, dass solch ein Schlitten bei uns Zuhause als "Deko" in einer Ecke des Treppenaufganges stand, ochsenblutrot lackiert und mit einer weißen Schubstange versehen.

In den Zeiten, als ununterbrochene Kühlketten noch nicht erfunden waren, konnten Fische nur in "eingelegter" Form bis weit herunter ins Binnenland transportiert werden. Wenn die Ware dann endlich eingetroffen war, war dies ein Fall für eine Werbeanzeige der größeren Kötztinger Lebensmittelhändler..


Im Jahre 1924 war Julius Kirschner mit seinem Laden noch gleichberechtigt mitten unter seinen Kollegen gestanden, dies sollte sich schlagartig mit dem Januar 1933 ändern.
Es ist genau DER Julius Kirschner, den man mit Fug und Recht als "Mister FC-Kötzting" bezeichnen darf, denn ohne ihn und seine Tatkraft würde es den Kötztinger Traditionsverein gar nicht geben. Mit Mut, Energie und privatem Geld hat Julius Kirschner den FC Kötzting bis hinein in das Dritte Reich angeführt und massiv unterstützt. 
Das Ergebnis der Vorstandswahl bestätigte Julius Kirschner in seinem Amt als 1. Vorsitzender. Sein Stellvertreter wurde der Metzgermeister Josef Barth.


Hierzu passt dann auch noch das Riesenprojekt, dass der FC- Kötzting unter der Leitung von Julius Kirschner und dem Kötzting Orchesterverein geschultert hatte, eine waschechte Operette, "die Winzerliesl" wurde im März 1924 im Januelsaal gleich mehrmals gegeben und durch den ausführlichen Zeitungsbericht, der über diese Aufführung und deren begeisterten Aufnahme schrieb, können wir ein auf das Jahr 1924 datiertes Bild einer Kötztinger Theatertruppe auch dieser Operettenaufführung zuordnen.


DIA-Repro 414: ganz links haben wir an der Trommel Sperl Schorsch und in dem dritten Herrn von rechts mit Krawatte und Oberlippenbart haben wir unseren Julius Kirschner.

Nicht nur die Geschäfte, Handwerker und Wirtshäuser atmen nun mit dem Jahreswechsel und dem damit verbundenen Ende der Inflation laut hörbar auf auch private Projekte werden nun angeschoben und eines davon ist ein spektakuläres riesiges Multifunktionsgebäude, dass Michael Herre in der Bahnhofstraße plante. Im Februar 1924 stellte er seinen Plan, einen "großen modernen Saal" zu bauen beim Marktrat vor und erhält von diesem nicht nur grünes Licht, sondern auch die Zusage, solch einen Bau auch mit einem markteigenen Darlehen in Höhe von 80000 Mark zu unterstützen, "falls ein solches überhaupt und zu annehmbaren Zinsfuß zu erhalten ist."

Solch ein Multiplexhaus stünde heutzutage in der Bahnhofstraße

.......leider ist dieses Großprojekt über die Genehmigungsphase nicht hinausgekommen.



Es steht zu vermuten, dass das die Planung und das Genehmigungsverfahren aus den Jahren 1924 und 1925 ein Opfer der Weltwirtschaftskrise geworden sind, denn grundsätzlich stand die Ampel von Seiten des Magistrats bereits auf grün. Eine andere Erklärung dafür, dass aus diesem tollen Projekt nichts wurde, könnte auch sein, dass ziemlich zeitgleich auch der Kötztinger Turnverein sein Projekt mit dem Bau einer Turnhalle betrieb, und damit ja ein großer Saal in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen würde.

Eine mir bis dahin vollkommen unbekannte "Kosmosgemeinde" hielt am 5.3.1924 im Gasthaus Decker einen Bildervortrag und ich musste selber erst recherchieren, was sich hinter diesem Namen verbirgt. Es ist dies eine Naturschutzparkbewegung, die lt. Wikipedia im Jahre 1912 bereits über 100000 Mitglieder aufwies.




Johann Hubrich
, Forstmeister,  Ehrenvorsitzender des Kötztinger Männer=Gesangsvereins und bereits seit dem Jahre 1897 Ehrenbürger des Marktes Kötzting  feierte am 8. April seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurde ihm am Abend ein Fackelzug mit Ständchen des Männer=Gesangsvereins dargebracht.

DIA-Repro 559 Johann Hubrich Kötztinger Ehrenbürger


Es ist allgemein festzustellen, dass nach dem schieren Überlebenskampf im Jahre 1923  - mit der explodierenden -  Hyperinflation nun regelrecht schlagartig die Menschen wieder feiern wollten. Es gab Wurstbälle landauf und landab, es wurden Konzerte angeboten. 
Sogar nur eine Woche vor dem Osterfest, stieg eine große Jubelfeier. Der Bayerische Kriegerbund ferite sein 50jähriges Jubiläum und das mit einem "Zapfenstreich mit Serenade vor den beiden Kriegerdenkmälern" am Vorabend. Danach konnte die Kötztinger Musikkapelle den neuerbauten Graßl-Saal schon einmal einweihen. Am nächsten Morgen um 5 Uhr früh dann der Weckruf mit Böllersalven, einer Festmesse vor St. Veith. Es wurden Bundesgedenkmünzen verteilt und danach schritten 300 Besucher zum Festmahl. 

Nur dem schlechten Wetter war es geschuldet, dass das  geplante "Familienprogramm" am Dregerkeller ausfallen musste. Die Teilnehmer wurde dann aber durch einen zweiten Festabend im Graßl-Saal belohnt, bei dem der Männergesangsverein Kötzting und die Musikkapelle Kötzting ein Konzert gaben.
So knapp vor dem Pfingstfest eines solch große Veranstaltung anzusetzen und auch die Menschen erkennbar anzuziehen, zeugt davon, dass die Bevölkerung einfach wieder Freude am Leben haben wollte, und das ging 5 Tage später gleich so richtig weiter.

Pfingsten 1924 


Pfingsten kommt näher und Kötztinger hatte gerade noch rechtzeitig einen neuen Saal erhalten - vielleicht war auch dieser neue Saal, zusammen mit der projektierten Turnhalle - einer der "Sargnägel" für das Großprojekt Herre Michaels. Jedenfalls stand im Kötztinger Anzeiger in einem Vorbericht für Pfingsten:" Dank der Unternehmungslust und trotz der riesigen finanziellen Opfer unseres Mitbürgers Herrn Franz Graßl ist es zustandegekommen, einen geräumigen 160 Quadratmeter faßenden Saal mit Gallerie herzustellen, der 8 Tage vor Pfingsten seiner Vollendung entgegensieht. Wirklich eine begrüßenswerte Idee und ein unbedingt notwendiges Bedürfnis dieses Saalbaues in unserem schönen markte Kötzting."

StA Landshut Baupläne Landkreis Kötzting
Ebenfalls gerade noch zu Pfingsten hatte Karl Kollmaier, der Besitzer mehrerer Gaststätten in Kötzting für seinen "Kollmaierkeller" - heute Bärwurzerei Liebl -  einen neuen Pächter bekommen, der gleich mit einer großen Einstandsfeier seinen Keller eröffnet.

Und dann war Pfingsten auch schon da.

Das Kötztinger Pfingstprogramm umfasste nur die drei Tage von Pfingstsonntag bis zum Dienstag, ein Volksfest wurde erst im Jahre 1949 eingeführt und auch erst 1950 auf eine ganze Woche ausgedehnt.
 
Das Pfingstprogramm von 1924

Kötzting, 11. Juni ....... Begünstigt von einem herrlichen Wetter wurde dieser Festtag frühmorgens eingeleitet durch Weckruf. Gegen halb 8 Uhr strömten in ganz gewaltigen Massen bereits die Teilnehmer aus Nah und Fern herzu um zu schauen diese altherkömmliche Sitte, dieses tiefreligiöse Schauspiel, eine Bittprozession zu Pferd. Unter Vorantritt der Kötztinger Musikkapelle erfolgte gegen halb 8 Uhr der Ausritt voraus ein Kreuzträger, zwei Laternenträger und zwei Signalisten, dann der amtierende Geistliche ihm folgend die Pfingstreiter, nahezu 300 an der Zahl aus der engeren und weiteren Umgebung hinein durchs schöne Zellertal zum Nikolauskirchlein nach Steinbühl unter Absingung der 4 hl. Evangelien. In Mustergültiger Ordnung und tadelloser Einteilung bewegte sich der Zug aus kräftigen Männerkehlen Gebete vernehmen ein altes Versprechen unserer Väter nach Männerart einlösen und den ererbten Brauch auf neue zu bekräftigen. In Steinbühl zelebrierte der fungierende Geistliche eine Feldmesse welche den verstorbenen Pfingstreitern für deren Seelenruhe aufgeopfert wurde. Welchen Pfingstreiter mußten hier bei diesem ernsten Moment bei dieser erhebenden Andacht die alten Pfingstreiter nicht ins Gedächtnis kommen, die mit eiserner und zäher Ausdauer durch ihre Beteiligung den Pfingstritt durch ihr vielmaliges Mitreiten verschönerten. In Kötzting fand zu gleicher Zeit bei St. Veit eine Feldmesse statt, bei der Marktgemeinderat und sämtliche Vereins sich beteiligten. Gegen 1 Uhr kündigte Glockengeläute die Rückkehr der Pfingstreiter an, die dann unter den Klängen der Musik und unter den Vorantritt der Behörden und Vereine zum Bleichanger geleitet wurden, wo der herkömmliche Festakt " die Ueberreichung des Pfingstkränzchens" erfolgte. Nach vorausgegangener Festansprache übergab Herr Kooperator Goller, als amtierender Geistlicher das Tugendkränzchen dem Bürgers= und Lohnkutscherssohn Herrn Paul Gerstl für dessen tadellose und sittenreine Vergangenheit. Für 40jährige Teilnahme am Ritte ein Band Hofmann Ignaz, Fuhrwerksbesitzer von Kötzting. Für 25jährige Teilnahme am Ritte eine Fahne: Preiß Franz, Oekonom in Kießlau, Freimuth Franz, Oekonom in Bärndorf, Mühlbauer Johann, Kaufmann in Steinbühl, Meimer Georg, Oekonom in Höfing, Fischer Johann, Oekonom in Wettzell, Graßl Franz, Oekonom in Thalersdorf, Wieser, Oekonom in Tanzstadel bei Viechtach. Mit dieser Uebergabe schloss der offizielle, religiöse Teil des Pfingstrittes. Der Einzug durch die Markt= und Herrenstraße und die Auflösung in derselben beendete den Ritt. Nachmittags 5 Uhr fand der übliche Burschenzug und die darauffolgende Abholung der Pfingstbraut, Frl. Anna Schmidt, Posthalterstochter von hier durch die beiden Brautführer Herrn Karl Kollmaier und Herrn Franz Winter statt, welcher Zug heuer durch die reizende Begleitung von weißgekleideten Mädchen, Fräuleins und Jungherren in schwarzer Wichs einen besonderen Eindruck machte. Nach Beendigung des Burschenmahles nahm unter äußerst stärker Beteiligung im neuerbauten Graßl-Saale die Pfingsthochzeit ihren Anfang. Pfingstdienstag wiederholte sich Burschen und Brautzug und wieder Hochzeit.

Auch der FC- Kötzting versuchte an den Pfingstfeiertagen ein besonderes Programm anzubieten, wobei man berücksichtigen muss, dass es den Sportplatz in der Auwiese noch nicht gegeben hatte. Das heißt, dass auf dem "Bleichanger" - heute der Jahnplatz und an Pfingsten belegt mit den Bierzelten und den Schaustellern - am Pfingstsonntag 2 Fußballspiele ausgetragen worden waren und am Pfingstmontag nach der Feldmesse - aber zuverlässig beendet vor dem Einritt der Pferde - sogar ein besonderes Spiel des Jahn Regensburg gegen die 1. Mannschaft des FCs angesetzt war.
Nachdem die ca. 300 Pferde nach der Kranzlverleihung den Platz wieder verlassen hatte, musste diese3r vermutlich erst wieder "leicht" restauriert werden, bevor die nächsten Punktespiele angerichtet werden konnten. 
Beide Themen, der Jahnplatz mit der Turnhalle und die Anfangsgeschichte des 1. FC-Kötzting sind bereits einmal Themen in diesem Blog gewesen.


Nach Pfingsten folgte wie immer das Fronleichnamsfest, bei dem es ja auch üblich gewesen war, am Vorabend einen Fackelzug zu Ehren der Geistlichkeit zu veranstalten und nach der feierlichen Prozession gemütlich einzukehren. In diesem Jahr war sogar geplant, beim Dreger-Keller ein Konzert zu veranstalten. 
Damit bei der vormittäglichen Prozession auch Jedermann wusste, wo sein "richtiger" Platz war, wurde die Zugordnung vorher in der Presse veröffentlicht.

Zwar nicht aus dem Jahre 1924, aber schon wenige Jahre später haben wir eine Bilderserie - von Josef Barth - die uns diese strenge Prozessions=Zugordnung zeigt.
Foto Josef Barth Fronleichnamszug nach 1933

Foto Josef Barth Fronleichnamszug nach 1933

Vom  31.Mai bis zum 2.Juni war das große Kriegerjubiläum.
Vom 8. bis zum 10 Juni war dann das Pfingstwochenende
Am 16.6. dann - das darauffolgende Wochenende-  das traditionelle Kirchweihfest in Grafenwiesen ebenfalls mit einer "kleinen Verlängerung", dem Kirchweihmontag..


Einschub
Zu Anfang des Jahrhunderts musste der jeweilige Pfingstbräutigam noch unterschreiben, dass er mit seinen Begleitern NICHT zu einem Ausflug zur Kirchweih in Grafenwiesen  aufbrechen würde.
Es ist natürlich nach der Doppelpfingsthochzeit und den damit anstrengenden Pfingstfeiertagen schon verführerisch, am drauffolgenden Wochenende - mit frischen Kräften - noch eine muntere Veranstaltung dranzuhängen. Dass diese Verpflichtung des Pfingstbräutigams ausdrücklich in all den frühen Jahren gleichlautend überliefert ist, lässt natürlich darauf schließen, dass sich solch ein "Emausgang" nach Grafenwiesen in den Jahrzehnten zuvor eingeschlichen und ein klein wenig zur Regel gemacht worden war. 
Einschub Ende
Am 19.6.war dann Fronleichnam mit dem Konzert im Dregerkeller.
Zwei Wochen später - am 28. und 29. Juni -  hatten die Kötztinger dann die Qual der Wahl, am Samstag stand eine große Sonnwend-Feier an und gleich am Sonntag luden die Grafenwiesener erneut ein, das vom Kötztinger Bildhauer Eberhard Schäfer geschaffene Kriegerdenkmal sollte endlich enthüllt und eingeweiht werden.

Am drauffolgenden Wochenende kam es zu einem ersten öffentlichen Konzert im neuen Graßl-Saal

Und schon am Wochenende drauf waren die Kötztinger Vereine schon wieder im Einsatz, in Reckendorf lud die Feuerwehr von Bärndorf zu ihrer Fahnenweihe



Am nächsten Tag, Sonntag den 13. Juli begann im Kollmaierkeller ein Preiskegeln.


Gleich am Tage nach Abschluss des Preiskegelns wurde die Ergebnisliste veröffentlicht, mit Preisen, die im Jahr noch nicht gespendet hätten werden können, weil in den Wochen zwischen Ankündigung und Beendigung des Preiskegelns sich die Preise vervielfacht hätten und daher niemand diese Preise gespendet bzw. verkauft hätte.

 
Wie sehr der Wirtschaftsbetrieb durch den Zusammenbruch im Vorjahr gelitten hatte, kann man an vielen anderen Anzeigen ersehen. Die große Bäckerei Stemmer  am Marktplatz - später die Dampfbäckerei Pongratz -, gibt erst im Juli bekannt, dass er seinen geschlossenen Betrieb wieder eröffnen möchte.
Der "Röhrl" - heute die Fahrschule Schmidt - eröffnet beim Achtler - Gaststätte Pfeffer - seine KFZ- Reparaturwerkstätte und auch der Lembergerkeller geht wieder in Betrieb.



Der Turnverein Kötzting kündigte die Gründung einer Damenriege an und bereits wenige Jahre später traten diese Kötztinger Frauen bei Veranstaltungen auf.



DIA-Repro 583
Die Kötztinger Damenturnriege zusammen mit ihrem Vorturner, dem damaligen Bezirksamtmann Ludwig Thoma zu dessen Abschied im März 1931
von oben links 1. Reihe 2.v.links Pagany Else,
2. Reihe Mitte Wühr Fanny, rechts Weingut,
3. Reihe Pagany Minna und Bergbauer Rosel,
4. Reihe Röhrl Linerl, Herre Rosel, Brunner Fanny, Praller Lina, Pagany Maria, ?
5. Reihe Pleier Gusti, Pagany Betty, Heigl ?, Herr Thoma, ?,?,
6. Reihe Hofmann Maria (Großmann) Zahorik, Wühr Marerl

Die im August angekündigte Gründung dieser Turnerriege zeigte bereits 8 Wochen später bei einem Bunten Abend im neuen Graßl-Saal erste Erfolge, als am Ende dieses Abends und damit eigentlich als Höhepunkt, "Stabübungen der Damenriege" angekündigt waren.




Das Großprojekt des Michael Herr geht in die nächste Phase, in der Marktratssitzung vom September werden gleich zwei seiner Anträge positiv beschieden.


Der Name Adventskranz hatte sich offensichtlich im Jahre 1924 - zumindest in Kötzting - noch nicht eingebürgert, denn am 17. Dezember wurde ein "Weihnachtsreifen aus der Gärtnerei Plötz" extra im Schaufenster des Herrn Max Oexler ausgestellt und dem Publikum empfohlen.


So bleiben für die Jahreschronik noch zwei große Themen, zum ersten die Großbaustelle am Höllensteinsee. Um sich dieses einmalige Unternehmen auch gut ansehen zu können, machte sich der Kötztinger Waldverein sogar die Mühe und erneuerte seine Markierungen am "Höllensteinweg" durch das Bärnloch.

Aus der privaten Sammlung von Josef Hartmann haben wir die folgenden spektakulären Fotos aus den Anfangsarbeiten dieser Großbaustelle erhalten, die Hochbauten entstanden erst im drauffolgenden Jahr.
Sammlung Hartmann

Sammlung Hartmann


Natürlich erfuhren die Kötztinger auch alles wichtige aus der großen Politik und so fallen bis April 1924 die regelmäßigen Prozessberichte über die Aufarbeitung des Hitler-Ludendorff-Putsches vom Herbst des Vorjahres auf.





Trotz der Verurteilung ihrer "Leitfiguren" trat bereits im Sommer die umbenannte Partei Adolf Hitlers bei den anstehenden Wahlen an und bildete auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Zusammenschlüsse. 
Fast wöchentlich lud diese neue Gruppierung unter dem Namen "Völkischer Block" zu Wahlversammlungen in die verschiedensten Kötztinger Wirtshäuser. Bei der anschließenden ersten Reichstagswahl - Anfang Mai 1924 -  blieb sie jedoch im Bezirk Kötzting weit unter der 10 Prozent Marke. 



Bei der nächsten Reichstagswahl, Anfang Dezember 1924, bei der zeitgleich auch die Kötztinger Bürgermeister und Marktgemeinderatswahl stattfand, fungierte sie lokal unter dem Namen "Gemeinnutz vor Eigennutz". Interessant bei dieser Wahl ist, dass es neben den großen politischen Gruppierungen sogar "persönliche" Wahllisten gegeben hatte. Michael Herre stellte eine eigene "Liste Herre" auf, für die sich 8 Männer hatten eintragen lassen, mit Michael Herre an der Spitze. 
Auch für das Amt des Bürgermeisters gab es mehrere Kandidaten:






Am Schluss dieses Jahresreigens noch ein paar Anzeigen, die vielleicht auch zum Rückblick auf das Jahr 1924 gehören.



Die Gänskragenwiese ist die große Flussschleife hinter dem Kötztinger Flussschwimmbad.


Der Lichtenegger Autor Johannes Linke hat in seinem Buch " Ein Jahr rollt über das Gebirg" das - leicht - unvernünftige und neidhässige Verhalten der Rimbacher Holzbitzler herrlich beschrieben. Viele - vermutlich alle - seiner Episoden beruhen auf einer wahren Begebenheit, die er in den zwanziger Jahren selber erlebt hatte oder die ihm zugetragen worden waren. Eine jedenfalls spielt vor und während einer Holzauktion des Kötztinger Finanzamtes und es könnte durchaus genau die aus dem Jahre 1924 gewesen sein, die in der Presse angekündigt wurde. Ich kann das Buch jedenfalls nur jedermann wärmstens empfehlen, es ist einfach ein Genuss.



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