Vor ca. 240 Jahren gab es sehr stürmische Zeiten zwischen Kötztinger und Reitensteiner Bürgern und Alles begann mit dem Testament Johann
Bartholomäus Görrings auf
Hochtreßwitz, dem Besitzer der Hofmark Reitenstein, das er am 18.02.1762 geschrieben und bei den Behörden hinterlegt hatte.
In diesem Schriftstück wurden neben
vielen Seelenmessen und
Jahrtagen für
sich und seine bereits verstorbenen Familienangehörigen auch mehrere kostspielige
Geldlegate vereinbart. Verschiedene Kirchen und Kapellen erhielten genau
bezifferte Zuschüsse für Umbaumaßnahmen (siehe die Kötztinger Kirchenglocke) versprochen,
vielen Einzelpersonen wurden üppige Geldzuweisungen zugesagt und auch seine Verwalter und manche seiner Angestellten wurden großzügig bedacht. All diese Summen
sollte der Universalerbe auszahlen, welcher dafür dann die Hofmark Reitenstein mitsamt
den dazu gehörigen Untertanen und all dem übrigen Vermögen erhalten sollte.
Dieser Universalerbe sollte nach dem Willen von Göhrings der Markt Kötzting sein.
Rund 10 Jahre nach Testamentslegung verstarb Bartholomäus Görring am 01.03.1772
und damit begann in Kötzting eine Entwicklung, die die Bürgerschaft in zwei
zerstrittene Lager spaltete, denn mit der Hofmark Reitenstein und dem „übrigen“ Vermögen hatte es so seine Sache.
Kurz gesagt einigten sich 16 Kötztinger Bürger - in Abwesenheit des damals mächtigen Kammerers Samuel Luckner- zusammen mit der Regierung in Straubing darauf, mit privatem Kapital und mit einer Hypothek auf Kosten der Marktkasse eine Summe aufzubringen, welche die Forderungen der außenstehenden Begünstigten zufriedenstellen würde. Bei diesem Handel gewannen die 16 Kötztinger Marktlehner Wald - und Wiesengrundstücke hinzu. Frei verkäufliche Grundstücke waren in Kötzting so gut wie gar keine vorhanden und hier sahen ein paar Bürger die gute Möglichkeit sich zu vergrößern. Auch die Regierung in Straubing wollte die Sache endlich vom Tisch haben - die im Testament mit Geld Begünstigten beschwerten sich bereits bei der Regierung, weil die Vermögensaufteilung durch den Markt Kötzting einfach nicht einsetzen wollte - und forcierte diesen Handel. Allerdings hatten beide Seiten - also die Regierung in Straubing und die 16 Kötztinger Anteilseigner, die Rechnung ohne den Kammerer Luckner gemacht und so dauerte der Streit dann von 1772 bis fast zur Jahrhundertwende an und stiftete viel Unfrieden innerhalb Kötztings aber auch zwischen den Kötztingern und Reitensteinern selber. Letztere hatten sich die Zeit zu nutze gemacht und im, durch die langandauernden Prozesse praktisch, rechtsfreien Raum, solange eben immer wieder vor Gericht alles neu verhandelt werden musste, versucht Fakten zu schaffen und sich dann Nutzungsrechte in den Wäldern und auf den Wiesen einfach angeeignet.
Die Reitensteiner Anteilseigner unter den Kötztinger Bürgern, welche auf dem Weg von ihren Grundstücken nach Hause durch Reitenstein hindurch fahren wollten, wurden attackiert und teilweise schwer verletzt.
Hier soll nur ein kleiner Teil der Streitigkeiten angeführt werden, wer sich intensiver mit der Geschichte beschäftigen möchte, kann dies ausführlich in den "Gelben Bänden" machen.
Schon 12 Jahre ging der Streit munter hin und her und 1784 war endlich ein
Vergleich zwischen den Hofbaukäufern und den Reitensteiner Untertanen
geschlossen worden, in der Form, dass die Untertanen während
der laufenden Verhandlung je eine Hälfte des benötigten Laubstreus in
den Birkenbergen und
die andere Hälfte im Schwarzholz holen
sollten. Der Ärger nahm aber trotzdem kein Ende.
Erneut bat die
Prozesszwangsgemeinschaft der Anteilseigner um eine beschleunigte
Prozessführung, denn je länger den Reitensteinern erlaubt werden würde zu
prozessieren, umso mehr würde deren Mutwillen zunehmen. So hätten sich erst am
gestrigen Mittwoch den 23 9bris 1785 sammetl. Unterthannen, jung und alt, wider
unsere Mitconsorten, die um Birkensträhe durch das Dorf zufahren im Begrif
waren, mit erschröcklichen Tremmln, Brigln, Mistgabln, und anderen
Mordinstrumenten zusammengelauffen und einen ärger als den anderen beschädigt
haben.
- Franz Seiderer, lediger Peckenssohn wurde mit
einem mächtigen Tremmel so gewaltig zu Boden geschlagen, dass er Knall und
Fahl auf der Strasse zusammen falle und man über eine Viertel Stund lang
kein Zeichen eines Lebens mehr an Ihme verspürn kunnte.
- Jakob Fischer, Schreinerssohn wurde mit einem
Scheid Holz auf die Stirn geschlagen, dass das Blut gleich einem
Rohrprunnen herausgesprizet, und mit deme nit genug, schlugen ihme ein
andrer das Schulterblat fast entzwey
- Stephan Dimpfl, bürgerlicher Metzger musste
erfahren, dass ihme ein Arm zerschmettert wurde, dessen Sohn aber wurde
der Kopf voller Löcher angeschlagen, dass der ganze Kopf abgeschoren
werden musste, um nur die vielen Wunden auseinanderzukennen.
- Wider Michael Liebl, Ratsfreund Sohn wurde sogar die
Mistgabl gebraucht und ihme hiermit mehrere Löcher Rückwärts in das dicke
Fleisch gestochen.
Hätten die Opfer
den Reitensteiner Untertanen einen Anlass gegeben, so wäre wenigsten eine
kleine Entschuldigung vorhanden, meinten sie, aber weder mit Worten noch mit
Werken hätten die unschuldig Verwundeten und nunmehro schmerzlich unter dem
Bader liegenden Personen nur den geringsten Anlass
gegeben.
Sie hätten nichts
falsch gemacht in Werken, weil sie den Bereich, der den Reitensteinern zum
Strährechen zugewiesen worden war, mit keinem Fuss betreten hätten und
nicht mit Worten, weil sie eh nur 5 an der Zahl waren und durch den
unvermuteten Zulauf sammetlicher Unterthannen, durch den scheuslichen Anblick
ihrer mörderischer Waffen und durch das Anhören ihres wittenden (=wütenden)
Geschreys viel mehr ertattert und nichts anders als um Rhue und Frieden und um
ihr Leben gebeten haben.
So weit war es also
nun gekommen, dass sogar tätliche Auseinandersetzungen möglich wurden und es
nur dem Zufall zu verdanken war, dass es noch keinen Toten gegeben hatte
sondern nur einige Kötztinger Bürger sehr schwer verletzt waren.
Die Kläger erbaten
für ihre eigene Sicherheit die Einquartierung von militärischer Exekution, die
Kötztinger Bürger wollten also unter dem Schutz von Soldaten ihre Einstreu nach
Hause in die Städel fahren. Die Reitensteiner aber sollten all diese Kosten
übernehmen müssen, zusammen mit den Arztrechnungen und allen Verfahrenskosten.
Ausdrücklich aber erwähnte die Klägerseite der Anteilseigner, dass die Sache
sicher schon längst erledigt gewesen wäre, würde nicht das Pfleggericht in
Kötzting sondern ein anderes Pfleggericht oder sogar Straubing die Kommission
zur Untersuchung bilden, weil das Pfleggericht in Kötzting untätig dem Treiben
der Reitensteiner zusähe.
Auch in Kötzting selbst schlugen die Wogen hoch, bei vielen der Anteilskäufer, die Geld auf ihre Kötztinger Häuser aufgenommen hatten um die Anteile erwerben zu können und die noch nichts aus ihrem Besitz herausholen konnten um sich zu refinanzieren, lagen die Nerven blank und so kam es sogar zu Übergriffen auf den in ihren Augen Hauptsschuldigen: auf den Kammerer Luckner:
Unter anderem aus Luckners Feder selbst kennen wir den Vorgang - natürlich berichtet er seine Sicht der Dinge:
Undank ist der
Welten Lohn, so meinte er,
als er das Opfer eines tätlichen Angriffs in seinem eigenen Hause, ja in seiner
Amtsstube, geworden war. Wohlweislich verschwieg er den eigentlichen
Hintergrund dieses Angriffs auf sich, sondern führte nur den, für ihn
sicherlich schmerzlichen, für den Hauptvorgang aber vollkommen unerheblichen
Übergriff von fünf Bürgersfrauen auf ihn in seinem eigenen Haus an.
So berichtete er,
empört über so viel Undank: „als ich nämlich als qua amtierender Kammerer im
Jahre 1783 und zwar den 5 April Fastenzeits höchst landesherrliche Gefäll
(=Steuern) der weitteren Versendungs Willen in meiner Wohnung gewöhnlichermaßen
einnehme, rotheten sich 5 Weiber von denen Raithensteinischen Theilhabern
zusammen, wartheten den Zeitpunkt ab, wo niemand fremdter als sie allein da
waren, da ich nun von selben die Einschreibbüchl und ihre Schuldigkeit
abbegehrte wagte es des Hans Georg Auzingers Eheweib mich rückwärts ins Gesicht
und in die Augen nach ihren Kräften zu schlagen, welcher auch die Übrigen
beygefallen und so viel ihnen möglich beleidiget haben, bis endlich ich mich
durch Beyhilf meines Eheweibs von ihnen losgerissen, wonach selbe sich aus dem
Staub gemacht, auf der Gassen aber noch mit Steinen und Sand, kurz mit deme was
sie erwischt auf mich geworfen“.
Die Männer der 5 "Damen" saßen bei dem ganzen Vorgang "zufällig" auf der Kirchenmauer und wussten angeblich nichts von dem Vorhaben ihrer Ehefrauen......
Was sind nun diese Reitensteiner Anteile und wer hat diese erworben.
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Entwurf für den Neubau des Reitensteiner Amtsgebäudes Plan im Stadtarchiv Kötzting |
Gleich als Luckner von seiner Geschäftsreise zurückgekommen und die Bescherung gesehen hatte, hat er den Vorgang für die erste Prozessserie beschrieben und dort auch die Namen der Anteilseigner aufgeführt:
Rentmeister
Ellersdorfer, schrieb er empört, hätte sich
wider alle klare Intention des Erblassers nach Kötzting begeben und anstatt der
Verfiegung dass ieder bemittelt oder unbemittelte Bürger, nach proportion
seines Innhabens ... etwas von dem Grund und Boden hätte bekommen sollen, unter
Anführung des allhießigen Marktschreibers und zugleich Reittensteinischen
Verwalters Georg Kajetan Magerer welcher kein Bürger und dabei de genere
prohibitorum(allgemein verboten) ist, dass weder Beamte noch andere Bediente in
dem ihnen anvertrauten Jurisdiktions Gezürk Gründe besizen derffen,
nachfolgenden fünfzehn Burgern inclus: deß Marktschreibers als Theillhabern 16
benanntlich letzberieten
Kajetan Magerer,
Josef Fischer Amtkammerer,
Franz Seiderer des
Rats,
Baptist Fabrici auch
des Rats,
Joseph Weiss iniglich des Rats,
Egidi Fischer eben
des Rats,
Michael
Rabenbauer zweimal, als Marktlehner und als Inhaber der Wiesmühle,
Michael Stadtler,
Michael Wagerer,
Anton
Schillinger,
Michael Liebl,
Georg Auzinger,
Adam Münch,
Joseph
Henneberger,
Stephan Dimpfl,
Franz Irlbacher,
zusammen 16
Köpfen, dass Hofgebäu cum pertinentiis dann die Schwarzwaldung zu 80 Tagwerch
nebst aller mobiliarschaft Eydlich estimierter maßen... per 6000 fl verkauft.
Anhand der Bürgerliste und der Verteilung im Plan weiter vorne sieht man dass es die Kötztinger
Marktlehner, also die obersten Bürger der dreigliedrigen Bürgerschaft Kötztings, waren, die sich die Wälder auf dem Kaitersberg aneignen wollten.
Der ganze komplexe Vorgang kann in den "Gelben Bänden" nachgelesen werden. Diese Bücher können beim Verfasser hier oder über die Kulturabteilung im Landratsamt Cham bezogen werden. Traditionell im März wird der jeweils neue Jahresband in abwechselnden Gemeinden des Landkreises Cham vorgestellt. Natürlich sind die Bände auch in den Kötztinger Buchhandlungen und in der Kurverwaltung vorrätig. Manche der Bände sind vergriffen, viele der älteren, aber wegen des Inhalts natürlich zeitlosen, Bände sind aber noch erhältlich.
Auf einer
Nebenseite meiner Homepage kann auch der Inhalt der älteren Bände eingesehen werden.
Was aber hat sich nun Neues ergeben, dass ich hier das Thema noch einmal aufgreife: ich habe einen wunderschöner kolorierter Plan der Anteilsverteilung gefunden und dieser Plan sagt viel aus über den Zustand des Waldes im allgemeinen damals und des Kaitersbergs im Speziellen.
Wohl im Zusammenhang mit einem der späteren Prozesse wurde 1791 ein Plan der Anteile gezeichnet.
Zentral in der Mitte ist die Lichtung Reitenberg, - heutzutage weiträumig von Fichtenwald umgeben - nach Süden wird hier hier aber der Kaitersberg nicht als mit "Hochwald" sondern als
Birkenberg bezeichnet.
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die Anteilseigner und die Verteilung der einzelnen Anteile, der Markt war 1791 bereits Besitzer von 2 Anteilen(!), auch der Wiesmüller Rabenbauer besaß - allerdings von Anfang an - 2 Anteile |
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die Besitzer dieser zwei kleinen Hochwaldanteile waren die Verursacher dieses Streites unter Anteilseignern und damit der Anlass, diesen Plan zu zeichnen. |
Man sieht hier sehr gut, dass die Wälder damals in einem ganz anderen, zumeist viel schlechteren und ärmeren, Zustand waren. Das andauernde Streurechen und ein viel zu massiver Eingriff in die Substanz der Wälder verhinderte, dass sich ein üppiger Hochwald überhaupt bilden konnte. Der damalige sehr schlechte Zustand der Wälder Bayerns war der Anlass für eine vorsichtigere Bewirtschaftung der Wälder und die Geburt des Begriffes der Nachhaltigkeit - erfunden von der bayerischen Forstwirtschaft zu Ende des 18. Jahrhunderts.
Von Mathias Heilmeier kennen wir eine Aufnahme um 1900, auf der der Saum des Birkenberges gut zu erkennen ist. Allerdings sind die Birken bereits überständig. In früheren Zeiten konnten sie sicherlich nicht älter als 7-8 Jahre werden und wurden dann erneut auf Stock gesetzt. Dies Bild dient nur als Beispiel, wie sehr unsere Vorstellung der Wälder vom jetzigen, satt grünen Bild geprägt ist, das in der Vergangenheit NIE so gewesen war.
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Waldsaum mit Birkenbergsaum |
Ein eher realistischeres Bild unserer Bergwälder sieht man auf einem Bild, das ich vor vielen Jahren von Frau Anna Schötz in Kötzting erhalten habe, steinige, dürre Abhänge mit spärlichem Bewuchs.
Doch nun im Detail zu dem kolorierten Plan: Wie ein bunter Kranz winden sich die Anteile sowohl des Laubberges wie des Schwarzwaldes einmal um Reitenberg herum. Deutlich sind die 4 Herdstätten, sprich Häuser Reitenbergs zu erkennen und auch die einzelnen Anteile sind - für 1791 - bereits sehr exakt eingezeichnet.
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Staatsarchiv Landshut Rep 165 6951 von 1791 |
Als die Grenzen sind eingezeichnet: ganz links Kloster Rott, dann gegen den Uhrzeigersinn: die Dorfschaft Arndorf, die nach Arndorf gehörigen Laubberge - weiter am rechten Rand Kloster Rott zur Propstei und Pfarrer Wald - im Norden der Bauer Mühlbauer von Gotzendorf.
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hier nun dieselbe Situation im Plan der Uraufnahme, Detail aus der Uraufnahme Blatt von Schonbuchen vom Vermessungsamt Cham |
Es wäre eine schöne Aufgabe für Geocacher oder einfach geschichtlich interessierte Wanderfreunde, diese Grenze mit den dazugehörigen Grenzsteinen einmal zu finden und zu dokumentieren. Die Grenzsteine zum Klostergrund sollten eine Besonderheit darstellen.
Um den Unterschied zu heute ein wenig klarzumachen, bin ich nach Wettzell hinaufgefahren und habe den, vom Saum bis zum Gipfel, dunkelgrünen Kaitersberg fotografiert und nun einmal die Linie eingezeichnet, die in etwa der Südgrenze der Lichtung Reitenberg entspricht und die, lt. Plan, auch in etwa die Grenze zwischen Birkenbergen und Schwarzwald gewesen ist. Legt man dann auch noch zugrunde, dass dieser Hochwald gleichzeitig auch extrem stark genutzt, das heißt abgeholzt, wurde, so waren in unserer Heimat vor 250 Jahren wirklich jämmerlich karge Wälder vorherrschend.
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das dürfte ungefähr der Saumbereich der sogenannten Birkenberge gewesen sein |
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so saftig und grün, hinunter bis zu den Wiesen waren unsere Wälder in der Vergangenheit so gut wie nie. Durch das permanente Streurechen waren die Böden verarmt und durch die überstarkte Holznutzung auch viel zu ausgedünnt. |
Viel Spaß beim Lesen