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Freitag, 1. September 2023

Die Besetzung des Sudetengebietes im Herbst 1938

 Die Auswirkung der großen Politik vor Ort im Kleinen....

Nach Hitlers vorangegangenen Drohungen und dem danach gegebenen Versprechen, seine Forderung nach dem Sudetengebiet wäre seine letzte Forderung, gaben die in München versammelten europäischen Mächte, England, Frankreich und Italien - ohne die Tschechoslowakei - Hitler nach und beschlossen im Münchner Vertrag vom September 1938 die Abtrennung des Sudetengebietes an dessen Angliederung an das Deutsche Reich. Gegen den Widerstand der Tschechoslowakischen Regierung wurde danach noch der genauen Grenzverlauf festgelegt.
Wie sehr Hitler seine "Verhandlungspartner" getäuscht hatte, zeigt alleine die triumphale Rückkehr Chamberlains nach London mit dem Ausspruch, er hätte Frieden für eine Generation erreicht.
Die Länge dieser versprochenen "Generation" dauerte nicht einmal ein Jahr, nach vielen Vorbereitungen und einer Charade an der polnischen Grenze, brach Adolf Hitler mit seiner Wehrmacht den Zweiten Weltkrieg vom Zaun.
Vom damaligen Kötztinger Hauptlehrer Josef Bock haben wir im Archiv drei verschiedene Bilderserien, die hier vor Ort dies Auswirkungen vor Ort begleiten. Josef Bock haben wir sehr, sehr viel zu verdanken, da er bereits in den 30er bis herauf in die 60er Jahre viele Ereignisse und Veranstaltungen dokumentierte.
Foto Josef Bock. Aufmarsch der Wehrmacht in der Kötztinger Bahnhofstraße. Josef Bock wohnte damals noch im Hause Vogl und brauchte sich für dieses Foto nur über seine Terrasse bzw. aus dem Fenster beugen.

In den Wochen und Monaten vor dieser Konferenz in München waren die Zeitungen der NSDAP und teilweise auch die lokalen Tageszeitungen angefüllt sowohl mit den verschiedensten Horrormeldungen aus dem Tschechoslowakischen Grenzgebiet als auch mit sich steigernden Forderungen an die Prager Regierung.
In einem abgestimmten Zusammenspiel zwischen der NSDAP im Westen und Henleins SdP im Osten wurden massive Proteste durch Teile der deutschsprachigen Bevölkerung im Sudetengebiet orchestriert, die dann natürlich wieder Reaktionen der Prager Regierung provozierten. Die dadurch hervorgerufenen Flüchtlingsströme spielten Hitlers Argumentation gegenüber den anderen europäischen Mächte direkt in die Hände.
Die Grundaggressivität und die Häme, die von deutscher Seite aus aufgebaut wurde, möchte ich alleine durch eine Abfolge nur von Überschriften im Parteiorgan  der NSDAP "Bayerische Ostmark" erläutern. Diese Tageszeitung war für die Bereiche Cham-Furth, Waldmünchen, Kötzting und Roding zuständig und berichtete nach der Annektierung des Sudentenlands dann auch über den Großbereich Neuern..
Der vorherige Kötztinger Bürgermeister Benno Hoiss hatte jahrelang vergeblich versucht, Kötzting aus der Kreisleitung Chams herauszulösen, war damit aber immer wieder gescheitert. Nach Benno Hoiss´ Zwangsversetzung nach München sind diese Bestrebungen nicht mehr aufgerufen worden. Es ist jedoch auffällig, wie wenig - im Vergleich zu Cham-Waldmünchen und Furth - in der Bayerischen Ostmark über den Bereich von Kötzting berichtet wird.

 
Hier nun einige Schlagzeilen über die sich zuspitzende Entwicklung in unserem Grenzraum ab Mitte September 1938 in einer zeitlichen Reihenfolge, die schlaglichtartig auch den Sprachduktus und die Aggressivität der damaligen politischen Führung belegt.














Am Tag vor der Unterzeichnung des Münchner Abkommens gibt Adolf Hitler seine Zusicherung, keinerlei territoriale Forderungen mehr in Europa stellen zu wollen, und bringt damit die wohl noch zaudernden anderen Staatenvertreter ein letztes Mal auf seine Seite.
 
Durch die Zustimmung zum Münchener Abkommen, welches gegen den Willen der Prager Regierung zustande gekommen war, erhält Hitler freie Hand, um das Sudetenland dem Deutschen Reich einzuverleiben. Natürlich lebten in diesem Gebiet seit Jahrhunderten auch tschechische Bürger und so kam es in Folge dieser Okkupation auch sofort zu Massenvertreibungen dieser Menschen, vom tragischen Schicksal der jüdischen Bevölkerung in diesen Gebieten ganz zu schweigen.  






Der Aufmarsch in der Kötztinger Bahnhofstraße


Wie auf dem Bild am Anfang dieses Blog-Beitrages schon zu sehen, war die Deutsche Wehrmacht offensichtlich schon darauf vorbereitet worden, und konnte nun sehr kurzfristig mit ihren Soldaten Fakten schaffen.
Hier die Bilder von den Soldaten, die von Kötzting aus in den Bereich von Neuern einrückte.




Einschub
Wie häufig sind auch hier kleine Details im Hintergrund für mich etwas ganz besonderes.
Auf der rechten Seite sieht man ganz oben - heute unser kleiner Stadtpark - noch die Begrenzung des Gartens des Kötztinger Gefängnisses. Das Anwesen des Herrn Herre hatte eine schöne Gartenmauer und dieser betrieb offensichtlich auch eine der vielen Tankstellen, die es damals in Kötzting gegeben hatte.
Einschub Ende


Hier im Hintergrund die Bäckerei Irlbeck; ein Gebäude, welches später "zugunsten" eines Sparkassenneubaus abgerissen wurde.
Betrachtet man den Schattenwurf, so muss es am späten Nachmittag gewesen sein, als sich die Kolonne in der Bahnhofstraße zum Abmarsch formierte; recht viel Kötztinger scheint der ganze Aufwand nicht besonders interessiert zu haben.




Die Sprengung einer Grenzübergangssperre



Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht wurden auch die ehemalig befestigten Grenzübergänge beseitigt. Josef Bock begleitete solch ein Sprengkommando.
Um welchen vorherigen Grenzübergang es sich dabei handelt, muss noch herausgefunden werden.
Im Hintergrund der Aufnahme ist einer der damaligen "Triumphbögen" zu erkennen, die die SdP für die einmarschierenden deutschen Truppen errichten ließ.



Dieser Grenzübergang ist uns noch unbekannt.

Nach Rücksprache mit Herrn Haymo Richter handelt es sich hier um den kleinen Ort Neumark.

Die später gesprengte Schlagbaumvorrichtung gehört ebenfalls nach Neumark.


Und dann war es soweit, der Betonblock des Grenzüberganges wurde gesprengt. Hier konnte Josef Bock sogar den Moment der Sprengung im Bild festhalten.







Das Ziel der Truppen, die von Kötzting aus in das Sudentengebiet einrückten, war wohl Neuern, weil es von Josef Bock eine dritte Bilderserie gibt, die genau diesen Moment festhält.
Blickt man auf manche Geschäftsanzeigen im Hintergrund - Geschäfte, die jüdischen Familien gehörten - so kann man sich vielleicht die Katastrophe vorstellen, welche diese Okkupation für diese Menschen bedeutete.
Schon vorher hatten die deutschen Zeitungen triumphal über die Gefühle dieser jüdischen Menschen berichtet.
Auch in Kötzting hatte sich deren Situation in den letzten Wochen katastrophal verschlechtert:

Die beiden erwähnten "jüdischen Textilwarengeschäfte" waren die der beiden Kötztinger Bürgersfamilien Kirschner und Hahn in der Marktstraße.

Der   Einmarsch in Neuern:

Dieser - der vorhergehende -  Bilderzyklus könnte vielleicht für unsere Freunde in Neuern von Interesse sein, die diese Bilder gerne von uns übernehmen können.




Josef Bock war immer auch gut als Portrait-Fotograf.

Das Gemischtwarengeschäft des jüdischen Bürgers Schwarz hörte mit dem Tag des Einmarsches auf zu existieren.




Bayerische Ostmark im Oktober 1938


Dies sieht nach einer "Gulaschkanone aus"



















Während die nördlichen und östlichen Teile des Sudetenlandes eine eigene Unterstruktur erhielten, wurden die Gebiete, die an die "Bayerische Ostmark" grenzten, einfach von dieser mit verwaltet.
 

Um den "Großbereich" Neuern hatten sich die Behörden von Cham und Kötzting zu kümmern.
In der Parteizeitung schlug sich das einfach durch eine neue Rubrik: " Aus dem Böhmerwalde" nieder, unter der nun auch die vielen kleinen und kleinsten Berichte aus der gegend um Neuern veröffentlicht wurden.

Kaum war diese Krise im europäischen Gefüge zugunsten des Deutschen Reiches mit vielen Zugeständnissen der anderen Mächte bereinigt worden, bot sich dem Deutschen Reich die nächste Gelegenheit, weitere Pflocken einzuschlagen, und auch dies hatte seine Auswirkungen auf unsere Bevölkerung vor Ort.


Die Folge dieser Schüsse auf den Gesandtschaftsrat vom Rath war am nächsten Tag die Reichsprogromnacht, von den Nazis wegen der vielen zerbrochenen Glasscheiben als Reichskristallnacht verniedlicht. In Kötzting kam es zwar zu keinen Plünderungen, jedoch wurden die 
beiden beiden Geschäftsinhaber, Julius Kirschner und Simon Hahn, zu "ihrer eigenen Sicherheit" in "Schutzhaft" genommen. Der im Artikel genannte "Blaibacher Fabrikbesitzer" war Herr Albert Grünhut, der Besitzer der Fabrik in Harras.
Die Familie Hahn konnte übrigens noch in die USA emigrieren ( die Eltern schafften es direkt in die USA, die Kinder wurden auf dem Atlantik vom Kriegsausbruch überrascht und mussten, da die USA die Einreise verweigerte, auf Jahre hinaus von Südamerika aus versuchen, die Einreise in die USA voranzutreiben)
Die Familie Grünhut konnte in verschiedene Länder - Schweiz - England - USA -  emigrieren und das traurige Schicksal der Großfamilie Kirschner wurde bereits in zwei Blogbeiträgen dokumentiert.

Bayerische Ostmark vom November 1938





Es ist auch in der Rückschau erschreckend, welch unmenschliche Entwicklungen im Dritten Reich in kurzer Zeit durch die Gleichschaltung aller Medien möglich gemacht wurden


Natürlich gab es Menschen, denen die Entwicklung nicht egal war und die versuchten sich zu wehren.
Wie schwierig das bereits 1938 - für jüdischen Mitbürger war dies bereits 1933 ein strafbewehrtes Unterfangen geworden, die Regierung oder die Partei zu kritisieren - geworden war, zeigt ein Artikel - ebenfalls aus dem Parteiorgan der NSDAP - über zwei Gerichtsurteile mit Gefängnistrafen wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz, sprich wegen Kritik an der Politik im Dritten Reich.

Ende November wagte Hitler einen weiteren Schritt, er schloss nicht nur die Eingliederung des Sudetengebietes ab, sondern ging nach der Festlegung einer neuen Grenze zu Tschechien sofort noch einen Schritt weiter und ließ die SA auch noch ins eigentlich rein tschechische Chodengebiet bis heran an Domazlice  einmarschieren.
Die Bayerische Ostmark begleitete auch diese Annektionen mit Hurraartikeln über tschechische Bürger, die die deutschen SA-Männer jubelnd empfangen würden.
 





 



Natürlich ist es für uns "Nachgeborene" leicht über jene Zeit zu urteilen, ausgestattet mit unserem Wissen darüber, was am Ende aus dieser Politik schreckliches  herausgekommen ist. Nichts desto trotz ist es offensichtlich eine Aneinanderreihung von vielen kleinen Schritten und Beschränkungen, die es Diktaturen erst möglich macht, ihre Gewaltherrschaft so uneingeschränkt auszuüben und auszubauen.
Daher sind es auch eben diese kleinen Schritte in eine falsche Richtung, die es zu beachten gilt, damit sich eine solche Entwicklung nicht wiederholen kann.

Zum Abschluss noch ein solcher "Tendenzartikel" über die Familie Grünhut.