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Samstag, 27. Oktober 2018

Das Kriegsende vor 100 Jahren - der Freistaat Bayern entsteht


Eine Zeitenwende für unsere Vorfahren, wie und wann erfuhren unsere Kötztinger davon?

In dem Jahresband des Kötztinger Anzeigers von 1918, der in der Münchener bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt ist, hat ein unbekannter Schreiber auf dem Exemplar  Nr. 91 vom 13.11.1918 notiert: N(ummer) 90 fehlt(!). Die Ausgabe vom Montag, dem 11. November 1918 ist entweder in München nie angekommen, oder die Zeitung wurde nie gedruckt. Jedenfalls ist der ausgerufene WAFFENSTILLSTAND, das Ende des unsinnigen Tötens und des jämmerlichen Sterbens an der Westfront endlich wahr geworden.  Auch wenn viele, viele Todesmeldungen noch lange Monate weiterhin in der Heimat ankommen, ist das seit langem endlich eine gute Nachricht. Viele Kötztinger liegen noch schwer verwundet in den Krankenhäusern - auch im ehemalig besetzten Frankreich - und kämpfen, manchmal vergeblich, um ihr Leben. Nachdem das Manifest/der Aufruf des neuen revolutionären Rates aber auch erst am 13. November - auf Seite 2 -  in der Zeitung stand, so steht zu vermuten, dass die Kötztinger am Montag den 11.11. eher nur von einer großen Demonstration in München in der Zeitung lasen, wenn überhaupt.
Zuerst aber eine kleine Rückschau um ein paar Tage: noch am 6. November, 2 Tage vor Ausbruch der Revolution in München wurde die Kötztinger Bevölkerung noch aufgefordert die 9. Kriegsanleihe zu zeichnen.
In den vergangenen Wochen und Monaten war die Versorgungslage der Bevölkerung immer schlimmer geworden, wie manche Sammlungsaufrufe nach Brennnesseln und Quecken schrecklich deutlich machen.







Selbst Hunde sollen an der Front zum Schluss eine Wende einleiten: - ich stell mir gerade vor, wie Monti, mein Terrier, der nie in seinem Leben gehorchen wollte, oder - rassespezifisch - konnte, die Wende im Krieg hätte herbeiführen können.......


















Natürlich gab es in Deutschland und in Bayern zu der Zeit Kriegsgefangene, welche auch zur Zwangsarbeit eingesetzt waren. Anders aber als später im Dritten Reich unter dem Rassenwahn der Nazis, wurden diese wohl ganz anders behandelt und vor allem offensichtlich voller Respekt und Mitgefühl betrachtet, wie der folgende Artikel zeigen kann, in dem von einem russischen Kriegsgefangenen berichtet wird:




















Welch ein Unterschied zur Behandlung der Zwangsarbeiter nur ein paar Jahrzehnte später.


In München jedenfalls brodelte es und die, zuerst hartleibige, SPD (unter Auer) schloss sich den Forderungen der USPD (unter Dr. Eisner) nach einer Demonstration am Freitag den 8.November 1918 auf der Theresienwiese an. Die berichteten Teilnehmerzahlen schwankten, je nach politischer Couleur der Zeitungen, zwischen 40000 und 200.000. Die an der Demonstration teilnehmenden Soldaten hatten bereits ihre Reichskokarden von den Uniformen getrennt. Über 20 Redner sprachen auf dieser Kundgebung, unter Ihnen auch Kurt Eisner und Auer.
Die Forderungen der Teilnehmer gipfelten in der Aufforderung an den Rücktritt des Kaisers, dem Thronverzicht des Thronfolgers und der Vereidigung des Reichsheeres auf eine neue Verfassung, in der alle, die Demokratie hemmende, Hindernisse beseitigt werden sollten.
Diese Forderungen waren den meisten Teilnehmern aber wohl bei weitem zu moderat, auch ein Rücktritt des bayerischen Monarchen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Agenda.
Der Zug sollte sich - so war der Plan der SPD gewesen, welche an die 3000 "Ordnungsmänner" stellte, um  auch sicherzustellen-, an der Siegessäule in München enden. Die große Masse der Teilnehmer aber orientierte sich mehr an den weitergehenden Wünschen der USPD und deren Redner Kurt Eisner, der schlichtweg forderte, dass den Worten auch Taten folgen müssten. Bereits der übernächste Redner, nach Eisner sprach zuerst der blinde Bauernführer Gandorfer, der Unteroffizier Felix Fechenbach rief den Soldaten zu: "Soldaten! Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution!" 
Nachdem sich dem Riesendemonstrationszug die Soldaten unterschiedlichster Kasernen angeschlossen hatten, stand bald die gesamte Münchner Garnison auf der Seite der Demonstranten, an deren Spitze die USPD Führer Kurt Eisner, Johann Unterleitner und der Bauernführer Ludwig Gandorfer.
Nach Abschluss der Demonstration wurde im Mathäserbräu ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Die Räte begaben sich abends in das Landtagsgebäude und bildeten einen provisorischen Arbeiter-Soldaten-und Bauernrat mit Eisner als 1. und Unterleitner als 2. Vorsitzenden.
In der Nacht vom 7. auf den 8. November gab der "Arbeiter-,Soldaten- und Bauernrat einen Aufruf heraus, welcher Bayern tiefgreifend veränderte, nichts sollte mehr so sein wie zuvor. Einer der Kernaussagen lautete:
"Bayern ist fortan ein Freistaat"

Buch der Unibib Regensburg, dem
ich die nebenstehenden Aufrufe
entnommen habe.






















Noch in der Nacht des 7. Novembers floh der Wittelsbacher König Ludwig III auf Schloß Anif im Salzburger Land.  Wenige Tage danach besuchte Premierminister Dandl den König und das Ergebnis war die "Anifer Erklärung" vom 12. November. Mit dieser kurzen Erklärung endeten sang- und klanglos 700 Jahre Wittelsbacher Herrschaft über Bayern.


Wann erfuhren nun die Kötztinger davon? Erst am 13. November wurde auf der Seite 2 davon berichtet- auf Seite 1 stand die Überschrift mit dem Waffenstillstand und der Abdankung der beiden Kaiser in Berlin und Wien. Im Innenteil nun wurden die neuen Veränderungen, die sich aus der ersten Sitzung des neuen "Parlaments" in der Nacht zum 8. November für die Bevölkerung ergaben, ganz ausführlich erläutert.
  Nun ist es für uns natürlich interessant, ab wann die "neuen" Verhältnisse auch in Kötzting zu spüren waren, und des dauerte nicht lange: schon in der nächsten Ausgabe, am Samstag den 16. November wandte sich ein Soldatenrat Kötzting und Cham an die Kötztinger und warnte die Bevölkerung vor Unruhen, es würde mit "Aller Strenge" durchgegriffen.
Mit Datum vom 12.November erschien in den Tagen danach ein Aufruf des Chamer Soldatenrates an die in Kötzting sich aufhaltenden Soldaten
 



















 Mit diesem Aufruf an die ehemaligen Soldaten, sich bei ihren Truppenteilen einzufinden, erschien auch bereits ein Aufruf und eine Warnung an die Bevölkerung:

 

Kötzting bekam erst am 20. November Nachricht von der "Anifer Erklärung" Ludwigs III, während die Rücktritte der beiden Kaiser sofort (13.11.) gemeldet worden waren. Eisner nahm den Thronverzicht ganz nüchtern entgegen und stellte es der Privatperson Ludwig frei, sich, wie jeder andere Staatsangehörige Bayerns, frei im Lande zu bewegen, so lange er nichts gegen den Bestand des Volksstaates Bayern unternähme.













Revolutionäre Zeiten erforderten auch in Kötzting neue Gremien und so wurde auch hier ein Bürger- und Arbeiterrat gegründet. Die Gründungsversammlung war beim Röhrl Michael in der Klosterschmiede, später Teil der Metzgerei Haushofer/Schoierer. Die Bürgerräte kennt man gut, Lukas am Regen, Krämer Philipp der Metzger, Kroher Hans ( der Kaufmann und Vater unseres späteren Bürgermeisters), Stauber Josef (ein Mann für Alle Fälle damals) Brauereibesitzer Decker vom Marktplatz, Gmach Wolfgang, Oexler Wilhelm, Vogl Michl (Vater vom Vogl Max) und der Bankier Liebl Franz. Der Platzmeister Richard Richter (Platzmeister = Lagerist) war der Führer des Arbeiterrates.


Die BVP, die bayerische Volkspartei, wird in Regensburg gegründet
Es gibt einen Tagebuchauszug Dr. Georg Heims, der die turbulenten Tage und Stunden zwischen dem 6. und 9. November 1918 aufzeichnet.
Wikipediazitat:
Georg Heim, genannt der Bauerndoktor, (* 24. April 1865 in Aschaffenburg; † 17. August 1938 in Würzburg) war ein bayerischer Agrarpolitiker und Führer der katholischen Bauernbewegung in Bayern. Er war Mitbegründer der Bayerischen Volkspartei (BVP) und Wortführer des bayerischen Separatismus nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches. 

Dr. Heim war in diesen entscheidenden Stunden in Regensburg und hatte nur telefonischen Kontakt mit seinen Landtagskollegen in München. Er trat in Verhandlungen sowohl mit Auer als auch mit Eisner, um seine Erfahrung in der Bauernbewegung einzubringen und damit die Grundversorgung der Bevölkerung sicher zu stellen.
Schon in der Nacht nach dem Umsturz sprachen sich die bayrischen Mitglieder des "Zentrums" dafür aus, eine neue Sammlungsbewegung zu gründen und bereits am 12. November 1918 kam es in der Bibliothek der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft in Regensburg zur Gründungsversammlung.
Das Stenogramm der Reden und die Mitgliederliste liegen im Stadtarchiv Regensburg vor und auch Bauernverbandsmitglieder aus dem Kötztinger Raum waren in diesen turbulenten Tagen nach Regensburg gefahren, um sich der neuen Bewegung/Partei anzuschließen.
Der Bauer Ignatz Raab aus Plarrnhof und Ignatz Aigner aus Hetzenberg (beide Gemeinde Blaibach) gehörten zu den Gründungsmitgliedern.
ganzseitige Werbung bzw. Information bereits wenige Tage nach dem Umsturz und nur 3 Tage nach Gründung der BVP in
Regensburg


Entwicklung der BVP im Lande Bayern in Vorbereitung auf die allgemeinen Wahlen im Januar 1919
zum bayerischen Landtag (Kötztinger Anzeiger vom 14.12.1918
Doch zurück zu der Stimmungslage vor Ort in Kötzting:
Trotz der sich sehr schnell bildenden neuen politischen Strukturen, die Kötztinger fühlten sich unsicher und der Magistrat, mit seinen beiden Kollegien, schritt zur Tat, eine Bürgerwehr sollte Schlimmeres verhindern:
der Schutzmann Feichtner, wohnhaft im alten Rathaus, war die neue Kontaktperson für die Bürgerwehr

Grafenwiesen wollte da nicht zurückbleiben:

Viele Kötztinger Bürgerssöhne und Bürger waren noch an den verschiedensten Fronten auf dem Rückmarsch und da sich die Angehörigen Sorgen machten, wurde der folgende Artikel sicherlich gerne gelesen:


Unabhängig von den politischen Umwälzungen, das alltägliche Leben begann sich zu normalisieren, auch wenn es für sehr lange Zeit eine Mangelwirtschaft war, aber die Restriktionen der Kriegszeit wurden schrittweise aufgehoben:
Während also versucht wurde, die Warenströme gleichmäßig zu verteilen, sollte es der Bevölkerung wieder erlaubt sein, sich zu vergnügen.




Diese "Tanzerlaubnis" und folgend das "Benehmen" des weiblichen Teils der Bevölkerung sollte bereits im Frühjahr des Folgejahres Inhalt mehrerer wütender Leserbriefe sein.  Die Probleme mit der Versorgung der Bevölkerung mit allen lebensnotwendigen Waren, waren offensichtlich sehr groß und es kam zu den ersten Protestversammlungen, die Verwaltung musste reagieren, um den aufkeimenden Parolen zu begegnen.





Die Bayerische Volkspartei, die neue konservative Sammlungsbewegung in Bayern, rief auch in Kötzting zu einer Versammlung auf. Im Januelsaal setzte die BVP eine öffentliche Versammlung für Kötzting und die Umgebung an. "Männer und Frauen aus allen Ständen, Heimat- und Frontsoldaten, dicht zusammengedrängt im Januelsaale, boten ein interessantes Stimmungsbild."
Privatier Stauber (wieder ein Mann für Alle Fälle) eröffnete die Versammlung und übergab das Wort für eine 2(!) stündige Rede an den Abgeodneten Dr. Rauch, in welcher dieser den Bogen von der Kriegsschuldfrage bis zu den Ursachen des militärischen Zusammenbruchs erläuterte. Wie in diesen Kreisen damals durchaus üblich, sparte er nicht mit Ausfällen gegen jüdische Mitbürger, welche er an für ihn maßgeblichen Schaltstellen sah. Er verurteilte die Revolution und brachte auch hier die jüdische Abstammung Dr. Kurt Eisners an prominenter Stelle in seiner Rede unter. Allerdings stellte er den Umsturz als geschichtliche Tatsache dar, der man sich nun stellen müsse. Eine seiner Hauptforderungen war: Bayern den Bayern, allerdings nicht als Loslösung, sondern in einer sachgemäßen Einheit mit dem Deutschen Reich. Unter anderem forderte auch das Frauenwahlrecht und näherte sich den Forderungen nach einer Trennung von Kirche und Staat an, wobei er weiterhin von einer christlichen Erziehung auf christlicher Grundlage ausging.
Einschub:
dieser Punkt, die Stellung des lokalen Pfarrers als Schul- bzw. Distriktsschulinspektors, stellte sämtliche Lehrer in Bayern und natürlich auch in Kötzting unter die Kuratel des Pfarrherren, die sowohl die Prüfungsordnungen, wie auch das persönliche Verhalten der Lehrer streng im Auge hatten.
Hier gingen die Wünsche der SPD und der USPD weit über die Vorstellungen der BVP hinaus, auch wenn diese durchaus auch die Fehlentwicklungen der Vergangenheit sah.
Hier aber stachen die Oberen die Unteren, SPD und USPD hatten die Mehrheit und mit einem Federstreich endete die absolute Macht der Pfarrherren über die Erziehung der Kinder, nun war der Staat für diese Dinge verantwortlich. Nicht dass die Pfarrer nun machtlos geworden wären, aber die Entscheidung über das Wohl und Wehe der einzelnen Lehrer und selbst derartig profane Dinge wie die Lern- und Prüfungsinhalte gehörten nicht mehr zu ihren Aufgaben.


am 20. Dezember - 14 Tage zuvor waren bei der Versammlung im Januelsaale noch beschwichtigende Töne zu hören -  konnten die Kötztinger in der Zeitung lesen, dass ab 1.1.1919 die Macht der Pfarrherren gebrochen war, die Inspektion der Schulen war von nun an eine staatliche Aufgabe und der Priester auf den Religionsunterricht reduziert.
Einschub Ende

Dr. Rauch kanzelte Anfang Dezember noch die Schlagworte: "Freie Kirche, freie Schule, freier Staat" und "Religion sei Privatsache" deutlich ab.
Der Redakteur schrieb von der anschließenden Diskussion, dass diese sich sehr einseitig nur um Kirchenpolitik handelte und größere Zusammenhänge vermissen lies. Daran ist auch heute noch zu erkennen, wie sehr die Frage der Schulaufsicht die Menschen damals beschäftigte. Einzig ein Frontsoldat brachte einen anderen Zungenschlag herein als er "die Zuchtlosigkeit in der Heimat" sehr bedauerte.
Dies im Zusammenhang mit der oben erwähnten Aufhebung des Tanzverbotes wird im Frühjahr 1919 zu sehr scharfen und öffentlichen Auseinandersetzungen führen.


Trotzdem, das Jahr geht zu Ende, der Krieg tritt zurück, die ersten Soldaten werden, nach der Entlassung von Ihren Truppenteilen, in der Heimat erwartet und der Burschenverein plant, als erster aller Vereine und auch noch vor der amtlichen Begrüßung von Seiten der Pfarrgemeinde, mit einem eigenen Festgottesdienst, seine heimkehrenden Mitglieder zu begrüßen:

 

1919 im Frühjahr gipfeln die Unruhen dann in einem gewalttätigen Umzug in Kötzting, vom Bahnhof heraus bis zum "Stachus", wobei einige Fensterscheiben (Vogl Max und Wilhelm Oexler) zu Bruch gehen, aber andern Tags dann auch einige Verhaftungen vorgenommen werden, welche die Lage dann schnell beruhigen. Trotzdem, 1919, ein sehr unruhiges Jahr. Zuerst grob zusammen gestellt in der Pfingstbeilage für 2019 und in 10(!) Jahren in der Januarchronik (Kötzting vor 110 Jahren, dauert also noch ein wenig....)





Sonntag, 27. August 2017

historischer Lesestoff neu eingetroffen.....

Überraschung nach dem Urlaub


Es ist zugegeben durchaus leicht motivierend, wenn man sieht, dass dieser Blog, die "Kötztinger Geschichte(n)", manchmal auch ganz konkrete, ja sogar überregionale Spuren hinterlässt.
Internet sei Dank kann ich nur sagen, denn in der vergangenen Woche brachte der Postbote die Belegexemplare zweier Buchneuerscheinungen, die auch einen Bezug zu Kötzting haben.
Für beide Autoren kam der Hinweis, dass in Kötzting Material für Ihr Forschungsvorhaben zu finden sei, von Einzelveröffentlichungen in diesem Blog. Doch nun der Reihe nach:

Schon im Dezemberbeitrag (ganz am Schluß) habe ich von neueren Erkenntnissen über das Schicksal unseres Kötztinger Mitbürgers Julius Kirschner und einer bevorstehenden Veröffentlichung berichtet. Nun ist das Buch fertig und das Stadtarchiv Bad Kötzting hat ein Belegexemplar bekommen.
ISBN 978-3-95565-222-7 von 2017
Wie ist nun die Verbindung von Kötzting in das östlich von Berlin belegen Rittergut Garzau? Die beiden Autoren, die Historikerin Erika Schwarz und ihr Mann Gerhard Schwarz, aus der Mark Brandenburg hatten bereits Bücher über ihren Heimatsort Rehfelde veröffentlicht. Im Rahmen ihrer Recherchen über die eigene Herkunftsregion traten dann geschichtliche Verbindungen zwischen Garzau und Rehfelde zutage und bei näheren Untersuchungen dieser Verbindungen, und damit automatisch auch der Geschichte des Rittergutes Garzaus, stellte sich heraus, dass Garzau auf einer Liste von 52 Orten verzeichnet war, in denen jüdische Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Mit diesem Eintrag war das Interesse des Autorenpaares geweckt und mit einer Liste der Zwangsarbeiter in der Hand konnten sie versuchen, deren Leben und Schicksal zu rekonstruieren. Was nun dieses "Arbeitslager" so besonders für das Verständnis der Unterdrückung unserer jüdischen Mitbürger macht, ist das große Glück, das einer der Inhaftierten einen regen Schriftwechsel mit seinen Angehörigen unterhalten konnte und von diesen Briefen sind nicht nur eine große Anzahl erhalten, sondern in diesen schildert der Schreiber auch das Leiden der Zwangsarbeiter und die seelische und körperliche Not, die die Inhaftierten erdulden müssen. Keiner der jüdischen Zwangsarbeiter in Garzau überlebte diese grausame Zeit UND, einer der jüdischen Zwangsarbeiter in Garzau war unser jüdischer Mitbürger Julius Kirschner.

Die beiden Kötztinger jüdischen Familien, die Kirschners und die Hahns, und deren Schicksale sind es wert, einmal eine größere Abhandlung zu erarbeiten. Ich bin aber immer noch auf der Suche nach Bildern der Familie Hahn, deren Mitglieder, im Gegensatz zu der Familie Julius Kirschner, das Dritte Reich zumindest gesundheitlich gut überstanden haben. Es bleibt aber auch bei Ihnen der Eigentumsverlust und vor Allem die beschämende und beleidigende Art und Weise wie sie, als zuerst hochgeachtete und vollkommen in das öffentliche Leben in Kötzting integrierte Kötztinger Bürger, innerhalb weniger Wochen durch gereicht wurden hinab zu Untermenschen, zumindest in den Augen der immer mächtiger werdenden Partei und deren zwangsweisen Durchdringung der öffentlichen Ämter. Kein FC Kötzting wäre denkbar ohne Julius Kirschner und die Hahns waren vorbildlich bei der Feuerwehr und in den Theater und Musikgruppen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Auch wenn wir vom Stadtarchiv einige Hinweise für das Buch liefern konnten, so ist doch die Aufklärung über die persönlichen Schicksale der Kirschnerkinder ein ganz wichtiger Mosaikstein für die eigenen Nachforschungen unserer jüdischen Kötztinger.



Das zweite Buch stammt von dem Waldmünchener Heimatforscher Dr. Markus Gruber und behandelt das Kriegsende im April und Mai 1945 in unserem Grenzgebiet.

Werbeplakat der Neuerscheinung
280 eng beschriebene Seiten bieten eine unglaublich detailreiche Abhandlung darüber, was in den Tagen nach dem 20. April in der weitesten Umgebung von Waldmünchen und vor Allem auch in der Stadt Waldmünchen geschehen ist. Trotz des Zusammenbruches aller staatlichen Strukturen bereits in den letzten Kriegstagen, ist es beeindruckend, auf welch riesiges Datenmaterial Herr Dr. Gruber zurückgreifen konnte. Er hat rechtzeitig damit begonnen viele Zeitzeugen zu befragen - belegt aber auch, dass er sich durchaus der Subjektivität solcher Aussagen bewusst ist. Auch die teilweise ritterlich verklärten autobiographischen Veröffentlichungen einiger Offiziere der 11.PD rückt er in das richtige Licht, indem er auch von den vielen Todesopfern berichtet, die gerade in den allerletzten Kriegstagen sowohl Soldaten als auch die tschechische und deutsche Zivilbevölkerung betrafen. Vor Allem diese  Einzelschicksale, die gefallenen Soldaten der letzten Kriegstage, versucht er zu ermitteln und es gelingt ihm auch teilweise deren Namen und Grablegen zu ermitteln.
Auch wenn Kötzting und der Kötztinger Raum hier nur am Rande, im Zusammenhang mit der Kapitulation der 11. Panzerdivision, erwähnt wird, so ist es doch die Fülle an Quellen und Archivverweisen, die dieses Buch für uns so wertvoll macht. Es gibt vermutlich einige Ansätze -wenn man VIEL Zeit hat - um auch für den Raum Kötzting noch einiges an Details herauszuarbeiten. Dokumente zum Beispiel, die die Amerikaner über Waldmünchen und deren Volkssturmmänner angelegt hatten sollte es eigentlich ebenfalls für Kötzting geben. Viele Bilder und einiges an erläuternden Karten helfen beim Verständnis des sehr detailreichen Buches. Es ist so meine Erfahrung aus mehr als 30 Jahren Sucharbeit in fremden Archiven: eine bisher unbekannte Fundstelle für einen Nachbarort kann ein Hinweis auf wichtige, gleichgeartete, Archivalien für den eigenen Bereich sein.

Vielen Dank an beide Autoren für die Überlassung eines Exemplars für unser Stadtarchiv.

Bei der Durchsicht des Buches von Markus Gruber bin ich wieder auf ein Bild gestoßen, das sicherlich ein Jeder, der sich bisher für die Geschichte der 11.PD und Kötzting interessiert, kennen wird. Der letzte Appell Generalleutnants von Wietersheim auf der "Spitziwiese".
das bekannte Bild, hier entnommen aus dem Buch "Endkampf im Böhmerwald" von Dr. Markus Gruber
  Diese "Spitziwiese" war ja bis hinein in die Sechziger Jahre (Zuerst kam der Neubau der AOK, der die Nutzung einschränkte, Kötztings erster Minigolfplatz machte dem Schlitten- und Skihang dann den Garaus.) vor Allem der Schlittenhang der Kinder. Wie man auf der Aufnahme auch sieht ist der "Appellplatz" auch erkennbar steil. Warum also ein Appell auf einem so ungeeigneten Platz?

Durch einen Zufallsfund im letzten Jahr glaube ich den Grund zu kennen: in einem Zeitungsbeitrag über die Geschichte der AOK Kötztings wird erwähnt, dass diese ihr erstes Büro in der Nachkriegszeit in der Marktstraße 40. (Heutzutage Reisebüro Aschenbrenner zwischen Veitskirche und Amberger Hof). Nachdem Generalleutnant von Wietersheim ja auf seinen Stock angewiesen war und die Amerikaner ihm sicherlich keinen Wagen zur Verfügung gestellt hatten, kamen die Soldaten eben auf die ihrem Chef nächstgelegen Wiese zusammen, so dass von Wietersheim nur durch den Torbogen im Amberger Hof gehen musste um den Abschiedsappell durchführen zu lassen.





Donnerstag, 2. Juli 2015

Independence Day 1945 ... die amerikanische Kavallerie feiert im Landkreis Kötzting

Bereits ab dem 18. Mai mussten die, bis nach Pilsen in Tschechien vorgedrungenen, US Streitkräfte - hier bei uns waren es die Truppen der 2nd US Cavalry - dieses Gebiet wieder räumen und ersetzten in Kötzting,  die Soldaten der 90. Infanterie Division, denen sich die deutsche Panzerdivision ergeben hatte.
Die folgenden Bilder und Texte habe ich dankenswerterweise vom Direktor Ryan Myers vom Col. Reed Museum in Vilseck erhalten und stammen aus den beiden Büchern. Seinen Mitarbeiter Lance durften wir heuer bereits als Ehrengast beim Pfingstritt begrüßen.














Wie man auf der folgenden Karte gut sehen kann, ist die 2nd Cav. für den gesamten Altlandkreis Kötzting zuständig.



Das Gruppenhauptquartier nach dem Rückzug aus Tschechien wurde zuerst auf dem Brennes errichtet und das Buch berichtet davon, dass sofort nach der Beendigung der Feindseligkeiten dort oben sich eine ganze Menagerie an Haustieren und Maskottchen angesammelt hatte, etwas was den Soldaten während der Kämpfe streng verboten gewesen war, also ein Maskottchen mitzunehmen. Und so waren dort in kurzer Zeit Hunde, Kühe, Pfaue, Schweine, Ziegen und sogar ein schwarzes ungarisches Schaf versammelt.
Zeitgleich wurde am Arbersee ein, heutzutage würde man sagen Wellnesshotel, ein " recreation center", eröffnet, in welchem die Soldaten der 2nd Cav jeweils 3 Tage verbringen durften einfach nur zum Entspannen oder auch zum Schwimmen, Boot fahren, Reiten, Picknick oder halt mit dem Tanz mit den (nichtdeutschen) Mädels aus Zwiesel.
 Ansonsten waren die Soldaten beschäftigt, die Grenze zu überwachen, die Grenze des Böhmerwaldes, von dem noch Hindenburg sagte - und die Amerikaner glaubten diesen Worten bis zum Schluss und agierten auch entsprechend vorsichtig - "Wer diese Region kontrolliert, beherrscht Deutschland"

Grenzkontrolle zu Tschechien

 Am 1. Juli wurde das Hauptquartier der gesamten Gruppe nach Kötzting verlegt, wo bereits deren B-Truppe der 2nd Squadron die Bewachung und Abwicklung der Gefangenen der 11. PD übernommen hatte. Diese Verlegung des Hauptquartiers wurde deswegen unternommen, um Captain Sperl, dem IPW Offizier (=Zuständig für die Befragung der Kriegsgefangenen, also eine Vorläuferbehörde des CIAs, vorher noch CIC), welcher der 2nd Cav zugeteilt worden war, zu unterstützen und die Behörden im Altlandkreis Kötzting besser zu kontrollieren zu können.

In dem Maße, wie die einzelnen Abteilungen der Militärregierung ihren eigentlichen Job besser in den Griff bekamen, wurden dann den Soldaten auch sportliche Möglichkeiten angeboten und jede Einheit errichtete sich so ihren eigenen Sportplatze und veranstaltete Turniere, denn was wäre Sport ohne Wettkampf und Sieger und Verlierer.
So haben die Kötztinger zum Beispiel ihre Holztribüne am Fußballplatz auch den Amerikanern zu verdanken und waren bestrebt, dieses Bauwerk nach dem Abzug der Soldaten auch behalten zu dürfen.

Auch Volleyball wurde gespielt


So wurden bei uns v.a. in Neukirchen und Cham Turniere abgehalten. Abends wurde dann in den Gasthäusern, natürlich getrennt nach Offizieren und Mannschaften, abwechselnd in Lam und Neukirchen beim hl. Blut getanzt und dazu wurden die dazu "notwendigen" Mädchen aus der Region von Klattau antransportiert, es herrschte ja noch die Parole: "No fraternisation", also keine Verbrüderung mit dem deutschen Feind. Wie es oben weiter heißt, war es eine große Erleichterung, als dieses Verbot dann aufgehoben worden war und die Soldaten "local frauleins" auf ihre Parties und zu den Tänzen einladen durften und sich mit den "local bellies", also mit den Dorfschönheiten, treffen durften, was laut Text offensichtlich für den Geldbeutel der GIs viel billiger war als die Transportmethode  aus der Anfangszeit.

Jedenfalls nahte nun der 4. Juli, also der amerikanische Nationalfeiertag zur Unabhängigkeit, der sogenannte Independence Day, und die US Streitkräfte veranstalteten ein großes Reiterfest - man war ja schließlich eine Kavallerieeinheit, wenn auch mit Panzern, und von diesem Fest gibt es tatsächlich noch Bilder und den offiziellen Flyer.
Herr Ludwig Bauman aus Kötzting, darauf angesprochen, erinnert sich noch sehr gut an diese Veranstaltung und an viele Details, wie er mir berichtete, der Flyer war wohl für ihn auch eine kleine Zeitreise.
Ich habe ihn gebeten seine persönlichen Erinnerungen an dieses Ereignis kurz zusamenzufassen:



Meine Erinnerung an das Reitturnier, das die amerikanischen Besatzungssoldaten auf den Wiesen „Am Füller“ veranstalteten, ist lückenhaft. Aber das habe ich noch lebhaft vor Augen: Das weite Rund des Turnierplatzes war mit Holzplanken eingezäunt. Und die Zuschauer, meist Soldaten, aber auch neugierige Einheimische und zugezogene Flüchtlinge, standen in dichten Reihen dahinter. Wir Zehnjährigen fanden kaum eine Lücke, um einen Blick von dem Ungewöhnlichen, das sich auf der alltäglichen Bauernwiese ereignete, zu erhaschen. Ich erspähte aus Balken und Brettern zusammengenagelte Hindernisse und Reiter, die mit ihren Pferden darüberhüpften, immer wieder rennende und hüpfende Pferde – in endloser Folge. Mir wurde es bald langweilig, und ich trottete heim. Eins aber habe ich heute noch im Ohr. Das Trompetensignal, das jedes Mal ertönte, wenn ein Reiter startete oder ins Ziel einlief. Das hallte quer über den Markt bis zu unserm Haus auf der Tradt – zwei Tage lang. Mein Großvater, nebenberuflich ein Musikant, wollte es auch nicht mehr hören.

Etwas anderes hatte mein handwerkliches Interesse geweckt und meine Aufmerksamkeit gefesselt: Auf dem Marktplatz bauten Zimmerleute eine hohe und massive Rampe zusammen. Mit der wurden in den Wochen nach dem Turnier die Pferde auf amerikanische Lkws verladen und nach unbekannten Orten verfrachtet. Die Pferde, auch das haben wir Schulbuben mitbekommen, hatten die Amerikaner im Mai (1945) aus der Tschechei vor den Russen gerettet und in den weiten Ställen und Städeln der „Post“ untergebracht.



Ludwig Baumann
 




Hier nun die Werbebroschüre, also der Flyer für das Reiterfest der Second Cavalry in Neukirchen beim hl. Blut 4. und 5. Juli 1945



auch Col Reed persönlich nahm an den Reitturnier und Pferdevorführungen teil
 Am 4. Juli abends feierten die Offiziere in Neukirchen, die Mannschaften in Lam




Eine Vorführung von Kosacken war angekündigt und davon gibt es sogar Bilder aus Neukirchen:



das Organisationskommitee


so wurden die Sieger ermittelt

auch Baseball wurde angeboten und auch davon gibt es Bilder


Teilnehmerliste des "offenen" Springens mit einer Maximalhöhe von 3 Fuß und 6 Zoll









Springturnier am 4.u 5. Juli 1945 in Neukirchen beim hl. Blut





Nun war es natürlich der amerikanische Nationalfeiertag und daher durften eine Parade und eine Marching Band nicht fehlen:

amerikanisches Blechbläser 1945 in Neukirchen beim hl. Blut

das ist halt eine kleine Parade für die Kavallerie